Verständigung geht über die Religion hinaus, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015

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Zu: Handbuch Christentum und Islam in Deutschland, Grundlagen, Erfahrungen und Perspektiven des Zusammenlebens, Zwei Bände, Herausgegeben im Auftrag der Eugen-Biser-Stiftung von Mathias Rohe, Havva Engin, Mouhanad Khorchide, Ömer Özsoy und Hansjörg Schmid, Herder Verlag Freiburg im Breisgau 2014, ISBN 9783451311888, Preis 48,00 Euro

COVER 31188-8 Christentum und IslamDas Inhaltsverzeichnis dieses umfassenden Werkes zeigt, dass es bei der Frage des Dialogs immer zuerst um die jeweils eigene Identität und Rolle der jeweiligen Religion geht. Dazu werden zunächst religionssoziologische Fragestellungen  behandelt, die nicht nur die Stellung der Religionen allgemein in Deutschland zeigen, sondern auch die Verankerung von Islam und Christentum. Insofern ist auch aus christlicher Sicht der Artikel von Kurt Gabriel als Auswertung der jüngsten religionssoziologischen Umfragen und Bestandsaufnahmen zu beachten. Er geht davon aus, dass nach der Verabschiedung einer einheitlichen Säkularisierungsidee, die Vorstellung von „multiplen Modernen“ (S. 62) angebracht ist, die es ermöglicht, Religion nicht mehr unter der Perspektive von Abwehrkämpfen zu sehen, sondern vielmehr die Kontinuität der Religionen im Wandel der Modernen. Ein „selbstbewusster säkularer Staat“ wie „zivilgesellschaftlich vertretene christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften“ (S. 66) bedingen einander. Da nicht von dem Islam gesprochen werden kann, kommen in den folgenden Artikel mehrere muslimische Richtungen in Deutschland zum Zuge. 

Der zweite Abschnitt des Handbuches befasst sich mit dem deutschen Rechtsstaat in den unterschiedlichen Perspektiven, die vom christlich-muslimischen Dialog her möglich sind. Hier geht es unter anderen auch um den christlichen und islamischen Religionsunterricht wie um die Theologie an den Hochschulen. Unter aktuellen Gesichtspunkten lohnt ein Blick in den Artikel „Islamismus und Verfassungsschutz“ von Olaf Fragil (S. 435ff), womit der erste Band zum Abschluss kommt.

Der dritte Abschnitt stellt bewusst den Bezug von Christen und Muslimen zur säkularen Gesellschaft heraus. Neben den unterschiedlichen Perspektiven in Gestalt der Menschenbilder, der Beziehung der Religionen zu Pluralismus und zur Frage des Wertekonsenses finden sich hier auch historische Abrisse über die Integrationsdebatte in Deutschland. Hinzugefügt werden Abhandlungen über die Rolle der jeweiligen Konfessionen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wie der Bildung, der Politik, der Staatsangehörigkeit, des Lebens in der Familie, über die Rolle der Medien und die Ausübung der Religion in der Bundeswehr.

Der vierte Abschnitt ist überschrieben mit „Das Gespräch zwischen Christen und Muslimen“. Hier mag sich das theologische Interesse verankern. Daher werde ich zwei Aufsätze kurz zusammenfassen. Zunächst aber ein Blick auf den Rest des Handbuchs. Der Fünfte und letzte Abschnitt widmet sich der Initiativen für den interreligiösen Dialog zunächst im Bereich der Politik in Dialogprojekten und an runden Tischen. Danach werden exemplarisch einige zivilgesellschaftliche Initiativen vorgestellt, die den Dialog der Religionen und die Integration fördern wie z. B. die „Christlich-Islamische Gesellschaft (CIG)“ (S.1217ff), einer „Begegnungs- und Fortbildungsstätte muslimischer Frauen“ (S. 1227ff) und „Das Muslimische Seelsorge-Telefon“ (S. 1256ff).

Martin Affolderbach, Oberkirchenrat der EKD stellt in seiner Bestandsaufnahme „Voraussetzungen für das Gespräch und Hemmnisse des Dialogs aus christlicher Perspektive“ dar. Der Begriff „Dialog“ ist zunächst inhaltlich zu füllen und sollte auch gemeinsame Aktionen einschließen. Voraussetzungen für den Dialog sind demnach „Respekt und Akzeptanz“, „Toleranz (UNESCO 1995)“ (S. 1041), sowie der  „Verzicht auf einen Überlegenheitsanspruch“ (S. 1042). Freiheit und Menschenwürde sind im gemeinsamen Gespräch nicht nur zu achten, sondern möglichst gemeinsam zu verteidigen. Ein guter Dialog schließt das Bemühen ein, Wissen und Kenntnisse über die jeweils andere Seite zu erlangen. In diesem Zusammenhang werden auch die möglichen Konfliktpunkte wie das Leben von christlich-muslimischen Partnerschaften, Moscheebau – Proteste, Diskussionen um die Rolle der Frauen wie das Beispiel des Kopftuchs und der Beschneidung angesprochen. Martin Affolderbach stellt in diesem Zusammenhang die Handreichungen der EKD vor. Wichtig ist es für ihn, den christlichen-islamischen Dialog als Teil des kirchlichen Handelns wahrzunehmen, da er das Wissen um den eigenen Glauben fördert, wie ebenso das Wissen und das Interesse an der anderen Religion herausfordert. Schon das Zweite Vatikanische Konzil hat auf der Seite der katholischen Kirche die Notwendigkeit des Dialogs herausgestellt (Lumen Gentium, 1964). Zu einem gelingendem Dialog gehören nach Affolderbach Regeln, die gemeinsam abgesprochen werden, die Bezeugung des Glaubens genauso wie das Bekenntnis zu Zweifeln sowie die Grundhaltung der Inklusion: „Die Überwindung des Denkens in den Kategorien von Freund und Feind oder nach dem Motto in ‚wir hier – die dort‘ führt zu einer Grundhaltung der ‚Inklusion‘, die sich nicht aus einer Abwehr gegenüber anderen heraus versteht, sondern als grundsätzliche Offenheit gegenüber jedem Mitmenschen und einer Mitverantwortung für das Ganze.“ (S. 1053)

Interessant ist ebenso, wie der Mitherausgeber Mouhanad Khorchide „Die theologischen Grundlagen des christlich-islamischen Dialogs aus Sicht der islamischen Theologie“ beschreibt (S. 1115ff). Er bezieht sich dabei auf den Koran, der keine eindeutige, das heißt ablehnende Haltung gegenüber Christen hat. Die Koranlektüre unterscheidet zwischen zeitlos gedachten Aussagen und solchen, die vor einen bestimmten historischen Hintergrund zu sehen sind und auch als solche ausgesprochen worden sind. In allgemeiner Hinsicht bevorzugt der Koran eine pluralistische Position, die die einzelnen Religionen dazu aufruft, im Streben zum Guten hin zu wetteifern. Es heißt sogar, sie würden auf unterschiedlichen Wegen leben und trotzdem dereinst alle zu Allah (Gott) zurückkehren (vgl. S. 1118, Koran 5,48). Mit Islam wird vom Koran her keine Religion gemeint, sondern eine Glaubenshaltung. Der Koran kritisiere die Intoleranz, so stellt Khorchide fest. Das Bild des Christentums im Koran ist aus der Zeit des 7. Jahrhunderts geprägt; es habe Verträge zwischen Mohammed und christlichen Kirchen oder Staaten gegeben. Die Aussagen des Korans werden in sechs Punkte zusammengefasst: 1. Menschenwürde vor Gott, 2. Konfessionelle Vielfalt, 3. Nur Gott ist Richter, 4. Der Islam ist nicht der einzige Weg, 5. Mitmenschlichkeit ist notwendig 6. Religionsfreiheit der Einzelnen, kein Zwang in der Religion. (vgl. S. 1121-1123). Abschließend setzt sich Khorchide mit den konträren Aussagen des Korans auseinander, die er als kontextabhängig beschreibt. Gewalt ist im Islam nur als Gegengewalt erlaubt. Als „Ungläubige“ werden solche bezeichnet, die die eigene Überzeugung (Islam) in einem gesellschaftlichen Umfeld verleugnen. Abschließend stellt Khorchide die Aufforderung des Islams zum Dialog heraus:

„Die Anerkennung anderer Wege außer dem des Islams als Wege zu Gott bedeutet daher keineswegs eine Relativierung des islamischen Wahrheitsanspruchs, sondern ganz im Gegenteil, eine Bestätigung dieses Anspruchs, denn es gehört zum Selbstverständnis des Korans, dass es unterschiedliche Wege zu Gott gibt.“ (S. 1127).

Eine aktuelle Würdigung mag die Rezension abschließen: Das „Handbuch Christentum und Islam in Deutschland“ stellt gerade in seiner gesellschaftlichen Orientierung dar, dass der interreligiöse Dialog keine rein religiöse Angelegenheit ist, sondern gerade im gesellschaftlichen Kontext notwendig erscheint. Manchmal fehlt ein wenig die skeptische Distanz gegenüber jeder Form von Religion, da in der westlichen Welt die bürgerlichen Freiheiten zunächst gegen den Widerstand kirchlicher Institutionen errungen werden mussten. Man sollte doch jetzt, nach den Ereignissen von Paris nicht so tun, als hätten die christlichen Kirchen ursprünglich z. B. einen Wert wie die Meinungsfreiheit erfunden. Andererseits sind in den Religionen Werte vorhanden, die in dem Wertekanon der Modernen verloren gegangen sind wie Respekt, Nächstenliebe und Verantwortung vor Gott für das Ganze des Lebens. Die Haltung des Gebets mag unmodern erscheinen, ist jedoch ebenso eine Verbindung zwischen Religionen und somit auch zwischen den Menschen. Wenn die Ideologisierung der Religionen beendet ist, werden ihre Stimmen in der Gesellschaft Gehör finden. Zeichen des Dialogs erhöhen das Interesse, Streit um Differenz macht gleichgültig. Oder schlimmer noch: schüren mehr und mehr die Ablehnung des jeweils Anderen im Hinblick auf den scheinbaren Exklusivanspruch des Rechts für die eigene Position.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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