Vom Schweigen zum Wort, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2013

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Zu: Jochen Teuffel: Im Angesicht der Katastrophe, öffentliche Trauer – und Bittgottesdienste, Elemente, Modelle, Materialien, mit CD-Rom (PDF Datei des Buchinhalts), Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2012, ISBN 978-3-579-05869-6, Preis 19,99 Euro

Im Angesicht der Katastrophe von Jochen TeuffelEs ist in der Tat an der Zeit, sich auf die Vorbereitung von öffentlichen Katastrophengottesdiensten einzustellen. Die Zeit bringt es mit sich. Die Anlässe, die der Autor aufzählt, von Ramstein (1988) bis Fukushima (2011) sind nur ein Ausschnitt der Ereignisliste. Das Gedenken besonders katastrophaler Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, die auch in diese Reihe gehört hätten, wie Auschwitz, Hiroshima, Dresden oder auch regionale wie die Möhnekatastrophe, wird in diesem Band zugunsten aktueller Ereignisse zurückgestellt.
Jochen Teuffel, der als Dozent in Hongkong tätig war und dort mit einer lokalen Katastrophe, einer Virus-Epidemie, befasst war, analysiert die Situationsbeschreibung, die Klage- und Gebets-Funktion der öffentlichen Trauerveranstaltung, die zumeist wenigstens ökumenisch, wenn nicht sogar wie in Japan multireligiös (nicht „interreligiös“) abgehalten wurden. Dabei warnt er davor, Kirche als „Sinnstifterin“ zu befrachten. Stattdessen soll das Potential biblisch verkündeten Gottesglaubens zur Sprache kommen. Gottes Schweigen soll ausgehalten und nicht kurzschlüssig in menschlich geprägte Situationsanalyse umgemünzt werden, da der Verlust des menschlichen Lebens mit Rücksicht auf die Betroffenen in der Trauerarbeit nicht instrumentalisiert werden dürfe, obwohl dazu gleichwohl die Öffentlichkeit auch Aussagen erwartet. Der Glaube ist somit eher die Arbeit an der Sinnfrage als eine schnelle Antwort darauf; sogar der kommende Gott der Apokalypse kann und soll im Gespräch bleiben. Hier kommt beim Rezensenten allerdings die Frage auf, warum die Theodizee-Frage nicht selbst weltanschaulich hinterfragt wird (Theismuskritik), statt aus der Gegenwart in die Zukunftsverheißung zu flüchten. Die pure Zukünftigkeit wird in schlichter Hörerhermeneutik in ein einfaches „Kopf hoch, das Leben geht weiter“ umgedeutet, was als Sinnarbeit doch wohl zu wenig ist. Zu Recht allerdings kritisiert der Autor allzu platte Symbolisierungen des Trauerprozesses. Die schwächste Stelle des Buches ist die Ablehnung aktueller Pop-Musik für den Einsatz in Trauergottesdiensten, der pauschal als zu wenig religiös aussagekräftig bezeichnet wird. Der Autor verkennt völlig die hermeneutische und seelsorgerliche Dimension der Arbeit mit den Texten der Pop-Kultur. Stattdessen schlägt er Lieder mit neueren Texten vor, die auf die Melodien traditioneller, oft spätmittelalterlicher Gesangbuchlieder gesungen werden. Die Aktualität der Texte täuscht nicht darüber hinweg, dass die Liedmelodien in der breiten Öffentlichkeit, um die es ja wohl geht, gänzlich unbekannt sind. Diese Lieder wären allenfalls für Chorbeiträge geeignet. Der gute Text- und Materialteil mit zahlreichen Beispieltexten zu verschiedenen Anlässen öffentlicher Trauer macht das Buch allerdings doch zu einer wichtigen Handreichung, die in keinem Trauerkoffer fehlen sollte. Zum Schluss sollte als Ausblick eine Frage des Autors genannt werden, die aus der Aufzählung von Katastrophen vergangener Jahre die Beobachtung folgen lässt, dass manche Ereignisse sehr starke Beachtung finden und andere, vom Anlass und der Opferzahl her vergleichbar, nur kurz angesprochen werden und in der Öffentlichkeit kaum Resonanz finden. Die Frage lautet zum Schluss also: Gehört es zum Wesen einer Katastrophe, dass sie in der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten kann, während sie das Leben der Hinterbliebenen im Ganzen beeinträchtigt? Dem Autor gebührt der Dank, dieses unangenehme Thema aufgearbeitet und für künftige Ereignisse eine professionellere Trauerarbeit ermöglicht zu haben.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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