„Glauben und Wissen“ in der Diskussion. Rezension von Markus Chmielorz und Christoph Fleischer, Dortmund und Werl 2010

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zu: Glauben und Wissen. Ein Symposium mit Jürgen Habermas, Herausgegeben von Rudolf Langthaler und Herta Nagl-Docetal. R. Oldenbourg Verlag – Akademie Verlag Wien 2007

 

Vorbemerkung:

Das Buch geht zurück auf ein Symposium in Wien 2005, das wiederum ein schon zuvor gehaltenes Referat von Jürgen Habermas voraussetzt: „Die Grenze zwischen Glauben und Wissen. Zur Wirkungsgeschichte und aktuellen Bedeutung von Kants Religionsphilosophie.“ In: Jürgen Habermas: Kritik der Vernunft. Philosophische Texte, Studienausgabe in 5 Bänden, Band 5, Suhrkamp Frankfurt am Main 2009, S.342-386 sowie in: Jürgen Habermas: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Frankfurt am Main 2009, S. 216-257.

Den vorausgegangenen Diskurs hier zu schildern, würde bereits einen Einstieg bieten in die Stellung der Philosophie Jürgen Habermas´ zur Religion, die im Detail in einigen Aufsätzen des hier rezensierten Buches vorgestellt wird. Als herausragend zu nennen ist allerdings der Vortrag als Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2001 „Glauben und Wissen“, der danach gründlich rezensiert und behandelt worden ist. Kurz gesagt verabschiedet Jürgen Habermas die Haltung der neuzeitlichen Philosophie, die darin besteht, eine grundsätzliche Ablehnung der Religion zu befürworten Die Folge dessen sei, so hieß es dort, dass Religion in einem demokratischen Staat einem Übersetzungsprozess unterliege. Die Würdigungen der Arbeit von Jürgen Habermas zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2009 haben seine weltweite Resonanz gezeigt[1]. In diesem Zusammenhang sei die Frage gestattet, wie sich die Beziehung von Glauben und Wissen, sowie zwischen Religion und demokratischem Anspruch im Zeitalter der Globalisierung gestaltet, ob sich die Religionsphilosophie dem globalen Kontext stellt und welche Rolle in diesem Kontext neben der Religion der Anspruch von Vernunft und demokratischer Freiheit besitzt.Die hier dokumentierten Vorträge sind in vier Abschnitte eingeteilt, 1. Der Religionsphilosophie Kants, 2. Der Religionsbegriffe nach Kant, 3. Der zeitgenössischen Theologie und 4. Der Rolle der Religion in der „postsäkularen Gesellschaft“. Auf alle Vorträge antwortet Jürgen Habermas in einer Replik. Diese Replik enthält noch einmal Kernpositionen seines Denkens, die herausgefordert sind durch die Schwerpunktsetzungen der Vorträge des Symposiums. Obwohl sich alle Referenten und Referentinnen auf Habermas und seine Arbeit beziehen, ist er keineswegs mit allen Positionen einverstanden bzw. fühlt sich missverstanden oder fehlinterpretiert. Dadurch ist er im besonderen Maß herausgefordert, seine eigene Meinung erneut prägnant, knapp und verständlich zu schildern. Die Frage, die sich insgesamt stellt, ist die nach dem Sitz im Leben dieser religionsphilosophischen Debatte im Dialog mit der Theologie. Die Philosophie scheint im besonderen Maß auf die öffentliche Diskussion und die Rolle des Staates im demokratischen System zu zielen, wie sie vielleicht durch solche Diskussionen wie Kopftuchverbot, Kruzifix im Gerichtsgebäude, Raum der Stille und Notfallseelsorge im Katastrophenfall indiziert ist. Sie schränkt die dem zugrunde liegende Anthropologie allerdings auf den Menschen als Subjekt des öffentlichen Systems ein. Die Theologie dagegen sieht die Menschen ganzheitlicher in allen auch intersubjektiven Lebenssituationen auch im Blick auf die Rolle des Individuums. Hermeneutik und Übersetzung sollte immer berücksichtigen, von welcher konkreten Situation aus eine Frage gestellt wird und auf welche Lebenssituation sich mögliche Antworten beziehen sollen. Die Diskussion scheint dann zu verschwimmen, wenn die Akteure, Redner, Wissenschaftler dies nicht klar stellen können oder wollen. (CF)

 

Über: Christian Danz Religion zwischen Aneignung und Kritik. Überlegungen zur Religionstheorie von Jürgen Habermas.

Christian Danz, Professor für systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und Vorsitzender der Deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft, beginnt mit seinem Aufsatz den ersten Teil der Dokumentation des Symposiums „Glauben und Wissen“. Dieser ist mit „Relektüren der Religionsphilosophie Kants“ überschrieben. Diese „Relektüre“, die an den Beginn der Moderne zurückführt, geschieht aus Anlass von Praxis für Praxis, denn mit Habermas konstatiert der Autor eine neue Vehemenz des Religionsthemas nach dem Ende des Kommunismus in Osteuropa und mit dem Beginn der Globalisierungsdebatte, die einhergeht mit der These der „Wiederkehr der Religion“ (S.10), die von der Religionssoziologie ins Spiel gebracht wurde.

Dabei geht der Autor der Entwicklung des Habermasschen Denkens zur Religion nach, von der These des Schwindens der Religion, die Habermas noch 1981 vertrat, bis hin zur vielbeachteten Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 2001. Dass die Rezeption Kants aus Anlass von gesellschaftlicher Praxis für gesellschaftliche Praxis motiviert ist, zeigt in diesem Zusammenhang auch das häufig zitierte Stichwort von der „entgleisenden Moderne“ (S.13). Danz‘ eigene These (vgl. ebd.) lautet, dass Habermas sich in seiner Argumentation „in den Bahnen der Kantschen Religionsbegründung im Kontext der praktischen Vernunft bewegt“.

Kants eigene Argumentation leitet ja vor allem auch deshalb die Moderne ein, weil in ihr die Moral der Religion nicht länger als Begründung bedarf, gleichwohl aber zur Religion führen soll. „Der Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“ (Kant, 1784, Was ist Aufklärung?) gebietet eine Bestimmung des Sittengesetzes allein aus einem Vernunftgrund, einer moralischen Willensbestimmung aus Freiheit (vgl. Danz, S.15). Mit der Begründung der Moral steht bei Kant nun der Mensch als sinnlich endliches Vernunftwesen in Frage. Danz sieht hierin den engen Zusammenhang zur Geschichtsphilosophie, die ja die Philosophie der Moderne durchzieht bis hin zu Adorno, der Frankfurter Schule und eben auch Habermas. (Vgl. ebd., S.17) Kant allerdings muss noch am Gottesbegriff festhalten, für ihn ist genau die Religion „die Form, unter der sich das jederzeit sinnlich affizierte endliche Vernunftwesen Mensch nicht nur seine sittliche Pflicht repräsentiert, sondern sich auch deren fortschreitender Realisierung vergewissert“ (S.18). (MC)

 

Über Rudolf Langthaler Zur Interpretation und Kritik der Kantischen Religionsphilosophie bei Jürgen Habermas.

Mit Jürgen Habermas teilt Rudolf Langthaler, Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien die Frage nach den Bedingungen nachmetaphysischer Philosophie. In einer sehr ausführlichen, detailreichen und textkundigen Exegese bezieht er Habermas’ „Motiv der rettenden Aneignung“ (Habermas, zit. n. Langenthaler, S.32) auf Kants Religionsphilosophie. In vier Abteilungen eignet er sich und dem Leser Kants Ausführungen zur praktischen Vernunft an, wendet sich Kants Begründung des „höchsten Gutes“ zu und untersucht Habermas’ Kritik an Kants Postulatenlehre, um am Ende noch einmal Kants Verhältnis zur vorgefundenen religiösen Tradition zu bestimmen. Dabei liest der Autor die entsprechenden Aufsätze Kants und Habermas‘ in sofern parallel, als dass er Habermas‘ Kritik an Kant mit einer interpretierenden Re-Lektüre Kants zu widerlegen versucht.

Langthaler also verteidigt Kant gegen Habermas, nach dem dort vor allem Kants Postulatenlehre und das „höchste Gut“ des Kantschen Vernunftglaubens in Frage stehen. Langthalers Argumentation beginnt bei einer Differenzierung des „Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ vom „Gegenstand der praktischen Vernunft“. (S.33f.) Es geht im Kern um das moralisch Gute und dessen Unbedingtheit. Dass Kant diesen Anspruch formulieren konnte, steht außer Frage, kritikwürdig bleibt, ob die zeitgenössische Philosophie dem zu folgen gewillt ist. In der Kantschen Ethik ist damit auch eine Zweckbestimmung angesprochen; der Mensch ist sich selbst und anderen Zweck, er soll weder sich selbst, noch andere bloß als Mittel gebrauchen, so die zweite Formel des kategorischen Imperativs. Praktisch führt das wohl zu einer Perspektivenübernahme und von dort auch zu einer diskursiven Ethik, hier könnten sich Habermas und Kant noch treffen, würden bei Kant Rechte und Pflichten eben nicht auch, der Unbedingtheitsanspruch verweist darauf, transzendiert auf ein „höchstes Gut“, das sich eben nicht alleine schon im Diskurs verwirklichen könnte. Kant geht es um „die praktische Orientierung an dem ‚Endzweck der reinen praktischen Vernunft'“ (S.38), die ihn zur „Glückseligkeit“ als Zweckbestimmung der Menschheit führt, von dort gelangt er zum Gesetz der Moralität, zum letzten Zweck, zum höchsten Gut. (Vgl. Anm. 8, ebd.)

Während Habermas im Hinblick auf die Verwirklichung des Weltbesten durch den Menschen bei Kant nur als schwaches Sollen verstehen kann, arbeitet Langthaler „ein denkbar ’starkes Sollen'“ (S.39) aus dem Kantschen Text heraus. Sehr genau nimmt sich Langthaler, wie an dieser Stelle, Habermas Text vor, um dessen Kritik an Kant mit Kant zu widerlegen. Dieser Ansatz durchzieht den gesamten Artikel: Es ist diese textnahe Kant-Interpretation, die Langthaler der Habermasschen Kant-Interpretation entgegenhält und die letztlich implizit den Leser auffordert, den jeweiligen Argumenten so zu folgen, als könne im Hinblick auf das Verhältnis von Moral und höchstem Gut über die Zeitgeschichte hinweg „richtig“ und „falsch“ trennscharf differenziert werden.

Die Kontroverse, die sich zwischen Langthaler und Habermas auftut, spricht Kant hier eine innere Logik in Bezug auf das höchste Gut zu und spricht sie Kant dort wieder ab. Ja, Kant stellt die Gerechtigkeitsfrage, ja, Kant spricht für die Religion, ja, seiner Auffassung nach ist das eine ohne das andere nicht denkbar. Und selbst wenn es sich dabei um von Habermas kritisierte „unbewältigte ‚metaphysische Restbestände'“ (S.49) handeln würde, bliebe doch die Aporie bestehen, wie denn heute so etwas wie eine conditio humana zu bestimmen sei. Die Fragen Kants bleiben denn auch offen: „‚Was soll ich tun?‘ und ‚Was darf ich hoffen?'“ (S.51) Und Langthaler kann mit Kant für die „grenzbegriffliche Idee eines ‚Endzwecks der Schöpfung'“ (S.54) argumentieren, eben weil auch bei Habermas das Verhältnis zur Metaphysik nicht endgültig bestimmt sein kann. Langthaler kann nicht anders, als seine Lesart Kants mit Kant in ihr Recht zu setzen: „Ich will, das ein Gott sei … und lasse mir diesen Glauben nicht nehmen.“ (Kant, zit. n. Langthaler, S.59) Und doch bleibt ein nicht aufgeklärter Rest, wenn Langthaler von Kants umfassender gerechtigkeits-orientierter Vernunftperspektive spricht, vom gelingenden Ganzen der Lebensgeschichte, von Kants kritischem Motiv, von der Hoffnung und ‚jener -dem ‚Gott in uns‘ verdankten – ‚Stimme, es müsse anders gehen'“ (S.60). Dieser Rest bleibt auch, wenn der Leser gegen Langthaler der Habermasschen Kritik folgen will und in der Stimme, von der Kant spricht, nur, im Sinne von ausschließlich, die von Kant vorgefundene religiöse Tradition in Gestalt des protestantischen Christentums heraushört. Kants Vernunftglaube, den Langthaler als einen Hoffnungsglauben liest, geht nicht auf im tradierten Glauben der christlichen Offenbarungsreligion. Holt Kant also den Gottesstandpunkt aus dem Vorgefundenen nun innerweltlich ein? Dann aber könnte das höchste Gut nicht Teil einer Transzendentalphilosophie werden. Beschreibt er den Vernunftglauben als etwas qualitativ Neues? Dann wird das Beharren auf der tradierten Begrifflichkeit, das Festhalten an „Gott“ fraglich.

Erhellend sind Langthalers Anmerkungen zu Kants geschichts- und religionsphilosophischen Zuspitzungen. Hier knüpft er mit Adorno direkt an Kant an und im Hinblick auf Unrecht und Schmerz mag sich ein Anknüpfungspunkt Habermas‘ auftun. Mit Verve argumentiert Langthaler für Kant, für einen „aus moralischen Impulsen gespeisten ‚Hoffnungsglauben'“, in dem „‚innerhalb der reinen Vernunft‘ die in den religiösen Überlieferungen ‚durchbuchstabierten‘ und ‚hermeneutisch wach gehaltenen‘ ‚Intuitionen von Verfehlung und Erlösung, vom rettenden Ausgang aus einem heillos erfahrenen Leben‘ wiederzuerkennen sind. (Habermas, zit. n. Langthaler, S.82) Vielleicht sind sich Habermas und Langthaler einig darin, dass es für den Menschen „als geschichtlich existierendes ‚vernünftiges Weltwesen'“ etwas gibt, das er „weder von sich selbst her aussagen noch sich selbst zusprechen kann“ und dass es etwas gibt, das „auch die Dimension des dem ‚Logos der Sprache‘ innewohnenden ‚Unverfügbaren‘ und ‚Unbedingten‘ … noch transzendiert (vgl. S.89) – ihre Schlussfolgerungen, wie Philosophie und ein transzendenter Sinnanspruch ins Verhältnis gesetzt werden können oder müssen, könnte nicht weiter voneinander entfernt sein. (MC)

 

Über: Herta Nagl-Docekal: Eine rettende Übersetzung? Jürgen Habermas interpretiert Kants Religionsphilosophie.

In Auseinandersetzung mit Habermas und in Abgrenzung zu dessen Lesart entwickelt Herta Nagl-Docekal, Wiener Professorin für Philosophie eine Re-Lektüre Kants, die in die Alternative mündet, entweder „eine philosophische Ausdeutung der tradierten Lehren der vielfältigen Glaubensgemeinschaften im Zeichen des Anliegens, die sichtbare(n) Kirche(n) als Vehikel zu einem ethischen gemeinen Wesen zu erneuern“ (S.118) ins Programm zu nehmen, oder sich von Kant zu verabschieden, was für die Philosophie bedeuten würde, „nach einem neuen Ansatz zu suchen, um dem gegenwärtigen Problem einer Privatisierung der Moral entgegen zu treten“ (S.119). Offen bleibt dann die Frage nach unbedingten Geltungsansprüchen und das Verhältnis zu einer Metaphysik „im Augenblick ihres Sturzes“ (Adorno, zit. n. Habermas, ebd.). Damit schließt der Artikel, der Habermas‘ Adorno-Zitat auf ihn selbst und sein Religionsverständnis bezieht. Vielleicht, so die Autorin, sei Habermas “ solidarisch mit der Religion ‚im Augenblick ihres Sturzes‘?“ (ebd.). Ein solcher, vermuteter Sturz läßt sich jedoch aus ihrer Lesart Kants ganz und gar nicht ableiten. Mit Habermas teilt sie die „Bedrohung des normativen Gehalts“ der Moderne, auch und besonders durch „wirtschaftliche Imperative“ (S.93). Habermas konstatiert „ein verkümmerndes normatives Bewusstsein“, eine Schwächung des „moralischen Gesichtspunktes“ (S.94) – kann also ein transzendentaler Gottesstandpunkt den Mangel der nachmetaphysischen Philosophie ausgleichen? Ein Gottesstandpunkt, der jedoch „dem gekenterten Schiff der Religion“ (S.95) eigen ist.

Die Autorin untersucht das komplexe Verhältnis von Recht, Moral und Religion und entwickelt von dort her eine Parallele zwischen Kants „juridischem“ und „ethischem“ Naturzustand. Der Rechtsstaat setzt nun den jeweiligen Partikularinteressen Gesetze entgegen, die helfen, einander Freiheit zuzusichern. (Vgl. S.99) Der kategorische Imperativ erfordert nach Kant jedoch die Notwendigkeit, „sich auf ein ‚ethisch gemeines Wesen‘ einzulassen“ (S.101). Eben weil eine „Gesellschaft nach Tugendgesetzen“ (Kant, zit. n. Nagl-Docekal) „durch die Vernunft zur Aufgabe und zur Pflicht gemacht wird.“ (Ebd.) Kant geht es um „das Ideal eines Ganzen aller Menschen“ (S.103). Hier nimmt er insofern Bezug auf die Religion, als dass sie ermöglicht, Sinn zu stiften gegen die immer wieder gegensätzlichen Einzelinteressen und gegen die Aussichtslosigkeit dieser Sinnstiftung eine Hoffnungsperspektive auf Zukunft hin zu eröffnen.

Nach Kant „entspringt der Begriff von der Gottheit nur aus […] dem Vernunftbedürfnisse, eine Macht anzunehmen, welche diesen den ganzen, in einer Welt möglichen, zum sittlichen Endzweck zusammen stimmenden Effekt verschaffen kann“ (Kant, zit. n. Nagl-Docekal, S.106). Der Gottesbegriff sichert also einen Weltbegriff als konsistentes Ganzes. Kant entwickelt eine „reine moralische Religion“ (S.108); nur unter der Voraussetzung des Glaubens kann sein Projekt der Moralisierung des Menschen gelingen, und nur deshalb kann er mit einer entscheidenden Differenz zu Augustinus von einer „anima naturaliter religiosa“ (S.109) sprechen. Hier wird die begriffliche Distanz zu Habermas und zur heutigen Philosophie überhaupt deutlich. Das liegt auch daran, dass das Verhältnis dieser moralischen Religion zur jüdisch-christlichen Offenbarungsreligion und zu anderen möglichen Bekenntnissen noch unbestimmt ist. Hierauf richtet sich auch die Kritik Habermas‘ an Kants philosophischem Begriff von Kirche als ethischem Gemeinem und dem Reich Gottes als moralischer Weltregierung. (Vgl. S.110f.) Nach dieser Kritik habe Kant die vorgefundenen religiösen Bilder lediglich in eine philosophische Konzeption übersetzt. Dementgegen hebt Nagl-Docekal hervor, dass Kant das Phänomen Religion ubiquitär begründet und ihren allgemeinen Wahrheitsanspruch herausarbeitet. Habermas sieht hierin wiederum die Gefahr der Nivellierung kultureller Pluralität und argumentiert mit Adorno für „die Rettung des Besonderen“ (S.115). Damit kommen wieder die konfliktträchtigen Partikularinteressen ins Spiel, auf die Habermas aber mit einer Konzeption von Solidarität antwortet. Hierin könnte eine Möglichkeit der „Übersetzung religiöser Gehalte“ (S.117) liegen. Nach Nagl-Docekals Kant-Lektüre bleibt jedoch ein negatives Fazit: „Die von Habermas gehegte Erwartung, eine ‚Übersetzung religiöser Gehalte‘ in eine ‚funktional äquivalente innerweltliche Perspektive‘ vorzufinden, wird von Kant gründlich enttäuscht.“ (Ebd.) Bei Kant folgt der Gottesglaube zwingend aus der Selbstverpflichtung der Vernunft auf das Sittengesetz. Eine solche Lesart macht in der Tat jede „rettende Übersetzung“ unmöglich. Sie verschärft allerdings sowohl für die heutige Philosophie, als auch für eine Religion, die möglicherweise den Gedanken der „kenosis“ in sich aufnimmt, die Frage des Verhältnisses zum Metaphysischen. (MC)

 

Über: Lütterfelds, Wilhelm: Der praktische Vernunftglaube und das Paradox der kulturellen Weltbilder

Unter dem Titel „Der praktische Vernunftglaube und das Paradox der kulturellen Weltbilder“ legt Wilhelm Lütterfelds, Professor für Philosophie in Passau und Vize-Präsident der Deutschen Ludwig-Wittgenstein-Gesellschaft eine Abhandlung vor, die sich mit Habermas‘ Arbeit „Die Grenze zwischen Glaube und Wissen“ auseinandersetzt. Im Anschluss an Kant geht es darum, ob eine autonome Vernunft-Moral auch ohne einen praktischen Vernunftglauben ausgebildet werden kann. Dem geht Lütterfelds in zwei Abteilungen nach, die sich zuerst mit dem Kantschen Vernunftglauben und dann dem Pluralismus der Weltbilder widmen. Hier greift der Autor auf Wittgenstein zurück.

Anders als Kant trennt Habermas das Universum des Wissens vom Universum des Glaubens; mit der Folge, dass der moralische (Vernunft-)Glaube an die Existenz Gottes nicht länger eine notwendige Bedingung für die Moral sein kann. Moralische Vernunft, so Habermas, muss nun also auch ohne Glauben tragfähig sein. Dennoch plädiert Habermas dafür, den Bedeutungsgehalt der jüdisch-christlichen Tradition für die zeitgenössische Philosophie zu übersetzen.

Kants Kategorie des moralischen Vernunftglaubens setzt einen spezifischen Glaubensbegriff voraus, der weder der subjektive, alltäglich Glaube, noch der historische Offenbarungsglaube ist. Vernunft zielt auf die Idee eines „summum bonum“, die im Sittengesetz logisch impliziert ist. (S.122) Zugleich hält Kant aber an der absoluten moralischen Autonomie fest – Lütterfelds nennt das „das dialektische Verhältnis von Glauben und Wissen“ (S.123). Sehr detailliert beschreibt der Autor die Struktur des moralischen Vernunftglaubens. Er fragt nach der Möglichkeit einer unbedingten Moral ohne Vernunftglauben. Er untersucht, ob es in einer unbedingt verpflichtenden Moral „relativ gute Lebensformen“ geben könne. Schließlich untersucht er, ob ein praktischer Vernunftglaube eben keine notwendige Bedingung moralischen Wissens sein könne. All diese Fragen entwickeln sich entlang der Habermasschen These „der Trennung einer unbedingten Gültigkeit des Sittengesetzes und einer absoluten Verbindlichkeit desselben von einem moralischen Vernunftglauben an das höchste Gut, an Gott und die Unsterblichkeit der Seele“. (S.127)

Mit Kant verstärkt Habermas also das Argument der freien, autonomen Vernunft, um gegen Kant darauf zu bestehen, dass bei einem Verzicht auf die Idee eines „summum bonum“ eben nicht nur mehr subjektive Gründe für das Sittengesetz sprechen und eben nicht der Zweck einer Realisierung des Guten aufgegeben werden muss. Dieser Unterschied, bei dem nach Lütterfelds Habermas das „summum bonum“ innerhalb der moralischen Praxis anlegt, führt zur begrifflichen Unterscheidung von Geltung und Faktizität: „Was in einer moralischen Praxis de facto als gut und schlecht gilt, und dem, was an sich gut und schlecht ist (…).“ (S.133) Nach Kant ist moralisches Wissen erfahrungsvorgängig, und wenn Habermas moralisches Wissen von praktischem Vernunftglauben trennen will, dann bleibt die Frage an die vernunftautonome Moral „welchem ‚Zweck‘ sie und damit auch die freie, praktische Vernunft noch unterliegt“ (S.135). Anders als Habermas vollzieht Lütterfelds den Kantschen Schluss nach, nach dem es moralisches Wissen nur unter der begrifflich notwendigen Bedingung geben kann, dass es ein Element des Für-Wahr-Haltens eines praktischen Vernunftglaubens an das höchste Gut ist. „Sein Fundament ist der vernünftige Glaube.“ (S.137) Ein Glaube, der allerdings der Vernunft immanent ist, der nicht der transzendentale Glaube der Offenbarungsreligion ist.

Lütterfelds wendet sich nun einem Programm der Übersetzung religiöser Inhalte für die Philosophie zu. Eben weil es unterschiedliche kulturelle Lebensformen gebe, sei Kants praktischer Glaube der Vernunft „aus seinem engen metaphysisch-moralischen Kontext herauszunehmen“ (S.140). Mit Wittgenstein konstatiert er, dass Sprachspiele und kulturelle Weltbilder auf einem Beziehungsgeflecht von sprachlichen und nicht-sprachlichen Handlungsweisen beruhen. Damit aber ist alles Wissen überhaupt durch einen pragmatischen Glauben begründet, was nach Lütterfelds auch für nachmetaphysisches und diskursives Denken gilt. Habermas‘ Programm jedoch, wie „Sondersprachen“ (wie die jüdisch-christliche Religionstradition) „einer öffentlich-diskursiven Aneignung“ (S.143) zugänglich gemacht werden können, bleibt aktuell. Quasi durch die Hintertür, mit Wittgenstein, wird Kant neu erschlossen: „Und sofern am Grunde aller kulturellen Sprachspiele ein pragmatischer, vernünftiger Glaube, der diese ‚Handlungsweise‘ fundiert, liegt, ist dieser Glaube dann nicht mehr nur sprachspielrelativ und sprachspielintern innerhalb einer kulturellen Lebensform anzusiedeln.“ (Ebd.) Allerdings konstatiert Lütterfelds eine „Paradoxie der Interkulturalität“ (S.144). Trotz der Gemeinsamkeit sprachlicher Zeichen liegt eine semantische Nichtvergleichbarkeit dieser Zeichen in den unterschiedlichen Sprachspielen und kulturellen Lebensformen vor. Nach Lütterfelds muss Habermas‘ Programm der Übersetzung auch deshalb scheitern, weil die Bestimmung dessen, was „vernünftig“ ist, selbst schon Teil einer bestimmten kulturellen Lebensform ist. Selbst wenn es für die jüdisch-christliche Sondersprache der Religion und der „vernünftigen“ Sondersprache der neuzeitlichen Philosophie eine beide Sprachspiele übergreifende, gemeinsame Vernunft gäbe, ließe sich nicht schon deshalb gemeinsam auch inhaltlich bestimmen, „was ‚vernünftig‘, bzw. ‚unvernünftig‘“ (S.148) wäre.

Habermas bietet als Lösung an, Gewissheit von Wahrheitsgeltung zu unterscheiden, Intersubjektives und Objektives; dabei mündet auch die geglaubte subjektive Welt in eine objektiv-praktische Realität. Doch nach Lütterfelds kommt die Diskurstheorie dann doch an ihre Grenze, da sie selbst den Anspruch hat, gültige Inhalte, die einen Wahrheitsanspruch haben auf den Begriff zu bringen, die mit Wittgenstein jedoch immer nur dem eigenen Sprachspiel immanent sein können. „Damit steht das Programm einer postmodern-säkularen ‚semantische[n] Erbschaft religiöser Überlieferungen‘ selbst in Frage“ (S.153), denn eine Trennung des Universums des Glaubens von einem Universum des Wissens schließt diese Aneignung qua unterschiedlicher Sprachspiele und kultureller Lebensformen ja gerade aus. Durch „eine ‚gemeinsame‘ menschliche Lebensform und ‚Handlungsweise‘“ (ebd.) sind sie trotz ihrer Nichtvergleichbarkeit vergleichbar – das beschreibt das im Titel geführte Paradox der Weltbilder.

Für Lütterfelds hat die Kantsche Religionsphilosophie nichts an Bedeutung verloren: in der widersprüchlichen Selbstbeziehung und Selbstbegrenzung des Wissens in nichts anderem, als dem Glauben. (MC)

 

Über: Schneider, Hans Julius: „Wertstofftrennung?“. Zu den sprachphilosophischen Voraussetzungen des Religionsverständnisses von Jürgen Habermas

Eine sehr genaue, fundierte und ambitionierte Untersuchung liefert Hans Julius Schneider, Potsdamer Professor für theoretische Philosophie unter dem Titel „’Wertstofftrennung’. Zu den sprachphilosophischen Voraussetzungen des Religionsverständnisses von Jürgen Habermas.“ Im Kern geht es im Verhältnis von Religion zur Philosophie um die Zugänglichmachung von Gehalten religiöser Rede, um deren „propositionale Gehalte, die philosophisch respektabel“ (S. 155) sind. Im Sinne einer „Wertstofftrennung“ seien diese erst aus ihren „Verkapselungen“ zu befreien, so die Forderung, die der Autor referiert, bevor sie dem philosophischen Denken eben zugänglich seien. Seine Skepsis ob eines solchen Programmes macht der Autor zu Beginn deutlich: „Was mir nicht einleuchtet ist die für die Anwendung des Übersetzungsbegriffes nötige inhaltliche (semantische, propositionale) Äquivalenz zwischen ‚eingekleideten’ religiösen Aussagen auf der einen Seite und begrifflichen, ihrer Einkleidung beraubten Aussagen auf der anderen.“ (S. 156)

Es folgt eine sehr genaue sprachtheoretische Untersuchung religiöser Rede an Hand des Organonmodells der Sprache nach Bühler und des Modells nach Searle. Dabei wird deutlich, dass sich religiöse Rede nicht innerhalb der semantischen Relationen zwischen Sender, Empfänger und Darstellung des Bühlerschen Modells verorten lässt, eben auch, weil religiöses Reden nicht nur Ausdrucksmomente zur Sprache bringt, sondern beansprucht, „Wahres zu sagen“ (S. 159, das sind die „propositionalen Gehalte“). Auch innerhalb der Sprechakttheorie John R. Searles bleibt die Frage ungeklärt, wie der Gegenstand religiöser Rede zu fassen sei, auch wenn sie hilfreich ist, eine sprachliche Äußerung als „illokutiven Akt“ (S. 162) zu beschreiben, als „eine Handlung innerhalb eines sozialen Systems von Handlungen“ (ebd.), was für die religiöse Rede gelten könne. Allerdings bieten sich, nach Searle keine sprachphilosophischen Werkzeuge, um die spezifische Qualität derjenigen „Propositionen“, von denen die religiöse Rede spricht, begrifflich fassen zu können. Schneider nimmt nun Bezug auf Wittgenstein, Frege und Hume, ausgehend von der Frage, wie der „unvoreingenommene, sich nicht auf Offenbarungswahrheiten stützende Philosoph die ‚religiöse Hypothese’ zu beurteilen“ habe, „ein dem Menschen wohlgesonnener Gott habe die Welt nach seinem Plan erschaffen“. (S. 165) Dabei fragt er auch, ob die sprachphilosophische Grundannahme stimme, dass der philosophisch akzeptable Inhalt religiöser Auseinandersetzung seinen Gegenstand im Sinne eines logischen Eigennamens, eines Begriffs benannt werden müsste – „Gibt es den mit ‚Gott’ bezeichneten Gegenstand tatsächlich (…)?“ (S. 166). In welchem Sinne überhaupt gesagt werden könne, Gott existiere, das erhellt Schneider mit Blick auf Wittgenstein und dessen „Sprachspiel“-Ansatz. Dabei geht es ihm darum, religiöse Rede aufzuschließen als durch Wörter geprägt, „die Bedeutung haben, ohne ‚für etwas’ zu stehen“ (S. 169), so wie Wittgenstein es für Zahlzeichen ausgeführt hatte und später dann für den –für unsere Diskussion nicht unerheblichen- Ausdruck „Schmerz“ (S. 170). Religiöse Rede spricht von wahren Aussagen, von religiösen Gegenständen, die aber nur ihrer Oberflächenstruktur nach den Aussagen über Dinge und Sachverhalt entsprechen. Religiöse Rede setzt ein spezifisches Situationsverständnis voraus, einen geteilten, öffentlichen Raum, in dem Verständigung als kommunikative Handlung geschieht. In diesem geteilten Verständnis entfaltet sich nun ihre Funktion und zwar außerhalb des Schemas eines propositionalen Aktes. In Bezug auf die spezifische religiöse Erfahrung wird nun William James der Gewährsmann, der es erlaubt, „auf transzendente Gegenstände oder Personen als die kausalen Auslöser solcher Erfahrungen zu verzichten, ohne sagen zu müssen, solche Erfahrungen seien selbstgemacht“ (S. 177). Aus einer Engführung auf die jüdisch-christliche Tradition und dieser auf die Philosophie wird nun eine spezifische Offenheit im Hinblick auf den Erfahrungsgehalt, dem es um eine Haltung „zum ‚Ganzen’ des Lebens“ mit besonderem Blick „auf die leidhafte Seite“, auf „die Erfahrung der eigenen Machtlosigkeit“ und ein Aufgehobensein „in einer ‚unsichtbaren Ordnung’“ (S. 178f.) geht.

Religiöse Rede deutet Widerfahrnisse, sie bezieht sich auf „ungegenständliche“ Erfahrungen, die durchaus „bildliche ‚Inhalte’“ haben können. (Ebd.): „Das Entscheidende an der religiösen Erfahrung wäre vielmehr der Umschlag, die Veränderung der Sehweise, bei der ‚die Welt wie wir sie kennen’ als Dingwelt völlig unverändert bleibt (…)“ (S. 180f.) Damit kann Schneider auch eine negative Antwort auf die Frage geben, ob aus religiöser Rede für die Philosophie ein Wahrheitsgehalt abzutrennen sei, auch deshalb, weil die sprachliche Formung religiöser Rede sekundär sei angesichts der vorgängigen religiösen Erfahrung. Schneider verabschiedet so das Projekt der „Übersetzung“ (im Sinne eines Versuchs, für religiöse Erfahrung eine philosophisch-rationale Erklärung anzubieten) – und gewinnt so für das philosophische Denken eine Öffnung auf eben jene „Sicht auf ‚das Ganze’“ (S. 185) hin. (MC)

 

Über: Ludwig Nagl. Die unerkundete Option: pragmatische Denkansätze in der Religionsphilosophie. Anmerkung zur Habermas´schen Skizze nachkantischer Religionsbegriffe (Hegel, Schleiermacher, Kierkegaard).

Zunächst kommt Richard Rorty zu Wort, der sich an Gianni Vattimos Begriff der Kenosis anlehnt. Dieser Begriff macht deutlich, dass das Christentum schon von seinem Grundansatz her die Tendenz zur Vermenschlichung und Säkularisierung innehat. Schon Vattimo entdeckte die Religion der „Halb-Gläubigen“, die in der Kirche als Distanzierte gelten. Pragmatisch gesehen hat die Religion ihren Grund darin, sich eine Welt vorzustellen, die ihre Einheit in der Liebe findet. Rorty geht zwar auch wie Habermas auf Kant zurück, der keinen Widerspruch zwischen Religion und Vernunft sieht, weist aber darauf hin, dass Habermas nicht davon abweicht, dass die Grundsprache säkular ist und die Religion sich daran zu orientieren habe. Somit verlange er von der Religion Selbstkritik und Selbstdistanzierung. Hegels Konzept der Geschichte des Geistes ist im Grunde die erste säkulare Ausarbeitung der Religion. Sogar die Dialektik verstand er vom Trinitätsbegriff her. Im Sinn einer Pragmatik sei dagegen an William James zu erinnern, der die Vielfalt der religiösen Formen ins Gespräch brachte. Diese Vielfalt weist indirekt auf den Wert des Individuums hin, was Charles Taylor herausarbeitete. Der Pragmatismus bezeichnet das Unverfügbare als den Kern der Religion. Auch wenn dies nicht mehr unbedingt religiös ausgedrückt werden muss, bezeichnet Kirche ein Bild der Vision einer universellen Menschengemeinschaft. Aus dem Wert der „Gottebenbildlichkeit“ folgt das Postulat der Menschenwürde. Nagl verteidigt Schleiermacher nun und stellt fest, dass die Verortung der Religion im menschlichen Gefühl eine großartige Leistung dieses Theologen darstellt. Allein schon dadurch sei wiederum die Tür zu religiöser Vielfalt und zum o.g. Individualismus geöffnet worden. Kierkegaard wiederum rettete die Stellung der Religion durch die Feststellung des Paradoxen. Hier wiederum kommt Vattimo ins Spiel, der an den schwachen Glauben erinnert, der zu glauben glaubt. Nagl knüpft nun erneut an James an, der die Grundentscheidung der Bekehrung im Zusammenhang der Religion herausarbeitet, womit die Rolle einer Entscheidung in der Religion propagiert wird. Die Stärke dieses Artikels besteht darin, die Stufenleiter Kant, Hegel, Schleiermacher und Kierkegaard mit kontextuellen internationalen philosophischen Positionen des Pragmatismus ins Gespräch zu bringen, die der Religion pragmatisch mehr eigenen Wert beigemessen haben, als die deutschen Positionen. Im Dialog mit ihnen wird deutlich, welchen Wert die Verortung der Religion in der Geschichte, dem Gefühl und der Entscheidung haben. Habermas´ Arbeit konvergiert also von einer anderen Ausgangsposition her mit der Position des Pragmatismus, wofür die Würdigung seiner Person durch Charles Taylor im Jahr 2009 ein Beispiel sein mag. (CF)

 

Über: Müller, Klaus: Balancen philosophischer Topographie. Jürgen Habermas über Vernunft und Glaube

„Was also haben Athen und Jerusalem miteinander zu schaffen?“, mit dieser von Tertullian aufgeworfenen Frage beginnt Klaus Müller, Professor für philosophische Grundfragen der Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster seinen Aufsatz. Um dieses Verhältnis zu bestimmen, rekurriert er noch einmal auf die jeweils aufeinander bezogenen Standpunkte von Metz und Habermas. Bei Metz erscheinen Geist und Glaube als Gegensatz, Habermas bestreitet das. Dabei kommt insbesondere die „Eigentümlichkeit des jüdischen Denkens“ (S. 217) zur Sprache, ihr spezifisches „geschichtliches Eingedenken“ (Metz, zit. nach Müller, ebd.). Es geht auch darum, die Einflüsse des jüdisch-christlichen Denkens selbst auf die griechische Philosophie herauszuarbeiten und zu benennen. Die „anamnestische Vernunft“ (S. 219) dieses Denkens ist geprägt durch die Stichworte Passion, Eingedenken und Gerechtigkeit. Hier bezieht sich Müller auch auf die Arbeiten von Vattimo, der als postmoderner Denker „katholischer Konturierung“ (ebd.) die Wechselwirkungen zwischen „Jerusalem und Athen“ beschrieben hat.

Müller widmet sich nun in einem Exkurs dem Frühidealismus, der grundlegende theologische und philosophische Fragen um die Wende des 19. Jahrhunderts benannt hat. Diese Diskussion verortet er zwischen Athen und Jerusalem an der Universität Jena, verknüpft mit den Namen Reinhold, Fichte und Schelling, sowie mit den Weimaraner Kollegen Herder, Wieland, Goethe und Schiller. Es geht ihm dabei um eine von Kant herausgeforderte Theologie der Neuzeit. So beschreibt er den historischen Prozess von der Aufklärung als ein Bestreben, Religion durch Vernunft zu ersetzen bis heute, in der beide nun von einer Koexistenz zu einer Kooperation gefunden haben – davon spricht ja der vorliegende Sammelband insgesamt. Heute geht es um „religiös verkapselte Bedeutungspotentiale“ (Kissler, zit. n. Müller, S. 223) – und zwar angesichts der von der christlichen Religion geglaubten und bezeugten Menschwerdung Gottes, in deren Kern eben auch die Frage des Leidens in der Welt und am Anderen steht. Wie bestimmt sich denn angesichts dessen, was die kritische Theorie als „Negativität“ beschrieben hat das Verhältnis von Vielem und dem Einen, von Absolutem und Endlichen?

Bei Habermas erkennt Müller dann einen theologischen Subtext seiner Universalpragmatik bezogen auf die menschliche Freiheit: „die intersubjektive Verfassung der Autonomie“ und der „Sinn der Selbstbindung der Willkür an unbedingt geltende Normen“ (Habermas, zit. n. Müller, S. 225).

So nimmt auch bei Müller die „rettende Übersetzung“ religiöser Sinngehalte ihren Ausgang bei einer Soteriologie und der messianischen Utopie der jüdisch-christlichen Tradition. Eine solche „Übersetzung“ markiert aber auch die Grenze zwischen Glaube und Vernunft. Die neuzeitliche Vernunft kann religiöse Inhalte aus deren Eigensprachlichkeit übersetzen in Alltagssprache und sie so begrifflich in sich aufnehmen, sie kann aber „auch noch den pragmatischen Sinn des religiösen Glaubensmodus als solchen der Vernunft integrieren“ (Habermas, zit. n. Müller, S. 227). Damit aber wäre allein eine Einpassung in eine Richtung auf Vernunft hin benannt. Es bliebe bei einem Ungleichgewicht, wenn nicht die religiöse Option als vernunftfähige Position sui generis (S. 229) wahrgenommen würde. Der Vernunft wäre in Bezug auf den Glauben nur die Funktion zugeschrieben, für letzteren ein kritisches Potenzial zu erschließen. Glaube als vernunftfähige Position sieht Müller dann bei Ratzinger artikuliert als „Wissen aus der Taufe“ (S. 230) – „Gott selbst ist Logos, der rationale Urgrund alles Wirklichen“ (Ratzinger, zit. n. Müller, S. 231). Damit wird dem Glauben in Bezug auf die Vernunft die Funktion zugeschrieben, für letztere eine moralische Dimension zu erschließen.

Es bleibt dann allerdings die Frage offen, wie denn das Einholen bloß des kritischen Potentials der jeweils anderen für die eigene Position gelingen möge, und wohin die jeweils destruktiven Aspekte dann aufgehoben werden. Hier führt Müller noch einmal Vattimos Motiv der „Schwächung von Machtdispositiven“ (S. 233) an, die sowohl von einer auf Jesus Christus sich gründenden Religion, als auch von einer nachmetaphysischen Philosophie durchbuchstabiert werden kann.

Am Ende seines Artikels referiert der Autor eine Kontroverse zwischen dem Philosophen Henrich und dem Theologen Theunissen. Beide stellen sich die Frage nach einem „geglückten Leben“ (S. 234 ff.). Während Henrichs Argumentation einer Philosophie ohne Theologie folgt und „Versöhnung endlicher Vernunft mit sich aus der Logik der Selbstbeschreibung selbstbewusster Subjektivität“ für möglich hält, bindet Theunissen seine Argumentation an ein biblisch-christliches Eschaton. In der Folge müsste nach Henrich die Philosophie und damit die Vernunft das Verhältnis von Eigenem und Fremden als Anerkennendes beschreiben und zwar in einem Binnenverhältnis. Hier wäre dann auch eine Gegenposition zu Habermas benannt, an den sich Müller kritische Anfrage richtet: „(…) Ob nicht Habermas unbeschadet aller Säkularisierungsdynamik so tief in das jüdisch-christliche Erbe verstrickt ist, dass ihm dadurch die scharfe Sicht auf jenes andere Paradigma (i.e. das von Henrich angeführte), was dessen Verständigungskraft betrifft, verstellt ist.“ (S. 236).

Es bliebe aber auch zu klären, worauf Müller nicht eingeht, welchen Stellenwert innerhalb der Tradition Athens der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses beizumessen wäre und wie denn christliche Theologie nach der jesuanischen Begründung mit dem Tod am Kreuz sich im Hinblick auf metaphysische Denktraditionen bestimmt. (MC)

 

Über: Raberger, Walter: „Übersetzung“ – „Rettung“ des Humanen?

Walter Raberger eröffnet mit seinem Aufsatz „Übersetzung“ – „Rettung“ des Humanen? den dritten Abschnitt des Sammelbandes, der Habermas als „kritischen Gesprächspartner der zeitgenössischen Theologie“ (S. 238) vorstellt. Zunächst wird Adorno dem katholischen Dogmatiker Raberger zum Gewährsmann, der Theologie und Metaphysik in ein Verhältnis setzt in Analogie zu einer Philosophie, die sich als im Gefolge Adornos als negative versteht – der Wahrheit verpflichtet und zugleich dem Absoluten entsagend.

Wer sich als Theologe dem Humanen zuwendet, weist dieses an der Lebensgeschichte Jesu aus. In der Folge koppelt Raberger die „Übersetzung“, die er im Titel führt, mit der von Habermas verwendeten Begrifflichkeit einer „Transzendenz von innen“ und einer „Transzendenz ins Diesseits“: „Der unbedingte Sinn des Humanen [könnte] aber letztlich nicht ohne das Rettende einer Transzendenz (Inkarnation) gedacht werden […]“ (S. 239). Wie also kann nachmetaphysisches Denken Sinn retten mit oder ohne Gott, eingedenk der an Kant anknüpfenden Aufklärung, die einer theistischen Begründung des Humanen nicht länger bedarf?

Nach Kant ist es der Mensch, der „sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze“ bindet. (Kant, zit. n. Raberger, S. 240). Der Autor aber fragt „nach den Bedingungen der Unbedingtheit des Verpflichtetseins“ (ebd.). Das kann der Theologe, weil ihm in Hinblick auf Vernunft (und im Hinblick auf seine Biographie) Identität und Differenz ebenso interessieren müssen, wie überhaupt neuzeitliches Denken Eigenes und Fremdes, Ich und den Anderen jeweils voneinander abgrenzen oder auf den Begriff zu bringen versucht. Dabei fallen nachmetaphysisches Denken und religiöse Praxis (vielleicht sogar im Gegensatz zu Philosophie und Theologie) nicht in eins. Religiöse Praxis kann nach Raberger sogar Habermas‘ sprachpragmatische Wendung nachvollziehen, da sie Wahrheit gerade im sozialen Raum der Gemeinde verortet. Als Folge wird die „unbegrenzte Kommunikationsgemeinschaft“ (S. 242) zur Agentin der „Transzendenz von innen“. Allerdings: Theologisch sind „Kommunikationsgemeinschaft“ und „Gemeinde“ nicht deckungsgleich.

Raberger führt im weiteren aus, dass der „Gehalt von Offenbarung“ (ebd.) auf die „Opfer“ blickt und damit auf eine Letztbegründung zielt, die jenseits der Kommunikationspraxis liegt und zwar als „Einspruchskategorie gegen jede Art von Machthypostasierungen“ (ebd.). Die „Rettung des Humanen“ erscheint nun als eigentümliches Interesse des jüdisch-christlichen Religionssystems, weil im Licht der Glaubenspraxis aufscheint, wovor und wohin diejenigen gerettet werden sollen, die als „Opfer“ beschrieben werden können. Dies kann und muss der Theologe tun, eben weil Aufklärung Religionskritik ebenso aufgeschlossen hat, wie sie in Dialektik der Aufklärung (Adorno) und in die Theorie des kommunikativen Handelns und die Ausdifferenzierung der Lebenswelt (Habermas) geführt hat. Dann erst können Glaube und Vernunft nicht nur in ein Verhältnis gesetzt werden mit Blick auf das kritische Potential, das sie in Bezug auf das jeweils andere haben, sondern ebenso mit Blick auf das bestätigende Potential bezogen auf sich selbst: „Die Vernunft rettet so die Gehalte der Offenbarungsreligion und klärt damit zugleich sich selbst über das eigene Unvermögen auf.“ (S. 247).

Der Selbstbezug der bestätigenden Potentiale von Glaube und Vernunft kann nur dann zur Sprache kommen, wenn sie sich in das jeweils andere hineinvermitteln. Im Zulassen der jeweils anderen Argumentation und deren Gewährleistung geschieht auch die eigene Absicherung. Es bleibt dabei aber der Bedarf, das Religiöse auch (alltags-)sprachlich zu übersetzen. „Solange die religiöse Sprache inspirierende, ja unaufgebbare semantische Gehalte mit sich führt, die sich der Ausdruckskraft einer philosophischen Sprache (vorerst?) entziehen und der Übersetzung in begründende Diskurse noch harren, wird Philosophie auch in ihrer nachmetaphysischen Gestalt Religion weder ersetzen noch verdrängen können.“ (Habermas, zit. n. Raberger, S. 250). Daraus liest der Autor ein Programm der „kooperativen (!) Übersetzung religiöser Gehalte“ ab und unterscheidet hier mit Habermas noch einmal die religiöse Sprache der Gemeindepraxis von der nachgängigen Theologie. Dabei wird das „soteriologische Unvermögen der Philosophie“ (S. 252) zum (theologischen) Vehikel des Übersetzens, gleichsam zum Rettungsboot, das ans Ufer bringt. Die Forderung nach Gerechtigkeit angesichts von Zweckrationalismus, Szientismus und Naturalismus, das Einlösen von Nichtinstrumentalisierbarkeit könne, so Raberger mit Adorno und gegen Horkheimer, nicht innerweltlich eingelöst werden. Damit wird das Licht auf die zweite Seite der Medaille gelenkt: Gefordert wird nicht nur eine Übersetzung des Religiösen, weil die Vernunft das für notwendig erachtet. Gefordert wird, dass die politische Öffentlichkeit auch hört, was denn da übersetzt wurde. Nun kann eine Soteriologie, die sich ins Recht gesetzt sieht, christliche Symbole als „antizipierend vermittelnde Zeichen ‚wahren‘, ‚heilen‘ Lebens“ (Schupp, zit. n. Raberger, S. 256) darstellen, die auch tatsächlich zu einem Kooperationspartner im Programm der Übersetzung religiöser Gehalte machen. Solidarität und Gerechtigkeit als Kennzeichen einer moralischen Beziehung der Menschen untereinander sind dann Ausdruck einer eben durch Gott vermittelten Kommunikationsstruktur. Die Gottesbeziehung als Bezug des Menschen auf das Andere wird zum Garanten dafür, den Nächsten eben nicht als Fremden zu sehen.

Wovon Raberger jedoch nicht spricht, wenn Philosophie allein auf der Seite der Vernunft stehen sollte und das jüdisch-christliche Religionssystem allein auf der Seite der Opfer, sind diejenigen, die die Entrechteten, Vergessenen, Marginalisierten erst zu Opfern machten – die Täter. Denn das jüdisch-christliche Religionssystem schafft offenbar auch genau den Platz, um genau diese Rolle zu besetzen, und zwar nicht nur ex negativo, wie die Begründungsgeschichte des Christentums, die Lebensgeschichte Jesu erzählt. Das Leid spricht immer auch von den Tätern, und die jüngste Geschichte zeigt wiederum, dass diese im Haus der Kirche selbst zu finden sind. (MC)

 

Über: Markus Striet: Grenzen der Übersetzbarkeit.

Das erstaunliche Interesse der Öffentlichkeit an der Friedenspreisrede von Jürgen Habermas 2001 war laut Markus Striet darin begründet, dass erneute Sinnbedürfnisse die Sehnsucht nach Religion neu entfacht hatten. Der Tod Gottes (Nitzsche) war nicht das Ende der Religion. Dazu gehörte aber auch die Rolle des Islams. Der Titel der Rede „Glauben und Wissen“ lädt nach Meinung des Verfassers dazu ein, die Geschichte der Interpretation der Religion und der Philosophie durch Hegel kritisch zu untersuchen, kritisch zu würdigen und doch darauf zu achten, dass die Theologie sich im Dialog mit der Philosophie entfaltet, wenn sie nicht zum Dogmatismus erstarren will. Doch welche Philosophie könnte frei von Hegelschem Rationalismus den frei erwählenden Gott bedenken helfen? Habermas, so meint Striet, erinnert zu Recht an die notwendige Übersetzung religiöser Rede in die säkulare Sprache. Die Voraussetzung dafür ist auf beiden Seiten die dialogische Offenheit. Dieses Thema wird in drei Teilen entfaltet:

I. Das Argumentationsschema von Habermas ist religiöser Herkunft. Theologisch müsste es lauten: Ein Gott der Liebe schafft den Menschen frei als sein Ebenbild. Das ist schöpfungstheologisch klar zu begründen. Dabei ist auch Gottes Freiheit mitgedacht. Der Mensch achtete danach auf die Freiheit der Anderen. Dafür steht die Lebenspraxis Jesu als Beispiel.

II. Habermas denkt postsäkular. Die Begründung menschlicher Gebote soll daher säkular nachvollziehbar sein. Nach Nietzsche wäre der Mensch ein Sonderfall des Lebens und den Naturgesetzen unterworfen. Das Grundgesetz ist nach Habermas die Gleichheit. Die gläubige Existenz nimmt alle Fraglichkeit in Gott hinein.

III. Zunächst ist Freiheit der allen gemeinsame Begriff. Doch was geschieht mit dem Begriff „Gott“, der fraglich geworden ist? Habermas zeigt, dass Gott nicht zwingend notwendig gedacht werden muss. Die Entscheidung, ob Gott oder die Welt das Absolute ist, muss offen bleiben.

An dieser Stelle outet sich der Autor Striet letztlich als katholischer Theologe, da er begrifflich Gott mit dem Absoluten gleichsetzt und sich ontologisch festlegt. Die Möglichkeit einer Identität von Gott und Welt wird zwar kurz angedeutet, aber verworfen, was letztlich auf den bekannten religiösen Dualismus hinausläuft. Zustimmen muss man dennoch der Argumentation darin, dass selbst die postmoderne Philosophie das Sein Gottes nicht ausschließen kann. Das Faktische darf so nicht als normativ verstanden werden, dass es ohne Ausweg in den „Sprung des Glaubens“ denkbar ist. Wahrscheinlich ist aus philosophischer Sicht gegen diese Argumentation gar nichts einzuwenden; theologisch dagegen ist es deutlich, dass es der katholischen Theologie genügt, wenn sie mit Allgemein-Begriffen dem Wort „Gott“ ein bestimmtes Verständnis aufdrückt. Hier fehlt die Möglichkeit säkularen Glaubens ebenso wie die Alternative der Mystik, Gott als das Ganze des Lebens zu sehen. Das festgelegte Bekenntnis tritt an die Stelle des lebendigen Gottes. (CF)

 

Über: Johannes Reikerstorfer: Eine „Übersetzung“, in der „Übersetztes“ nicht überflüssig wird.

Die Aufgabenstellung, die sich der Situation des Dialogs zwischen Philosophie und Theologie widmet, wird über das „Säkulare“ hinaus konkret gefasst: „Woher bezieht heute eine bedrohte Kommunikationskultur ihre Widerstandskraft gegen die szientistische Vereinnahmung der kommunikativ-lebensweltlichen Praxis durch neue Technologien?“ (S. 284). Diese klare Fragestellung ist hilfreich und schafft eine gemeinsame Perspektive zur Behandlung folgender Themen:

– „Dialektik der Säkularisierung“. Etwas hat sich verändert in Bezug auf die Religion. Sie wird nicht mehr privatisiert, sondern pluralisiert. Von allen Teilnehmern des gesellschaftlichen Diskurses, seien sie religiös oder nicht, wird erwartet, dass sie selbstreflexiv handeln. Der interkulturelle Diskurs bestimmt die Präsenz.

– „Religionsphilosophie“ ist ein altes und nun wieder neues Thema. Für die Theologie nach wie vor herausfordernd ist die Wahrnehmung der Moderne. Dieses Thema wird am Gespräch zwischen Jürgen Habermas und Johann Baptist Metz erörtert. Für Habermas ist Religion heute das „Bewusstsein von dem, was fehlt“ (S. 287). Die Sprache der Religion, so meint dieser, hat eine inspirierende Kraft. „Was macht Rettung, was Erlösung notwendig?“, fragt sie. Unterschiedliche Zitate aus dem Werk Habermas` belegen dessen Versuch, „Transzendenz“ im „Diesseits“ wahrzunehmen. Er findet heraus, dass im postsäkularen Zeitalter, wie er es nennt, Menschen religiös sein können, ohne sich damit zugleich kirchlich oder institutionell zu binden. Er nennt diese „religionsfähig“.

– Reikerstorfer leitet über zur politischen Theologie von Johann Baptist Metz, die bewusst die Wahrnehmung der Moderne thematisiert. Mit Habermas wird dabei z. B. die Theodizeefrage zur Frage der Leidenden uminterpretiert (Hiob-Frage). Die Theologie aus der Perspektive der Leidenden lässt sich säkular interpretieren. Auch hier geht es ums Vermissen. Wichtig ist, Gott nicht vorschnell mit Erlösung zu identifizieren, sondern Leiden wahrnehmbar zu machen und zu halten. Im Gott-Vermissen der Theodizee wird die „Würde des Menschen“ negativ bestätigt. Die Leidenserfahrung ist nach Metz der Schlüssel für die Religion. Diskursrationalität und Leidensgedächtnis greifen ineinander. Gott ist keine automatische Gegenbewegung aus dem Jenseits.

– Reikerstorfer weist eine neutrale Gottesidee ab und unterläuft damit die metaphysische Festlegung. Glaube ist immer historisch konkret und weltbezogen. Auch im Bezug zur Religionsphilosophie sollte vor Verallgemeinerungen gewarnt werden. Dies, zumal der Traditionsbezug von psychologischen und ästhetischen Tendenzen überlagert wird. Reikerstorfer warnt die Religionsphilosophie zu recht davor, den Religionsbegriff hinter die Erkenntnisse der politischen Theologie zurückzunehmen. (CF)

 

Über: Reinhold Esterbauer. Der „Stachel eines religiösen Erbes“.

Ausgangsfrage dieser Abhandlung ist: Welches Religionsverständnis hat Jürgen Habermas?

– Die These Ernst-Wolfgang Bökenfördes (1967) von den Werten des Staates, die dieser selbst nicht garantieren kann, würde einen indirekten Religionsbezug im Staat voraussetzen. Im Widerspruch dazu konstatiert Jürgen Habermas, so meint Esterbauer, dass der Staat aus „vorpolitischen Quellen“ lebe. Der Staat setzt z. B. bürgerliche Solidarität voraus. Der Glaube an die Wissenschaft als Naturalismus dagegen ist eine Fehlentwicklung. Religionen ist ein Lebensrecht auch jenseits der Säkularisierung zuzugestehen. Die postsäkulare Gesellschaft ist säkular geprägt, geht aber darüber hinaus. Die Frage bei solcher Argumentation bleibt, ob Religion damit nicht im Grunde immer noch als „vormodern“ gedacht wird.

– Das Bild der Religion, das Jürgen Habermas hat, ist von Aufklärung und Vernunft geprägt, z. B. in der Gestalt der Offenbarungsreligion. Der Konflikt zwischen Glauben und Vernunft stellt sich als Gratwanderung dar. Kant´s Religionsphilosophie ist aktuell als Kritik von Religion im Namen der Vernunft und als Beleg der religiösen Quellen von Vernunft. Vom Gottesbegriff her erschließt sich der Gedanke einer innerweltlichen Utopie. Von Kant her kommt Habermas zu Schleiermacher, der zusätzlich zur Vernunft von religiöser Erfahrung spricht. Kierkegaard im dritten Schritt zeigt die Grenzen der Vernunft auf. Der Mensch erlebt seine eigene Begrenztheit. Religion ist für Habermas erstens vernunftmäßig beschreibbar und enthält zweitens eine Distanz zur Vernunft z. B. durch den Offenbarungsbegriff. Es geht um die Transzendenz als Grenze der Vernunft. Hieraus folgert Habermas, so der Autor, ein öffentliches Interesse an Religion. Er weist zu Recht darauf hin, dass Religion aber nicht gesellschaftlich funktionalisierbar ist.

– Aus der religiösen Theorie und Praxis sind der Gesellschaft neue Gedanken zu erschließen. So folgt aus der Gottebenbildlichkeit der Gedanke der Menschenwürde. Die Frage ist, wie die Hermeneutik trotzdem für den Fortbestand der Tradition sorgen kann. Die Philosophie soll sich an der gesellschaftlichen Übersetzung solcher Inhalte beteiligen. Im Folgenden verweist der Autor auf die Übersetzungstheorie George Steiners in den Schritten: Vertrauen – Aggression – Einverleibung – Reziprozität. Auch wenn sich im Übersetzungsprozess die Religion selbst verändern wird, sollte die Kirche diese Überlebenschance ergreifen. (CF)

 

Über: Thomas M. Schmidt. Religiöser Diskurs und diskursive Religion in der postsäkularen Gesellschaft.

Die Gleichzeitigkeit von Religion und Moderne sowie das Nebeneinander von religiöser und säkularer Lebenswelt ist offensichtlich (vgl. Beerdigung von Papst Johannes Paul II.). Das heißt: Säkularisierung und Modernisierung sind nicht identisch. Indirekt geht es auch um die Frage nach dem Wert des Lebens über Konsum und Profit hinaus. Die aufgeworfene Fragestellung wird in fünf Punkten behandelt:

– Versprachlichung des Sakralen: Nachmetaphysisches Denken zeigt sich nach Habermas in der „Theorie des kommunikativen Handelns“ in der Versprachlichung der religiösen Weltbilder und ihrer Entzauberung. Die Inhalte religiöser Texte werden allgemeinsprachlich übersetzt. Die religiösen Weltbilder werden rationalisiert (nach Weber und Durkheim). Habermas jedoch korrigierte sich später, indem er zwischen Bedeutung und Geltung der Religion unterschied. Die Auflösung der Religion wurde nicht mehr behauptet, weder als Tatsache noch als Perspektive.

– Skeptische Enthaltsamkeit: Der Unterschied von Bedeutung und Geltung wird später differenziert (1992: „Faktizität und Geltung“). Der Ausdruck „Transzendenz von Innen“ mit einer Überschreitung von Bedeutung meint die Akzeptierung des „unbedingten Sinns“ ohne philosophische Begründung, die einfach von Unbedingtheit ausgeht. Nachmetaphysisch kann sich Philosophie nicht an die Stelle von Religion setzen. Somit akzeptiert Habermas die Koexistenz von Vernunft und Religion.

– Der Diskurs von Religion: Über die Koexistenz von Religion und Vernunft: Der 11. September 2001 muss als Zeichen des Konflikts zwischen der modernen Welt und Kränkungserfahrungen sowie der Marginalisierung verstanden werden. Hier bezieht sich Thomas Schmidt auf Rawls, der Bedingungen von Gerechtigkeit aufzeigt. Der Pluralismus ist ein Zeichen von Endlichkeit menschlicher Vernunft. Die religiösen und ethischen Einstellungen können und dürfen unterschiedlich sein, solange sie die allgemeine Geltung der politischen Verfassung anerkennen. Rawls wirft der Habermas’schen Diskursethik vor, eine geheime „geschichtsmetaphysische These“ zu beinhalten. Bei Rawls bleiben jedoch die Wahrheitsansprüche der jeweils anderen unhinterfragbar. Dass diese Haltung bei extrem aggressiven Positionen nicht aufrechterhalten werden kann, liegt auf der Hand. Der Autor deckt hier einen untergründigen Paternalismus auf, der Religion toleriert, aber letztlich nicht ernst nimmt. Demgegenüber ist der „nachdrückliche Verzicht auf den Überlegenheitsanspruch der säkularen Vernunft“ zu verlangen. Doch gerade die andere Seite, die Religion, sträubt sich gegen eine fallibilistische Haltung.  Diese Passage muss protestantische Theologen aufhorchen lassen, da doch Martin Luther die Fehlbarkeit kirchlich theologischer Positionen geradezu zur Grundlage seines Angriffs auf die katholische Kirche gemacht hat, und unklar ist, inwieweit sich eine lutherische Position selbst solcher Fehlbarkeit eingedenk ist.

– Vernunft und Glaubensgewissheit: Zu zeigen ist, dass sich Glauben und Fallibilismus nicht ausschließen müssen. Es ist zu zeigen, dass sich Glauben in der Religion nicht in ein Wissen verwandeln darf oder sollte. Glaube soll aber auch nicht im Gegensatz zum Wissen verstanden werden, sagt Schmidt, wobei zu fragen ist, ob sein Rekurs auf die katholische Glaubenslehre hier nicht eine metaphysische Grundlegung bezeugt, die den Glauben lehrhaft konstruiert. Er ist allerdings auch offen für „säkulare Gläubige“ nach Clayton, die ohne Rückgriff auf solche Lehrkonstruktion eine Balance zwischen „Skepsis und Gewissheit“ herstellen. Doch Thomas Schmidt bestätigt seine Haltung ausdrücklich an traditionellen religiösen Positionen, die durch Anerkennung des Fallibilismus dialogfähig werden.

– Lernprozesse: Die Grenze zwischen Glauben und Wissen zeigt z.B. die Frage nach dem geschichtlichen Fortschritt auf. Es gibt keine Garantie für das Gelingen wechselseitiger Lernprozesse, so dass man etwa das Lernen als kontinuierlich sich verbessernden Prozess darstellen könnte. Als Essenz bleibt zu sagen, dass Fairness und Respekt gelten müssen.

Fazit: Der Aufsatz von Thomas Schmidt zeigt einen weitgehend klaren und reflektierten Ansatz, der eine Brücke zwischen Theologie und Philosophie schlägt, an dem beide anknüpfen können. (CF)

 

Über: Maeve Cooke. Säkulare Übersetzung oder postsäkulare Argumentation?

Maeve Cooke referiert aus einem Aufsatz von Jürgen Habermas aus dem Jahr 1991. Es geht dort um die Übersetzung religiöser Sprache in eine Form „begründender Rede“. Habermas meint, so Cooke, Theologie dürfe eine solch „neutrale“ Zugehensweise nicht anwenden, da sie sonst den Wahrheitsanspruch aufgebe. Kurz gesagt: Die Philosophie bleibt in Distanz zur Religion. Zehn Jahre später sieht Jürgen Habermas in der Biotechnik die Grenzen der säkularen Denkens stärker als 1991. Er meint, der Prozess der Modernisierung scheine zu entgleisen. Daher redet er nun von einer postsäkularen Gesellschaft. Es kommt nun zu einem wechselseitigen Lernprozess zwischen Aufklärung und religiöser Überlieferung. Allerdings bleibt die Grundsprache des demokratischen Staates säkular. Die religiösen Inhalte müssen ins Säkulare übersetzt werden. Doch dieser Übersetzungsprozess steht unter dem Vorbehalt der Offenheit eines Lernprozesses. Die semantischen Gehalte der religiösen Überlieferung bleiben relevant. Cooke schlägt daher vor, eher nicht autoritäres Denken zu pflegen, als von einem antimetaphysischen Anspruch auszugehen. Cooke geht es um die Demokratiefähigkeit aller Beteiligten. Dazu gehören die Möglichkeit und Grenzen von Neutralität. Diese Neutralität ist nicht gegeben, da sich metaphysisch eingestellte Menschen so verhalten, dass sie alle Gegebenheiten auf ein transzendentales Objekt beziehen. Für sie funktioniert die rationale Begründung nicht. Diese religiöse Grundstruktur ist zwar im europäischen Kontext kein Problem, weltweit aber schon. Die Konsequenz: Nicht die Voraussetzung einer säkularen Sprache soll den gesellschaftlichen Diskurs lenken, sondern die Voraussetzung, dass dieser nicht autoritär geführt wird. Religiöse Argumente sind möglich, soweit sie nicht autoritär funktionieren. Dies führt dann unabhängig von säkularen oder religiösen Voraussetzungen zu ethischer Autonomie. Dieses heißt nun auch, dass der Staat auf Vorschriften für die persönliche Lebensführung ganz verzichtet. Der nachmetaphysische Standpunkt dagegen wird aufgegeben, da metaphysische Denkweisen unter den gegebenen Voraussetzungen des Autoritätsverzichts gegeben sein müssten. Im Prinzip ist die Argumentation Cookes bestechend, da sie die Vielfalt anerkennt. Die Frage ist allerdings, wenn nicht die Grundgedanken säkular aufklärerischen Denkens für die Einhaltung der Prämisse sorgen, wie garantiert werden kann, dass autoritäre Strukturen außen vor bleiben.  (CF)

 

Über: Jürgen Habermas. Replik auf Einwände, Reaktion auf Anregungen.

Bevor Jürgen Habermas die Vorträge bzw. Aufsätze im Einzelnen kommentiert, gibt er eine kurze persönliche Einschätzung zu seiner eigenen Position, die in dem Satz gipfelt: „Sowohl Glaube wie Wissen gehören zur Genealogie des nachmetaphysischen Denkens, und das heißt: zur Geschichte der Vernunft. Deshalb wird sich die säkulare Vernunft selber nur verstehen lernen, wenn sie ihre Stellung zum reflexiv gewordenen religiösen Bewusstsein der Moderne klärt und den gemeinsamen Ursprung dieser beiden komplementären Gestalten des Geistes aus dem kognitiven Schub der Achsenzeit begreift.“ (S. 367). Der Artikel von Jürgen Habermas folgt dem Aufbau des Buches, der daher stichwortartig angedeutet werden soll:

I. Zur kantischen Religionsphilosophie.

1. Zu Christian Danz: Jürgen Habermas schreibt: „Weil sich religiöse Gewissheiten Glaubwürdigkeit bewahrt haben und mit eindrucksvollen Zeugnissen authentischer Lebensläufe verbinden, nehme ich die gegenwärtige Konstellation von Glauben und Wissen nicht nur als einen empirischen Befund, sondern auch als ein Faktum innerhalb der Geschichte der Vernunft ernst.“ (S. 369). Kants Konzept der Vernunftreligion ist ein Beispiel von Assimilierung. Es geht dabei um die Normfrage: „Die Aktualität der Kantischen Religionsphilosophie sehe ich in der Intention, auf dem Wege einer kritischen Aneignung des religiösen Erbes nach Argumenten für die ‚Selbsterhaltung der Vernunft‘ zu suchen.“ (S. 371). Offen bleibt die Frage: Wie verhält sich der Wahrheitsanspruch zum religiösen Pluralismus.

2. Zu Rudolf Langthaler: Soll das kantische Moralprinzip als Begründung der Religion ausreichen? Jürgen Habermas schreibt: „Sollen wir den Satz ‚die Moral führt unumgänglich zur Religion‘ so verstehen, dass sich der Vernunftglauben allein aus der Einsicht ins Moralprinzip (das ich in Gestalt einer diskursethischen Lesart der Gesetzesformel selber für gerechtfertigt halte) begründen lässt?“ (S. 374). Kants Doppelprinzip beruht erstens auf Verallgemeinerung und zweitens auf der Idee des höchsten Gutes. Der Gottesgedanke sorgt für Harmonie zwischen Moral und Naturgesetz. Habermas Einwand ist: Der Mensch denkt so anscheinend in Analogie zur Gottheit: „Die Postulatenlehre verwischt die Grenze zwischen den Zuständigkeiten von parktischer Vernunft und teleologischer Urteilskraft.“ (S. 377). Langthaler, so Habermas, vermischt die Frage der Hoffnung mit der Frage der Pflicht und überschreitet die Grenze der Ethik. Die Frage ist, ob die Philosophie die Religion substantiell braucht, um zur Ethik zu kommen, oder ob eine Ethik eigenständig hätte entwickelt werden können.

3. Zu Herta Nagl-Docetal: Sie ist in der Lesart von Jürgen Habermas der Meinung, dass der Mensch auch ohne Religion zur Vorstellung einer idealen Gemeinschaft kommen könnte. Herta Nagl-Docetal meint also, der Vernunftglaube sei dazu da, den Kirchenglauben zu erklären. Habermas fragt, ob das sinnvoll ist. Die Aufklärung tut dann so, als wüsste sie mehr über die Religion als diese selbst. Nachmetaphysisch wird der Glaube nicht durch die Philosophie präjudiziert. Wie gehabt betont Habermas für die Philosophie: 1. Sie kann von der Religion lernen; 2. Die Religion akzeptiert den Pluralismus. Diesen Pluralismus vorausgesetzt vermeide die Gesellschaft allerdings den Relativismus und macht per Vernunftmoral und Menschenrechte ein menschenwürdiges Dasein über weltanschauliche Differenzen hinweg möglich.

II. Religionsphilosophische Einwände und Anregungen.

4. Zu Wilhelm Lütterfeld: Der Ausgangspunkt des Denkens ist nach Ludwig Wittgenstein das, was uns umgibt und was wir voraussetzen. „In unserer Lebenswelt bewegen wir uns immer schon auf dem Glaubensboden eines semantisch geschlossenen Universums, worin alle Rationalitätsstandards, alle Maßstäbe für das, was für uns als wahr und falsch, gut und böse, schön und hässlich gilt, selbstbezüglich definiert sind.“ (S. 383). Habermas hält den Ansatz bei Wittgenstein für problematisch, da dieser Weltbilder als evident ansehen kann, diese aber nicht für vergleichbar hält. Die Wahrheitsfrage z. B: der Existenz Gottes wird so allein zu einem „identitätsstiftenden Lebensentwurf“,  der anderen Menschen nicht plausibel gemacht werden kann. „Wenn die Religion nur ein Sprachspiel unter anderen ist“, so Habermas, „und wenn alles zum Dogma wird, wird auch der Unterschied zwischen Glauben und Wissen nivelliert.“ (S. 385). Habermas geht die Frage an, ob die Theorie der Nicht-Vergleichbarkeit eine Hilfe für die Theologie wäre und findet, dass dabei der Wahrheitsanspruch zurückgenommen wird auf das Kriterium der „Bewährung“. Besser ist es, dass die Philosophie eher eine Moderatorenrolle übernimmt und von der „Wahrheit“ der jeweiligen Religionen ausgeht, ohne diese hinterfragen zu können.

5. Zu Julius Schneider: Immer wieder taucht als Gegenwart des Religionspluralismus auch William James auf, von dem sich Habermas posthum abgrenzt. Wieder kritisiert Habermas den Wittgensteinschen Ausgangspunkt der Sprachspiele: „Die Vokabulare von Schuld und Sühne, von Befreiung, menschlicher Würde und Erniedrigung, die Rede von Solidarität und Verrat, die Sprache der moralischen Gefühle, der Ängste und Sehnsüchte haben oft einen religiösen Hintergrund und bewahren Konnotationen, auf die wir rhetorisch zurückgreifen können, um verblasste Bedeutungen zu revitalisieren.“ (S. 388). Die Theologie hat zumindest darin eine Aufgabe zu zeigen, was den theologischen Diskurs von der Glaubenspraxis der Gemeinde unterscheidet. Ob Habermas aber allein dadurch, dass er ständig auf Wittgenstein herumreitet den religionsphänomenologischen Argumenten gerecht wird? Hier klingt zu viel Apologetik an, als würden Zäune um seine Argumentation gebaut: Wer sich verteidigt, klagt sich an.

6. Zu Ludwig Nagl: Habermas bemerkt über Nagls Referat des Pragmatismus, dass sich dort, in Verbindung mit Hegel, ein Grundbegriff der „Community“ erkennen lässt, der Gesellschaft als der Religion entnommenes Ideal; und er zitiert dazu die Inschrift der St. James Hall der Universität Harvard, nach der Individuum und Gesellschaft immer aufeinander wechselseitig bezogen sind. Zu kritisieren sei letztlich Rorty, der aus der Religion einen „ethischen Lebensentwurf“ mache. Die Religion Vattimos bezeichnet Habermas in Formulierungen, die eigentlich unter seinem Niveau sind, als „lauwarm“, weil er deren antiautoritären Duktus nicht einbezieht. Fakt ist: Habermas bleibt Vattimo fremd, weil er sich (immer noch) von Heidegger abgrenzen will und alles, was irgendwie Heideggerisch geprägt ist als „subjektphilosophische Konzeption“ bezeichnet (S. 391).

7. Zu Klaus Müller: Hier sagt Habermas deutlich, dass sich seiner Meinung nach der Fortbestand der Religion nicht an deren Stärkung, sondern aus der Schwächung der Moderne ergibt. In diesem Zusammenhang ist seine Argumentation inkonsistent, da die Rede von den semantischen Gehalten, die sich durch Moderne nicht decken lassen doch substanziell anders ist, als die der durch die Schwächung der Einen gestärkten Anderen. Wenn dies allerdings nur für den philosophischen Kontext gilt, dann hört es sich so an: „Ich glaube nicht, dass die Philosophie nach ‚Kant‘ überhaupt noch die theologische Erwartung einer metaphysischen Begründung des universellen Anspruchs der christliche  Gottesrede erfüllen könnte.“ (S. 394). Metaphysik und Christentum lassen sich nicht mehr trennen, so meint er. In den theologischen Konflikt, ob der hellenistische Einfluss eher der Entfremdung von der Heilserwartung oder ob dieser den Glauben erst möglich gemacht habe, möchte er nicht eingreifen (Metz/Ratzinger).

III. Gespräch mit der zeitgenössischen Theologie.

Jürgen Habermas schätzt das Gespräch mit der Theologie und bedankt sich dafür. Biblische Bilder und religiöse Gedanken bereichern das Denken und bieten eine hermeneutische Brücke zwischen dem neuzeitlichen Denken und der Religion.

8. Zu Walter Raberger: Die Formulierung aus der trinitarischen Formel „ungemischt und ungetrennt“ sollte, da stimmt Jürgen Habermas zu, auf die Beziehung Religion und Vernunft übertragen werden. Doch wird der Sachverhalt dadurch klarer? Im Anschluss an die Feststellung bemüht sich Habermas um Interpretation, was wohl zeigt, dass die Formulierung aus der Zwei-Naturen-Lehre Chalzedons keineswegs einen Erkenntnisfortschritt bringt. Wichtig ist: Der Krieg der Philosophie gegen die Religion ist beendet. Auch ist Adornos Feststellung zu widerrufen, jede religiöse Aussage könne in das Profane einwandern. Was jedoch ist mit dem Muster der „Vereinnahmung“, das Raberger bei Habermas entdeckt haben will? Von Paternalismus kann weder auf der einen, noch auf der anderen Seite die Rede sein. Vielleicht liegt das sich hier andeutende Selbstbewusstsein der Philosophie darin, dass sie sich fast ausschließlich auf die politische Seite der Gesellschaft zu beziehen scheint und darin auch die Verfassungsorgane und Grundrechte auf ihrer Seite wähnt. Warum sollte sich die Philosophie „diagnostischer Sprache“ bedienen? Ist im Hintergrund bei Jürgen Habermas doch noch der Gedanke vom Absterben der Religion oder ihres Verfalls in der Moderne am Werk? Sollte andererseits die Theologie dann entsprechend vorsichtig sein mit einem Vattimo entlehnten Ausdruck vom „Ende der Moderne“, so als müsse sich jede Seite immer ihr mögliches Ende vorhalten? Die Position von Jürgen Habermas, so zeigt er hier, ist letztendlich die eines Agnostizismus, der gänzlich auf Teleologie verzichtet und keine Zeit nach der Religion ankündigt. Insofern ist die trinitarische Formel ein Modell der Koexistenz beider Systeme. An diesem Text -wie schon zuvor- zeigt sich, dass Habermas tatsächlich durch die Argumentation der Vorträge herausgefordert ist und zur Klärung und Präzisierung in diesem Text höchst interessante Formulierungen beiträgt. Andererseits zeigt sich auch in manchem Nicht-Eingehen und Überhören bzw. Überlesen Grenzen seiner Argumentation auf.

9. Zu Magnus Striet: Diesen Aufsatz liest Jürgen Habermas mit großer Zustimmung, wohl, weil er hier Unterstützung von theologischer Seite erspürt. Die Freiheit der Menschen ist ein von Gott gewollter Schöpfungsakt. Hieran knüpft die Beobachtung, dass bioethische Herausforderungen die Stelle Gottes in der Ethik neu beschreiben lassen. Er fragt in diesem Zusammenhang nach Verantwortungsethik. Zu recht argumentiert Jürgen Habermas gegen die Voraussetzungen von Magnus Striets Gottes-Ontologie und sympathisiert stattdessen mit der negativen Theologie bzw. verweist auf den gesellschaftlichen Diskurs, in dem religiöse wie nichtreligiöse Teilnehmer sich auch ohne Bezug auf Gottes Sein oder Existenz zu verständigen haben.

10. Zu Johann Reikerstorfer: Habermas will nicht vorschnell auf das Gesprächsangebot Reikerstorfers hereinfallen, die Frage nach Gott von der Klage aus anzugehen bzw. eine Leidenstheologie zur Grundlage zu machen (obwohl eine gewisse Nähe vom Titel „Bewusstsein von dem was fehlt“ her nahe liegt). Habermas gibt zu, mit Metz´ negativer Theologie zu sympathisieren.  Zweierlei ist ihm hier wichtig: Erstens lehnt er mit Jan Philipp Reemtsma die Rolle von Auschwitz als Kristallisationspunkt für die Erkenntnis ab. Zweitens ist der Ausgangspunkt des Leidens denkerisch gesehen nicht schlüssig: „Aus der bloßen Wünschbarkeit einer solchen Instanz kann man nicht auf deren Wirken schließen.“ (S. 406/7). Außerdem sieht er nicht ein, wieso die Grenze zwischen Glauben und Wissen aufgelöst werden sollte.

IV. Die Stellung der Religion in der postsäkularen Gesellschaft.

Es geht in diesem Abschnitt um politische Theorien. Jürgen Habermas schreibt: „Die politische Theorie stößt also auf Mentalitäten und Lernprozesse, die aus einer anderen theoretischen Perspektive untersucht werden müssen.“ (S. 407). Das wichtigste philosophische Interesse an der Diskussion von „Glauben und Wissen“ scheint die Frage nach einer „Genealogie der Vernunft“ zu sein, nach dem Verhältnis von Theologie und Moderne.

11. Zu Reinold Esterbauer: Im Aufsatz von Esterbauer fühlt sich Habermas funktionalistisch missverstanden. Immer wieder sind es wie schon zuvor kurze Sätze, die Klarstellungen und zugleich Zeitansagen sind. Ein Beispiel: „Solange wir uns im Horizont nachmetaphysischen Denkens bewegen, sind der falliblen Vernunft insbesondere bei Extrapolationen künftiger Konstellationen enge Grenzen gezogen. Ganz abgesehen von der Unsicherheit aller empirischen Voraussagen muss offen bleiben, welche Denkströmung unter den Alternativen, die sich heute abzeichnen, aus intrinsischen Gründen Recht behalten könnte.“ (S. 408). Prognosen über die Zukunft, die er anschließend trotzdem schildert, zeigen kaum mehr auf, als die eigenen Voraussetzungen. Habermas will zeigen, dass er aus seinen Überlegungen keine „wahre“ Zukunftsprognose folgen lassen kann.

12. Zu Thomas M. Schmidt: Thomas M. Schmidt wird als ehemaliger Schüler von Jürgen Habermas hervorgehoben. Die Hoffnung auf eine fortschrittliche Zivilisation setzt voraus, dass die Globalisierung nicht weiter nur negative Folgen hat Da auch die säkulare Welt eine Zukunftsperspektive benötigt, sucht sie eine Art „Vernunftglauben“. Habermas erklärt, dass die Seite der Religion mit dem Wahrheitsanspruch anders umgehen muss, als bisher. Seine Kritik setzt an der Voraussetzung allein säkular Gläubiger an, die in einer säkularen Gesellschaft Glaubensüberzeugungen äußert und praktiziert. Diese Bürger sollten nicht von der Gesellschaft gezwungen werden, ihren Glauben zu profanisieren. Andererseits sollten sie im Pluralismus dialogfähig bleiben. Von einem „säkularen Glauben“ ist hier eigentlich nicht die Rede, jedoch kann man sich leicht vorstellen, dass die Grauzonen zwischen Atheismus und religiöser Gläubigkeit kaum anders zu beschreiben sind, wie Meinungsforscher bestätigen.

13. Zu Maeve Cooke: Diese Autorin ist, wie Habermas zu Recht feststellt, dafür, dass jede religiöse Auffassung in der Gesellschaft geäußert werden können sollte. Die Verwendung religiöser Sprache kann kein Grund sein, Menschen den Dialog zu verweigern. Sie beruft sich dabei auf die Grundprinzipien des Verfassungsstaates. Obwohl Habermas an dieser Stelle zustimmt, weist er doch darauf hin, dass sich auch in einer Demokratie eine konfessionelle Mehrheitskultur herausbilden kann. Habermas hat recht, wenn er daran erinnert, dass der „Übersetzungsvorbehalt“ der religiösen Sprache nicht durch staatsrechtliche Bedenken auszuschalten ist.

An dieser Stelle bricht der Text ab und bleibt somit, wie es schon die Überschrift sagt, eine Sammlung von Repliken. Wer sie im Kontext der Diskussion lesen kann, was sich von der Lektüre der Vorträge des Bandes her ergibt, findet hier eine gute Sammlung prägnanter und klarer Formulierungen, die erneut eine Klärung und Positionierung der Position von Jürgen Habermas bedeuten. Er scheint sich insofern der Position der sog. Postmoderne anzunähern, als er auf eine Zukunftsprognose oder gar eine Teleologie gänzlich verzichtet. Doch es ist mehr als Pragmatismus, wenn ihm ein Gleichgewicht zwischen Glauben und Wissen in der Gesellschaft vorschwebt. Die semantischen Inhalte der Religion gehören zur Geschichte der Vernunft. In der politischen Zuspitzung: Die Ergebnisse der Entwicklung zu einer freiheitlichen und an der Menschenwürde orientierten Demokratie können und dürfen nicht rückgängig gemacht werden. (CF)

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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