Vom Netzwerk, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019

Zu: Dirk Baecker: 4.0 oder Die Lücke die der Rechner lässt, Merve Verlag, Leipzig 2018, Taschenbuch, 276 Seiten.ISBN: 978-3-96273-012-3Preis (Buch): 22,00 €

Das Buch hat leider etwas zu lange auf meinem Schreibtisch gelesen. Doch seine Aktualität wird es wohl in den nächsten 20 Jahren kaum verlieren. Der einzige Nachteil ist, dass es eine inhaltliche Überarbeitung darstellt. Die Studien zur nächsten Gesellschaft sind im Jahr 2007 fortgeschrieben, was nun schon 12 Jahre her ist. Die technologische Revolution ist zwar fortgeschritten, aber doch wohl in den voraussehbaren Bahnen verlaufen. Die Frage der künstlichen Intelligenz stellt sich wohl ein wenig deutlicher als damals. Man könnte es knapp sagen: Dirk Baecker sieht die Digitalisierung als Chance, nicht als Krise.

Das Buch stellt 26 Thesen vor, die dann relativ ausführlich, aber durchaus komprimiert erläutert werden. Diesen Kapiteln sind fünf Exkurse zugeordnet, teils Texte, die der Autor bereits an anderer Stelle veröffentlicht hat.

In diesem neuen Buch weist er allerdings auch auf die Wurzeln der Digitalisierung hin, die keinesfalls so vom Himmel gefallen ist, wie es immer erscheint. Die Geschichte der technischen Kommunikation setzt mit dem Buchdruck ein, basierend auf der Geschichte der Schrift.

Was das für heute bedeutet, soll in einem kurzen Zitat dargestellt werden:

„Einstweilen bleibt es bei der These: Das Strukturprinzip der nächsten Gesellschaft zur Sicherstellung der Verbreitung elektronischer Medien ist das Netzwerk der Verknüpfung prinzipiell heterogener Elemente, die untereinander derart in Identitäts- und Kontrollbeziehungen stehen, dass sie in allen gesellschaftlichen Fragestellungen und für jede einzelne Handlung anschlussfähig sind. Und Anschlussfähigkeit heißt wie immer: fähig zur Ablehnung, zur Annahme und zur spezifischen, grundsätzlich riskanten Profilierung. Wenn diese These stimmt, bekommen wir es empirisch zunehmend mit hochgradig individuellen Phänomenen zu tun.“ (S. 46)

Dass Dirk Baecker den Ansatz Niklas Luhmanns fortschreibt, kann man exemplarisch auch am Begriff der Religion deutlich machen, den er wie Luhmann funktional betrachtet. Es bleibt bei der Transzendenz der Rede von Gott, die aber immanent zu erfahren ist. Hierzu noch abschließend ein Zitat: „Das religiöse Manöver ist nicht ohne eine gewisse Ironie. Die profanen Dinge werden in ihrer Kontingenz bestimmbar, weil sie nicht heilig sind; die heiligen Dinge sind eindeutig, weil sie auf ein Reich verweisen, das beschworen, aber nicht kontrolliert werden kann.“ (S. 147) Interessant ist, wie auch auf dieser Welt elektronische Medien keinesfalls unwirksam sind.

So wie jetzt am Beispiel Religion gezeigt, werden auch andere gesellschaftliche Felder nacheinander besprochen und auf ihre Funktion in der nächsten Gesellschaft das heißt auf ihre Beziehung zur Digitalisierung geprüft und vermittelt.

Insgesamt wird dieses Buch als eine sehr ausführlich belegte, aber komprimiert formulierte Ausarbeitung der nächsten Gesellschaft sein, die sich ohnehin immer neu den Gegebenheiten anpassen muss. Die Tabelle am Ende des Buches  zeigt, wie die 26 Thesen und ihre Ausarbeitung jeweils strukturiert sind.

„Die teure Gnade“, Dietrich Bonhoeffer (Reprint), hrsg. von Christoph Fleischer, Welver 2017

Die teure Gnade (Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, Ausgabe München 1982, Nachdruck von 1937, S. 13 – 27, gemeinfrei aus dem Originaltext)

Vorbemerkung: Mir ist bei der Vorbereitung über den Predigttext Jeremia 23, 16 – 29 aufgefallen, dass für die aktualisierende Auslegung des Jeremia die Unterscheidung zwischen billiger und teurer Gnade in Frage kommt. Das hat zudem den Vorteil, dass bei der Unterscheidung zwischen richtigen und falschen Propheten nicht vorschnell irgendwelche Steine aus dem Glashaus geworfen werden. Das Kriterium, das Jeremia an den falschen Prophet anlegt, ist neben der Frage, ob er Träume, eigene Gedanken oder das Wort Gottes predigt, die Tatsache, dass die falschen Propheten den Menschen nach dem Mund reden und ihnen das Heil Gottes zusagen, egal ob ihr Leben dazu passt oder nicht. Um hier nicht in das Lager der Gesetzesorientierung abzurutschen hilft allein die Unterscheidung zwischen billiger und teurer Gnade nach Dietrich Bonhoeffer. Es ist das erste Kapitel des Buches „Nachfolge“ (1937). Die Texte dieses Buches dokumentieren Vorträge und Bibelarbeiten, die Dietrich Bonhoeffer im Predigerseminar Finkenwalde gehalten hat. 

Foto: Niklas Fleischer (c)

Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade.

Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System

Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, daß die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen ist. Auf die gezahlte Rechnung hin ist alles umsonst zu haben. Unendlich groß sind die aufgebrachten Kosten, unendlich groß daher auch die Möglichkeiten des Gebrauchs und der Verschwendung. Was wäre auch Gnade, die nicht billige Gnade ist?
Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee. Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. Die Kirche dieser Gnadenlehre ist durch sie schon der Gnade teilhaftig. In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes. „„Die teure Gnade“, Dietrich Bonhoeffer (Reprint), hrsg. von Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen