Gott existiert nicht als übernatürliches Wesen*. Notiz von Christoph Fleischer, Welver 2016

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In der Einleitung seines Buches „The Folly of God, A Theology of the Unconditional“ (Polebridge Press, Salem, Oregon, USA, 2016, S. 1-6) gibt der Autor Prof. (Em.) John D. Caputo einen Einblick in den Inhalt und seine Intention. Der Begriff „Folly of God“ ist ein Zitat von Paulus aus dem 1. Korintherbrief (1. Korinther 1, 22-25), das auf Deutsch lautet: „Die Narrheit Gottes ist weiser als die Menschen sind und die Schwäche Gottes ist stärker als die Menschen sind.“ John D. Caputo (auch genannt Jack Caputo) richtet sich gegen eine starke Theologie, die auf die Allmacht und Überlegenheit Gottes baut und tritt stattdessen für einen schwachen Glauben ein. Er orientiert sich an der Theologie Paul Tillichs insofern, als dass er mit ihm meint, dass der Atheismus ein berechtigter Einwand gegen das Allmachtsdenken des christlichen Glaubens ist, und in der Nachfolge Tillichs verwendet er den Begriff des „Unbedingten“. Er betont aber, dass der Schwache Glaube keinesfalls der Vorstellung vom Reich Gottes widerspreche, da dieses von Liebe und Beziehung bestimmt wird. Das Reich Gottes, so wie es Jesus und ihm entsprechend Paulus verkündigt, hat mit Allmacht, Herrschaft und Gewalt nichts zu tun, da es vom Kreuz Jesu herzuleiten ist. Die Vorstellung einer Schwachen Theologie hat nichts zu tun mit dem Glauben an Gott als einem höheren Wesen. Das Unbedingte hat nichts zu tun mit einer Theologie des Siegens und Besiegtwerdens. Paulus vertritt nach John D. Caputo keine Theologie des Siegens.

EdithStein
Edith Stein als Studentin

Auf die Bezeichnung Gottes als ein übernatürliches Wesen geht Caputo hier direkt nicht ein, wobei ich in der Bezeichnung Gottes als ein „höheres Wesen“ in der traditionellen Gotteslehre einen Begriff sehe, der die Frage des Übernatürlichen einschließt. Ich möchte daher an dieser Stelle ein paar eigene Schritte versuchen – mit einem Gedankengang, der sich aus der Lektüre des Buches „Wege der Gotteserkenntnis“ von Edith Stein herleitet. Bevor Edith Stein aus ihrem Kloster in Holland geholt und nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde, hat sie dies als ihr letztes Buch fertiggestellt. Es wurde aber erst nach ihrem Tod gedruckt. Das Buch enthält eine vollständige Übersetzung der Schriften von Pseudo-Dionysus Areopagita. (Ich zitiere das Buch aus der Fassung, die im Internet als PDF-Datei liegt, dort aber ohne Anmerkungen und Seitenzahlen: http://www.edith-stein-archiv.de/wp-content/uploads/2014/10/17_EdithSteinGesamtausgabe_WegeDerGotteserkenntnis.pdf).

Edith Stein zeigt nicht nur in der Überschrift mit dem Begriff „Gotteserkenntnis“ und in der ganzen Einleitung, dass die Texte des Dionysius Areopagita sich insgesamt von Gott her verstehen und so den christlichen Gebrauch des Gottesbegriffes interpretieren, allerdings unter Einbeziehung philosophischer Begriffe.

Zwei Zitate aus der Einleitung sollen das zunächst verdeutlichen: „Von Gott als dem Ersten geht alles Seiende aus und wendet sich zu ihm wieder zurück.“ Das zweite Zitat Edith Steins verdeutlicht das Selbstverständnis von Dionysius als dem ersten Mystiker der Kirche in Bezug auf die Verfasser der biblischen Schriften: „Sie sprechen von Gott, weil sie von Gott ergriffen sind oder Gott spricht durch sie.“ Von hier her kommt der Verfasser der Dionysiusschrift nach Edith Stein zur Vorstellung seiner „Symbolischen Theologie“. In dieser Theologie werden Elemente einer positiven und einer negativen Theologie miteinander verknüpft, wobei die positive Theologie eher die Grundlage des kirchlichen Lebens beschreibt, die negative Theologie zur weiterführenden Erkenntnis theologischen Begriffe gehört.

(Anmerkung: Wie bei Tillich ist die sogenannte negative Theologie auch für Caputos Begriff des Unbedingten ausschlaggebend.)

Gottes Wirklichkeit und Offenbarung ist also in dieser Konstruktion der Gottesfrage immer nur unter dem Vorbehalt der eigentlichen Unerkennbarkeit und Unverfügbarkeit möglich, was zu einer unerträglichen Schwierigkeit führt. Zunächst jedoch zeigt Edith Stein zu Recht damit, dass sich alles Reden von Gott immer in so genannten Gottesbildern vollzieht. Die Vorstellung einer „natürlichen Gotteserkenntnis“ steht im Prinzip immer unter dem Vorbehalt einer menschlichen, persönlichen Prägung, ist dennoch für den Umgang mit einer positiven Theologie in der Kirche notwendig. Edith Stein findet hier nicht den Weg zu einer Dialektik (wie einst Karl Barth), sondern bezeichnet die Welt als „Anschauungsgrundlage für die Beweisführung der natürlichen Theologie“. Sie sagt es mit Dionysius Areopagita: „Gott ist der Ur-Theologe. Seine symbolische Theologie ist die gesamte Schöpfung.“ Und sie schreibt ganz im Sinn katholischer Dogmatik im Stil Karl Rahners: „Unter übernatürlicher Offenbarung ist die Selbstmitteilung Gottes durch das Wort im eigentlichen Sinne verstanden, vornehmlich der in Gott verborgenen Geheimnisse Gottes, die der natürlichen Erkenntnis aus sich nicht zugänglich sind.“ Von hier aus kommt sie zum Begriff des Glaubens und geht dann später auf die „übernatürliche Gotteserfahrung“ ein.

Für den Mystiker bzw. die Mystikerin ist Gotteserfahrung allerdings immer eine „innere Gewissheit“, die auf dem „Gefühl“ beruht, „dass Gott gegenwärtig ist“.

In dieser dann doch eher wieder positiven Gotteserfahrung ist dann vom Heiligen Geist die Rede, ohne den dieses Gefühl wohl kaum möglich wäre. Edith Stein bezeichnet es hingegen als einen „Übergang zu einer übernatürlichen Gotteserfahrung“, wobei sie immer von einer „positiven Theologie“ ausgeht, einem „lebendigen Glauben“, der neugierig ist, mehr von Gott zu erfahren. Die „natürliche Gotteserkenntnis“ ist so immer wieder Teil eines letztlich unverfügbaren Ganzen. Gott öffnet sich, gibt sich zu erkennen und bleibt doch im Letzten immer verborgen. So schwierig die Einführung der negativen Theologie in die Gotteserkenntnis ist, so führt sie doch m. E. erst zu einem Glaubensbegriff im Wortsinn, da eben Gott nicht erkannt, sondern letztlich nur geglaubt werden kann. Glaube ist ohne Subjektivität undenkbar.

Dieser Argumentationsgang führt m. E. allerdings nicht zu einer richtigen Mystik, die im engeren Sinn z. B. von Meister Eckart und Angelus Silesius die Übereinstimmung zwischen Gott und Mensch findet und worin der Mensch eine Wohnung Gottes ist. Die Rede von der natürlichen Gotteserkenntnis muss mit der Vorstellung des übernatürlichen Wesens Gottes kombiniert werden, woran die theologische und philosophische Kritik ansetzt. Die Begriffe „natürlich“ und „übernatürlich“ führen im Kontext der modernen Philosophie zu einem unauflöslichen Widerspruch. Faktisch ist die natürliche Gotteserkenntnis und der Vorbehalt des übernatürlichen ggf. sogar unerkennbaren Wesens Gottes ein Widerspruch in sich. Die Kombination von positiver und negativer Theologie muss so scheitern.

Das allein ist nicht nur ein Argument gegen die natürliche Gotteserkenntnis, wie es beispielsweise Karl Barth vertreten hat, sondern auch gegen das Gottesbild eines übernatürlichen Wesens. Diese Bezeichnung steht gewiss nicht nur im Widerspruch zum wissenschaftlichen Naturalismus, der damit aber auch als die Form eines Gottesbildes demaskiert wäre. Die von der Kirche so bezeichnete Kombination aus positiver und negativer Theologie ist in der Verkündigung nicht nachvollziehbar und führt die modernen und postmodernen Menschen in Selbstwidersprüche, die keinesfalls glaubwürdig  mit einer modernen Fassung der Erbsündenlehre zu beantworten ist, etwa der Beobachtung, dass die Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Natur und seinen Mitmenschen immer geprägt ist durch Heteronomie und durch ein Verfehlen des anderen, das ich als „schuldig werden“ bezeichnen könnte.

Anstelle den Begriff des Natürlichen und Übernatürlichen zur Beschreibung Gottes zu verwenden, die ich als unnötige Pauschalierung des Gottesbegriffs sehe, würde ich eher darauf hinweisen, dass Gott für ein Individuum immer ein Teil der unverfügbaren und transzendenten Erfahrung ist, die über das Leben und die Lebensvollmacht der Einzelnen hinausgeht. Der Umgang mit dem Ganzen der Existenz, mit Beziehungsfragen und gesellschaftlichen Widersprüchen weist über die Auffassungsgabe der einzelnen Menschen hinaus, müssen aber damit zwangsläufig nicht als „übernatürlich“ bezeichnet werden. Die positive Gotteserfahrung ist auch nicht einfach „natürlich“, sondern vollzieht sich in der Existenz, in Ereignis und Beziehung. Der Ausdruck der Selbstoffenbarung Gottes steht im Widerspruch zur natürlichen Gotteserkenntnis. Gottes Geheimnis ist nicht übernatürlich, sondern unverfügbar. Gott bleibt jeder Verfügungsgewalt entzogen. Gottes Phantasie ist menschlich gesehen unbegreifbar.

 

*Anmerkung zur Überschrift: Ich weiß genau, nicht wie ich es ausdrücken soll. Oder: Gott ist kein übernatürliches Wesen, aber Gott existiert in der menschlichen Vorstellung. Oder: Warum es Gott nicht gibt, er oder sie aber existiert.

Kommentar von Markus Chmielorz dazu:

lieber christoph,

vielen dank für deine fragen, die im kommentar zu „übernatürlich“ stecken. in der tat habe ich dazu auch mehr fragen als antworten – ist das schon teil der lösung?

ich gehe mal zurück auf den „mark of distinction“ von spencer brown, auf eine unterscheidung: wenn ich also „natürlich“ unterscheide auf der innenseite der unterscheidung, dann ist damit noch nicht angegeben, was auf der außenseite der unterscheidung zu finden ist – außer dass ich die möglichkeit genau dieser unterscheidung feststelle und dass deutlich wird, dass es eine grenze gibt, die mehr oder weniger durchlässig ist. wie ließe sich also das „nicht-natürliche“ beschreiben? als künstlich, hergestellt, beabsichtigt, übernatürlich, mittelbar …? du kannst die assoziationen gerne fortsetzen.

exkurs i: ich knüpfe an bei der sogenannten praxeologie von derbolav. er beschreibt die differenzierung menschlicher gesamtpraxis, die er differenziert nach „auseinandersetzung mit den schwächen der menschlichen natur“ (medizin, pädagogik), „auseinandersetzung mit der natur“ (technik, ökonomik) und „auseinandersetzung mit dem mitmenschen“ (wehrpraxis, rechtspraxis). interessant ist, dass es noch zwei weitere bereiche gibt, journalistik und wissenschaftspraxis, sowie kunstpraxis und religionspraxis. in beiden letzteren geht es um so etwas wie sinn. und nun unterscheidet er in jeder praxis eine „natürliche“ und eine „reflektierte“ haltung. in bezug auf religion also natürliche religionspraxis („naiver gottesglaube“) und gläubige liebe als reflektierte religionspraxis. interessanterweise setzt er noch barth („transzendenz-theologie“) gegen feuerbach („immanenz-theologie“). – also: was genau beschreibt edith stein, wenn sie mit rekurs auf pseudo-dionysius areopagita von „natürlicher gotteserkenntnis“ spricht. und wenn sie damit einen irgendwie gearteten mystischen zugang beschreibt, wie unterscheidet der sich dann von „naivem gottesglauben“?

exkurs ii: ich habe mich an der uni in einer hausarbeit mit postmoderne und der kunst von barnett newman (http://www.kunstinfrankfurt.de/BarnettNewmanIIILayout.html) beschäftigt. es geht ihm um die „darstellbarkeit des nicht-darstellbaren“ – zu diesem begriff finde ich den rationalen zugang ebenso schwierig, wie zu „natürlicher gotteserkenntnis“. vielleicht hilft diese spur?

am ende bleibt für mich nach wie vor unauflösbar: setzt die erkenntnis (oder vielleicht besser erfahrung) des unbedingten (du kannst es „gotteserfahrung“ nennen) voraus, dass menschen auf dieser erde leben, die biologische, psychische, soziale wirklichkeiten konstruieren? dann jedoch wäre das unbedingte ebenso bedingt …

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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