Streit um den Islam in Deutschland – warum? Christoph Fleischer, Werl 2010

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Vorweg: Als Teilnehmer des interreligiösen Dialogkreises in Werl bin ich immer wieder überrascht von der Aktualität und Wirklichkeitsnähe des Islam. Der Islam pflegt Toleranz gegenüber anderen Religionen und lädt zum Dialog ein, zumal diese Treffen in der Werler Moschee stattfinden. Der Dialog zeigt immer auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede, wodurch die eigenen religiöse Vergewisserung gestärkt wird. Aber ich bin zwar dadurch kein Spezialist in islamischer Theologie geworden, die ich auch nicht studiert habe. Eher sehe ich mich als Dialogpartner und Vertreter der christlichen, dialogbereiten Position. Ich habe auf meiner Homepage inzwischen auch einige Beiträge zum Islam veröffentlicht, meist Rezensionen zum Hadith und zum Koran, einen etwas älteren Gemeindevortrag und eine Rezension zum Buch „Mohammed.“ von Tilman Nagel, erschienen im Jahr 2010 (http://der-schwache-glaube.de/besprechungen.html).

Erstaunt war ich dann im Herbst diesen Jahres im Newsletter der Islamischen Zeitung einen sehr kritischen, und wie ich meine, dialogkritischen Beitrag zur deutschen Islamforschung zu lesen (Musa Bagrac: Ein Abriss der bisherigen Geschichte der deutschen Koranforschung/http://www.islamische-zeitung.de/?id=13784). In der momentan im Internet veröffentlichten Fassung ist der Artikel vom Berliner Koranforscher Michael Marx kommentiert und danach vom Autor erneut nachkommentiert worden, hat also eine Diskussion ausgelöst.* Es geht bei dieser Diskussion im Wesentlichen um eine Frage, die die Koran-Forschung insgesamt betrifft (Geschichte des sog. Bergsträßer Archivs) und damit nicht um die Frage nach der historischen Wahrheit der Entstehung des Islams. Dass die Stimmung allerdings auch in dieser Frage angeheizt ist, kann man daran erkennen, dass ein Satz von Prof. Angelika Neuwirth bei einem Vortrag in Münster lautete: „Der Koran fiel nicht vom Himmel“, was der Autor des Artikel dahingehend verstand, sie hätte gesagt, der Koran sei nicht vom Himmel her abgesandt worden. (siehe: http://www.domradio.de/aktuell/45799/der-koran-fiel-nicht-vom-himmel.html).

Es ist in der westlichen Wissenschaft, so meine ich, hinlänglich klar, dass durch eine wissenschaftliche Arbeit keine religiösen Aussagen gemacht oder in Frage gestellt werden können. Es geht lediglich darum, sich darum zu bemühen, wie sie verstanden werden können.

Im Artikel  von Musa Bargrac heißt es konkret, die deutsche Islamforschung teile sich in zwei Gruppen, der Berliner und Saarbrückener. Die Saarbrückener Gruppe habe sich zwar um die Restaurierung uralter Koranfragmente verdient gemacht, vertrete jedoch die Meinung, der frühe Islam sei eigentlich eine Art Urchristentum bzw. dessen Fortsetzung, womit wohl gemeint ist, dass hier der monophysitische Glaube (Christus=Mensch) weiterlebte, der im Gegensatz zur westlichen Tradition und zu den meisten orthodoxen Kirchen die Lehre von der Gottheit Christi ablehnt. Die Saarbrückener Gruppe wird vertreten von dem katholischen Theologen Prof. Karl-Heinz Ohlig, der m. E. darin für den interreligiösen Dialog insofern interessant ist, als er die Nähe bestimmter christlichen Kirchen zur islamischen Theologie herausarbeitet. Seine Behauptung, der Prophet Mohammed hätte nie gelebt und der Islam sei vollständig auf dem Boden diese monophysitisches Kirche  entstanden, ist laut Aussage der meisten Koranforscher abwegig.

Genauso könnte man argumentieren, dass es zu Jesus Christus keine von der christlichen Überlieferung unabhängige historische Quelle gibt und Jesus demnach auch nur im Glauben der Kirche exiswtiere. In der Tat: dort, wo Jesus eigentlich im „Bellum Judaicum“ ( Josephus) vorkommen müsste, klafft eine empfindliche Lücke.  Und selbst wenn er dort erwähnt wäre, könnte man behaupten, dies hätten Christen nachträglich hineingeschrieben. Es gibt also nicht wirklich eine gesicherte Erkenntnis, als das religiöse Vertrauen in die eigene Tradition.

Bereits vor der Lektüre des Aufsatzes von Musa Bagrac hatte ich bereits einige Texte der Saarbrückener Gruppe gelesen, die in der links-katholischen Publikation „Imprimatur“ erschienen sind. Dort wurde in Fortsetzung der Artikel von Karl Heinz Ohlig veröffentlicht: „Von Bagdad nach Merw“. (www.imprimatur-trier.de).  Die Deutung des Titels Muhammad (arabisch) auf Christus (griechisch) fand ich insofern interessant, als darin eine Parallele zweiter Religionsstifter zu erkennen, zumal unter monophysitischer Sichtweise: Mohammed war wie Christus ein Gesandter Gottes, der Name Muhammad also als Titel zu verstehen. Übrigens haben mir Muslime bestätigt, dass Muhammad tatsächlich nicht der Eigenname Mohammed war, sondern dass er Qutam hieß. Der Name Mohammed war ein damals üblicher Beiname (siehe Tilman Nagel. Mohammed, S. 48). Da ich nicht den ganzen Artikel Ohligs gelesen habe, der wie gesagt in Fortsetzung erschienen war, bin ich von daher nicht auf die Idee gekommen, dass der Autor von einer Leugnung der irdischen Existenz Mohammeds ausgeht, zumal ich zu diesem Zeitpunkt der Lektüre dies auch nicht gewusst habe.

Nun ereignete sich folgender Vorgang von dem im neusten Heft von Imprimatur (bald auch online) berichtet wird, die Absetzung des Ausländerbeauftragen Eckehard Peters (CDU) in Thüringen im September diesen Jahres. Er hatte ohne Absprache mit seinem von der SPD geführten Ministerium 500 Exemplare des von Norbert G. Pressburg veröffentlichten Buches verschickt „Good Bye Mohammed“. Pressburg (ein Synonym?) berichtet kurz gefasst in populär wissenschaftlicher Form über die Erkenntnisse der Saarbrücker Schule. Er bezieht sich ebenso auf die sog. „Luxenberg“-Debatte, zu der Tilman Nagel bereits 2007 Stellung bezogen hat (http://de.qantara.de/webcom/show_article.php?wc_c=469&wc_id=861&wc_c=469&wc_id=784).  Luxenberg hatte einige Korantexte – zurück, wie er meinte – ins Aramäische übersetzt, um so zu zeigen, dass Aramäisch die Ursprache des Korans gewesen sein soll. Eckehard Peters hat im Übrigen über das Buch von Pressburg eine Rezension verfasst, die bei der Konrad Adenauer Stiftung erschienen ist (Die politische Meinung, Heft 10-2010, http://www.kas.de/wf/de/33.20646/).

Auf der Internetseite von Norbert G. Pressburg lassen sich drei Leseproben herunterladen, wodurch sich der Kauf dieses Buches erübrigt (http://islamfacts.info/Wie_der_Islam_wirklich_entstand.html).

Was bei Karl Heinz Ohlig noch wissenschaftlich reflektiert erscheint und ein Diskussionsbeitrag der Forschung darstellt, ist hier nun zur historischen Gewissheit geworden: Mohammed selbst habe es nicht gegeben (Pressburg, S.68). Womit durch eine waghalsige These nicht nur das islamische Selbstverständnis, sondern auch die deutsche Islamforschung diskreditiert worden ist. Die Position der Saarbrücker Schule wird nun antiislamisch instrumentalisiert. Über christliche Wurzeln des Islam und die inhaltliche Beziehung zur christlichen Tradition einzelner Koranstellen nachzudenken, hat sich damit schon fast erübrigt, um nicht in die Nähe zu einer solchen pauschalen Aussage gerückt zu werden.

Immer wieder erscheint es problematisch, wenn religiöse und wissenschaftliche Erkenntnis gegeneinander ausgespielt wird. Ganz im Stil der frühen liberalen Theologie wird bei Norbert G. Pressburg die mündliche Weitergabe der Kontexte und der Hadithe abgewertet, als ginge nicht auch die Bibelwissenschaft selbstverständlich davon aus, dass viele Texte lange Zeit auch durch mündliche Tradition fast identisch weitervermittelt worden sein müssen. Schon zur Zeit Mohammeds war das Auswendiglernen von bereits verkündigten Suren z.B. als Gebet üblich.

Was allerdings bezogen auf die Geschichte des Vorderen Orients in der betreffenden Zeit durchaus denkbar wäre, dass sozusagen beide Richtungen auf ihre Art einen Teil der Wahrheit vertreten.  Die Ausbreitung des Islams ist aus innerreligiöser Sicht recht schnell erfolgt, was für die christliche Religion ja ähnlich gilt. Es ist bekannt, dass der Islam schon bei seiner Ausbreitung die anderen Religionen, soweit sie sich als monotheistisch verstanden, nicht in Frage gestellt hat. Allerdings müsste man dann die Meinung revidieren, der Islam hätte sich mit Gewalt recht schnell viel Länder unterworfen und sei zur politischen Macht aufgestiegen.

Es ist doch sicherlich auch aus islamischer Sicht nicht zu leugnen, dass sich der Koran nicht nur als die letzte Offenbarung versteht, sondern sich ebenso bewusst hineinstellt in die Tradition der jüdischen und christlichen Überlieferung. Der Islam hat ja durchaus im Koran eine breite christliche Tradition aufgenommen, und teilweise bietet er dazu deutlich abweichende Überlieferungen, die aber zu den biblischen Personen passen.

Die schönste Stelle, die ich bislang kennengelernt habe ist die koranische Fassung der Geschichte von Kain und Abel, wobei sich der Koran ausdrücklich auf ein dem Volk Israel überlieferten Gebot Gottes bezieht, dass im Dekalog heißt: Du sollst nicht töten.

Sure 5:
27) Und verlies ihnen die Kunde von den beiden Söhnen Ādams, der Wahrheit entsprechend, als sie ein Opfer darbrachten. Da wurde es von dem einen von ihnen angenommen, während es vom anderen nicht angenommen wurde. Der sagte: „Ich werde dich ganz gewiss töten.“ Der andere sagte: „Allah nimmt nur von den Gottesfürchtigen an.
28) Wenn du deine Hand nach mir ausstreckst, um mich zu töten, so werde ich meine Hand nicht nach dir ausstrecken, um dich zu töten. Ich fürchte Allah, den Herrn der Weltenbewohner.
29) Ich will, dass du meine und deine Sünde auf dich lädst und so einer von den Insassen des (Höllen)-Feuers sein wirst. Das ist der Lohn der Ungerechten.“
30) Doch machte ihn seine Seele willig, seinen Bruder zu töten. Und so tötete er ihn. Und er wurde einer von den Verlierern.
32) Da schickte Allah einen Raben, der in der Erde scharrte, um ihm zu zeigen, wie er die böse Tat an seinem Bruder verbergen könne. Er sagte: „O wehe mir! War ich unfähig, zu sein wie dieser Rabe und die böse Tat an meinem Bruder zu verbergen?“ So wurde er von denjenigen, die bereuen.
33) Aus diesem Grunde haben Wir den Kindern Isrāʾīls vorgeschrieben: Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne (dass es) einen Mord (begangen) oder auf der Erde Unheil gestiftet (hat), so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Und wer es am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält. Unsere Gesandten sind bereits mit klaren Beweisen zu ihnen gekommen. Danach aber sind viele von ihnen wahrlich maßlos auf der Erde geblieben.

Die Dialogbereitschaft der Muslime setzt voraus die Andersartigkeit der anderen Religion zu akzeptieren, sich um Verständigung zu bemühen und gemeinsame Inhalte und auch Traditionen zu entdecken. Was kann denn daran so falsch sein, dass sich Christinnen und Christen wie Menschen anderer Religionen z. T. im Koran wiederfinden und verstanden fühlen? Sollte es nicht betont werden, dass der Islam zu Deutschland gehört und damit auch in die Nähe der in Deutschland verbreiteten Religionen? Christinnen und Christen entdecken im Koran manchmal Wurzeln der eigenen Religion. Der Dialog ist unersetzbar.

*Anmerkung: Das Projekt des „Corpus Coranicum“ und seine Zielsetzugnen wird im Heft 1/2010 der Zeitschrift „Welt und Umwelt der Bibel“ erläutert:
„Das Vorhaben umfasst drei Module:
1) die Dokumentation des Korantextes in seiner handschriftlichen und mündlichen Überlieferungsgestalt.
2) eine Datenbank, die inhaltliche und sprachliche Überschneidungen von Koranstellen mit vorkoranischen Literaturen dokumentiert (‚Texte aus der Umwelt des Koran‘).
3) einen umfassenden historisch-kritischen Kommentar zum Koran, der den Text in seinem historischen Entstehungskontext zu deuten versucht.“ (Welt und Umwelt der Bibel, 1/2010, S. 4).

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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