Die Bibel ohne Scheuklappen lesen. Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2013

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Zu: Othmar Keel: Jerusalem und der eine Gott, Vandenhoeck und Ruprecht Göttingen 2011, ISBN Print: 9783525540107, ISBN E-Book: 9783647540108, Preis: 19,99 Euro, Bezugsquelle: http://www.v-r.de/de/title-1-1/jerusalem_und_der_eine_gott-1007707/

Othmar Keel, geboren 1937, schweizerischer katholischer Theologe, widmet seine 978-3-525-54010-7wissenschaftliche Arbeit der gründlichen religionsgeschichtlichen Untersuchung der Bibel. Besonders eindrücklich sind die Zeichnungen archäologischer Zeugnisse wie Amulette, Münzen, Inschriften u. ä ., die vor allem in den letzten Jahrzehnten in Jerusalem gefunden wurden. Das hier zu rezensierende Buch fasst die Ergebnisse des weit umfangreicheren Bandes „Jerusalem und die Entstehung des Monotheismus“ (ds., Göttingen 2007) zusammen. Besonders vor dem Hintergrund der von Jan Assmann* u. a. vertretenen These zur Geschichte des Monotheismus als Instrument von Gewalt nach Innen und Außen ist der Band von Othmar Keel bemerkenswert. Kurz gesagt: Die historische Einordnung der archäologischen Zeugnisse, die in Jerusalem gefunden wurden und das Geschichtsbild, das sich aus dem vordergründig verstandenen Bibeltext ergibt, sind nicht miteinander in Deckung zu bringen.
Es ist nicht die Aufgabe der Rezension, dieses Ergebnis detailliert zu belegen, wenn es auch in einzelnen Feststellungen des Rezensenten deutlich wird. Insofern kann dieser Text der Lektüre nicht vorgreifen, die, wie es für die Bücher von Othmar Keel insgesamt gilt, auch von der bewussten Einbeziehung der Abbildungen lebt.
Die Hauptthese Othmar Keels Beitrag zur Monotheismus-Debatte lautet: „Aufgrund der an diesem Ort entstandenen und entwickelten Traditionen wurde Jerusalem zur Geburtsstätte des Monotheismus oder genauer: eines Monotheismus.“ (S.10) Etwaige Rückprojektionen auf in Ägypten im 2. vorchristlichen Jahrtausend vertretene Gottesvorstellungen Echnatons sind verfehlt, auch wenn sie an der biblischen Figur des Mose festgemacht werden, da der biblische Monotheismus, so wie wir ihn in den Religionen Islam, Christentum und Judentum kennen, erst langsam aus der Religionsgeschichte Israels entwickelt wurde. So tauchen z. B. Amulette mit Schriftzeichen hebräischer Buchstaben unter Nennung des Gottesnamens JHWH erst im 8. Jahrhundert (vor dem Untergang des Nordreichs) in Jerusalem auf. Die Darstellung des Kults bezogen auf David und Salomo oder gar auf Mose stammen allesamt aus einer späteren Zeit und enthalten zwar frühere Erinnerungen, die dann erst im Licht des Monotheismus interpretiert worden sind. Das heißt, dass es, nun durchaus im Gegensatz zur biblischen Erzählung, in Israel auch neben der Anbetung JHWHs andere Götter und Gottesvorstellungen gegeben hat, wie sie z. B in die Gottesbezeichnung Elohim (Plural von El, Gott) in der von Keel so bezeichneten Priesterschrift (früher genannt: Elohist) eingeflossen sind. Bemerkenswert sind darüber hinaus die Einflüsse der politischen Konzepte der in Israel herrschenden Großreiche, sei es vom Süden her von Ägypten oder vom Norden im Wechsel von Assyrien, Babylonien, Persien, Griechenland und Rom. Die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Konzepten von Herrschaftsausübung sind, quasi als Reaktion, in das biblische Gottesbild integriert worden und so auf die Vorstellung von der Macht Gottes übertragen worden. In der Lektüre der Bibel, die von einer exegetischen Richtung wie der Othmar Keels bestimmt wird, dient dieses Wissen dazu, die biblischen Gottesbilder zu dekonstruieren, in dem sie etwa bekannte politische Herrschaftsmodelle in der religiösen Überlieferung offen legt, um sie nicht nachträglich erneut festzuschreiben oder eine solche Festschreibung rückgängig zu machen. Es ist die vielleicht deutlichste Antwort auf die von Jan Assmann* angestoßene Debatte, dass die im Text der Bibel dargestellte Gewalt nicht vom Monotheismus Israels ausging oder quasi erfunden wurde, sondern im politischen Umfeld vorgegeben war, wodurch die Religion des Monotheismus immer auch ein wenig zur politischen Theologie geworden ist. Immerhin aber sind die stärksten Friedensvisionen auf dem Boden dieser politischen Theologie gewachsen (Micha 4, 1-4 und Parallele). Das Buch von Othmar Keel dient der Versachlichung der Monotheismus-Debatte einerseits und der Rückkehr zur Religionsgeschichte andererseits. Es ist ein starker Beitrag, der lange nachwirken wird.

*Anmerkung zu Jan Assmann: Die Monotheismus-Debatte ist neben einigen Veröffentlichungen dokumentiert auf der Homepage www.perlentaucher.de. Othmar Keel geht explizit auf diese Diskussion ein, wenn er feststellt: „Die Religion Echnatons war im 12.Jh. v.Chr. nicht mehr bekannt. Der historische Mose, soweit er überhaupt fassbar ist, war Polytheist. Als solchen schildert ihn die grundlegende Erzählung von seiner Begegnung mit einem göttlichen Wesen im brennenden Dornbusch, das ihn beauftragt, die Hebräer aus Ägypten herauszuführen. Es ist kein einziger Gott, der ihm da erscheint, sondern ein göttliches Wesen, das einen Namen haben muss, um es von anderen göttlichen Wesen unterscheiden zu können. Der erscheinende Gott nennt als seinen Namen JHWH. Das Hebräische schreibt nur die Konsonanten. Aufgrund akkadischer und griechischer Umschreibungen, die die Vokale mitberücksichtigen, kann man annehmen, dass der Name »Jahwe« ausgesprochen wurde. »Das ist mein Name für immer, und so wird man mich nennen in allen Generationen« (Ex3,15). Wenn das Judentum trotz dieses Satzes in nachexilischer Zeit angefangen hat, diesen Namen nicht mehr zu verwenden (s.unten), hat das nichts damit zu tun, dass dieser Name zu heilig und unaussprechlich wurde, das ist eine Mystifizierung des Sachverhalts, sondern damit, dass der Eigenname, nachdem sich der Monotheismus durchgesetzt hatte, daran erinnerte, dass JHWH einmal ein Gott unter anderen Göttern war. Der historische Mose ist nicht der Stifter des israelitisch-jüdischen Monotheismus. Dieser ist erst, wie zu zeigen sein wird, im 8.–6. Jh. v.Chr. entstanden.“ (Othmar Keel, ebd. S.11f)

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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