Leichen im Keller, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2016

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Zum Hörbuch: Umberto Eco: Der Friedhof in Prag, Gelesen von Jens Wawrczeck und Gert Heidenreich, 2 mp3-CD, 993 Minuten, Vollständige Lesung, Der Hörverlag 2011, ISBN: 978-3-86717-794-8, Preis: unbekannt, antiquarisch erworben über www.tauschticket.de

Cover CD Eco Prag

Der Autor wäre nicht Umberto Eco (1932-2016), wenn das Buch, hier in gelesener Form, nicht etwas mit der Literaturwissenschaft zu tun hätte. In diesem Buch geht es um das heute verbotene Werk des Plagiats und darüber hinaus. Es erzählt eine Verschwörungstheorie, die Entstehungsgeschichte der „Protokolle der Weisen vom Zion“ um 1900. Manche Personen im Roman wie Joly oder Ratschkowski tauchen auch in der Entstehungsgeschichte der partiellen Abschreiberei mit Hinzufügung und Umarbeitung auf, andere sind fiktiv. Die Protokolle schildern ein geheimes Treffen der Repräsentanten jüdischer Stämme auf dem alten Friedhof in Prag, bei dem die Vertreter des Weltjudentums angeblich die Machtübernahme in der ganzen Welt planten.

Die realistische Vorstellung einer Fälschung entwickelt sich im Buch schon allein dadurch, dass die Hauptperson Simonini aus Turin professioneller Fälscher ist. Er hat das Handwerk bei dem Notar Rebaudengo gelernt und sich schon bald auf das Herstellen handschriftlicher Urkunden und Briefe spezialisiert, für die er gut bezahlt wird. Ursprünglich stammt er aus Turin, hält sich vorübergehend in Sizilien auf und zieht sich später nach Paris zurück. Dort betreibt er zur Tarnung einen Trödelladen, in einem Haus, das er sich vom Vorschuss auf das größte Projekt gekauft hat, die handschriftlichen Berichte über das Treffen in Prag. Die Rahmengeschichte spielt im Frühjahr 1897, immer wieder unterbrochen von einer Erzählung der Vorgeschichte, die ebenfalls auf dieses Jahr zuläuft. Die Rede in dieser Erzählung im autobiografischen Stil ist zuerst von seinem Großvater, bei dem er aufwuchs, da sein Vater meist in der Armee war. Die antisemitische Stimmung  im Königreich „Piemont-Sardinien“ mit seiner Hauptstadt Turin, zu dem damals noch Savoyen gehörte, wird in Briefen seines Großvaters angesprochen, die er aufgehoben und später ausgearbeitet haben soll. In Sizilien nimmt er zur Tarnung an Garibaldis Eroberung teil, später ist auch von Waffengeschäften und einem Sprengstoffanschlag die Rede. In Paris übernimmt er von einem anerkannten Psychiater ein angeblich amerikanisches Model namens Diana. Ein unheimlicher Begleiter, zuweilen auch Doppelgänger ist der Pater Abbe de la Piccola. Das Haus in Paris, in dem sich sein Laden und im Obergeschoss die Privatkanzlei befindet, besitzt einen Kellerabgang zur Pariser Kloake seines Hauses, in dem sich zunehmend immer mehr Leichen stapeln, da Simonini als Fälscher keine Mitwisser gebrauchen kann.

Wer nun meint, es handle sich um eine Kriminalgeschichte, der irrt, da der Gegenpart völlig ausfällt. Es gibt in diesem zusammenwachsenden Europa keine zurechtbringende Hand sei es die Polizei oder ein Rechtssystem, so dass alle Personen der Geschichte mehr oder weniger in das Verbrechen involviert sind, manchmal ohne es selbst zu wissen. Eher könnte man also von einer Kriminalstudie sprechen als von einem Kriminalroman. Ob der Schluss der Geschichte dann zuletzt doch so etwas wie das würdige Ende eines Krimis ist, mögen die Hörerinnen und Hörer selbst entscheiden. Anders gesagt: Mit dem möglichen Ableben Simoninis endet der Roman. Ein Happy End ist dieses Ende ohnehin nicht, da das Weiterleben der Protokolle der Weisen vom Zion nun seinen Lauf nimmt. Der Zionismus, der sich gerade im selben Jahr 1897 formierte, wird also von Anfang an von der Verschwörungstheorie der Protokolle der Weisen vom Zion kolportiert. Was dabei herauskommt findet in der Wannseekonferenz 1942 seinen traurigen Höhepunkt. Vielleicht hätte  Umberto Eco diesen zweiten Teil der Geschichte der Papiere, die von einem Friedhof in Prag handeln, auch noch erzählen müssen. Aber dieser Teil steht ja in den Geschichtsbüchern.

Wenn die Wirkungsgeschichte der „Protokolle“ oder von Eco aus gesehen, der Ereignisse auf dem Friedhof in Prag sich bis zur „Endlösung der Judenfrage“ im Nationalsozialismus zuspitzt, verstehe ich es auch als angemessen, dass Umberto Eco auf die schlichte Struktur des Krimis, in dem zuletzt das Gute siegt, verzichtet.

Ich persönlich sehe in diesem großen Roman letztlich doch noch einmal den Umberto Eco, der ein gekonntes Netz aus Spannung, Historie und Literaturbetrieb knüpft. Es wird gezeigt, wer an Verschwörungstheorien weiterschreibt und mit welchem Interesse. Oder ist gerade das ein Beispiel für Literatur, die immer mit einem Interesse verbunden sein wird, und sei es nur darin, dem Guten zum Recht zu verhelfen, indem der Autor das Böse anprangert und seine kriminelle Energie entlarvt? Die Machenschaften der Verschwörungstheoretiker treten als Fälschungen auf, womit schon die bewusste Täuschung gemeint ist. Menschen oder ganze Menschengruppen werden zu Opfern gemacht, da andere davor geschützt werden sollen, zu Opfern zu werden. Deutlich wird das schon dadurch, dass bei denen, die sich konsequent gegen das Gute entscheiden, die Leichen im Keller sammeln. Damit reduziert sich der Roman inhaltlich  auf die Darstellung eines  kriminellen Gewerbes, dessen Antrieb, wie so oft, der schnöde Mammon ist. Die biografischen Rückblenden aus dem Leben und die Entwicklung der Verschwörungstheorie vom „Prager Friedhof“, lassen sich manchmal nicht gut auseinander halten. Für mich war es durchaus spannend und historisch informativ.
Das Buch ist von den zwei Sprechern gut und inhaltsbetont gelesen. Ich habe es portionsweise im Auto gehört und konnte gut folgen. Das Buch ist vielleicht einer der besten Eco-Romane, die es gibt, und es ist sein Verdienst, die Fälschung der antisemitischen „Protokolle“ als gezielten politisch-kriminellen Akt darzustellen.

 

Ergänzung: Eine andere prominente Fälschung haben vielleicht die älteren noch im Gedächtnis. 1983 veröffentlichte der STERN die sogenannten „Hitler-Tagebücher“. Vielleicht gab es den Versuch aus diene fiktiven Originaldokumenten herauszulesen, dass Hitler vom Vorwurf entlastet werden könnte, er habe die meisten Naziverbrechen selbst geplant und gewollt. Die Hitler-Tagebücher sind von Konrad Kujau unter Nachahmung der Handschrift Adolf Hitlers gefälscht worden. Kujau hat mit dem Verkauf der Fälschungen 9 Millionen DM erschwindelt, was wohl sein vorrangiges Ziel war (Informationen hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Hitler-Tagebücher, aufgerufen am 01.05.2016).

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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