Bücher zum Hören und Lesen, Sammelrezension zu Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer, Wilhelm Gräb und Bernhard Lang, Christoph Fleischer, Welver 2015

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Im folgenden werden drei Lese-/Hörbücher des Gütersloher Verlagshauses vorgestellt:

  1. Renate Wind und Michael Koch: Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer – die Geschichte einer Sehnsucht in Texten und Tönen, Michael Kuch, Klavier, und einführende Texte zu Werken von Bach, Mendelssohn, Schumann und Brahms, mit Audio CD, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2015, ISBN 978-3-579-08191-5, Preis: 16,99 €

Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer von Renate WindDieses Medienpaket geht über die kognitive Aneignung von Leben und Theologie von Dietrich Bonhoeffer (1906 bis 1945) weit hinaus. Das Foto Bonhoeffers im Gefängnishof von Tegel animiert die Autorin Renate Wind zu der Vermutung, beziehungsweise Ahnung, die Verlobung Bonhoeffers mit Maria von Wedemeyer (1924 – 1977) kurz vor Bonhoeffers Verhaftung im Jahr 1943 habe seiner Theologie einen ganz entscheidenden Impuls gegeben. In der Tat sind die Gefängnisgedichte zum Teil an Maria von Wedemeyer gerichtet oder durch Anfragen und Bemerkungen schriftlich oder mündlich von ihr motiviert. Da in der schriftlichen Verlobung durch den Brief Marias an Dietrich im Januar 1943 auf Anordnung der Mutter eine Beziehungspause vereinbart war (Wartezeit von einem Jahr), hat sich das Brautpaar erst im Besuchsraum der Haftanstalt Tegel wiedergetroffen. Die Schilderung dieser Begegnung ist das Bewegendste was es zwischen Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer gibt. Die Beziehung selbst wird von beiden als Sehnsucht bezeichnet.

Da das Medienpaket dieser Sehnsucht gewidmet ist, gehört zur Lesung ausgewählter Abschnitte auf der CD, von der Autorin Renate Wind selbst, die von Michael Kuch eingespielte Klaviermusik. Im Buch werden die Klavierstücke an der entsprechenden Stelle im Text kurz erklärt. So dokumentiert der gelesene Text auf der CD einen roten Faden, der sich insbesondere auf Maria von Wedemeyer bezieht.

Das Medienpaket eignet sich zum Einstieg in die Beschäftigung mit Dietrich Bonhoeffer ebenso, wie für die Erfahrungen eines mehr emotionalen Zugangs für jene, die bislang eher gelesen, studiert, mitgedacht und nachvollzogen haben. Der emotionale Zugang des Textes von Renate Wind verschafft dem Werk Bonhoeffers Aktualität und zeigt, dass Maria von Wedemeyer, die später in den USA Mathematik studierte, mehr als eine Impulsgeberin Bonhoeffers war.

2. Wilhelm Gräb: Glaube aus freier Einsicht, Eine Theologie der Lebensdeutung, Schriften zur Glaubensreform Band 3 (mit Audio-CD), Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2015, ISBN 978-3-579-08196-0, Preis: 12,99 €

Und

3. Bernhard Lang: Jesus, der Philosoph, Schriften zur Glaubensreform Bd. 5 (mit Audio-CD), Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2015, ISBN 978-3579-08193-9, Preis 12,99 €

Glaube aus freier Einsicht von Wilhelm GraebDer Vortrag von Wilhelm Gräb knüpft an diverse Veröffentlichungen seinerseits an, wie zuletzt seine Predigtlehre (Göttingen 2013). Während in der Theologie des 20. Jahrhunderts der Begriff „Religion“ anrüchig schien und die Kirche eine ethisch orientierte Dogmatik predigte, tritt bei Gräb das Bedürfnis nach Religion in den Vordergrund, die er als Sinnsuche und Lebensdeutung versteht. Der Berührungspunkt mit der kirchlichen Praxis liegt in den Formen ritueller Begleitung, wobei man berücksichtigen muss, dass die Menschen keinesfalls die kirchliche Botschaft abrufen wollen, sondern den (kirchlichen) Rahmen für die eigene Arbeit an der Sinnfrage benötigen. Die Hauptthese Gräbs lässt sich kurz zitieren: „Der ungeheure gesellschaftliche Reputations- und Resonanzverlust von Theologie und Kirche erklärt sich m. E. aus der Religionsunfähigkeit von Theologie und Kirche. Die Theologie arbeitet ungehindert weiter in der Form einer Theologentheologie, befasst mit Problemen, wenn es hochkommt, die die innere Systematik, Plausibilität und Gegenwartsrelevanz der Jesusgeschichten und Glaubensdoktrinen betreffen.“ (S. 11f)

Für die Beantwortung der Frage, wie eine religionsorientierte Arbeit der Kirche aussehen könnte, zitiert Wilhelm Gräb die Arbeit des Journalisten Jan Roß: „Die Verteidigung des Menschen, warum Gott gebraucht wird.“ (Hamburg, 2012)

Der Ansatz Gräbs ist schlicht induktiv, nicht deduktiv, denn er fragt nach einer „Theologie, die ihre Sätze aus der Verständigung über den gelebten Glauben der Menschen gewinnt.“ (S. 17). Die „religionshermeneutische Theologie“ (S. 27) setzt perspektivisch beim Menschen an. Er nimmt den Begriff der „existenziellen Interpretation“ von Rudolf Bultmann auf und versucht ihn weiterzuentwickeln. Aus Gott, den man als Theologe oder Theologin immer schon kennt, wird die „transzendenzoffene Tiefendimension“ (S. 29f). Der Schluss des Vortrags, in dem Gräb einige Beispiele schildert, wie das Lied von Anne Quigley, übersetzt von Jürgen Eckert: „Es gibt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir“ (S. 41) lässt allerdings fragen, ob es nur auf eine Vertauschung der Begriffe ankommt, oder ob wirklich ein radikales Umdenken geschieht. Und am Ende ist es vielleicht doch zu wenig, nur „die Fragen wach zu halten, auf die es keine abschließende Antwort gibt“ (S. 45).

Jesus der Philosoph von Bernhard LangDer Autor des zweiten Vortrags, Bernhard Lang, befasst sich ausschließlich mit der neutestamentlichen Literatur und lädt zu einem Umdenken ein, indem er die Überlieferung der Bibel von und über Jesus mit der Philosophie der auf Diogenes zurückgehenden kynischen Lebensform vergleicht. Der Verzicht auf Geld und Reichtum und die Wanderprophetie Jesu und seiner Jüngerinnen und Jünger erscheinen auf einmal keinesfalls so singulär, wie es vom Neuen Testament her wirkt. Viele Passagen der Bergpredigt sowie die ethischen Lehren Jesu lassen sich fast wortwörtlich in der Literatur der Kyniker wiederfinden. Wenn der Einfluss der hellenistischen Philosophie im Judaismus deutlich herausgearbeitet wird, könnten sich weitere Perspektiven ergeben. Bernhard Lang zeigt meiner Meinung nach, dass die Aufnahme kynischer philosophischer Gedanken in der damaligen Zeit ziemlich einmalig wirkt und führt dies auf besondere Einflüsse in der hellenistisch orientierten Region Galiläa zurück, beispielsweise durch die Stadt Sephoris. Die These wirkt zu individualistisch auf Jesus als Person zugeschnitten. Man müsste stattdessen fragen, ob der Einfluss des hellenistischen Judentums auf das frühe  Christentum nicht stärker in Betracht zu ziehen ist und ob nicht dieses hellenistische Judentum bereits philosophisch beeinflusst war. Der Zusammenhang zwischen der Lehre Jesu und dem Kynismus muss  ja nicht zwangsläufig eine Abkehr vom Judentum bedeuten, sondern ist eher eine Einbeziehung der philosophischen Gedanken in die damalige Gestalt des religiösen Messianismus. Der Denkanstoß von Bernhard Lang sollte uns ermutigen, die Konstruktionen der Theologie offenzulegen und aufzulösen und dabei auch mit humanen und philosophisch ausgelegten Prämissen zu deuten und wiederzugeben.

Die Vorträge von Bernhard Lang und Wilhelm Gräb überraschen und zeigen, dass die kirchliche Interpretation der Bibel oft sehr einseitig argumentiert und die philosophischen oder literarischen ausblendet. Wo die Theologie das schon immer getan hat, hat sie es schwer, sich gegen die breite Strömung des theologischen Mainstreams zu behaupten.

Hören und lesen, die doppelte Form der Literatur ist in allen drei Fällen gelungen. Ich höre die CDs im Auto und lese die Texte später im Buch nach.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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