Dorothee Sölle, Stellvertretung, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2010

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Dorothee Sölle. Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes“. Kreuz Stuttgart um ein Nachwort erweiterte Neuauflage 1982 des Buches von 1965.

Dieses Buch ist, ausgenommen die germanistische Promotion über die „Nachtwachen von Bonaventura“, das erste Buch von D. Sölle, mit dem sie einen geschlossenen theologischen Entwurf vorstellt. Die Bücher „Die Wahrheit ist konkret“ und „Atheistisch an Gott glauben“ sind erst 2-3 Jahre später erschienen. Man sollte aber bei der Lektüre der „Stellvertretung“ daran denken, dass die Beiträge, die in den anderen beiden Büchern veröffentlicht sind, teilweise Vorträge oder Aufsätze zeigen, die schon vor 1965 gehalten und teilweise auch etwa in Zeitschriften veröffentlicht wurden. Die Bücher „Phantasie und Gehorsam“ und „Politische Theologie“ erschienen zwischen 1968 und 1971 und sind wiederum zwei geschlossene Texte zum Thema „Ethik“ und die Kategorie des Politischen in der Theologie. Die politische Theologie dokumentiert darüber hinaus, dass D. Sölle Grundgedanken der Theologie R. Bultmanns entnommen hat, dessen Gedanken sie wahrscheinlich über ihren Lehrer Friedrich Gogarten kennengelernt hat. Und hier scheinen wieder Berührungspunkte mit der „Stellvertretung“ möglich zu sein, da dieses Buch eben vom Ergebnis her die Grundlinien einer Christologie nach der Aufklärung und des Idealismus darstellt. Dabei geht sie nun allerdings im Unterschied zu Bultmann nicht gern auf Kierkegaard, sondern lieber wieder auf Hegel ein, dessen Arbeit sie auch deshalb für grundlegend hält, weil der Marxismus ihn bewusst weiterentwickelt hat. Im Grunde hat D. Sölle das radikalisiert, was F. Gogarten in seinem Buch „Die Verkündigung Jesu Christi“ schon 1948 geschrieben hat: „Die Selbstbehauptung des modernen Menschen gegenüber der göttlichen Allmacht hat verhängnisvolle Konsequenzen. Es geschieht nämlich dadurch nicht nur, dass Gott eine andere Stellung in der Welt bekommt, als er im christlichen Glauben hat. Es geschieht auch nicht nur in der Konsequenz, dieses Gedankens, dass Gott schließlich überhaupt geleugnet wird, weil dieser Mensch seiner ja nicht eigentlich bedarf. Sondern es vollzieht sich eine ungeheure Wandlung mit der Welt: Die Welt wird zum toten, leblosen Stoff für die Herrschaft, für das Machen, das fabricari des Menschen.“ [1].

„Einleitung: Unterwegs zur Identität.“ Es liegt sicher schon gleich im hermeneutischen Interessen dass D. Sölle ihre Publikation gar nicht mit einer theologischen Frage direkt eröffnet, sondern mit der Frage nach der „Identität“. Sie wird dann spätestens mit dem Ende des Buches gerade diesen Begriff mit dem Wort des Titels „Stellvertretung“ theologisch füllen, doch dahin ist ein weiter Weg. Sie greift nun die Situationsbeschreiung der Neuzeit durch Gogarten insofern auf, indem sie postuliert, dass sich auch ein Theologe/ eine Theologin in dieser Zeit auf den neuzeitlichen Lebensentwurf einlassen, ihn sogar vorauszusetzen hat. Diese Vorentscheidung entspricht den einer hermeneutischen Theologie. Und damit lasse ich D. Sölle selbst zu Wort kommen: „Das Verlangen danach mit sich selber identisch zu werden, wird hier (in der Theologie) nicht weiter abgeleitet, sondern als ein Unbedingtes angesehen;.. Ob es tatsächlich die Erfahrung Christi ist, die uns zur eigenen Identität verhilft, das kann nicht erwiesen, dem kann aber sehr wohl nach gedacht werden. Theologie in diesem Sinne ist nachdenkende Beschreibung bestimmter Erfahrungen. Solche Erfahrungen bei der Suche nach der eigenen Identität können freilich nur unter den jeweiligen – sich unaufhaltsam wandelnden- geschichtlichen Bedingungen gemacht werden, andernfalls handelt es sich um ein bloßes Weiterschleppen früherer Erfahrungen, unter deren Himmel der Mensch jeweils lebt. Die Bedingung unter der Unbedingtes heute erscheint, ist im Untertitel dieses Buches genannt, es ist der „Tod Gottes“, jenes alles bestimmende Ereignis, das sich innerhalb der letzten zweihundert Jahre europäischer Geschichte begeben hat.“ (S. 9). D. Sölle macht sofort klar, dass es sich dabei um ein geistesgeschichtliches Ereignis handelt, und liegt damit schon formal auf der Linie Hegels. Damit bezieht sie also nicht eine atheistische Position, sondern eine theologische, die allerdings darin ihre Aporie hat, dass ihr Gegenstand „Gott“ als absolute Größe abhanden gekommen ist. Das Ereignis, von dem die Rede ist, besteht darin, dass genau wie schon F. Gogarten sagte, das menschliche Denken sich verselbständigt hat und eine Rückbindung an eine theistische Weltanschauung nicht nötig hat. „Alle Versuche einer Rückbindung an derart fixierte Positionen verfehlen die Wirklichkeit der zwischen ihnen hin und her gehenden Reflexion, die die Frage nach dem Sinn des Existierens und nach dem Grund und Ziel der Welt weder beantworten noch loswerden kann. Diese im 19. Jahrhundert erst vorweg geahnte, heute immer allgemeiner gewordene, gelebte und gleichgültig ertragene oder auch bewusst ausgehaltene Ungewissheit kann weder die Wahrheit als eine objektive und tradierte sich aneignen, noch auch sie mittels der leidenschaftlichen Anstrengung der Subjektivität, die den Sprung in den Glauben wagt, zu gewinnen hoffen. [2] … Den Menschen, die in dieser Erfahrung vom Todes Gottes bleiben , ist das vorgegeben, was Hegel den „unendlichen Schmerz“ nannte, nämlich das Gefühl, worauf die Religion der neuen Zeit beruht, das Gefühl: Gott selber ist tot“. (S. 11). Dass es gerade in dieser Situation darauf ankommt, Theologie zu treiben, lässt sich ja schon den Worten „Schmerz“ und „Ungewissheit“ entnehmen. Der Ansatzpunkt ist dabei ein christologischer. Das Wort „Stellvertreter“ wird als Name Christi angesehen und betrachtet. Damit lässt sich, wenn auch nur schmal, auch auf dogmatische Traditionen zurückgreifen innerhalb kirchlicher Aussagen „Über Beruf und Leistung Christi“ (S. 13). Da der Grundbegriff der Christologie die „Erlösung“ ist, setzt sie hierbei noch einmal mit vergleichen zur theologischen Tradition des 20.Jahrhunderts ein. „Erlösung und Verantwortung gehören zusammen. Sie lassen sich aber nur einander zuordnen, wenn man einen dritten Begriff dazu nimmt, den der Stellvertretung. Der erste Teil untersucht diesen Begriff vom Sprachverständnis her, der zweite Teil widmet sich theologischer Positionen und er dritte Teil entwirft dann die dazu passende Grundlinie der Christologie, die Jesu Bedeutung als Stellvertretung beschreibt. „Es handelt sich dabei um das christologische Problem: dass und wie der Mensch Gottes uns vor Gott und Gott bei uns vertritt.“ S. 16).

Teil 1: „Stellvertretung und Ersatz“ – „Das Vorverständnis“ [3]: Das Ziel des „geschichtlichen Prozesses“ ist nach Hegel „die Freiheit des Subjekts“. [4].

  1. „Eine Wortuntersuchung“ (S.19-23). D. Sölle beginnt mit einem Wortspiel, das sie daraufhin noch weiter untersucht: „Als ich in Urlaub fahren wollte, suchte ich einen Stellvertreter. Als ich krank wurde, musste ich vertreten werden. Als ich starb, wurde ich ersetzt.“ (S. 19). Es geht also darum, das Wortpaar „Stellvertretung“ oder „Ersatz“ näher zu bestimmen. Im Wortspiel ist Ersatz eine Auswirkung des Todes, Stellvertretung eine notwendige Voraussetzung oder Folge von Abwesenheit. „Der Stellvertreter setzt sich also nicht vollständig an die Stelle des anderen; er spielt eine Rolle, und er kann sie gut spielen, aber er muss wissen, dass er sie spielt.“ (S. 20). „Der mich ersetzt, behandelt mich als tot.“ (S. 21). Damit ist nicht gesagt, dass nicht auch die Erinnerung an Tote in der Form der Stellvertretung geschehen könnte, was wohl angemessener wäre, als „stellvertretenden und sicher erinnerndes Eintreten für…“ (S. 21) Zur Stellvertretung gehört die Zeitlichkeit, sie geschieht im „Bewusstsein von Geschichte“. [5]. Da der Unterschied der beiden Begriffe verschwimmt, scheint die Bedeutung des Ersetzens vorzuliegen. Das hat etwas mit der zunehmenden „Verdinglichung“ im gesellschaftlichen Leben zu tun. Die Kategorie „Zeit“ ist wertlos, ist austauschbar geworden. Vorläufige Antwort christlicher Anthropologie ist: „Der Mensch ist unersetzlich.“ (S. 23). Stellvertretung ist als „vorläufiges Eintreten von Personen für Personen möglich“ (S. 23).
  2. „Die Dialektik der Rolle“ (S. 23-30) [6]. Was ist die inhaltliche Begründung für die christliche Vorstellung von der Unersetzlichkeit jedes Menschen? Hier geht D. Sölle einfach von einem zweifachen Rollenbegriff der „Person“ aus. Solange sich die „Person“ etwa metaphysisch von außen definiert, kann sie ihre Rolle spielen, weil die „Identität im Himmel“ ist. Die moderne Alternative besteht darin, dass sich die Person über Leistung definiert. Dies führt allerdings zu einem „Rollenspiel“ der „vollständigen Ersetzbarkeit des Menschen“ (S. 27). Während der Wert der Person chrisatlich gesehen ein von Gott zugeschriebener ist, ist er anders ein selbstgeschaffener durch den Wert der eigenen Leistung zu bestimmender. Da erfolgt ein interessanter Hinweis auf ein Stück der Literatur [7]: „In dem frühromantischen Roman „Die Nachtwachen von Bonaventura“ erscheint Gott als der unfähige Regisseur, der auf einer Schmierenbühne mit Provinzschauspielern sein geistloses Stück inszeniert. „Rolle“ wird nun Ausdruck für gleichgültige Austauschbarkeit und wandert ab in den Untergrund von Skepsis, Langeweile und Nihilismus… „Rolle“ wird zum Symbol des Ersetzbaren.“ (S. 27) [8]. Dazu passt auch Brecht mit einem Zitat aus „Mutter Courage“ im bezeichnenderweise sogenannten Lied von der großen Kapitulation. Die Dialektik der Rolle verschwindet: Rolle gleich Ersatz. Soziologisch gesprochen heißt das: „Die Gesellschaft erhebt Ansprüche an die Träger bestimmter Positionen, eben diese Ansprüche sind die sozialen Rollen.“ (S. 28). Die Rollen werden gesellschaftlich vorgeschrieben, so dass eben die Unersetzlichkeit des Menschen, wie noch vom Christentum bekannt, nicht mehr besteht, stattdessen bestehen „Rollenzwang und Rollenfixierung“. „Der Rollenträger wird Ersatzmann, und Rollenübernahme wird ein Anpassungsvorgang bei selbstverständlich vorausgesetzter Austauschbarkeit.“ (S. 30).
  3. „Die idealistische These: Der unersetzliche Mensch.“ (S. 30-40) Der Begriff Rolle zeigt aus der Sicht eines Schauspielers aber auch, dass er damit nicht völlig identisch ist. „Es gibt ein Verlangen nach Unersetzlichkeit, das, einmal entdeckt und ausgesprochen, nicht mehr zum Schweigen gebracht werden kann. Dieses Verlangen speist sich aus dem eigenen noch so dürftigen Wissen von Identität, wie es als Erinnerung an Tage der Kindheit, als Gegenwart erfüllter Liebe, als Hoffnung auf mögliche menschliche Zustände erfahrbar ist.“ (S. 31). Als im Idealismus erkannt wurde, dass die Menschen immer stärker von sogenannten Rollen her verstanden wurden, entwickelte sich das Bedürfnis, den Begriff der Unersetzlichkeit dagegen zu setzen. Die Philosophie Hegels bezieht sich zurück auf Augustin, der in der menschlichen Seele das Bild der Unersetzlichkeit gesehen hat. D. Sölle weist noch einmal daraufhin, dass Identität in der abendländischen Tradition eine Zuschreibung ist: „Identität ereignet sich nur in Beziehung zu Anderen oder zur „Idee“, und die Unersetzlichkeit des Menschen beruht nicht auf dem Reichtum, der Tiefe und der Gottähnlichkeit seiner Seele, sondernd auf dem „Interesse Gottes“ an ihm.“ (S. 33f). Unersetzlichkeit und Identität können immer nur aus Beziehungen heraus erkannt werden. Daher ist der Relationsbegriff schon bei Hegel sowohl auf Gott als auch auf die Gesellschaft bezogen. Die Zusammenfassung der Hegelschen Philosophie in einem Satz kann ich nur wörtlich wiedergeben: „Substanz und Relation verschmelzen in dem, was bei Hegel „der Geist“ ist, und der unendliche Wert ist vorgegeben und aufgegeben zugleich. So manifestiert sich in eigentümlicher Ambivalenz das „Interesse Gottes“ in der Entäußerung der Arbeit, und das Fürsichsein bleibt Doppeldeutig beides: Leistung und Gnade.“ (S. 35). Die dialektische Theologie hat Hegel offensichtlich nicht recht verstanden, als sie ihn durch Kierkegaard überwunden sah, denn Hegel selbst sieht das Gottesverhältnis und die Bestimmung des Menschen schon dialektisch: „Bei Hegel wird Identität nur in der Entäußerung, in der Arbeit ermöglicht, nur in der Negation ihrer selbst kommt Identität zu sich: Einssein im Unterschiedensein, Identität in der Nichtidentität.“ (S. 35) [9]. Der Mensch ist gerade als der Andere für Gott interessant. Gott ist die Liebe, das heißt nach Hegel: Liebe ist ein Unterscheiden zweier, die doch füreinander schlechthin nicht unterschieden sind.“ (S. 36) [10]. D. Sölle schreibt auch, dass die theologischen und sozialphilosophischen Seiten dieser Argumentation danach auseinandergefallen sind. Nun bezieht sich D. Sölle auf A. v. Harnack, der in der Verkündigung des Evangeliums Jesu als Wesen des Christentums in der Hauptsache des „unendlichen Wert der Menschenseele“ gesehen hat. [11]. Die Unersetzlichkeit wird bei Harnack nicht aus der Beziehung zu Gott gesehen, sondern als Substanz des Menschen aufgefasst. Da bei v. Harnack Identität nicht aus dem Unterschieden oder der Arbeit Gottes oder der Menschen bildet wird, sondern als Eigenschaft zugesprochen wird, ist sie als „gnadenvolle Gegebenheit“ in der Gefahr, als „Wert der Seele“ als „Innerlichkeit“ verstanden zu werden. [12]. Die Bewegungen des 19. Jahrhundert schwelgen gerade so von Unersetzbarkeitsvorstellung, was D. Sölle mit einem Zitat aus Schiller untermauert. Unersetzlichkeit und menschliche Größe scheinen sich zu entsprechen. Dies gilt auch noch für Marx, der es aber ausgehend von Hegel auf die Arbeit bezieht und durchaus kollektiv versteht: Die Arbeit ist der „schöpferische Selbsterzeugungsakt des Menschen“ (Marx (S. 39). Doch was heißt das in Bezug auf den Einzelnen? Viele Rollen boten sich danach für die Erkenntnis von Unersetzlichkeit an: Liebe, Vaterland, Kunst, Arbeit. Unersetzlichkeit – aus christlichem Erbe genommen war nur in weltlichen Rollen zu bewähren. „Wofür Gott einst stand, das brauchte sich nicht welthaft auszuweisen.“ (S. 39) [13].
  4. Die Antithese: Alles ist austauschbar.“ (S. 40-44) Nun formuliert D. Sölle eine Gegenthese, die schlicht und laut sagt: Der Mensch ist ersetzbar. Dies scheint eine evidente sozialpsychologisch beschreibbare Erfahrung zu sein. Die industrielle Warenproduktion erzeugt die Vorstellung von der Ersetzbarkeit im ökonomischen Bereich: Alle Dinge werden zur Ware (nach Walter Benjamin). „Ein gut Teil heutiger Sinnlosigkeitserfahrung hängt mit dieser Auswechselbarkeit zusammen“. [14] Es geht dabei nicht um die Vorstellung des Ganzen als Organismus, denn die funktionierenden Teile können unersetzbar sein. Das Modell des Organismus funktioniert in einer Gesellschaft nicht, die die Einzelnen für ersetzbar hält. Die Gegenbewegung der Individuen, die darin besteht, ihren eigenen Stil zu entwickeln in Hobby, Haus, Freizeit fallen damit in die Arme der Freizeitindustrie. Selbst für Manager scheint Stellvertretung undenkbar. „Wo die Annahme möglicher Stellvertretung fehlt, da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Tod oder Leben, Ersetztwerden oder Unersetzlichsein.“ (S. 43). Die These von der Unersetzlichkeit des Einzelnen gerät so unter Ideologieverdacht. „Die uns umgebende und uns formende Welt drückt schon in ihrem bloßen Bestehen die Antithese aus, dass jeder ersetzt werden könne. Diese veränderte Basis aber könnte darauf aufmerksam machen, dass der Grund für die Unersetzlichkeit des Menschen, wenn man denn an ihr festzuhalten gewillt ist, nicht ins einer Leistung gesehen werden kann.“ (S. 44).
  5. „Die Synthese: Der Mensch ist unersetzlich, aber vertretbar“ (S. 44-54). [15]. Wieso kann denn auf dem Hintergrund dieser objektiv – soziologischen Beschreibung gesellschaftlicher Fakten die These von der Unersetzlichkeit aufrecht erhalten werden? Da ist die Kraft der Gedanken, der einzelnen Aussagen der Geistesgeschichte. Herder schrieb: „‚Kein Gedanke in einer menschlichen Seele war verloren‘ ist er erst einmal Sprache geworden.“ (S. 45). Es scheint also tatsächlich um eine Beziehung zwischen subjektivem Denken und objektiver sozialer und psychologischer Wirklichkeit zu gehen. Die These der Unersetzlichkeit ist mit dem „Wunsch nach Identität“ (S. 44) verbunden, also einer Vision, die sich durch den gesellschaftlichen Widerspruch der objektiven Verhältnisse nicht aufhebt! Solche Vision muss genährt, muss gepflegt, muss gedacht werden können. Mit den Worten von D. Sölle: „Hängt nicht alles an der Anthropologie, nämlich an der Frage nach dem unersetzlichen Menschen, der auf der Suche nach seiner Identität ist und niemals von dieser Suche freigesprochen werden kann? … Es gehört zum Verlangen des Menschen, mit sich selber identisch zu werden.“ (S. 46). Doch zugleich ist klar, dass diese Suche nötig ist, weil dies nicht jeder für sich selbst zu leisten in der Lage ist. Aus der Frage nach der eigenen Identität folgt die Frage nach den anderen Menschen: „Wem bin ich unersetzlich?“ (S. 47). Führt diese Frage aber nun nicht zurück in die Gesellschaft, in sie als unverantwortbar galt, in der nur die Leistung zählt, die Menschen ersetzbar macht? Dies gilt zumal für die Arbeit, von der Hegel schreibt, denn sie schafft das Ding: „Unersetzlich bin ich niemals denen, für die ich nur etwas leiste.“ (S. 48). Die andere Begründung ist: „Unersetzlich bin ich einzig denen, die mich lieben.“ (S. 48). Das hat auch etwas mit Geschichtlichkeit zu tun: „Lieben heißt in diesem Sinne: auf den Überschuss, auf das noch nicht Entäußerte, noch nicht zum Vorschein gekommene setzen. … Unersetzlich bin ich denen, die Hoffnung auf mich setzen.“ (S. 48f). Das bedingt Angewiesensein und Vertretbarkeit, schlisst aber Heldentum und Autarkie aus. Gerade an einigen Beispielen aus Märchen zeigt D. Sölle, wie andere Menschen oder Wesen für die in Not geratenen „Helden“ als Stellvertreter agieren. Solche Stellvertretung ist „unvollständig“ und „bedingt“, ist nur an „Stelle“ und geschieht „im Namen“. (S. 50f) [16]. So lebendig dieses auf dem Feld der Beziehungen gedacht ist, so deutlich ist auch, dass hier Missbrauch möglich ist, indem aus Stellvertretung Ersatz wird. Aus diesem Problem folgt nach einigen Erläuterungen die Auflösung der Dialektik: „Der Widerspruch zwischen der idealistischen These „Der Mensch ist unersetzlich“ und der positivistischen Antithese „Jeder ist ersetzbar“ lässt sich nicht einseitig auflösen, … Der nicht auflösbare Widerspruch muss ausgehalten werden. Es kommt darauf an, den unersetzlich – ersetzbaren Menschen im Auge zu behalten. Dies geschieht aber nur da, wo der Widerspruch sich in ein Anderes, ein Drittes vermittelt. … Der Begriff der Stellvertretung schien geeignet zu sein, diese Vermittlung zu leisten, weil in ihm die Unersetzlichkeit des Menschen nicht zerstört, sondern gerade am Leben erhalten wird:.. Ein Mensch ist unersetzlich, aber vertretbar.“ (S. 53f) [17].
  6. „Die Struktur der Stellvertretung“ (S. 54-61). Nach der dialektischen Analyse des Problems „Stellvertretung“ oder „Ersatz“, die sich faktisch wie ein hermeneutischer Zirkel auf eine neue Ebene hin bewegt hat, wird nun der Begriff Stellvertretung erneut (wie schon in Abschnitt 1 dieses Kapitels) besprochen. Aus der festgestellten Spannung zwischen dem subjektiven Verständnis und dem objektiven Situation wurde deutlich, dass es als eine geeignete anthropologische Bestimmung angesehen wird. Der Wert der „Unersetzlichkeit“, der ursprünglich als theologisch gedachte Voraussetzung galt, wurde vom idealistischen Denken aufgenommen und für das moderne Denken nutzbar gemacht. Doch diese „Unersetzlichkeit“ darf nicht im heroischen Sinn missverstanden werden, sondern so, dass der Mensch nicht isoliert gedacht werden kann. Sofern der Mensch unersetzlich ist, ist er doch angewiesen auf andere Menschen, Menschen sind also füreinander unersetzlich. Die Grundbegriffe, die seit dem 19. Jahrhundert in das Denken vom Menschen eingeführt worden sind, sind Kampf (Schiller) oder Arbeit (Hegel). Das Modell Arbeit ist wie ein Gegenmodell zum Kampf aufzufassen, denn es führt ganz vom Gedanken der Autarkie weg zur Ungewissheit der Identität und zum Angewiesensein auf andere. Das Leben erscheint zugleich als ein natürliches und ein gesellschaftliches (Marx). Da dieses Verständnis die Gefahr der Ersetzbarkeit in sich trägt, impliziert es gesellschaftlich das Angewiesensein und ruft so nach Stellvertretung: „Sie richtet sich nicht nur auf konkretes Du, das füreinander einsteht, sondern ebenso sehr auf gesellschaftlich vermitteltes Du, das sich in Gruppen formiert, an Sachen bewährt und in Institutionen verfestigt hat.“ (S. 57f). Doch die gesellschaftlich vermitteltes Stellvertretung reicht nicht aus, denn erstens gibt es keine Instanz, die für allgemeine Fehlleistungen einsteht, und zweitens gibt es Situationen des menschlichen Lebens, die darin nicht aufgehen: „Auch dort, wo uns niemand vertreten kann, beispielsweise beim Sterben, sind wir angewiesen, brauchen Stellvertretung.“ (S. 58). Daher betrachtet D. Sölle nun diese Frage noch einmal unter der Kategorie der Zeit: „Angewiesen kann nur sein, wer Zeit braucht, so wie nur vertreten kann, wer Zeit hat.“ (S. 59). „Wo ich unersetzlich bin, aber vertreten werden kann, habe ich Zeit gewonnen.“ (S. 59). Unter der Voraussetzung zeitlichen Denkens sind Unersetzlichkeit und Stellvertretung zwei sich ergänzende Gegenstücke. Die Stellvertretung geschieht also unter den Bedingungen der Personalität und der Zeitlichkeit. Die kurze Zusammenfassung mit den nun wichtigen Begriffen lautet: „Nur der unersetzliche Mensch, der auf die eigene Identität nicht verzichten kann, will überhaupt vertreten werden. Aber er muss es auch, er ist angewiesen auf Vertretung, weil er in der Zeit ist. Seine Zeitlichkeit enthält wesentlich Angewiesenheit und Verantwortung, die beide einander korrespondieren.“ Die Kategorie Stellvertretung wird also dadurch nötig, dass der Mensch als Person in seiner Zeit gedacht wird. Was bedeuten Angewiesenheit ohne Verantwortung, was bedeutet Verantwortung ohne Angewiesenheit? Das eine ist eine Form von kindischer Passivität, die der Welt ihren Lauf lässt, dass andere ist eine Form von Herrschaftsdenken. Das Nachdenken über Stellvertretung führte also zu Grundkategorien gelebten Lebens: Person und Zeit, unersetzlich, aber vertretbar, angewiesen und in Verantwortung stehend. Ist hiermit nun nachmetaphysisch das ausgedrückt, was für den Glaubenden die Existenz Gottes bedeutet? Oder anders gesagt: könnten die genanten Kategorien als geschöpfliche Existenz des Menschen bezeichnet werden und dann in Theologie zurückübersetzt? [18].

Teil 2: „Zwischen Magie und Ersatz“. Nun wird erneut als Vorbemerkung ein Hegelzitat vorangestellt mit der Essenz: „In der Sphäre der Religion wird der Geist als frei gewusst.“

  1. „Einleitung“ (S. 65-69). Mit einer kurzen Zusammenfassung des ersten Teils leitet nun D. Sölle auf das Glaubensthema über. Nachdem sich gezeigt hat, dass Stellvertretung tatsächlich ein wichtiger Faktor der eigenen Identität sein kann, bietet sich an zu zeigen, dass im Glauben gerade dieses Thema in den Vordergrund gestellt wird. „Er hat Stellvertretung zum wirksamen und mächtigen Grundereignis des Daseins erklärt, er hat den Stellvertreter zur entscheidenden Figur der Weltgeschichte erhoben.“ (S. 66). Es geht hierbei sogar um die Mitte des Glaubens, um die Gestalt Jesu Christi. Seine Stellvertretung ist die Mitte des christlichen Glaubens, denn sie gilt so allgemein, dass sich jeder darauf beziehen kann. Die Aneignung dieser Wahrheit ist allerdings von verschiedenen Schwierigkeiten eingeengt. Dazu gehört zunächst erst einmal das magische Verständnis, dem diese Glaubensaussage ursprünglich anhaftete. Außerhalb der Theologie, gelenkt vom Denken der Aufklärung, kann die ursprüngliche Beschreibung dessen, was mit der Stellvertretung Christi gemeint ist, kaum nachvollzogen werden. D. Sölle führt dann einen Theologen in der Tradition der dialektischen Theologie an, Oscar Cullmann, dessen „Prinzip Stellvertretung“ heilsgeschichtlich gedacht ist, und nicht in den personalen Bereich zu übertragen ist. Ein positives Beispiel dagegen ist die Christologie von Pannenberg. Er macht den Versuch den Begriff, den er zunächst von der biblischen Tradition her entwickelt mit “ …‚neueren Vernunftwahrheiten‘ einer neueren Anthropologie zu harmonisieren. Seine Ausgangspunkte sind einmal der ‚Naturzusammenhang von Tat und Tatfolge‘ und dann, damit zusammenhängend, ‚die Verflochtenheit des Individuums in die Gesellschaft‘.“ (S. 68). D. Sölle vermisst allerdings den Zusammenhang, den sie unter dem Stichwort der „Unersetzlichkeit“ im vorigen Kapitel erarbeitet hat. D. Sölle stellt hier erneut die Sprachlosigkeit heutiger Theologie fest, wenn es darum geht in die Verständnisebene moderner Menschen einzudringen. Und so erscheint, vielleicht ungewollt, Christus oft nur als „Ersatzmann“ oder als „Zauberer“. Die folgende Untersuchung geht der Frage also nach, wie Personalität und damit die Entdeckung des unersetzlichen Menschen in der Religion gedacht werden kann.
  2. „Das magische Verständnis“ (S. 69-74). Ein Beispiel aus der altorientalischen Religionsgeschichte zeigt, dass das Phänomen von Stellvertretung eines der wichtigsten Element von Religion überhaupt sind. In diesem Fall handelt es sich um Holz oder Tonfiguren, die einem Toten ins Grab gelegt werden, und die dort die Menschen zu vertreten haben, die jetzt ja nichts mehr für ihn tun können. D. Sölle stellt aber an diesem Beispiel fest, dass diese Form der Stellvertretung auf Dauer angelegt ist und nicht auf Zeit, daher den Charakter von Ersatz hat. [19]. Das biblische Beispiel ist der Bock, auf dem am großen Versöhnungstag die Sünde des Volkes geladen und der dann in die Wüste geschickt wird. Es geht dabei nicht um das Opfer, sondern um eine Form des Wegschaffens in einen anderen Bereich. [20]. Dieses Wegschaffen des Unheils mittels eines Stellvertreters ist auch aus anderen Religionen bekannt. Das Zwischenergebnis wird wie folgt formuliert: „Es zeichnet sich eine eigentümliche Nähe von Magie und Technik, von magischer Stellvertretungs- und Übertragungspraxis einerseits und technischer Ersetzbarkeit und Austauschbarkeit andererseits ab. Auch hier fehlen wieder die Momente der Personalität und der Zeitlichkeit, die wir als konstitutiv für eine personal verstandene Stellvertretung ausmachten.“ (S. 72). Dies wird allerdings nicht als Vorwurf formuliert, denn die magische Religion kennt keine Unterscheidung von Person und Ding. Nach Freud: „Die Allmacht der Gedanken enthält eine Entgrenzung zeitlicher, räumlicher und gegenständlicher Natur.“ (S. 73). So wie hier eine Entgrenzung aus der menschlichen Ohnmacht folgt, so findet in der Technisierung der Welt eine ähnliche Entgrenzung statt, die in der Vorstellung der Machbarkeit begründet ist, was eine totale Ersetzbarkeit zu Folge hat: „Alles wird Ware, alles Produkt menschlicher Arbeit. Jedes bestimmte Produkt kann gegen ein andere ausgetauscht werden. Was einst Magie leistete, leistete nun Technik – eben die Austauschbarkeit von allem mit allem.“ (S. 74).
  3. „Stellvertretung im Neuen Testament“ (S. 74-79). Auch wenn der Begriff selbst im NT nicht vorkommt, so lassen sich doch einige wichtige Ausdrücke ähnlich wie Stellvertretung verstehen: Das „für uns“ des Paulus, die Einflüsse des Sühnegedanken bei der Deutung des Todes Jesu und der Begriff vom „Erlöser“, der aus der hellenistischen Religion stammt. Dieser sehr kurze, aber doch anscheinend wichtige Abschnitt zeigt, dass vier Begriffe konstitutiv sind für das christliche Verständnis Jesu als des Stellvertreters: „Historizität, Entgrenzung, Freiwilligkeit und Leiden“ (S. 75). Die christliche Vorstellung bindet das genanten Geschehen an eine bestimmte, namentlich bezeichnete historische Person. Konkreter geht es also nicht. Hier formuliert D. Sölle auch eine christologische Kernaussage: „Das Tun und Leiden dieser bestimmten historischen Person hat alles spätere und frühere, alles wirkliche und mögliche Tun und Leiden anderer Personen vorweg erfüllt.“ (S. 75). Hiermit ist schon der Aspekt der Entgrenzung angedeutet. Weder magisches noch völkisches Denken sind daher weiter nötig. [21]. Folglich ist die Stellvertretung Christi für Menschen und Zukunft offen und „schafft ihre Kollektive selber“. [22]. An dieser Stelle scheiden sich die religösen Wege, denn aus den ersten beiden Faktoren Historizität und Entgrenzung kann auch neues magisches Ersatzdenken entwickelt werden. Im NT scheint es aber vor allem darum zu gehen, der Entsprechung des Lebens der Einzelnen mit Christus Antrieb zu geben: „Christologie und Anthropologie entsprechen sich.“ (S. 77). Hier ist vor allem an die Bedeutung des Todes Jesu zu denken als „An Stelle von“. Voraussetzung dieses Ereignis ist nun als dritter Faktor die Freiwilligkeit. Die Leistung der Versöhnung Christi lässt sich daher nicht als Vergangenheit verobjektivieren, nicht als Leistung von und für Gott, sondern als in die Zukunft hineinwirkendes Geschehen. Das gehört als viertes Moment der Faktor des Leidens. Die Messiaserwartung des Judentum wird damit im Sinne von Jesaja 53, dem leidenden Knecht uminterpretiert. [23]. Daraus entwickelt sich der Glaube an Christus: „Einmalig ist der Gedanke, dass ein Einzelner durchs ein Leiden und Sterben Stellvertretung übt für die ganze Welt.“ [24]. Hieraus kristallisiert sich das konkrete Verständnis Jesu Christi: „An diesen sterbenden Gott kann sich jeder wenden. Er hat ein bestimmtes historisch verifizierbares Gesicht. Er hat sich freiwillig zu dem gemacht, als was er hier angesprochen wird, zum Stellvertreter. Dies tat er durch Leiden. Der Grund, der solcherart Stellvertretung ermöglicht ist ihre Bindung an eine konkrete historische Person.“ (S. 79) [25].
  4. „Das juristische Verständnis“ (S.79-87). Das Ergebnis dieses Abschnitts iist erstaunlich: D. Sölle findet ihren stärksten Gesprächspartner in der Theologie Martin Luthers, die sie vom Denken eines Anselm von Canterbury abgrenzt. In der Folgezeit, so ist ihre Hauptthese, hat sich der formalistische Ansatz Anselms wieder durchgesetzt. Dem Ansatz Anselms ist vom Neuen Testament her zu widersprechen. Anselm meinte, die Ehre Gottes sei durch die Sünde der Menschen angetastet. Die Leistung Christi besteht in der geforderten Satisfaktion. D. Sölle sieht darin ein statisches Gottesverständnis, das in sich Unversöhnlichkeit voraussetzt. Die Folgen der Anselmschen Christologie sind zwar eine Abwehr von Werkgerechtigkeit und Moralismus, was sie für die evangelische Tradition interessant gemacht hat. Doch ist in dieser Rechtfertigungslehre Gott nicht Subjekt, sondern Objekt, Christi Stellvertretung ist nicht die seiner Existenz, sondern seiner Leistung, die damit ein exklusives Verständnis impliziert, dem aller Charakter der Vorläufigkeit abgeht, also, um es weiterzudenken, wahrscheinlich die Eschatologie überflüssig macht. [26]. Luthers Christologie ist stattdessen vom Gedanken der Versöhnung Gottes her entwickelt. Christi Stellvertretung wird als eine Art „Imputation“ (Ockham) her gedacht, das bedeutet, dass dem Sünder die Gerechtigkeit Christi zugerechnet wird. Ich referiere einige Kernsätze: „Grund der theologischen Imputation ist, dass sich in Christus das Verhältnis Gottes zum Menschen verändert hat und nun als andersgewordenes erkennbar ist.“ (S. 84) [27]. Die „göttliche Imputation … ist ein Schöpferwort, das dem, was nicht ist, ruft, dass es werde; dem Ungerechten, dems ie Gerechtigkeit zurechnet, eröffnet sie durch dieswen Akt der Gerechtsprechung die Möglichkeit des Gerechtseins.“ (S. 85). „Die Imputationstheorie wacht darüber, dass der Mensch niemals Gerechtigkeit „Habe“ als einen einmal erworbenen unveräußerlichen objektivierbaren Besitz. … Gott sieht die Person nicht substantiell, sondern relational an.“ (S. 85). Es gilt nicht, was jemand ist oder hat, sondern von Gott her, wie er als gerecht angesehen wird. Diese Ontologie sagt: „Die neue Beziehung ist das neue Sein, ein anderes … ist nicht vorgesehen.“ (S. 86). Zusammenfassend: „Christus versteht sich selbst als rein aus der Angewiesenheit lebend, er versteht sich rein so, wie Gott ihn ansieht. Was er ist oder hat, die Sündlosigkeit oder der Himmel, ist ihm nichts; wir Gott ihn behandelt, ist alles. Diese totale Auslieferung an das Urteil Gottes ist der Grund für die Stellvertretung, die Christus für uns leistet. Christus tut das für uns, wozu wir nicht fähig sind; er liefert sich Gott aus. Er tut dies vorläufig, damit wir es auch tun können.“ (S. 87).
  5. „Die Überwindung der moralischen Imputation durch Hegel“ (S. 87-93). Ich notiere bei der Lektüre dieses Teils nur, dass der theologische Ansatz Luthers in der Folgezeit pendelt zwischen einer „billigen Gnade“ die nichts verändert, oder eine puren Nachfolgetheologie im Rückgriff auf die radikalen Gruppen der Reformation. D. Sölle referiert dann hauptsächlich Hegel, der festgestellt hat, dass die falsch verstandene Imputationstheologie die Menschen von ihrer Verantwortung suspendiert. Die eigentliche Leistung Hegels liegt aber dann darin, in seiner Schrift über die Philosophie der Religion“ einen produktiven Rückgriff auf Luther zu leisten, allerdings unter anderen Voraussetzungen, nämlich denen der volle Verantwortlichkeit der Einzelnen, die auch selbst für den Sinn ihres Lebens zu sorgen haben. [28]. Es ist jetzt einfach nur darzustellen, wie D. Sölle die Einstellung zur Christologie darstellt: “ ‚Mit dem Tode Christi beginnt aber die Umkehrung des Bewusstseins‘, … In der Versöhnung reflektiert der Mensch in einer anderen Weise auf sich selber, als dies vorher … möglich sein konnte. Die neue Anthropologie hat das Feld der Endlichkeit, wo das Subjekt als einzelne Person steht und als unvertretbar und autark sowohl sich wie anderen gilt, hinter sich gelassen. Die Umkehrung des Bewusstseins findet da statt, wo der Mensch seine Unersetzlichkeit nicht mehr nur in der Leistung gründet. Der Geist ‚kann das Geschehene ungeschehen machen‘, weil er ‚als frei gewusst, als affirmativ in sich selbst‘ ist und die Kraft hat, die ‚Qualitäten‘ zu ändern und das Feld des Endlichen zu verlassen.“ (S. 90f). Der Mensch ist in seinem Wesen ‚Geist‘ und korrespondiert doch mit dem ‚Geist‘ als ihn umgebendes Sein: „Der Geist ist, sich verwirklichend, die Anerkennung des neuen Seins, das nicht mehr aus der Substanz seiner Taten, sondern aus der Relation zum Geist selber, die Hegel ‚Entäußerung‘ nennt, lebt.“ (S. 91). Hegel denkt dabei durchaus theologisch, indem er sagt, dass sowohl der Wert, aber auch die Schuld des Einzelnen nicht größer sein kann als Gott, Gott also größer ist als unser Herz. Das Sein des Menschen „in Relation ist wichtiger als sein Gewordensein und seine Taten.“ (S. 92). Da Hegel aber die Wirklichkeit des Geistes mit dem menschlichen Bewusstsein identifiziert, ist die christliche Gemeinde für ihn der Ort, an dem sich die Gewissheit „der Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur“ ereignet. (S. 92). Diese Beziehung auf Hegel, die in der Theologie sicherlich zu wenige beachtet wird, da sie als Teil seiner Philosophie entstand, ist eigentlich eine der wichtigsten Grundlagen der Argumentation D. Sölle. „Jesus zeigt uns die Versöhnung als die Selbstbewegung Gottes, aber dies nicht nur lehrend, so dass die Versöhnung ein außer ihm seiender Inhalt wäre, sondern eben sterbend offenbart er die Versöhnung Gottes im Anderssein, in der Entfremdung des Menschlichen.“ [29].
  6. „Das inklusive Verständnis“ (S. 94-98). Bei Hegel findet sich also erstmalig der Gedanke, dass die Christologie inklusiv gedacht werden kann. Dies wird von Schleiermacher dann in eine ausgesprochene Glaubenslehre übertragen: „Jesus ist das Urbild der gottunmittelbaren Menschlichkeit, in ihm, das heißt in der Lebensgemeinschaft mir Christus, wird die Menschheit dessen inne, was sie sein kann,…“ (S. 94). A. Ritschl führt dieses inklusive Verständnis der Stellvertretung Christi in der Versöhnungslehre fort. Interessant ist, dass Ritschl davor warnt, die sogenannten Ämterlehre zu übernehmen, da dadurch das Verständnis Christi eigentlich unbiblisch würde: „Unbiblisch ist die Annahme, dass irgendeines der alttestamentlichen Opfer, nach deren Analogie der Tod Christi beurteilt wird, auf die Umstimmung Gottes vom Zorn zur Gnade ausgelegt sei..“ (Ritschl, S. 95) [30]. Versöhnung ist also, hier wiederum Luther aufnehmend: „ein Andersangesehenwerden, das ein Anderssein bewirkt.“ (S. 96). Ritschl sagt ausdrücklich: „Das heißt, Christus ist als Priester der Vertreter der Gemeinde, die er in der vollendeten Durchführung seines Personlebens zu Gott führt.“ (Ritschl, S. 96). Ritschl weist darauf hin, dass diese Einstellung weder zum Synergismus noch zur Ethisierung führt. Der Ansatz Ritschls ist um die Kategorie der Zeitlichkeit und damit der ermöglichten Zukunft zu erweitern.
  7. „Das objektivistische Verständnis bei Karl Barth“ (S. 98-103) Karl Barth interpretiert das neutestamentliche „für uns“ Christi als ein Akt, der die menschliche Mitwirkung absolut ausschließt. Das bedeutet aber eine Verobjektivierung: „Es ist Barths Tendenz, die Stellvertretung zu objektivieren und sie als ein Faktum anzusehen, das unabhängig ist von der Zustimmung und dem Willen der Vertretenen.“ (S. 100). Dadurch wird Christus zum „Ersatzmann“, was die „Entmündigung des Menschen“ impliziert (S. 100f). Ihr Urteil ist klar und hart: „Der Offenbarungspositivismus bestätigt auf merkwürdige Weise den ordinären Positivismus, der im einzelnen nicht mehr als ein ersetzbares Maschinenteilchen zu sehen vermag.“ (S. 102). Wiederum fehlt der Horizont der Zeit, der für das richtige Verständnis notwendig ist. Barth spricht dagegen vom Raum oder Ort: „Indem er sich an unseren Ort stellt…“ (Barth, S. 102). Es wird zwar der menschliche Ort dadurch richtig qualifiziert, nur eben nicht gesehen, dass „er uns nämlich Zeit gibt, neue, wirkliche Zeit zum Leben, dies eine Stellvertretung uns ermöglicht.“ (S. 103).
  8. „Die Dialektik von Angewiesenheit und Verantwortung (Auseinandersetzung mit Dietrich Bonhoeffer)“ (S. 103-109). Wer hier mit Kritik an D. Sölle ansetzt, die berechtigt sein mag, muss aber zunächst zugeben, dass sie uns ein totales Wechselbad theologischer Positionen zeigt, aber auch auf sehr verschiedene Art und Weise mit der biblischen Überlieferung umzugehen vermag. Leider werden die Kritiker D. Sölles hiermit auch regelrecht eingeladen, sich doch die eine oder andere Position mal zu eigen zu machen, um zu sehen wohin es führt. K. Barth`s Position wird so zusammengefasst: „Vor Gott brauchen wir Stellvertretung – vor der Welt sind wir selber Vertreter der Unmündigen.“ (S. 103). Im Bild gesprochen sieht Barth Gott „im Rücken“, D. Sölle dagegen „vor uns“. Wie steht nun Bonhoeffer dazu? Nach Bonhoeffer steht jeder Mensch als Teil der Welt in der Verantwortung, jedes Leben wird zugleich auch stellvertretend für die Welt gelebt. Ausdrücklich heißt es in der Ethik: „Weil Jesus – das Leben, unser Leben – als der menschgewordene Sohn Gottes stellvertretend für uns gelebt hat, darum ist alles menschliche Leben durch ihn wesentlich stellvertretendes Leben… Weil er das Leben ist, ist durch ihn alles Leben zur Stellvertretung bestimmt.“ (Bonhoeffer, S. 105) [31]. Bei Bonhoeffer verschmilzt Stellvertretung mit Verantwortung, es fehlt die Angewiesenheit. Dazu D. Sölle: „Phänomenologisch müsste es heißen, dass, weil alles Leben auf Stellvertretung aus ist und ohne sie zum toten Ersetzbaren erstarrt, Christus, dies erfüllend, tatsächlich „das Leben“ ist.“ (S. 105) [32]. Bonhoeffers Ansatz wird also fast zu einer Pflichethik. Dagegen setzt D. Sölle wiederum einige der Grundbegriffe: „Eine personal begriffene Stellvertretung ist ohne Vorläufigkeit und Zeitlichkeit nicht denkbar.“ (S. 106). Bonhoeffer begrenzt stattdessen die vertretende Verantwortung durch die Berücksichtigung des Nächsten und durch das letzte Urteil Gottes. D. Sölle bestreitet nun die Möglichkeit einer Begrenzung. Bonhoeffer spricht nun sogar von einer doppelten Stellvertretung: Die Gemeinde vertritt die Welt, die Welt kommt in der Gemeinde zur Erfüllung. Er konstruiert die Linie: Gott, Christus, Gemeinde, Welt. Bonhoeffer vergisst die Angewiesenheit: „Die Gemeinde vertritt zwar die Welt, aber sie ist zugleich auf sie angewiesen.“ (S. 108). Nur dadurch ist auch die Vorläufigkeit und damit die Zukunftsorientierung im Blick. „Stellvertretung wird gelebt, das heißt beides, erwartet und geleistet, in der Hoffnung auf den neuen Himmel und die neue Erde. Das heißt aber immer in der Hoffnung darauf, dass sie sich selbst auflöse. Stellvertretung bewahrt in sich das Bewußtssein der Nichtidentität, der Distanz. Sie ist die überkommene Differenz – von Identität und Nichtidentität, von Heimat und Selbstentfremdung, von „Gott“ und Welt.“ (S. 109) [33].

Teil 3: „Der Stellvertreter“. Bis auf einige Abweichungen wurde schon im zweiten Teil deutlich, dass die Untersuchung auf die Ausarbeitung einer Christologie hinausläuft, die dann allerdings getreu Hegel von Anthropologie nicht zu unterscheiden sein wird. Allerdings könnte rein theoretisch hier auch Gott gemeint sein, wie etwa bei der Entgegnung von Gollwitzer. Wie schon zuvor leitet sie den Abschnitt durch ein Zitat ein, hier von Pascal. Mit dem ersten Wort ist klar: Es geht um Jesus, er ist der Stellvertreter.

  1. „Einleitung“ (S. 113-120). Hermeneutisch ist interessant, dass sie sich zwar erst dafür entschuldigt, der vorhergehende Teil hätte von der Eingangsfrage nach der Erlangung von Identität abgelenkt, dann aber bemerkt, dass in der Sprache der Religion indirekt „von uns gehandelt (wird), weil in solchen Begriffen erzählt wird, wie die Gründung des Reiches der Identität vor sich ging.“ (S. 113) .Das heißt ja, dass sie die Entwicklung der Frage nach Identität und die Fragen der Religion in einem Zusammenhang sieht, so als würde die gleiche Frage hier und dort in verschiedenen Sprachen behandelt. Das heißt klar: „Was bedeutet es, dass wir von Christus vertreten werden in dem, was wir eigentlich sind?“ (S. 113) [34]. In der Untersuchung über die theologischen Ausführungen zur Stellvertretung zeigte sich allerdings, dass oft entweder das Kriterium der Personalität oder das der Zeitlichkeit nicht in das System integriert werden konnte. Vom Einsatz beim „Phänomen“ her ist zunächst klar, was Stellvertretung bedeutet: „Stellvertretung erscheint darin als unumgängliche Forderung der auf Identität bedachten Vernunft.“ (S. 114) .Unersetzlichkeit wurde gegen Austauschbarkeit höher bewertet. „Aber Unersetzlichkeit ließ sich nur festhalten um den Preis eines Angewiesenseins auf einen, der uns vertritt.“ (S. 114). Dazu gehört aber auch das Gegenbild der Verantwortung, wer auf Stellvertretung angewiesen ist, muss auch selbst dafür verantwortlich sein. Damit die Verdinglichung und das Ersatzdenken nicht um sich greift, gehört Personalität und Zeitlichkeit dazu. „Wer bin ich?“ heißt also nun: „Wer tritt für mich ein, ohne mich ersetzen zu wollen?“ (S. 115). Der christliche Glaube beschreibt dies nicht als Gegenstand eines Weltanschauung, sondern als das entscheidende Ereignis des menschlichen Lebens. Es hat D. Sölle nun also um Christologie zu gehen, der theologischen Beschreibung dieses Ereignisses. Mit der Christologie wird die Frage nach der Identität mit beantwortet, da sie in Korrelation zur Anthropologie steht. Dabei ist eine Antwort untauglich, in der Christus zum ewigen Ersatz wird. „Christus vertritt uns auf Zeit, bedingt und unvollständig.“ (S. 115). Das bedeutet für unser Leben nämlich: „Christus ersetzt unser Lieben nicht, so dass wir nun überflüssig wären und dass niemand mehr auf uns wartete.“ (S. 116). Dies gilt auch für Religion, denn der Geist denkt nicht daran, unser Beten zu ersetzen. Von der Bedeutung des Wortes „Stellvertretung“ her, fragt D. Sölle nun nach der Beschreibung unserer „Stelle“, sogar auch einmal im Bild des Arbeitslebens. Darunter ist die „Freiheit als Söhne Gottes zu verstehen, die die Welt verantworten“(S. 117). Nach Aussagen des NT´s beginnt dies eben mit Christus, der die Mächte der Mythen entmächtigte. „Die einst Herren der Welt waren, hatten nichts mehr zu sagen. … ‚Christus aber, der Mensch Gottes, zeigt in seinem Leben, wie mögliche Befreiung von den Mächten, die sich unangreifbar gebärden, aussieht. Er entmythisiert sie … Somit sorgt er dafür, dass wir unseren Platz, Mitarbeiter Gottes auf Erden zu sein, nicht verlieren.“ (S. 117f). D. Sölle definiert nun Rechtfertigung, allerdings ohne hier dieses Wort zu gebrauchen: „Stellvertretung ist eine Wiederherstellung der beschädigten Gegenwart, die in ihr Recht eingesetzt wird, was freilich nur geschehen kann, indem ihr die Zukunft offen gehalten wird.“ (S. 118). Von Christus heißt es nun: „Er ist für uns, das heißt an unserer Stelle gestorben, aber wir sollen selber sterben lernen. … Wir sterben, indem wir den Zorn Gottes als die Wahrheit über uns anerkennen und uns in die radikale Abhängigkeit von Gott selbst hineingeben. … Christus ist für uns, an unserer Stelle, zum Leben gekommen; aber wir sollen selber leben lernen, indem wir das Menschliche und die ihm eigene Entfremdung nicht als ein Gott Fremdes, sondern als eine Weise seines Bei-uns-Seins verstehen, indem wir in der Nichtidentität die Identität wahrnehmen, das heißt aus ihr leben.“ (S. 119). Diese Christologie ist bestimmt durch die Begriffe: Identifikation, Abhängigkeit und Vorläufigkeit.
  2. „Christus vertritt uns vor Gott“ (S.121-128). Die Vorläufigkeit Christi (Zur Auseinandersetzung mit dem Judentum). In der Deutung deds Wortes „Vorläufigkeit“, den D. Sölle als zeitliche Bestimmung bestimmt, liegt aber auch ein wenig die Bedeutung der Angewiesenheit verborgen, als der Beschreibung der Identität, die für uns noch Nichtidentität ist. Damit ist dies also nicht in dem Sinn wie bei Johannes dem Täufer verstanden, der einem Anderen, Größeren vorhergeht. Damit hat der Unterschied zwischen Judentum und Christentum zu tun, der im Erlösungsbegriff zu Tage tritt. Gegenüber dem Judentum, dem der Raum der Geschichte als Einzigem die Möglichkeit der Erlösung vorbehalten ist, zeigt das Christentum die Vorstellung, dass es in einer unerlösten Welt erlöste Menschen geben könne. Der gegenwärtige, anscheinend unerlöste Zustand der Welt ist für Christen kein Argument gegen die Erscheinung des Reiches Gottes in Christus. Zu der Geschichte des Verhältnisses dieser beiden Religionen gehört, dass im Namen Christi Verurteilungen, Todesurteile und Pogrome geschehen ist. Kann man sagen, dass das Christentum immer ein wenig mit an der „Unerlöstheit“ der Welt beteiligt zu sein scheint. Die traditionelle Christologie kann als Dogma totalitär für die Macht der Kirche und solche Folgen von Gewalt missbraucht werden. Wird die Stellvertretung sakramental verstanden und das Opfer als einmalig vollzogen angesehen, das am Altar nachvollzogen wird, so gerät die Hoffnung auf das Reich Gottes in den Hintergrund. „Wer den endgültigen Christus hat, der braucht keine Zukunft.“ (S. 125). Wird die Christus dagegen als vorläufig verstanden, so gilt: „Im vorläufigen Christus ist das Reich Gottes zugleich da und noch nicht da. … Das noch nicht erschienene Reich Gottes bleibt offen, als etwas, das weiterhin aussteht und nicht als ein Schon-seiendes mit allen Mitteln verteidigt werden muss.“ (S. 125). Vom Unsichtbaren kann nur insofern geredet werden, dass der Stellvertreter, das Unsichtbare der Erlösung tut, … „um sie sichtbar zu machen.“ (S. 126). Auf die Religion bezogen: „Christus ermöglicht es den Nichtjuden, Juden zu werden, nämlich: im Aufschub zu leben.“ (S. 126) [35]. Die messianische Idee ist für die Christen „nicht durch den Messias zu Ende gebracht, sondern durch den Stellvertreter ermöglicht.“ (S. 127). Dies hat auch Folgen für die Kirche, denn sie steht nun an Christi Stelle: „Tatsächlich hängt für das Selbstverständnis der Kirche alles davon ab, ob die Vorläufigkeit Christi verstanden wird. Wenn Christus uns vorläufig vor Gott vertritt, so bedeutet dies für die Gruppe der Gläubigen, dass auch sie vor Gott für jemanden einzustehen haben. Dies kann für die Kirche nichts anderes sein als die Welt, die sie vor Gott vertritt. Sie tut dies vorläufig, unvollständig, bedingt und auf Zeit. … Kirche ist immer da, wo sie als Anwalt der Welt erscheint, nicht als ihr Verkläger, sondern als ihr wahrer Fürsprech, nicht als ihr Verleumder. … Sie ist offen für den Gott, der mit sich selber identisch wird in der Welt.“ (S. 128).
  3. „Die Identifikation Christi“ (S. 128-140). 3. a. Der wahre Lehrer. Zunächst stellt D. Sölle dar, was Identifikation Christi bedeuten könnte, wenn diese eben nicht darin bestehen kann, dass Christus „in einem ungebrochenen Sein auf Gott hin“ bzw. in einem „einmaligen Gottesbewusstsein“ besteht. Mit einigen Stichworten aus Jesaja 53 fragt sie danach, was es bedeutet, das Christus „unsere Schmerzen“ auf sich nahm. Es wird über Erfahrungen einiger Menschen z.B. Ärzte berichtet, dass sie sich so mit Schmerzen einiger Menschen identifizierten, dass sie selbst daran krank wurden. Es gibt keinen Grund solche Beispiele auf das Modell der „mythischen Identifikation“ Christi zu übertragen. Daher geht sie nun noch einmal zum Begriff der Identität zurück und sagt, dass sich im christlichen Sinn diese nur dem Menschen ereignet einstellt, „mit dem sich ein anderer identifiziert“. (S. 130). Selbstannahme gründet immer im Geschehen der Annahme durch andere. Das heißt: „Identifikation ist die Bereitschaft zur Annahme, die ohne Grenzen und ohne Bedingungen gilt, sie ist die Selbstverständlichkeit des Annehmens. Aber gibt es in der entzauberten Welt ein Modell solcher Identifikation eines mit einem anderen, innerhalb dessen auch Verantwortung und Gefährdung, Verfehlung und Strafe, Schmerz und Leiden übernommen werden?“ (S. 131). Dieses Modell sieht sie im Begriff des Lehrers. Es gab dieses Modell zwar schon einmal in der Aufklärung, es wurde aber theologisch abgelehnt. Ich denke, dass bei der Beschreibung des Lehrerberufes, die D. Sölle nun liefert, auch eine Pädagogik mitgemeint ist, die damals noch nicht bekannt war. Ein Lehrer gibt sich als Person: „Ein Lehrer, der nicht sich gibt – in, mit und unter den Sachen, die er übermittelt -, ist kein Lehrer.“ (S. 131). Was damit gemeint ist, lässt sich durch ein Kettenzitat ausreichend genug zeigen: „Unersetzlich ist allein der Vollzug selber, der in der Identifikation des Lehrers mit den Lernenden gründet. Der Lehrer ist verantwortlich für die, die jetzt unmündig oder unfähig sind, er steht ein für die Chancen und Interessen der Vertretenen. Er weiß mehr von ihnen, als sie von sich selbst wissen. Seine – vorläufige – Stellvertretung reicht konkret dahin, wo der Schüler, einsichtslos, noch nicht ist. … Der pädagogische Vollzug kommt ans Ziel, indem der Lernende selber Identität gewonnen hat, indem er „Seine Stelle“ findet. … Das Modell des wahren Lehrers ist auf Christus übertragbar: er ist der sich Identifizierende, der um unsretwillen Zeit und Aufschub gewährt. … Es ist Christi erklärtes Ziel, uns nicht im Stande … unmündiger Kinder zu halten wie ein ewiger und darum schlechter Lehrer. Er will uns an „unsere Stelle“ – Mitarbeiter Gottes (1. Kor. 3, 9), Erben seiner Welt (Gal. 3,l 29)… – bringen.“ (S. 133). 3. b. Das Problem der Strafe. Dass die Assoziation Lehrer -Strafe erlaubt ist, macht den Übergang zu diesem Thema möglich, denn Strafen gehört sicher zum Lehrerberuf dazu, trotz aller modernen Pädagogik. Dies bedeutet zugleich, dass Strafe nicht als Sühne, sondern als ein pädagogisches Handeln zu verstehen ist. [36]. Wieder assoziiert sie Jesaja 53: „Ein Satz wie „die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten“ handelt faktisch weniger von Sühne als von Resozialisierung. [37]. Christus resozialisiert uns, will sagen, er bürgert uns ein in sein Reich. Aber eben als Bürger sind wir der Verantwortung nicht ledig,…“ (S. 135). Zur Veranschaulichung verweist sie auf den pädagogischen Ansatz Makarenkos und fasst zusammen: „Eine echte Identifikation kann nur dort stattfinden, wo der Strafende selber leidet unter der Strafe, nicht weniger als die Bestraften. Christus, der vorläufig unsere Stelle vertritt, straft uns so, dass er selber leidet. Eben das ist: Lehrer sein.“ (S. 137) Interessanterweise kommt der alte Tun-Ergehens-Zusammenhang in neuer Form wieder zur Geltung: „Wir verstehen hier unter Strafe, die Gott wegen der Sünde der Welt verhängt, die geschichtliche Konsequenz aus bestimmten Bewußtsseinszuständen und Taten.“ (S. 137). Dies gilt natürlich vor allem für den politischen Bereich, und die Diskussion um die Konsequenzen des 2. Weltkrieges schwingen hier mit. „Der Fluch der bösen Tat ist ihre Rückwirkung auf Welt und Ich, der sich niemand entziehen kann.“ (S. 138) [38]. Dies wird dann noch einmal in das Bild des Gefängnisses übertragen: „Christus macht die Wärter von Gefangenen auf das Gefängnis aufmerksam, in dem sie selber leben – und zwar, indem er sich als ihr Gefangener erweist.“ (S. 139) [39]. Zusammenfassend wird diese Überlegung auf die Grundfrage der Identifizierung angewandt: „Weil Christus sich mit uns identifiziert, lehrend und strafend, darum bringt der uns zu beidem, zur Selbstannahme als Schuldige und zum Frieden. Er vermittelt die beiden Ansätze zur Strafe: Sühne erscheint im Bewusstsein der Nichtidentität, und Frieden erscheint im Prozess der Resozialisierung.“ (S. 140).
  4. „Die Abhängigkeit Gottes von uns“ (S.140-144). Es ist vielleicht so, dass jedes Symbol in einer Hinsicht gut passend zu sein scheint, in anderer aber etwas verzerrt zu sein scheint. Denn dass am Bild der Stellvertretung gesagt wird, Christus sei von uns abhängig ist m. E. nicht zwingend. Es liegt eher daran, dass der Inhalt der Stellvertretung keine andere Sinnlosigkeit ist als die, die wir auch kennen, nur eben in extremo: „Seine Identifikation mit unserem wirklichen Leben geht so weit, dass es von nun an sinnlos ist, von ihm allein, von ihm als solchem, von ihm außerhalb seines Erfolges und seines Scheiterns zu reden. Es hängt davon ab, was wir aus ihm machen.“ (S. 141). Er macht sich von uns abhängig, weil er die Wahrheit seines Gottes aufs Spiel setzt. Einleuchtender ist nun, dass sie diese Beobachtung auf dem Hintergrund ihres Gegensatzes beleuchtet: „Der Unabhängige leidet nicht.“ (S. 141). Das ist ohnehin eine der schwierigsten Punkte der Christologie überhaupt, denn wäre Christus unabhängig, als seiner göttlichen Natur heraus, dann würde er ja souverän darauf eingehen. Das wäre ein faktischer Suizid, der dem anderen nur das Messer in die Hand gibt, dem Henker, der den Mord zu vollziehen hätte. Das Motiv der Abhängigkeit wäre tatsächlich eine Möglichkeit Jesu Leiden die Freiwilligkeit zu nehmen. Das bedeutet christologisch gesagt auch, dass er an uns leidet und dass er ohne Gott auskommen muss, den er in der Zukunft sieht: „Ohne solches Leiden, das in der Abhängigkeit gründet, ist Stellvertretung nicht denkbar.“ (S. 142) [40]. Richtig ist, dass jeder, der einen anderen ernsthaft vertritt, auch das Risiko dessen „Stelle“ auf sich nimmt und zumindest zeitweise zu verantworten hat. „Wer den anderen vertritt und sich damit abhängig macht, muss mit dem Schlimmsten rechnen.“ (S. 142). Dass bei Christus dieses aber nun die eigentliche Füllung der Stellvertretung ist, mag ich nicht als konsequent sehen. Man könnte höchsten sagen: Wenn jemand in Stellvertretung Auto fährt und einen Unfall verschuldet, kann er die Verantwortung nicht auf die Aufgabe abschieben. D. Sölle sieht in meiner Argumentation die Meinung derer, für die die Auferstehung die eigentliche Heilstatsache ist, das Kreuz nur ein Durchgangsstadium. Hatte sie aber nicht selbst gesagt, dass die Auferstehung zu Karfreitag gehört und das eine nicht ohne das andere zu verstehen ist? Die Kreuzigung, also das stellvertretene Leiden Christi ist geschehen im Rahmen allgemeiner Geschichtlichkeit, die in nichts aufgehoben werden darf, so sagt sie. „Geschichtlichkeit als eine Grunderfahrung des modernen Daseins lässt sich definieren als das Auf-dem-Spiel-stehen des Menschen in seiner Zeit. Die Auferstehung ist ein Zeichen, das für die Zukunft Gottes verbürgt, nicht „manifeste Wirklichkeit“. (S. 143). Richtig ist daran, dass die Messianität Christi wie in sehr vielen Stellen des Neuen Testaments auch als eine noch ausstehende Handlung gedacht wird, die Zukunft des Messias noch geschehen wird (‚Eure Herren gehen, unser Herr kommt‘ G. Heinemann). „Wir hoffen noch immer auf die Auferstehung Christi als gewonnene Identität aller, weil nicht der endgültige Christus uns aus den Verstrickungen der Welt und ihrer auf dem Spiele stehenden Geschichte herausgenommen hat, sondern weil der vorläufige Christus bis ans Ende der Tage am Kreuze der Wirklichkeit hängt. … Indem die Botschaft Jesu durch das, was seine Jünger als Auferstehung erlebten und verkündeten, in die Welt kam, wurde aus der historischen Person Jesus der Christus des Glaubens, dessen Kreuz von Golgatha aus die ganze Welt überschattet. Im Symbol der Auferstehung drückt sich der Schatten des Kreuzes so in die Wirklichkeit ein, dass er als Deutungskategorie für die Augen des objektivierenden Beobachters, als Lebensmöglichkeit für die, die solche Identifikation eines anderen mit sich selber annehmen, nicht mehr vergessen werden kann. (S. 144) [41].
  5. „Die Bedeutung des Ausdrucks ‚vor Gott'“ (S. 144-147). Daran, dass dieser Ausdruck in den anderen bereits enthalten ist, zeigt sich das inklusive Gottesverständnis: „Wo solche Stellvertretung geschieht, da ist auch Gott, wenn auch nicht im unmittelbaren Sinn eines religiösen Gegenübers, da wird von Gott gesprochen, unabhängig von der Erwähnung seines Namens.“ (S. 145). Das einzige Kriterium, in dem von Gott geredet werden kann ist hinsichtlich dessen, was er an uns tut. [42]. Christus vertritt uns in Unbedingtheit. Er weiß in Gott die Erfüllung unserer und seiner Identität. Gottes Willen, ist also in Christus symbolisiert. Christus macht sich von uns abhängig und liefert sich aus, darin liefert er sich auch Gott aus. Die Hingabe an Gott ist nur über die Menschen möglich, nachtheistisch gesprochen, so meint D. Sölle. Gott ist nicht unmittelbar präsent, sondern ist über die Gegenüber jeweils erfahrbar. Auch das Gebet, so gut es sich an Gott richtet, bedeutet die Identifikation mit der Welt: „Es (das Gebet) ruft Gott in diese Welt hinein.“ (S. 147). Umgekehrt formuliert: „Das Gebet ist vor Gott, indem es in der Welt ist.“ Was mir nicht ganz klar ist, ob das pantheistisch gedacht ist, also allgemein gültig, oder ob es nur für die Identifikation in der Stellvertretung gilt, als Wahrheit, die sich ereignet. Denn sie sagt zum Schluss: „Wo diese Identifikation stattfindet, da ist Gott.“ (S. 147).
  6. Christus vertritt Gott bei uns. „Der Tod Gottes und die Vorläufigkeit Christi“ (S. 148-155). Die Bedeutung Christi wächst um so viel, je mehr die Bedeutung Gottes verliert. Dies könnte man als allgemeines Fazit dieses Abschnittes gut festhalten, ohne die anstößige aussage des Todes Gottes zu wiederholen. Aber ich will sie mit einige Textbeispielen belegen: „Die Religion wird ausgehöhlt, weil Gott in der technisierten Welt mit wachsender Geschwindigkeit Terrain verliert. … Man kann sagen, dass im Zuge der westeuropäischen Aufklärung die Selbstverständlichkeit Gottes für die ganze Welt zerstört wird. [43]. Unmöglich geworden ist der naive Theismus das unmittelbare kindliche Verhältnis zum Vater droben überm Sternenzelt… Jede metaphysische ‚Setzung‘ Gottes, die das ‚größte neuere Ereignis: Dass Gott tot ist‘ (Nietzsche) nicht bemerkt, weil sie sich simpel darauf beruft, dass Gott lebendig sei, bleibt der Privatheit religiöser Anlagen oder Erfahrungen verhaftet.“ (S. 149). Das heißt ja nun nichts anderes, als das der Glaube an Gott in der nachaufklärerischen Welt eine schlichte Privatsache geworden ist. Also Gott ist nicht für den Einzelnen tot, sondern als Allgemeingut. ‚Gott‘ ist ein Wort der religiösen Sprache, die, wie Habermas sagt, in Profansprache übersetzt werden muss. Nun soweit ist D. Sölle hier noch nicht. Sie belässt es bei dem Widerspruch, denn nun kann Christus als der Stellvertreter des lebendigen Gottes, aber nicht als Ersatzmann des toten Gottes geglaubt werden. „Christus vertritt den abwesenden Gott, solange dieser sich nicht bei uns sehen lässt. Vorläufig steht er für Gott ein, und zwar für den Gott, der sich nicht mehr unmittelbar gibt und uns vor sein ‚Angesicht stellt, wie es die religiöse Erfahrung früherer Zeiten als erlebt bezeugt.“ (S. 151). Also noch einmal: Gott ist nicht für die Religion tot, kann weiter als lebendiger, als wohl in der Welt z. T. abwesender Gott geglaubt werden. Der Philosoph behauptet aus seiner Sicht den Tod Gottes zurecht, weil dieser religiöse Begriff nicht mehr in eine allgemeine Denkfigur gehört. Wenn man D. Sölle gründlich liest und sie nicht einfach missverstehen will, wie z. B. H.Gollwitzer, wenn man wie Tillich als Symbolbegriff nimmt, der evtl. in die Sprache der Philosophie als Seinsgrund (Tillich) oder alles bestimmenden Wirklichkeit (Bultmann) ontologisch zurückübersetzt werden kann, dann bekommt diese Ausführung hier Brisanz. D. Sölle stellt die Christologie als die einzigmögliche religiöse Erkenntnismöglichkeit der Menschen in der modernen Zeit heraus. Sie zeigt dies am Modell der Identität, die auf Vertretung angewiesen ist, wenn sie unersetzlichen Menschen bezeichnen soll. Ein anderer, ersetzlicher Mensch ist ein Rädchen im Getriebe. [44]. Nietzsche sagt ja auch nicht, dass Gott nicht ist, sondern dass er ihn nicht findet, obwohl er ihn sucht. Die Rede von Christus ist evident menschlich und kann auch vom modernen Geist nicht ignoriert werden, denn Christus ist ein Teil der Geschichte. So gesehen ist D. Sölles Ansatz wie Tillichs ein apologetischer. Sie spricht nicht nach innen in die Kirche, sondern über die Kirchenmauer nach außen in die Welt. Für die Welt gilt: „Christus ist überall dort impliziert, wo ein Mensch an der Stelle Gottes handelt oder leidet.“ (S. 153). Es geht hier um die Wirklichkeit der Welt und die Wirklichkeit des Symbols Christus: „Weil größer als das Bewusstsein von Christus reicht sein Sein, größer als die Kirche sein Reich.“ [45]. So bedeutet dies für die Erkenntnis Christi, einiges wiederholend: „Christus aber ist nicht Ersatzmann des gestorbenen Gottes, sondern Stellvertreter des lebendigen, für den eben das gilt, was wir für den Menschen in Anspruch nehmen: dass er unersetzlich aber vertretbar sei. …Identität steht noch aus, wäre es anders, so ersetzte Christus nur die vergangenen Toten. Aber Jesus von Nazareth hat die Zukunft offengehalten, indem er ihm ‚Vorlief‘, und eben dies ist das Geschäft Christi bis heute: Vorläufer Gottes zu sein.“ (S. 153). Vielleicht sind manche Aussagen in diesem Satz doch nur im Zusammenhang zu verstehen. Formal könnte man fragen: Gott – ist er denn jetzt tot, oder nur abwesend als der Lebendige? Es ist kein Widerspruch: Für den glaubenden Menschen ist Gott lebendig, wenn er ihn als abwesend erlebt und in Christus erkennt, für den Rest der Menschheit tot. Es ist klar, dass die Aussagen über Tod und Leben Gottes in diesem Fall nicht ontisch verstanden werden können. Dagegen sagt D. Sölle sowieso: Gott ist nicht, Gott geschieht. Kurzgefasst ein paar Zeilen später: Christus ist als das „Neue Sein“ (Tillich) Bürge für die Identität. „In der Tat misst Christus die Nachricht an die Welt über das wirkliche Leben.“ (S. 154). Dies alles gilt natürlich nur, wenn diesem Bild von Christus auch eine gelebte Wirklichkeit entspricht, die man parallel zum neuen Sein, neue Kirche nennen könnte. [46]. „Denn nicht nur Christus vertritt Gott in der Welt, auch seine Freunde und Brüder vertreten Gott, indem sie ihm – und das heißt zugleich denen, die ihn brauchen – zeit lassen.“ (S. 155) [47].
  7. „Christi Identifikation mit Gott.“ (S. 155-162) 7 a. Die Proklamation Gottes. Sofort der erste Satz sagt eigentlich schon alles: „Christus vertritt den abwesenden Gott, indem er ihm Zeit lässt, zu erscheinen.“ (S. 155). Ich kann mir jedenfalls genau unter diesem Satz das vorstellen, was man sonst den eschatologischen Vorbehalt nennt: Gottes Wirklichkeit erscheint erst inj ihrer Fülle in der Vollendung, die jetzt noch nicht geschehen ist. Mit Christus tritt auch die Vollendung nicht in Erscheinung, aber die Anwesenheit Gottes wird durch Christus überbrückt. Die Stellvertretung Christi besteht nun darin, dass er sich mit dem Abwesenden identifiziert. „Christus identifiziert sich mit Gott auf dem Boden der Nichtidentität.“ (S. 156). Denn er ist wie die anderen Menschen Mensch. Damit ist Gott faktisch im Alltag doch präsent, aber eben nur in der Gestalt Christi, in menschlicher Gestalt. Er ist Repräsentant Gottes. Dies gilt nicht nur für soziale Situationen, sondern auch für die geistige Armut des Atheismus. Hier kommt noch einmal Jean Paul mit seiner Atheismus Rede vom Weltgebäude zur Geltung. Christlicher Glaube heißt Gewissheit in Ungewissheit. Aber es ist Glaube: „Es gibt keine Evidenz, als die der stellvertretenden Identifikation, und es gibt keine größere Sicherheit als die des proklamierten Gottes. Christus identifiziert sich mit Gott, das ist der Grund unseres Glaubens heute. [48]. 7 b. Der Schauspieler Gottes. Gott lebt zu uns in unüberbrückbarer Distanz. Es gibt kein Näherkommen wie beim brennenden Dornbusch: „Die fortschreitende Bewusstwerdung hat diese Möglichkeiten der Vergewisserung Gottes ausgeschlossen.“ (S. 159). Christus spielt die Rolle Gottes in dieser Welt. Dann kommt´s: jetzt auf einmal, schlagartig, ist die Distanz Gottes in Nähe umgeschlagen: „Gott selbst hat in Christus aus der Unmittelbarkeit des Himmels fortgegangen, er hat die Sicherheit der Heimat verlassen, für immer. Er hat sich vermittelt, ist aus sich fortgegangen in die Unkenntlichkeit, in die Nichtunterschiedenheit.“ (S. 160). Gott erscheint, weil Christus ihn für sich in Anspruch nimmt, in der Vermittlung, in der Stellvertretung, durch Inkarnation. Dies hat aber Auswirkungen auf die Religion: „Die neuen, in Ohnmacht und Leiden gestiftete, die profane und weltliche Vertretung Gottes hebt zwar die ältere religiöse Erfahrung nicht auf, ..aber sie erübrigt derlei Art von Religion als ein dem Menschen nicht mehr notweniges Relikt…“ (S. 161). Greifbar ist der Vorläufige, der Repräsentant Gottes, Christus.
  8. „Christi Abhängigkeit von Gott“ (S. 162-169). Bei allem ist klar, dass nun doch die Existenz Gottes in allem nicht angetastet bleibt, denn es bleibt in der Stellvertretung und Repräsentanz trotzdem Nichtidentität. Stellvertretung qualifiziert zum Glauben, zur Hoffnung und zu Da-sein für andere. Dies setzt sich bis in unseren Glauben fort. Im Glauben machen wir uns „abhängig von Gott, indem wir unser Dasein aufs Spiel setzen“. (S. 163) [49]. Christus spielt Gott, proklamiert profane Räume für Gott. Er hängt von Gott ab, aber Gott entäußerte sich auch in ihm (Philipper 2). [50]. Jesus gab die Gottesunmittelbarkeit auf, mythisch gesagt, verließ den Himmel. Anhand der Frage nach der Gültigkeit des neuen Seins [51] greift D. Sölle das Bultmannthema von den verschiedenen Weltbildern auf. Es ist wie dort: Himmel, Bei-Gott-Sein müssen nicht entwertet, sondern aufgewertet werden, indem sie übertragen werden in die Sprache, die jeder versteht: „Glücksverlangen.“ (S. 165) [52]. „Beide, Jenseitsbezogenheit und Glücksverlangen, haben indirekt mit dem Heil zu tun, beide sind gleich weit von ihm entfernt, beide erwarten und denken es als ein Unmittelbares.“ (S. 165). Christus ging aus dem Himmel weg und ließ das Glück los, so nennt es D. Sölle. Das Ende der Gottesunmittelbarkeit ist der Anfang des „Neuen Seins“. [53]. Eben dies ist Liebe, indem sich einer aufgibt für andere, indem einer auf das Seine verzichtet für andere. Das heißt das christologische Modell des Philipperbriefes ist entmythologisiert formuliert das Urbild für die Liebe. Wenn Gott nun aber wieder die Liebe ist, dann haben wir ihn wieder mit drin, obwohl er grade noch draußen war. Natürlich vermittelt dies Christus leidend, so zeigt er zunächst “ [54] Gottes Schmerzen.“ „Die im Evangelium gemeinte Liebe ist nichts anderes als das radikale Eintreten eines für einen unersetzlichen anderen.“ (S. 167) – „So ginge es denn um Gottes Identität in der Welt.“ (S. 167). Jetzt, wo es interessant wird, ist das Buch fast zu Ende. Hier müsste es noch einmal losgehen! Ist Gott dort so Wwltlich, dass sein Sein letztlich mit dem Heil der ganzen Welt verschwimmt? [55]. Nach einem kurzen Blick darauf, was das denn für uns bedeutet, wenn wir an Christus glauben oder von ihm reden, setzt D. Sölle hier den vorläufigen Schlusspunkt mit einer knappen Zusammenfassung des gesamten Buches: „Gott leidet an seinem nicht oder nur stückweise realisierten Dasein in der Welt. Er leidet an seinen Niederlagen, die niemand so gut weiß wie seine Schauspieler in der Welt, die ich unter den Bedingungen der Ohnmacht spielen. Er will vertreten werden, er sich selber vertretbar gemacht, er hat sich bedingt, er hat sich vorläufig gemacht, er ist abhängig geworden. ER vermittelt sich in der Welt. Er wurde Mensch.“ ( [56] S. 169).
  9. „Die Ohnmacht Gottes in der Welt“ (Schlusskapitel) (S. 171-173). Ganz zum Schluss, oder genauer gesagt nach dem Schluss, nimmt sie einen Blick auf das Theodizeeproblem und greift Gedanken von Dietrich Bonhoeffer auf, die er in der Haft niedergeschrieben hat: Das Leiden Gottes in der Welt. Die Anklage in der Theodizeefrage trifft nicht Gott, der ja auch mitleidet, sondern das Bild vom allmächtigen König und Vater. Im Christentum werden die Schmerzen und ihre Fragen nicht nur eine Frage an die Götter, sondern eine Frage an uns selbst. „Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion, … sondern zum Leben.“ (S. 173). Als wäre es nicht jetzt sowie schon klar geworden, ruft D. Sölle uns dieses noch einmal hinterher. Das Bild der Leidenden ist das Bild Gottes in der Welt, vermittelt durch Christus, dem Stellvertreter: „Dass Gott in der Welt beleidigt und gefoltert, verbrannt und vergast wurde und wird, das ist der Fels des christlichen Glaubens, dessen Hoffnung darauf geht, dass Gott zu seiner Identität komme.“ (S. 173).

Auf das Nachwort aus 1982 gehe ich jetzt nicht ein. Es steht zum Text in bedenkenswert klarer Identität.

[1] Friedrich Gogarten. Die Verkündigung Jesu Christi. 2. Auflage Tübingen 1965, S. 408. Dieser Abschnitt wird allerdings bei D. Sölle in keinster Weise erwähnt. D. Sölle widmete das Buch „Die Wahrheit ist konkret“ Ihrem Lehrer F. Gogarten zum 80. Geburtstag. Man kann also nur theologiegeschichtlich diesen Einfluss konkret herausfinden, da sie Gogarten im Buch „Stellvertretung“ nicht (?)/kaum erwähnt.

[2] Dieser Satz richtet sich damit gleichermaßen gegen den Offenbarungspositivismus, der einfach weiter so tut, als können man die Voraussetzungen ignorieren und gegen den Subjektivismus der existenzialen Interpretation, zumindest soweit er rein subjektivistisch bleibt. Wenn Glauben aber auch meint, an die eigenen Identität glauben und dem Leben vertrauen, könnte D. Sölle m.E. auch Unrecht haben.

[3] Erstaunlicherweise wird die Einleitung dieses Abschnitts nicht nummeriert.

[4] Dieses Vorverständnis ist neuzeitlich – säkular. Unter Säkularisierung versteht man negativ den Kampf gegen den Säkularismus, aber auch positiv eine Verweltlichung als Ertrag des Evangeliums, nach F. Gogarten. D. Bonhoeffer sprach in WE sogar von der „mündigen Welt“. Soziologisch ist S. eine Folge von Differenzierungsprozessen gesellschaftlicher Institutionen, die im religiösen Bereich sogar zu einer (gewollten!) Verkirchlichung führte. (dazu: EKL BD. 4 S. 37ff).

[5] „Zeitlichkeit“: siehe Heidegger. Sein und Zeit. S. 323 – 333 Wobei man schon sieht, dass D. Sölle sehr sparsam mit der Grundvokabeln Heideggers umgeht. Aber gerade der Zusammenhang von Zeit und Geschichte wird von ihm herausgestellt.

[6] „Rolle“ kennt D. Sölle H. Sunden. Die Religion und die Rollen. 1959.

[7] zuvor war bereits Shakespare genannt worden (S. 26): „Die ganze Welt ist Bühne“.

[8] hier beachte man die Arbeit von D. Sölle zur literarische3n Struktur dieses Romans.

[9] Wenn hier noch nicht von Marx, sondern von Hegel die Rede ist, dann sieht man, welche riesige Tradition durch die Auseinandersetzung mit dem Marxismus schlicht ausgeblendet worden ist: Arbeit und Fürsichsein.

[10] Hegel, Philosophie der Religion.

[11] A. V. Harnack. Das Wesen des Christentums. S. 38 – 42.

[12] Die Bewertung v. Harnacks schillert etwas. Klingt ersten nach Abwertung im Sinn von Innerlichkeit, dann aber auch als begrenzte Zustimmung in psychologischer Hinsicht.

[13] Ich denke hier zeigt D. Sölle doch sehr schön, welche Einstellung zum Protest der dialektischen Theologie geführt hat. Es war gerade nicht die hegelsche Religionsphilosophie, sondern die Mentalität der menschlichen Größe und Unersetzlichkeit des 19. Jahrhunderts, in der Religion nur noch schmückendes Beiwerk war. Ich finde es aber bei v. Harnack auch missverständlich ausgedrückt. Wenn man „Menschenseele“ einfach nur Mensch setzen würde, könnte das von ihm gesagt durchaus ganzheitlich verstanden werden. Etwa in dem Sinn, wie es Bultmann im Jesusbuch aufgenommen hat.

[14] Beispiele S. 15: Arbeitsplätze, …

[15] D. Sölle greift also mit den Positionen These, Antithese und Synthese auf das dialektische Denken zurück. Während das Schema, dass inzwischen als Aufsatzstil im Deutschunterricht gepflegt wird, auf den jungen Schelling zurückgeht, hat Hegel daraus eine Denkmethode entwickelt, die zwischen Objektivität und Subjektivität wechselt. „Man will, wenn man philosophiert, dass es so ist, bewiesen haben. Wird aber mit der intellektuellen Anschauung angefangen, so ist das ein Orakel, das man sich um deswillen gefallen lassen soll, weil eben die Forderung gemacht ist, das man intellektuell anschaue. Der wahrhafte Beweise, dass diese Identität des Subjektiven und des Objektiven das Wahrhafte ist, könnte vielmehr nur so geführt werden, dass jedes für sich untersucht wird in seinen logischen, d.h. wesentlichen Bestimmungen: woran sich sodann ergeben müsste, dass das Subjektive dies ist, sich zu verwandeln in Objektives, und das Objektive dies ist, nicht so zu bleiben, sondern sich subjektiv zu machen. Ebenso müsste man am Endlichen selbst aufzeigen, dass es den Widerspruch in sich enthielte, und sich zum Unendlichen machte; so hätten wir also die Einheit des Endlichen und des Unendlichen. Bei solchem Verfahren wird an ihnen selbst gezeigt, dass ihre Wahrheit ihre Einheit ist, jedes aber für sich einseitig: dass ihr Unterschied sich verkehrt, umschlägt in diese Einheit; – da der Verstand meint, an den Unterschieden habe er Festes.“ Zitiert nach Hegels Geschichte der Philosophie. Auswahl. München 1923. S. 374. Man wird jetzt in der Synthese sehen, ob sich D. Sölle an dieses Schema hält und was diese Art von dialektisch für die Theologie austrägt. Der erste Abschnitt ist also ein dialektischer Aufsatz über die Begriffe Stellvertretung und Ersatz.

[16] Da gerade mit der letzten Bestimmung eine Assoziation zu gottesdienstlichen Handlungen möglich ist, wäre es doch besser gewesen, sie hätte das noch näher erläutert, was „im Namen“ bedeuten kann.

[17] Könnte also der von Hegel beschrittene Weg dahin führen Subjekt und Objekt, Endlichkeit und Unendlichkeit in je ihrer eigenen Wahrheit gelten zu lassen und „den Widerspruch“ auszuhalten? Und ist das nicht gerade der nächste philosophische Denkweg, unter welchen Voraussetzungen solchen „Aushalten“ denkbar ist, was sicher eine Frage der Existenz und nicht der Essenz ist.

[18] Man müsste einmal eine Bibelarbeit über die Urgeschichte machen, um diese Anthropologie dort zu entdecken versuchen.

[19] Ich frage mich allerdings, warum sie hier nicht auch auf di8e viel zentralere Rolle von Götterfiguren eingeht, die in den außerjüdischen Religionen den Gott als Teil des Pantheon in der Menschheit vertreten, sei es im Tempel, wie in Athen, sei es als Götterfigur im Haus.

[20] Das Opfer wird allerdings vorab vollzogen, wobei es auf die Besprengung des Altars mit Blut ankommt. (Lev. 16).

[21] „Individualisierung und Universalisierung gehen Hand in Hand.“ (S. 76).

[22] Damit bezeichnet D. Sölle die urchristliche Religion als Zeichensystem, das durch den Glauben an den Stellvertreter Christus den Raum für die Stellvertretung der christlichen Gemeinde hervorbringt.

[23] Eigentlich müsste man besser sagen: die messianische Exegese von Jesaja 53 führte zur Ereiterung des Messiasbegriffs in die Vorstellung des stellvertretenden Leidens hinein. Damit konnte keine zelotische Bewegung etwas anfangen.

[24] In diesem Sinn schon, aber den Gedanken des Martyriums als Leistung für andere muss es auch schon sonst gegeben haben.

[25] D. Sölle greift hier vier wichtige Motive der urchristlichen Theologie auf, die Gert Theißen in „Die Religion der ersten Christen“ S. 371ff ebenfalls benennt: Stellvertretungsmotiv (Agapemotiv), Einwohnungsmotiv (historische Person), Entfremdungsmotiv (Leiden), Glaubensmotiv (Freiwilligkeit), Weisheitsmotiv (Entgrenzung; damit auch Schöpfungs-, Gerichts-, Erneuerungs- und Positionswechselmotiv)

[26] vgl. S. 82.

[27] hier schient die Möglichkeit auf, Gott als eine sich verändernde Größe bzw. Person(?) anzusehen, sich im Prozess des Lebens befindlich, was m.E. häufig als das biblisch – hebräische Gottesverständnis genannt wird. Die Theismus – Kritik würde dann hauptsächlich das griechisch metaphysische meinen. Biblisch gesehen ist „Theismus“ tatsächlich Unsinn, das eine Lebendige Beziehung zu einem lebendigen Gott keine Ideologie sein darf (-ismus = Ideologie).

[28] Dass diese Aussage von vielen Theologen nicht geteilt wird, dürfte Hegel gewusst haben.

[29] Findet sich diese Argumentation nicht bei Tillich wieder ST II, S. 137-146?.

[30] Dass der Opferbegriff falsch aufgefasst werden kann, zeigen auch die Vorträge in R. Weth (hg.) Das Kreuz Jesu, besonders der von S. Brandt.

[31] Als die ök. Versammlung in Vancouver das Thema hatte: Jesus Christus – das Leben der Welt, hielt D. Sölle einen der Hauptvorträge.

[32] Diesen Satz habe ich unterstrichen, weil er die Grundthese der ganzen Arbeit ist. Damit ist auch klar, dass D. Sölle eben einen phänomenologischen Ansatz hat, den sie theologisch verantwortet durchführen will 1. Bestandsaufnahme durch Sprachuntersuchung. 2. Klärung der Theologischen Tradition, 3. Vermittlung zu einem passenden Denkmodell. Auch H.Gollwitzer charakterisiert diesen Ansatz mit dem Begriff phänomenologisch, kann aber wenig damit anfangen.

[33] Da D. Sölle das Wort auch sonst nicht konsequent in Gänsefüßchen setzt, hätte sie diese auch hier weglassen können. Sie wäre dann dem Ansatz von Paul Tillich sehr nahe gekommen. Sie zitiert hin und wieder Tillich, aber ich bin mir nicht recht sicher, ob sie die Tillich – Orientierung klar genug erkannt hat. Ich glaube sie denkt immer noch, sie würde die Entmythologisierung fortsetzen. Dabei hat sie dann nur das zwischen Bultmann und Tillich gemeinsame, dass das Reden von Gott nämlich nur symbolisch sein kann. Inhaltlich greift sie absolut auf Tillich zurück (, oder direkt an ihm vorbei auf Hegel?).

[34] Diesen Satz habe ich ebenfalls unterstrichen, denn er enthält in Form der Frage natürlich die Aussage des Buches „Stellvertretung“. Das ist die Antwort auf die Frage: Wer ist der Stellvertreter?

[35] Damit ist natürlich das Problem verbunden, dass Christen dieses Judensein für sich in Anspruch nehmen, ohne es mit dem Einverständnis des realen Judentums tun zu können. Es ist aber möglich, da sich Christen auf die hebräische Bibel und das Judentum in der Tradition der Jesus- und Paulusbewegung verstehen, die sich noch innerhalb des Judentum befanden.

[36] Interessanterweise ist gerade aber dieses Verständnis vielleicht religiös, aber nicht gesellschaftlich vermittelbar. Strafe kann juristisch durchaus als Sühneleistung, als gesellschaftlich vermittelter Täter-Opfer-Ausgleich verstanden werden. Vielleicht sollte man theologisch dann besser auf diesen Begriff ganz verzichten.

[37] Es interessant zu lesen, dass zu der zeit gerade Gustav Heinemann den Resozialisierungsbegriff politisch durchzusetzen versuchte. Gustav Heinemann. Unser Grundgesetz ist ein großes Angebot. München 1989.

[38] Dieser Gedanke ließe sich noch untermauern durch Hinweise aus die Konsequenzen von Kriegstraumata, egal ob von Tätern oder von Opfern. S. F. Shapiro. EMDR.

[39] Hier hätte sie auch auf die schöne Geschichte von der Befreiung des Gefängnisaufsehers durch Bekehrung hinweisen können, Apg. 16, 23 – 40.

[40] Für mich persönlich, so gut ich die Argumente dieses Buches im einzelnen finde und den Bezug zu Jesaja 53 insgesamt für geglückt hat, hat das Wort Stellvertretung keinen soteriologischen Klang. Es klingt einfach wie Beamtendeutsch.

[41] Bei allem, was hier problematisch sein könnte, oder vielleicht auch durch die Begrifflichkeit unverständlich: Das ist eine absolut ernst zu nehmende Position. In diesen Sätzen ist die Christologie von D. Sölle auf den Punkt gebracht.

[42] Vgl. Beispiel zu Melanchthon in anderer Schrift.

[43] Vielleicht sollte man diese Gedanken mit der Zerstörung „Phantasiens“ in der „Unendlichen Geschichte“ von M. Ende vergleichen.

[44] Etwa karikierend dargestellt in der Menschenvorstellung des Matrixfilms.

[45] lies nach bei Tillich Syst III.

[46] D. Sölle kann man zwar auf dem Hintergrund Bultmanns deuten. Da sind wichtige Erkenntnisse weitergeführt. Richtig verstehen kann man sie aber nur als die Theologin, die Tillich nach Europa bringt, oder es zumindesten versucht. Dabei hat sie ihre eigenen Ansatz, der Einheit von Theorie und Praxis eingebracht und selber verwirklicht.

[47] Gott vertreten heißt in Gottes Geist leben. Da dieser in diesem Fall durch das Vertretungsmodell von Christus übereignet wird, ist dies ein moderner Beleg für das filioque.

[48] Ich frage mich, ob man das nicht mit dem Vorwurf der Gotteslästerung vor dem Hohen Rat in Verbindung bringen könnte. Der Anstoß im Judentum wäre dann eben genau das, die Identifikation mit Gott, durch welchen christologischen Tiel auch immer .

[49] Hier ist dann doch etwas Schleiermacher im Spiel.

[50] Der Vortrag über Phil. 2 vor der kirchlichen Bruderschaft geht diesem Buch voraus, auch wenn er später publiziert worden ist!

[51] Tillich

[52] Ich denke, D. Sölle ist hier oft so abhängig von Bultmann, Tillich, Gogarten und anderen, formuliert das aber dann radikal neu unter der Grundfrage der Abwesenheit Gottes.

[53] Das mag ja theologisch oft so problematisch klingen, es ist aber genauso oft sehr evident und logisch formuliert.

[54] Sehr umstritten, aber brillant gedacht (fängt hier der Feminismus nicht vielleicht sogar an. Welcher Mann kann so positiv über Schmerzen denken wie eine Frau, die diese von Geburten her kennt?

[55] Es gibt Texte bei Tillich, die ihn genauso lesen lassen.

[56] L. Wittgenstein sagt, es gehört zu dem Wort Symbol, dass es letztlich immer etwas offen lässt. Insofern passt der Begriff gut auf das Wort Gott.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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