Spirituelle Wanderer – Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2011

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zu: Christoph Bochinger, Martin Engelbrecht, Winfried Gebhardt: Die unsichtbare Religion in der sichtbaren Religion – Formen spiritueller Orientierung in der religiösen Gegenwartskultur, Religionswissenschaft heute, Bd. 3, W. Kohlhammer, Stuttgart 2009, ISBN 3-17-019034-4, Preis: 24,00 Euro

Ein interessantes Forschungsprojekt liegt dieser religionssoziologischen Abhandlung zugrunde, eine auf Interviews basierende Erhebung in einem geografisch begrenztem Raum, Oberfranken, konfessionell gemischt, ausgewertet mit einem besonderen Computerprogramm am Institut für Erforschung der religiösen Gegenwartskultur an der Universität Bayreuth, womit schon die Herkunft des Untertitels zum Teil geklärt sei. Die im Titel genannte Form einer „unsichtbaren“ Religion hat sich nach Meinung des Mitautors Christoph Bochinger nicht hinreichend bewährt, da diese zu offen und zu unspezifisch sei, wie er in seinem Abschnitt „Religion ohne Orthodoxie“, dem Schlussteil des Buches, ausführt. Als Gemeinsamkeit aller Autoren der Untersuchungsergebnisse hat sich die Beschäftigung mit einer Teilgruppe der auch über die Kirchenmitgliedschaft hinaus religiös interessierten Menschen herauskristallisiert, zumal sich diese als relativ klar profiliert herausstellte. Andere Teilgruppen waren entweder weniger gut abgrenzbar oder schon relativ klar beschrieben wie „Kerngemeindefromme“ (Kerngemeinde), „Kasualienfromme“ (Randgemeinde) sowie Fundamentalisten. Die Beschäftigung mit der Gruppe der „spirituellen Wanderer“ erscheint sowohl vom Profil her, als auch von der Frage der Herausforderung für die institutionelle Amtskirche vorrangig, da diese unzweifelhaft zumindest anfänglich über kirchliche Anbindung verfügt, sich trotz des inneren Dialogs oft im Feld von Kirche und Religion ansiedelt und sich dabei dennoch im Vorgehen von dem in der jeweiligen Kirche gewünschten Glaubensverständnis unterscheidet. Diese Menschen sind religiös, ja oft sogar, subjektiv gesehen, gläubig, definieren ihr Glaubensverständnis jedoch völlig eigenständig und mischen ihre Spiritualität aus christlichen und außerchristlichen Vorgaben. Die besondere Herausforderung ist darin zu sehen, dass sich eine eher unberechenbare innerkirchliche religiöse Konkurrenz mit relativer Toleranz zur Esoterikszene heranbildet und sich, von den Bildungsangeboten mal abgesehen, kaum in die innerkirchliche Strukturen integrieren lässt. Die Frage, ob und wie sich das Profil der spirituellen Wanderer von anderen Gruppen der Kirchenmitglieder oder religiös Interessierten verhält, wird hier leider nicht beantwortet. Auch quantitativ statistische Angeben fehlen bzw. können nicht gegeben werden. Der Schluss ist jedoch angebracht, dass nämlich die Herausforderungen spätmoderner, säkularer Gesellschaft für die Kirchen nicht auf einen einzigen Nenner gebracht werden können. Das Vorkommen der spirituellen Wanderer ist ein vorsichtiger Hinweis darauf, dass das Zauberwort Spiritualität nicht zwangsläufig zu einem traditionellen Kirchenverständnis zurückführt, sondern ebenso zu einer eigenständigen, profilierten und dazu auch praktizierten, christlichen geprägten, distanzierten Religiosität führen kann. Der Wunsch nach einem Zurück zu mehr Rechtgläubigkeit oder einem eindeutigen konfessionellem Profil führt säkular geprägte Menschen nicht automatisch in die Gemeinden. Das Vorgehen der Arbeit über spirituelle Wanderer ist interessant und sollte ergänzt werden durch eine religionssozialogische Untersuchung zu einer eher pantheistischen, vernunftorientierten, kirchlich distanzierten Religiosität mit der es Berührungspunkte und zu der es auch klare Differenzen gibt. Zweifelsohne zeigen die spirituellen Wanderer den kirchlichen Institutionen auf, dass eine Widerkehr oder Rückkehr der Religion nicht bedeutet, dass diese auf die ursprünglichen Gleise führt. Spirituelle Wanderer, säkularer Glaube, moderne Kerngemeinden, Kirchenmusik, Ehrenamtlichkeit, sozial Engagierte sowie Fundamentalisten geben ein Bild der Vielfalt ab, das nicht mit Selbstsäkularisierung zu verwechseln ist.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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