Zur Studie des Bundesinnenministeriums, Torsten Bechhaus, Werl 2012

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Sehr geehrte Damen und Herren des Redaktionsteams von hart aber fair,

ich möchte das Ergebnis meiner inhaltlichen Überprüfung der Studie des Bundesinnenministeriums zu jungen Muslimen im Alter zwischen 14 und 32 Jahren mitteilen, weil ich es schockierend finde, wie falsch der Inhalt einer Studie in der Öffentlichkeit durch den Minister selbst und die Medien dargestellt wird.

Vielleicht ist es ein mögliches Thema für Ihre Sendung.

Gerade im Zusammenhang mit der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt in Berlin am 23.02.2012 ist es für mich ein unglaublicher Vorgang, nur eine Woche nach der Gedenkveranstaltung in populistischer Weise eine Studie falsch und zu Lasten einer religiösen Minderheit auszuschlachten.

Als engagierter Bürger und Mitbegründer des Bürgerbündnisses „Werler Workshop Werte“ war ich durch das Bundespräsidialamt zu dieser Gedenkveranstaltung eingeladen und habe schon nach dem Besuch der Gedenkveranstaltung ein zwiespältiges Gefühl zur Rolle der Politik bei dieser Gedenkveranstaltung gehabt. Meine subjektiven Empfindungen bei dieser Veranstaltung habe ich den Freunden und Mitgliedern des Bürgerbündnisses schon nach dem Besuch mitgeteilt.

Blindheit auf dem rechten Auge fängt da an, wo man öffentliche Falschdarstellungen zulässt, die nur den Sinn haben eine Minderheit, und hier auch noch eine religiöse Minderheit, auszugrenzen und als potenziell gefährlich darzustellen.

Wegen des Umfangs der Studie sind die Ausführungen zur inhaltlichen Überprüfung zwar nicht sehr kurz ausfallen, ich hoffe jedoch, dass meine Einwände gegen die öffentliche Darstellung verständlich werden. Mir ist es zwar bisher noch nicht möglich gewesen die gesamte Studie vollständig zu lesen, jedoch habe ich wesentliche Aussagen überprüft und dargestellt.

Genau eine Woche nach der Gedenkveranstaltung werde ich durch die Information im ZDF aufgeschreckt, dass 25 % der nichtdeutschen Muslime und 15 % der deutschen Muslime im Alter zwischen 14 und 32 Jahren nicht integrationswillig seien und tendenziell Gewalt akzeptieren.

Das ZDF hat die Studie als Download auf seiner Internetseite eingestellt, so dass eine genaue inhaltliche Prüfung möglich ist.

Die Wissenschaftler haben in der Studie an mehreren Stellen ausdrücklich darauf hingewiesen, wie die Studie nicht verwandt werden kann.

Eine wesentliche Grundlage der Studie war eine Telefonbefragung in 2 Wellen, die erste Ende 2009 mit 923 Teilnehmern, 206 deutsche Nichtmuslime, 200 deutsche Muslime und 517 nichtdeutsche Muslime. Aus dieser Gruppe wurden in einer zweiten Welle Ende 2010 nochmals jeweils ca. die Hälfte befragt.

Wegen dieser Art der Befragung ist auf Seite 119 ausgeführt:

„Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass der Zusammenhang zwischen selbst berichteter Einstellung und tatsächlichem Verhalten im Allgemeinen nicht sehr hoch ist. So zeigte eine Meta-Analyse von Hines et al. (1987), dass zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Einstellung zum Umweltschutz und tatsächlichem die Umwelt schützendem Verhalten mit …. nur 12 Prozent beim Verhalten relativ gering war. Deshalb liefern die von uns gemessenen Einstellungen – und etwas anderes ist mit der hier verwendeten, telefonbasierten Interviewmethode kaum erfassbar – zwar Hinweise für eine mögliche individuelle Radikalisierung, sind aber keinesfalls mit ihr gleichzusetzen. Am besten sollte sich der Leser deshalb für die Interpretation der hier berichteten Befunde immer am konkreten Inhalt der Items und auch der Antwortkategorien orientieren (der jeweils mit berichtet wird), denn weitergehende Schlussfolgerungen (zum Beispiel über radikales Verhalten) sind und bleiben rein spekulativer Natur. Deshalb ist mit der vorliegenden Methode auch keine Analyse tatsächlicher Radikalität (oder von Extremismus) möglich.“

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass man die Begriffsdefinitionen der Wissenschaftler für Radikalismus und Extremismus zugrunde legt, wie sie auf den Seiten 28 – 30 erläutert werden. Auf Seite 30 wird die Definition wie folgt erklärt:

„Im Rahmen dieser Studie soll der Begriff Extremismus nur auf diejenigen muslimischen Personen und Organisationen angewandt werden, die aktiv Maßnahmen ergreifen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind oder die ein derartiges Vorgehen begrüßen oder unterstützen. Beispiele für solche extremistischen Verhaltensweisen wären alle Formen des Terrorismus und der religiös motivierten Gewalt sowie die Zustimmung zu oder Unterstützung von derartigen Verhaltensweisen.

Als radikal können gemäß dieser Bestimmung muslimische Personen oder Organisationen gelten, die sich tiefgehende gesellschaftliche und politische Veränderungen in Deutschland wünschen, die jedoch das gegenwärtige politische und rechtliche System der Bundesrepublik zumindest respektieren und die keine illegalen oder gewalttätigen Maßnahmen ergreifen oder gutheißen.“

Auf Seite 28 wird die Auffassung des Bundesamts für Verfassungsschutz wiedergegeben: „Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz.“

Als religiöser Fundamentalismus wird eine besonders strenge Form der Religiosität bezeichnet.

Für eine Bewertung der Studie ist auch von grundlegender Bedeutung, in welchem Alter sich die Befragten befinden, da die Spanne von 14 bis 32 gerade in der persönlichen Entwicklung einen Zeitraum oftmals starker Veränderungen beinhaltet.

Auf Seite 129 der Studie befindet sich eine Aufteilung in die Altersgruppen von 14 – 17, von 18 – 25 und von 26 – 32 Jahren.

Wenn in der Telefonbefragung in den muslimischen Gruppen ca. 35 % der Befragten aus der Gruppe 14 – 17 sind, dann stellt sich für mich hier schon die Frage, welche wirkliche Aussagekraft ich aus diesen Telefonantworten ziehen kann.

Da es deutliche Verschiebungen in den Altersgruppen gibt, so sind z. B. nur 19,9 % der befragten deutschen Nichtmuslime in der Altersgruppe 14 – 17, finde ich die Aussage in der Zusammenfassung der ersten Befragungswelle auf Seite 139 schon nicht korrekt, dass deutsche Nichtmuslime erwartungsgemäß deutlich besser in den Arbeitsmarkt integriert sind als deutsche oder nichtdeutsche Muslime. Der Schüleranteil ist nämlich bei den befragten Muslimen deutlich höher, wie aus der Tabelle auf Seite 135 ersichtlich ist.

Ich frage mich auch, welche Aussage man hieraus schöpfen will.

Auch die Fragen zu den Radikalisierungsindikatoren sind zum Teil erstaunlich.

Die Fragen um Vorurteile gegen den Westen ausfindig zu machen lauten: „Solange die westliche Welt andere Völker ausbeutet oder unterdrückt, wird es keinen Frieden auf der Welt geben.“ sowie „Mit ihren Militäraktionen versuchen die westlichen Staaten nur, die islamische Welt zu spalten und zu schwächen.“ (Nachzulesen auf Seite 153)

Wäre ich befragt worden, so hätte ich auf der Basis der ersten Frage Vorurteile gegen den Westen. Man würde mir noch nicht einmal zugestehen, dass es ein Urteil auf Basis von Informationen ist.

Ein weiterer Radikalisierungsindikator sind Vorurteile gegenüber Juden. Ausgangspunk ist hier die „Al-Aqsa-Intifada“ in den palästinensischen Gebieten und der 11. September 2001.

Auch hier ist der Ausgangspunkt äußerst kritisch. Gerade als engagierter Menschen gegen Rechtsextremismus weiß man um antisemitische Strömungen in unserem Land. Wer sich aber sorgfältig mit dem Nahostkonflikt befasst, wird feststellen, dass von der konservativen israelischen Regierung viel Unrecht gegenüber den Palästinensern ausgeht, wie z. B. Abschneiden von Wasser und Landraub. Als Mitbegründer des interreligiösen Dialogkreises in Werl trete ich deutlich für die religiösen Rechte der Juden ein und diese sind eine Bereicherung des Dialogs. Dies hat aber nichts mit dem Nahostkonflikt und der Einstellung hierzu zu tun.

Auch weitere Fragepunkte, wie negative Emotionen gegenüber dem Umgang der westlichen Welt mit dem Islam, sind geradezu Fangfragen für Kinder und Jugendliche, die von täglicher Diskriminierung betroffen sind.

Die Auswertung der Radikalisierungsindikatoren ist für mich in der Studie in den Tabellen nicht nachvollziehbar dargestellt.

Wer jetzt aber glaubt, dass die Muslime in der Studie schlecht abschneiden, irrt sich gewaltig. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen sind das Gegenteil von dem, was öffentlich transportiert wird.

Hier einige Angaben aus der Studie:

„Die überwältigende Mehrheit aller religiös, streng religiös oder fundamentalistisch-religiösen Muslime lehnt religiös motivierte Gewalt entschieden und konsequent ab. Auch diese Muslime sehen militante Islamisten und Terroristen als Verblendete, die unter Ausnutzung ihrer Unkenntnis gegenüber der eigenen Religion von „schlechten Menschen“ verdorben und verführt wurden. Innerhalb dieser muslimischen Communitys spielt allerdings der Nahostkonflikt ebenfalls eine wichtige Rolle. Auch hier erachtet man den Umgang der westlichen Welt und Israels mit den Palästinensern als ungerecht. Aus dieser Ungerechtigkeit wird jedoch nicht die Forderung nach einem „Heiligen Krieg“ abgeleitet, den es nach Meinung dieser Muslime ohnehin gar nicht gibt.“ (Seite 514)

Man sollte folgende Aussage in Ruhe auf sich wirken lassen:

„Die deutsche Bevölkerung wird eher als distanziert-abweisend beschrieben. Dies bezieht sich insbesondere auf eine mangelnde Akzeptanz des Islam und der damit verbundenen Lebensweise durch die nichtmuslimische Bevölkerung.“ (Seite 603)

Auch die abschließende Erklärung zu Integration sollte genau wahrgenommen werden:

„Das wissenschaftliche Verständnis von „Integration“ unterscheidet sich offensichtlich vom alltäglichen Verständnis vieler Menschen, vor allem aus der Mehrheitsgesellschaft. Während Integration im wissenschaftlichen Sinne das gleichzeitige Bewahren der Kultur(en) der Migranten sowie die Akzeptanz und Übernahme der deutschen Kultur (und Sprache) bedeutet, wird im Alltagsgebrauch häufig nur der zweite Aspekt betont, der Wunsch nach Anpassung der Migranten an die deutsche Mehrheitskultur. Dieser Wunsch entspricht aber (in unserem wissenschaftlichen Verständnis) eher einem Wunsch nach „Assimilation“, also dem vollständigen Aufgeben der traditionellen migrantischen Herkunftskultur und dem völligen Übernehmen der deutschen Kultur, Normen und Werte.“ (Seite 652)

„Um islamistischen Radikalisierungsprozessen vorzubeugen und derartige Integrationsprozesse anzustoßen, zu fördern und nachhaltig zu realisieren, sind gesellschaftliche Initiativen gefordert, die den Aufbau einer positiven bikulturellen Identität der Muslims erleichtern. Damit dies im Fall der Muslime in Deutschland gelingt, muss sowohl eine positive Orientierung der Aufnahmekultur möglich sein als auch Raum für eine positive Bindung an die Herkunftskultur und –religion gegeben werden. Hier sind Staat und Gesellschaft gefragt, diese Bindungen zuzulassen.“ Seite 643)

Die Art der Veröffentlichungen des Inhalts der Studie widerspricht dieser Forderung völlig. Anstatt Ansätze für eine positive Einstellung in der deutschen Mehrheitsbevölkerung für die andere Kultur und Religion zu fördern, werden radikalisierende Berichte verfasst, in der Hoffnung mit dem Feindbild des Islam im Gepäck bei den nächsten Wahlen mehr Stimmen erlangen zu können. Dies hat bereits zur Trauerfeier am 23.02.2012 in Berlin geführt. Große Worte vor den Kameras und danach zurück in den politischen Alltag, bei dem es nur um Stimmen geht.

Zu welchem Ergebnis kommt man über die Einstellung der befragten Kinder und Jugendlichen in der Studie.

„Die Teilnehmer waren einstimmig der Meinung, radikale Islamisten würden das Bild des Islam in ein schlechtes Licht rücken und somit einem positiven Bild des Islam in der Welt entgegenwirken. Alle Probanden grenzten sich sowohl von der als diskriminierend empfundenen westlichen Welt als auch von den als fehlgeleitet und unmoralisch bewerteten islamistischen Terroristen ab.“ (Seite 645)

Diese Gefühle und diese Ergebnisse sind aufgrund der Studie für mich absolut nachvollziehbar. Nicht die Muslime sind in der Pflicht zu handeln, sondern die Studie sagt eindeutig, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft gefragt ist Grundlagen für eine positive Veränderung zu schaffen.

Nun noch eine Empfehlung der Wissenschaftler in der Studie, die selbst mich überrascht aber doch überzeugt hat:

„Auch zwischen wahhabitisch-fundamentalistischen Predigern und gewaltbereiten islamistischen Extremisten sollte ein klarer Unterschied gemacht werden. Viele junge Muslime finden die einfachen und klaren Botschaften von wahhabitischen Predigern wie Pierre Vogel ansprechend, ohne Sympathie für islamistischen Terror zu empfinden und ohne dass sie sich die Einführung eines „islamischen Gottesstaates“ wünschen würden. …. Die meisten fundamentalistisch-religiösen Muslime lehnen religiös motivierte Gewalt ab. Wirft man nun derartigen Gruppierungen vor, Hass zu predigen, oder wirft man sie mit islamistischen Extremisten in einen Topf, verstärkt man einerseits nur das diese Gruppierungen einigende Gefühl, Opfer einer kollektiven Diskriminierung zu sein. Zum anderen schwächt man die Position derjenigen, die sich innerhalb der muslimisch-fundamentalistischen „Szene“ deutlich gegen Gewalt aussprechen, und stärkt dadurch die Position der Extremisten. Zudem gibt es auch viele moderate Muslime, die einen wahhabitisch geprägten Fundamentalismus zwar für zu extrem halten, sich aber von der Kraft und der Einfachheit dieser Botschaften angesprochen fühlen. Auch diesen Muslimen wird durch eine Pauschalverurteilung aller fundamentalistischen oder streng religiösen Gruppierungen nur einmal mehr der Eindruck vermittelt, dass für „die Deutschen“ alle Muslime – egal, was sie tun und glauben – Terroristen, Extremisten und innerhalb der Gesellschaft unerwünschte Fremdlinge sind.“ (Seite 649)

Ich möchte nicht schließen, bevor ich auch die konkreten Falschaussagen in der öffentlichen Darstellung widerlegt habe.

Über dapd wurde eine Mitteilung zu der Studie herausgegeben, die im „Soester Anzeiger“ unter „ „Muslim-Studie“ sorgt für Wirbel“ online veröffentlicht wurde. Zu den Prozentzahlen werde ich gleich noch ausführen. Hier soll zuerst die Aussage beleuchtet werden: „Die Wissenschaftler rieten dazu, weniger restriktive Maßnahmen wie „Kopftuchverbote“ anzugehen.“

Wie man ohne Böswilligkeit eine solche Aussage auf Basis der Studie treffen kann, ist mir nicht bekannt.

In der Studie wird ausgeführt:

„Restriktive Maßnahmen wie ein „Kopftuchverbot“ oder ein „Minarettverbot“ stärken in erster Linie die Extremisten! Wie unsere Befunde nahelegen, wäre letztendlich eine Stärkung islamistisch extremistischer Gruppierungen eine mögliche Folge repressiver Maßnahmen wie eines „Minarettverbots“ oder eines „Kopftuchverbots“. …. Ein Verbot des Kopftuchs zum Beispiel in öffentlichen Gebäuden würde wohl ebenfalls innerhalb dieser Gruppierungen kaum „Schaden“ anrichten, weil die Vertreter dieser Positionen ohnehin kein großes Interesse haben, am öffentlichen Leben in Deutschland teilzunehmen. Zudem würden solche Maßnahmen exzellent in das von ihnen propagierte Bild einer verkommenen und den Islam feindlich gesinnten westlichen Kultur passen. …. Zusätzlich würden auch säkulare Muslime, die nur selten die Moschee besuchen und keine äußeren Symbole ihres Glaubens tragen, derartige Verbote als diskriminierende Repressalien und Ungerechtigkeiten empfinden. Hierdurch würde nur einmal mehr ihre Überzeugung bestärkt, in der deutschen Gesellschaft nicht willkommen zu sein. Dadurch könnten die Extremisten ihrem Ziel, mehr moderate Muslime für ihre Sache zu begeistern, tatsächlich näher kommen.“ (Seite 651)

Einige dieser Aussagen halte ich auch für falsch formuliert, da sie den Eindruck erwecken können, als seien „Kopftuchträgerinnen“ tendenziell extremistisch, was durch die Studie aber nicht behauptet werden soll. Es steht jedoch fest, dass dringend von einem Kopftuchverbot abgeraten wird.

In der Berichterstattung des „Soester Anzeigers“ von Freitag den 02.03.2012 ist auf der Seite „Hintergrund“ ein dpa Bericht veröffentlicht und ein Kasten mit „Studienergebnis“. Dort wird ausgeführt: „Fast ein Viertel der nichtdeutschen Muslime zwischen 14 und 32 Jahren, die in Deutschland leben, will sich nicht integrieren. Sie sind streng religiös mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und fehlender Integrationstendenz. Unter den befragten Muslimen mit deutscher Staatsbürgerschaft hätten 15 Prozent diese Einstellung.“

In der Studie wird ausgeführt:

„Die Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen (wobei Hochrechnungen dieser Zahlen auf die Gesamtheit der in Deutschland lebenden Muslime nicht zulässig sind!):“ (Seite 614)

Nachfolgend wird als ein Punkt ausgeführt:

„3. Vor dem Hintergrund der von uns präferierten Auffassung von Radikalisierung und Fundamentalismus lassen sich ca. 15 % (Cluster 3) der deutschen Muslime als „streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ bezeichnen.“ (Seite 614)

Zum einen sind Hochrechnungen auf die Gesamtzahl der Muslime in Deutschland für unzulässig erklärt worden, zum anderen muss man die von den Wissenschaftlern vorgegebenen Begriffsdefinitionen verwenden und die Fragen an die Kinder und Jugendlichen berücksichtigen, wie ich sie oben dargestellt habe.

Weiterhin wird auf eine Besonderheit hingewiesen:

„Die „streng Religiösen mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ betonen den Respekt gegenüber familiären und religiösen Bräuchen;“ (Seite 614)

Hier muss man wieder berücksichtigen, dass Kinder und Jugendliche befragt werden, die Fragen Fallstricke enthalten und nach Werten nicht wirklich gefragt wurde. Diese haben Respekt vor Familie und Religion. Soll das etwa ein negatives Element sein? Ich würde mich freuen, wenn die deutsche Mehrheitsgesellschaft Familie und Religion schätzen würde.

In diesem Zusammenhang folgend wird auf Seite 615 zu den nichtdeutschen Muslimen dargestellt, dass sich hierunter eine Gruppe von 23,8 % befindet, „die wir als streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ bezeichnen.

„Der Vergleich dieser zwei Cluster der nichtdeutschen Muslime zeigt, …, es mache sie wütend, wenn nach einem Terroranschlag alle Muslime als Terroristen verurteilt werden; deutlich stärker den Respekt gegenüber familiären und religiösen Gebräuchen hervorheben; mehr private Kontakte mit Muslimen, aber wenige private Kontakte mit Deutschen haben; Hilfe eher in ihrer Moschee zu finden meinen; sich aber über aktuelle Ereignisse seltener bei ARD und ZDF aber häufiger bei den türkischen Fernsehsendern Kanal D / Euro D und TRT Türk informieren und eher angeben im Internet zuverlässigere Informationen zu religiösen Themen zu finden.“ (Seite 615)

„Betrachtet man nur diejenigen deutschen und nichtdeutschen Muslime mit besonders extremen Ausprägungen aus den mittels Clusteranalyse identifizierten Gruppierungen der „streng Religiösen mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“, so verringert sich die Anzahl der auffallenden Personen ganz augenscheinlich. In der Teilgruppe der deutschen Muslime sind es 4 Personen und in der Teilgruppe der nichtdeutschen Muslime insgesamt 12 Personen, die besonders extreme Ausprägungen aller Radikalisierungsindikatoren aufweisen.“ ( Seite 615)

Im Anschluss daran wird in der Studie wieder ausdrücklich auf die Definition der Radikalisierung der Wissenschaftler verwiesen.

Aus diesen paar Personen, bei denen es sich um die jüngsten Kinder handeln kann, die am Telefon eventuell in pubertärer Kraftmeierei unsinnige Aussagen gemacht haben, wird, entgegen dem ausdrücklichen Gebot der Wissenschaftler, eine pauschalierte Behauptung zu der Einstellung von in Deutschland lebenden Muslimen aufgestellt.

Der Umgang mit dieser Studie ist insgesamt daher ein Verstoß gegen den Grundsatz der Fairness und dient einer populistischen Meinungsbildung, die zur Ausgrenzung der Muslime in Deutschland führt. So können wir keine Integration erreichen, die auf einer bikulturellen Identität basiert.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss mit dem Schutz junger Menschen in Bezug auf die seinerzeit 16 und 18 Jahre alten Söhne (Jungschauspieler) von Uwe Ochsenknecht befasst. Diese hatten in dem Alter am 1. Mai 2008 in München ein wenig randaliert und die „Sächsische Zeitung“ hatte hierüber berichtet.

Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Veröffentlichung ausgeführt, dass zwar junge Menschen besonders schutzbedürftig seien, da sie sich erst zu eigenverantwortlichen Personen entwickeln müssen. Da die jungen Schauspieler sich aber in der Öffentlichkeit ein Image als „Junge Wilde“ mit Idolfunktion kommerziell vermarkten, sei die Berichterstattung zulässig gewesen.

In der Berichterstattung über die Studie werden für noch jüngere Menschen ganz andere Maßstäbe angelegt und eine Verallgemeinerung zur Diskriminierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe und Religion genutzt.

Ich hoffe, dass ich ein Interesse Ihrerseits an dem Thema geweckt habe, obwohl ähnliche Themen von Ihnen schon behandelt wurden.

Mit freundlichen Grüßen

Torsten Bechhaus

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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