Predigt über Jeremia 23, Christoph Fleischer, Welver 2016

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Predigt zum 1. Advent 2016, gehalten in der reformierten Gemeinde Soest (Schiefer Turm)

Jeremia 23, 5-8 (Zürcher Bibel)

5 Sieh, es kommen Tage, Spruch des HERRN,

da lasse ich für David einen gerechten Spross auftreten,

und dieser wird als König herrschen

und einsichtig handeln

und Recht und Gerechtigkeit üben im Land.

6 In seinen Tagen wird Juda gerettet werden,

und Israel wird sicher wohnen.

Und dies ist sein Name, den man ihm geben wird:

Der HERR ist unsere Gerechtigkeit!

7 Darum, sieh, es kommen Tage, Spruch des HERRN,

da wird man nicht mehr sagen:

So wahr der HERR lebt, der die Israeliten heraufgeführt hat aus dem Land Ägypten!, 8 sondern: So wahr der HERR lebt,

der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt

und hergebracht hat aus dem Land des Nordens

und aus allen Ländern, wohin er sie versprengt hat!

Dann werden sie auf ihrem eigenen Boden wohnen.

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Liebe Gemeinde,

Dieser Predigttext macht es uns nicht leicht, in der Adventszeit die Weihnachtsvorbereitung zu erkennen. Trotzdem ist die Verbindung vorhanden. Sie wird aber nicht erkennt, wenn man das Weihnachtsfest von der Menschwerdung Gottes her betrachtet. Man muss es vielmehr als das sehen, was es ja auch in den Evangelien ist: Ein herausragendes Ereignis in der Geschichte Israels. Unser Glaube muss sich zwangsläufig immer wieder auf Israel beziehen, denn der verheißene Retter ist zunächst in diesem Volk und in dieser Religion erwartet worden. Mir passiert es auch, dass mir immer wieder neue und andere Details bewusst werden. So ist mir im letzten Jahr bewusst geworden, dass man den Namen Jesus nicht nur von seiner Wortbedeutung her sehen soll, sondern auch ins einer ursprünglichen hebräischen Form kennen sollte.

Der Name Jesus heißt im Alten Testament Josua. Das Buch Josua ist also das Buch Jesus. Die Wortbedeutung dieses bekannten Namens ist: „Gott rettet“. Josua hat als Nachfolger des Moses das Volk Israels ins verheißene Land geführt.

Die Religion Israels stellt immer wieder den Bezug zu herausragenden Personen seiner Geschichte her und bezieht sich auf die in der Bibel überlieferten Geschichten. Die Verheißung der sicheren und gerechten Verhältnisse des Landes wird in dem Jahrhundert sehr stark gewesen sein, das auf den römisch-jüdischen Krieg hinauslief, der im Untergang Israels endete. Zu dem Zeitpunkt, als Jesus aufgetreten ist, war die Katastrophe noch nicht eingetreten. Zu dem Zeitpunkt der Abfassung der Evangelien dagegen, ist die Katastrophe bereits geschehen. Jetzt erinnerte man sich daran, dass von Jesus dem Gekreuzigten gleichzeitig die Auferstehung bezeugt worden ist. Der politische Messias ist am römischen Kaiser gescheitert, aber der religiöse Messias lebt nach dem Tod weiter und baut das Volk Israel im Geist Gottes neu auf.

Um Jesus Christus, den Messias Israels zu deuten und zu verstehen, erinnerte man sich an die Verheißungen des Alten Testaments. Das Lied: „Es ist ein Ros´ entsprungen“ nimmt Bezug auf die Verheißung des Jesaja. Die Verheißung des Jeremia klingt ein wenig ähnlich, ist aber noch um einiges radikaler.

Die Frage sollte heute sein, ob wir einfach nur die Geschichte darin wiedererkennen möchten, oder ob wir uns auch fragen, was diese Verheißung denn in unserer Situation bedeutet. Es bleibt uns dann allerdings nichts anderes übrig, als uns in die Rolle des Volkes Israels zu versetzen. Gerade dieser Ansatz ist heute kirchlich umstritten. Aber ich finde, dass wir diese Verheißung dann gar nicht für uns verwenden dürften, wenn wir sie allein für Israel gelten lassen. Der Gott Israels ist doch eben gemäß der Verheißung als der Vater Jesu Christi auch unser Vater. Wir müssen einfach so tun, als sei die Verheißung  für Israel auch für andere Menschen und Völker gültig.

Ich gehe jetzt auf den Text im Einzelnen ein:

„Sieh, es kommen Tage, Spruch des Herrn…“. Wer oder was ist ein Prophet? Nach dem Verständnis in unserer Sprache ein Mensch, der etwas über die Zukunft sagt. Alle Menschen, die etwas über die Zukunft sagen, sind immer ein wenig vage und unbestimmt, da sie ja auch nicht direkt darüber sprechen können, wann das Gemeint wirklich eintreffen wird. Das zweite Element ist die Tatsache, dass der Prophet das Gesagte als Spruch Gottes bezeichnet. In diesen Worten redet Gott selbst. Darin drückt sich der Glaube aus, dass Gott der wirkliche Herrscher der Welt ist und sich in seinen Worten die Zukunft darstellt.

Angekündigt wird nun eigentlich ein König, ein „Spross Davids“. Diese politische Verheißung ist leider immer wieder nicht so eingetreten, wie es die Bibel angekündigt hat. Zu Jesu Zeiten ist die Königsherrschaft schon ganz auf die Römer übergegangen. Der König Herodes war nur ein Beauftragter des Kaisers. Der Präfekt, genannt Statthalter, war als Befehlshaber des Militärs gleichzeitig in der Lage, äußere Gewalt gegen das besetze Land auszuüben.

Der König, den der Prophet Jeremia ankündigt wird „einsichtig handeln und Recht und Gerechtigkeit üben.“ (Vers 5). Auf das Land bezogen heißt das: „In seinen Tagen wird Juda gerettet werden und Israel wird sicher wohnen.“ (Vers. 6).

Um die politische Grundstimmung kann man sich hier schwerlich drücken. Auch wenn das hier im Sinn eines Königtums gemeint ist, müsste man es doch auch auf andere Systeme anwenden. Ein ernstes Problem in der Politik ist die Korruption, und zwar weltweit. Direkte Korruption gibt es in Deutschland selten. Aber es gibt sogenannten Lobbyismus. Dabei geraten Volksvertreter unter den Einfluss bestimmter Wirtschaftszweige. Damit ist die Politik dann nicht frei und somit auch nicht gerecht. Die Wirtschaftszweige, die bei uns die größte Macht haben sind die Energiewirtschaft, weil sie direkt mit der öffentlichen Hand verbunden ist, die Automobilindustrie und die Rüstungsindustrie.

Advent heißt also im biblischen Sinn: Wir erwarten im Sinn unserer Politik die Verwirklichung von „Recht und Gerechtigkeit“.

Dazu ein Blick auf Jesus, der auf einem Esel nach Jerusalem kommt und kurz darauf die Tische der Geldwechsler im Tempel umwirft. Der Einzug Jesu in Jerusalem war eine politische Demonstration im Zuge der Ankunft von Pilgern. Ich denke mir hierbei schon, dass Jesus aus Galiläa zumindest unter den Pilgern eine gewisse Bekanntheit gehabt haben muss. Die Menschen haben keinesfalls erwartet, dass sich Recht und Gerechtigkeit nur im Himmel verwirklichen wird. In unserem Sinn würde ich sagen: Das Recht Gottes beginnt dort, wo eine Politik der Gerechtigkeit und des Friedens geschieht, wo etwas gegen Armut gemacht wird und wo die Reichen durchaus auch mal zur Kasse gebeten werden.

Ich lese den Text eines modernen Liedes, das früher sicherlich oft auf Kirchentagen gesungen worden ist:

„Es kommt die Zeit, in der die Träume sich erfüllen, wenn Friede und Freude und Gerechtigkeit die Kreatur erlöst.

Dann gehen Gott und die Menschen Hand in Hand.

Es kommt die Zeit, in der die Völker sich versöhnen, wenn alle befreit sind und zusammenstehn im einen Haus der Welt.

Dann gehen Gott und die Menschen Hand in Hand.

Es kommt die Zeit, da wird der Erdkreis neu ergründen mit Wasser, Luft, Feuer, wenn der Menschen Geist des Schöpfers Plan bewahrt.

Dann gehen Gott und die Menschen Hand in Hand.“

(Gerhard Schnath, Gottfried Mohr und Rudolf Otto Wiemer, aus: Meine Lieder, 1992, alle Rechte im Peter Janssens Musik Verlag, Telgte-Westfalen/ in: Gottesdienstpraxis III,1, Gütersloh 2016, Claudia Brinkmann-Weiss).

Es ist schon richtig und gerade im Sinn der Propheten, wenn sich die Kirche auch zu politischen Fragen zu Wort meldet, wie das heute Gottseidank ja auch geschieht. Kirche denkt dabei weltweit und hat sicherlich auch die weltweite Gerechtigkeit im Blick. Ich finde allerdings, dass auch die Gerechtigkeit in Deutschland dabei nicht zu kurz kommen sollte. Ich geh nicht ins Detail, aber der Anspruch von Recht und Gerechtigkeit gilt allen Menschen.

Der nächst Punkt ist, dass dieser Anspruch der Gerechtigkeit nun mit einem Namen bekräftigt wird: „Und dies ist sein Name, den man ihm geben wird: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.“

Der Thronname ist das politische Programm. Der König, den Jeremia meinte, hieß Zedekia, das heißt: Der Herr ist meine Gerechtigkeit. Vielleicht stellt sich Jeremia bewusst in den Gegensatz oder er weitet es einfach aus, indem er jetzt von unserer Gerechtigkeit spricht. Es ist schon klar, dass die Gerechtigkeit für alle Menschen gilt. Doch wir müssen berücksichtigen, dass der Anspruch an die Gerechtigkeit auch immer wieder anders gewesen ist. Früher galt die Gerechtigkeit im Rahmen eines einzigen Volkes. Das geht für uns heute so nicht mehr. Wir müssen an die weltweite Gerechtigkeit denken.

Im Hintergrund steht hier aber auch der Glaube an Gott, der als der Schöpfer des Lebens für die Gerechtigkeit da ist. Wer von der Gottesherrschaft predigt wie Jesus kann nur im Sinn einer politischen Theologie verstanden werden. Es geht also hierbei um eine Spiritualität, die keinesfalls nur auf den persönlichen Bereich eingeht. Wer allerdings politisch denkt, wird zumeist auch bemerken, dass heute bestimmte Krankheiten wie Burnout oder die Zunahme von Herz- und Kreislaufkrankheiten auch mit dem Stress in der Wirtschaft zu tun haben. Ich habe zum Beispiel schon einmal im Rahmen eines Klinikgottesdienstes von einer Besucherin gehört, dass es Altenheime gibt, in denen erwartet wird, dass man eine Stunde eher zum Dienst kommt, als es die offizielle Arbeitszeit vorsieht, also eine Überstunde pro Tag für lau. Das betreffende Altenheim gehöre einem kirchlichen Träger.

Der Schluss des Textabschnittes hat es nochmal in sich:

Darum, sieh, es kommen Tage, Spruch des HERRN,

da wird man nicht mehr sagen:

So wahr der HERR lebt, der die Israeliten heraufgeführt hat aus dem Land Ägypten!, sondern: So wahr der HERR lebt,

der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt

und hergebracht hat aus dem Land des Nordens

und aus allen Ländern, wohin er sie versprengt hat!

Dann werden sie auf ihrem eigenen Boden wohnen.“ (Vers 7+8).

Wenn diese Tage kommen, von denen hier die Rede ist, dann wird man nicht an die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten erinnern, sondern an die aktuelle Befreiung. Die Menschen, die im Land des Nordens leben müssen, werden zurückgebracht in die Heimat und „aus allen Ländern, wohin er sie versprengt hat.“ Kein Wunder, dass man in Israel und auch später in anderen Ländern diese Verheißung auf die jeweilige Gegenwart bezogen hat. Israel wurde von den Römern für den römisch-jüdischen Krieg erneut mit einer Verbannung bestraft.

Was sollen aber wir als Christen mit der Hoffnung anfangen, die sagt, dass Israel sicher wohnen wird, was wir sicherlich auch für die Palästinenser und andere Länder wünschen? Oder sollen wir hier Worte des Heimatschutzes oder die Rückkehr der Heimatvertriebenen erkennen? Wir warten auf die Zeit, in der auch die Flüchtlinge, die bei uns Schutz gefunden haben, wieder zurückkehren können, weil sie in ihrer Heimat wieder sicher wohnen können.

Wir sehen, dass es bei einer politischen Theologie die Aktualisierung immer auch ein wenig schwierig ist, weil man diese Aussagen auch in seinem eigenen Sinn zurechtlegen kann. Für mich war gerade die Befreiung unter Mose immer ein wenig ein wichtiger Maßstab. Gott hat Erbarmen mit dem zu Unrecht unterdrückten Volk. Gott ist auf der Seite der Armen und Unterdrückten. Das kann dann aber nicht nur für Israel gelten. Die Verheißung geht meines Erachtens erst dann in Erfüllung, wenn uns überhaupt kein Glaubensbesitz mehr antreibt, sondern allein der Wunsch, dass alle Menschen in Recht und Gerechtigkeit leben können. Heute und in Zukunft. Wenn wir diese Adventsbotschaft mit in die Weihnachtszeit hineinnehmen, dann wird es zu Weihnachten nicht nur um familienbezogene Beschaulichkeit gehen können, sondern um die Frage des Friedens und der Gerechtigkeit weltweit. Das Christentum hält diese Frage in der Tradition des Volkes Israels offen.

Amen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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