Eigene Kraftquellen herausfinden. Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2013

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Zu: Clemens Sedmak: Innerlichkeit und Kraft, Studie über epistemische Resilienz, Herder Verlag Freiburg 2013, Forschungen zur europäischen Geistesgeschichte, Band 14, ISBN 978-3-451-34146-5, Preis: 49,00 Euro

20131213-202449.jpg Clemens Sedmak, Professor für Philosophie und Leiter des Instituts IFZ in Salzburg (Internationales Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen) betreute bereits die interdisziplinäre Arbeit zu „Patristik und Resilienz“ (Akademie Verlag Berlin 2012). Jetzt legt er die Resultate seiner persönlichen Arbeit zum Thema „Resilienz“ vor, die sich besonders darin ausdrückt, dass er den Begriff „epistemische Resilienz“ einführt, der hier auch schon im Untertitel zu lesen ist. „Epistemische Resilienz ist Widerstandskraft, die aus inneren Quellen (im Gegensatz zu äußeren Quellen wie persönlichen Beziehungen, sozialen Kontakten, politischen und rechtlichen Strukturen, institutionellen Rahmenbedingungen, physischen Tangibilitäten oder kulturellen Sichtbarkeiten) gespeist wird.“ (S. 36).
Resilienz selbst ist im Bild gesprochen die Kraft, die ein lebendiger Baum aufweist, um nach einer Windböe, in der er sich neigt, in die Ausgangslage zurückzukehren (kein Zitat).

Der Begriff ist in der Industrie aus der Werkstoffkunde bekannt. Den deutlich religiös orientierten Schwerpunkt in der Auseinandersetzung mit der Frage der Resilienz untermauert Sedmak nicht nur mit einer gründlichen Darlegung der wissenschaftlichen Literatur, sondern auch mit Beispielen aus den Lebenswerken unterschiedlicher Autorinnen und Autoren wie Dietrich Bonhoeffer, Viktor Frankl, Dag Hammarskjöld, Corrie ten Boom und anderen.
Die epistemische Resilienz zeigt sich besonders dort, wo Menschen durch eine äußere Lage, z. B. der Haft, gezwungen sind, eine „Wende nach innen“ zu vollziehen, um aus eigenen Quellen wie Bildung, Hoffnung und Sinngebung zu schöpfen. Dazu gehört eine entsprechende Grundhaltung, die sich in Dankbarkeit und Vertrauen ausdrückt. Zur Resilienz gehören dann auch entsprechende Handlungen wie Erinnern, Denken und Glauben. All diese Merkmale finden sich laut Sedmak in Bonhoeffers Buch „Widerstand und Ergebung“. Sie begegnen den Lesern hier exemplarisch für die Gliederung der Studie; daher wird das Beispiel Bonhoeffers in der Einleitung erläutert.
Zu den inhaltlichen Begründern der Eigenschaft Resilienz gehört, wenn er es auch so noch nicht genannt hat, Viktor Frankl. Er zeigt am Beispiel der eigenen Lebensgeschichte, wie es unter den Bedingungen des KZs Auschwitz gelingen kann, alle Kraft gegen Apathie und Gleichgültigkeit aufzubringen, zumal sich Menschen in einer solchen Situation gezwungenermaßen auf ihr Inneres zurückziehen müssen. Doch auch unabhängig vom äußeren Druck ist es auch in anderen Situationen durchaus sinnvoll, das eigene Innere als Quelle der Kraft zu entdecken.
Der ehemalige schwedische UN -Generalsektretär Dag Hammarskjöld war sich bewusst: „Der Blick in die Seele ist ein Blick in den Kosmos“ (S. 134). Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Inneren bedeutete ihm eine Art Reifeprozess, der nötig ist, um unterschiedlichen Herausforderungen der Leben oder des Berufes gewachsen zu sein.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung des Theismus, der für christliche und religiöse Menschen eine Quelle der Kraft darstellen kann. Glaube an Gott ist in diesem Zusammenhang nicht eine durch äußere Sätze und Bekenntnisse begründete oder durch Glaubensvorgaben bestimmte Lebenshaltung, sondern durch die Haltung des Lebens in Beziehung auf Gott hin als ein Leben in der zweiten Person. Die religiöse Haltung definiert sich nicht durch Glaubenssätze, sondern durch die Annahme einer dialogischen, auf ein Gegenüber bezogenen Lebenshaltung. „Die Perspektive der zweiten Person ist genuin und unterscheidet sich von anderen Standpunkten; diese Perspektive ergibt sich aus der konkreten Anwesenheit eines Gegenübers.“ (S. 276). Aus diesem Verständnis in Bezug zu und auf Gott ergeben sich zwar auch normative Ansprüche an das Leben, vor allem aber die Fähigkeit, das Leben in der Welt gleichnishaft zu deuten. Schon William James sah in dieser Fähigkeit, Lebensereignisse als Gleichnisse zu beschreiben, die Fähigkeit das Leben zu deuten, so Sedmak (Nebenbemerkung: eine Konsequenz für die Exegese könnte sein, dass Wundergeschichten oft auch besser als Gleichnisse gedeutet werden können).
Der Hingabecharakter des Lebens in der zweiten Person wandelt es in Dienst (nach Gandhi, vgl. S. 283). Das Leben wird nicht als eigene Leistung, sondern als Geschenk Gottes verstanden. Der Glaube wird zur Kraftquelle, weil und insofern er das Leben vom Grundgedanken der Dankbarkeit her versteht.
Diese kurzen Anspielungen zum Buch von Sedmak sollen hier genügen, um die Tiefe und mehrere Ebenen umfassende Dimension des Themas Resilienz in der Perspektive des Glaubens anzudeuten. Dessen ungeachtet muss gesagt werden, dass das Buch durch eine Vielzahl von Bezügen und Referenzen, die auch das umfangreiche Literaturverzeichnis widerspiegelt, nicht leicht zu rezipieren ist. Es fehlt zudem ein Index, der es ermöglicht, im Text nach den konkreten Referenzen zu suchen.
Dennoch ist das Verdienst von Clemens Sedmak nicht hoch genug anzusetzen, versteht er doch dem Zugang des Glaubens eine von positiven Setzungen unabhängige Plausibilität zu verschaffen. Der hier gebotene Begriff der Resilienz beutet keinen Rückzug aus der Welt, sondern das Aufsuchen von Kraftquellen zu Erinnerung und Gestaltung gerade in der Auseinandersetzung mit der Welt. Der Bezug zu den eigenen Quellen gehört zum verantwortlichen Umgang mit eigenen Ressourcen und ist daher auch ohne kirchliche religiöse Prägung des Lebens nötig, ja die Frage danach führt möglicherweise auch dahin zurück.

Andere Rezensionen zum Thema:
Die Seelenkraft stärken, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2012
Der Sinn bestimmt das Leben – Viktor Frankls Ethik. Christoph Fleischer, Werl 2009

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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