Kann Beteiligung die Volkskirche retten? Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2016

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Zu: Christian Hennecke, Gabriele Viecens: Der Kirchenkurs, Wege zu einer Kirche der Beteiligung, Ein Praxisbuch, Echter Verlag, Würzburg 2016, ISBN 978-3-429-03910-3, Preis: 12,90 Euro

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Im ersten Teil des Buches wird das inhaltliche Konzept des Kirchenkurses dargestellt. Der zweite Teil ist die Dokumentation von Programm und Ablauf. Hier kommen in methodischer Gestalt die im ersten Teil genannten Inhalte erneut zur Sprache. Daher konzentriert sich diese Rezension auf die inhaltliche Linie des ersten Teils.

Ich frage mich als evangelischer Pfarrer schon, wieso mich das Konzept der Beteiligungskirche im katholischen Bistum Hildesheim fasziniert, obwohl formal gesehen im evangelischen Kirchenmodell die Beteiligung der Getauften zum Grundkonzept gehört und durch den Begriff des „Priestertum(s) aller Gläubigen“ (Luther) untermauert wird. Oder ist es möglich, dass die „Zwei-Reiche-Lehre“ Martin Luthers das Priestertum der Laien geschickt außerhalb der Kirche ansiedelt, sodass die Kirche selbst der Bereich der Kleriker bleibt? Mein Bedenken kann immerhin bedeuten, dass auch bei Evangelischen Kirchen das Modell „Kirche der Beteiligung“ neu angedacht und ausprobiert werden sollte. Wäre nicht sogar das Jahr des Reformationsgedenkens Gelegenheit dazu, das Modell der Beteiligung ernsthaft auszuprobieren? (Anmerkungen des Rezensenten).

Doch nun berichte ich kurz über das Modell der Kirchenrenovierung: Klar ist: Es geht um Kirche im Wortsinn und nicht um etwas anderes wie Gemeinwesenarbeit oder reine Sozialarbeit. Es geht um die „Kirchenentwicklung“ (S. 24/25). Dabei stehen nicht nur Modelle aus Ländern der Weltkirche wie den Philippinen, Südafrika und Indien Pate, sondern diese werden auch im Austausch mit diesen jungen Kirchen ausprobiert. Das hat nun gar nichts damit zu tun, dass man Mission umgekehrt ausprobieren möchte, sondern dass die Kirchen der römisch-katholischen Welt-Kirche dasselbe Problem haben: Wie kann die Kirche unter der Voraussetzung des Priestermangels wachsen oder wenigstens lebendig bleiben? Und Priestermangel bedeutet die Reduzierung des traditionellen kirchlichen Angebots (Messe u. ä.). Das Programm der Basiskirche ist nicht neu, wird aber gerade darin zu einem inzwischen erprobten Angebot.

Das Modell der „Summerschool“, hier „Kirchenkurs“ wurde also in Hildesheim umgesetzt. Das Ziel dieses Kurses ist zu erkennen, „[…] dass an jedem Ort, in jeder Situation eine Wirkungsgeschichte des Evangeliums und eine Weiterentwicklung des Volkes Gottes zu sehen ist […]“ (S. 25). Und: „Kirche ist im Werden zu denken, im Vergehen und Werden, hat eine liquidere Konsistenz, ist nicht fertig, sondern auf dem Weg.“ (S. 26).

Trotzdem bleibt Kirche dabei als Kirche erkennbar, ist spirituell und sammelt sich um die Bibel evtl. mit dem bekannten Modell des Bibelteilens. Hierbei wird in Kleingruppen ein Bibeltext von Laien so gelesen, besprochen und bedacht, dass am Ende immer eine konkrete Aufgabenstellung entsteht.

Im Prinzip sind damit meiner Beobachtung nach die Grundaussagen des Konzepts „Kirchenkurs“ schon beschrieben. Wenn sich auch die Begriffe etwas wandeln, so ist das Modell im Prinzip immer eine Art Partizipation, die in der Hinwendung zu Gott gründet. Die Hinwendung zu Gott läuft parallel zur Hinwendung zu den Menschen. Partizipation kann nur funktionieren, wenn man als Kirche die Menschen nicht als Adressanten sieht, sondern sie als „Experten ihrer eigenen Situation“ einbezieht (vgl. S. 54).

Genauso, wie ich von diesem Modell fasziniert bin, ebenso frage ich mich zugleich, welche Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass eine neue Institutionalisierung die sich entwickelnde Basiskirche lahmlegt. Was also ist „Maximale Partizipation“ (S. 39)? Wie wird dabei die Verantwortung in der Kirche real geteilt (vgl. S. 30)? Und wie funktioniert die notwendige „Evaluation“ (S. 50) in diesem Zusammenhang?

Das Kirchenbild des „Volkes Gottes“ ist zugleich vom Vaticanum II. wie von den Lehren der Reformation her vorgedacht. Wie aber bleibt die Einheit der Kirche gewahrt, die gegenseitige Anerkennung, die Ökumene? Ist hier nicht sogar das Prinzip „global denken und lokal handeln“ gefragt? Können die Inhalte des Reformationsgedenkens nicht gerade dazu etwas beitragen, dass die Balance zwischen Einheit und Partizipation für alle Kirchen neu bedacht wird?

Die Fragen zum Schluss sollen nicht zeigen, dass bei dieser Lektüre nichts als Fragen bleibt, sondern eher im Gegenteil, dass Fragen entstehen, die uns gerade heute auf einen gemeinsamen Weg führen, auch wenn wir ihn nicht immer miteinander, sondern auch parallel nebeneinander gehen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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