Martin Heidegger, zum Letzten, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017

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Zu: Heideggers Weg in die Moderne, Eine Verortung der „Schwarzen Hefte“, Herausgegeben von Hans-Helmut Gander und Magnus Striet, Heidegger Forum Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt/Main 2017, Softcover, 272 Seiten, ISBN 978-3-465-04269-3, Preis: 24,80 Euro

Diverse Tagungen zu Martin Heideggers „Schwarzen Heften“ wie die im April 2015 in Siegen und im Dezember 2014 sind inzwischen gedruckt dokumentiert. Dazu kommt nun eine Tagung der Freiburger Universität im Dezember 2015. Die Dokumentation aller Vorträge und der jeweiligen bis zu 30-minütigen Diskussionen finden sich als Podcasts auf der Homepage der Freiburger Universität (https://www.frias.uni-freiburg.de/de/mediathek/podcasts/freiburger-horizonte/heideggers-schwarze-hefte-ideoologieanfaelligkeit-der-intellektuellen-1). Der dort noch in englischer Sprache aufgenommene Vortrag von Jeff Malpas (Professor in Hobart, Australien) liegt im Buch in deutscher Übersetzung vor: „Die Wende zum Ort und die Wiedergewinnung des Menschen: Heideggers Kritik des ‚Humanismus’“ (S. 115-134). Der Vortrag von Lore Hühn „Selbstwahl und Ethik in Sein und Zeit, Zur Kierkegaard-Rezeption Heideggers“ ist im Buch nicht enthalten, weil es wohl Überschneidungen gab mit dem Vortrag von Christian Bermes (Professor, Koblenz-Landau) „Verrat am Leben? Heidegger und der Tod“ (S. 165-180).

Da die Diskussionen hier nicht dokumentiert werden konnten, möchte ich einen Eindruck davon berichten: Durch den in der Veranstaltung anwesenden Verleger der „Gesamtausgabe“ Martin Heideggers sind in einer Diskussion einige Klarstellungen zur Heidegger-Edition erfolgt. Der Verleger schließt Interventionen seitens der Familie Martin Heideggers gegenüber diversen Herausgebern der „Gesamtausgabe“ in Zukunft aus. Außerdem konstatiert er, dass diese Ausgabe noch keine kritische Werkausgabe ist.

 

Die Referenten und Referentinnen dieser Tagung fassen Martin Heideggers Nachlass nicht mit Samthandschuhen an. Manchen kann man den Ärger darüber anspüren, der sie erfasst, wenn sie mit den „Schwarzen Heften“ zur Kenntnis nehmen müssen, dass Martin Heidegger nach dem Erscheinen von „Sein und Zeit“ in den Sumpf des Nationalsozialismus gestiegen und daraus wohl nicht mehr aufgetaucht ist (d. Rez.). Dazu sollen im Folgenden einige Beispiele vorgelegt werden, die für sich sprechen:

 

Die Darstellung der Nietzsche-Rezeption Martin Heideggers durch Andreas Urs Sommer (Freiburg, bis 2016 Zürich) „Nietzsche als Drehscheibe in die Moderne? Heideggers Nietzsche in den Schwarzen Heften und die Rolle des Philosophen“ (S. 71 – 94) gipfelte in einem Satz, der auch in der Diskussion eines anderen Vortrags auftauchte: „Aus Heideggers Nietzsche kann man nichts (mehr) über Nietzsche lernen, aber alles Mögliche über Heidegger.“ (S. 92/93). Bezeichnend ist nicht nur, dass Martin Heidegger sich in seiner Arbeit für die Nietzsche-Edition ausgerechnet die aus dessen Nachlass zusammengestellte Arbeit „Wille zur Macht“ ausgesucht hat, sondern dass er die Ausgabe des Nachlasses tatsächlich im Sinn seiner „Seynsgeschichte“ manipulieren wollte. Eine „historisch-kritische“ Edition lehnte er ohnehin ab (vgl. S. 85).

Heideggers Antisemitismus soll auf die kirchlich geprägten antimodernen Tendenzen der Weimarer Zeit zurückgehen (vgl. Claus Arnold (Professor, Mainz): Katholischer Antimodernismus, S. 35 – 47, hier: S. 39).

Ein zentrales Thema ist die Auseinandersetzung mit dem Todesverständnis Heideggers. Christian Bermes (s.o.) widerspricht ihm klipp und klar: „Wir verstehen Leben aus dem Leben, nicht aus dem Tod.“ (S. 176). Heideggers Ablehnung der Anthropologie scheint nun wohl doch die Sackgasse zu sein, auf die er unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Ideologie geraten ist. Das zeigt sich nach dem Vortrag von Oliver Müller (PD, Freiburg), „Martin Heideggers Verführbarkeit. Zu Lesungen, Deutung und Stellungnahmen Hans Blumenbergs“ (S. 135 – 163). Knapp gesagt ist Blumenberg vom Schüler zum Gegner Heideggers geworden, indem er sich gerade der von Heidegger verurteilen Anthropologie widmete.

Emil Angehrn (Professor E., Basel) schließt seinen Vortrag „Ursprungsdenken und Modernitätskritik, Seinsgeschichte zwischen Wahrheit und Ideologie“ (S. 95 – 113) mit dem Satz: „Die Devise, mit Heidegger gegen Heidegger zu denken, bleibt nach Seiten der Kritik wie der Exegese eine unabgegoltene Forderung.“ (S. 113). Diesen Satz muss man wohl so verstehen, dass das „gegen“ das letzte Wort hat. Ich zitiere einen kurzen Abschnitt, in dem das m. E. deutlich wird:

 

„Der Mangel an Oberfläche als Kehrseite der prätentiösen Fundamentalität begegnet nicht nur, aber gerade auch in den Schwarzen Heften in irritierenden, teils erschreckenden Formen – wenn etwa die apokalyptische Vision einer technischen Selbstzerstörung der Erde und Auslöschung der Menschheit mit der Auskunft beschieden wird, dass dies ‚kein Unglück’ wäre, ‚sondern die erste Reinigung des Seins von seiner tiefsten Verunstaltung durch die Vormacht des Seienden’ (Anm. GA 95, S. 238), oder wenn in Aufzeichnungen aus den Jahren 1939 – 1941 die Gräuel des Krieges gegenüber dem Drama der Wahrheitsverfehlung oder der Geschichtslosigkeit des Volks zum verächtlichen Oberflächenphänomen degradiert werden und der eigentliche ‚Vorgang des Kriegs’ nicht in Kriegsoperationen und Bombenexplosionen, sondern in der Verunmöglichung einer ‚die Geschichte im Ganzen ihres Wesens durchfragenden Besinnung’ gesehen wird.“ (Anm. diverse Seiten aus GA 95 und GA 97)“ (S. 112/113).

 

Peter Trawny (Professor, Wuppertal) hat ebenso deutlich gemacht, dass sein Ausdruck „Metaphysischer Antisemitismus“ (S. 49 – 70) keineswegs als Kompliment für Heidegger gedacht ist. Dieter Thomä (Professor St. Gallen) zeigt „Heidegger als Philosoph des Ausrufezeichens“ (S. 243 – 266) und meint damit einen (durch den nationalsozialistischen Befehlston?) geprägten Sprachduktus. Das heißt nicht, dass es nicht auch Passagen in Heideggers Texten geben könnte, die man bedeutsam finden kann. Nur den autoritären Anspruch, mit dem sie gesagt sind, können sie nicht beanspruchen.

 

Ich lese und höre die meisten Aussagen dieser Vorträge als grundlegenden Abschied von Heideggers Lehrautorität. Man wird seinen Namen sicherlich nicht aus der Philosophiegeschichte streichen können, doch man wird ihn immer mit der Erinnerung an die Opfer der Shoa verbinden, denen Heidegger öffentlich und privat keine Träne nachweint. Dies alles kulminiert in der Analyse von Rainer Marten (Professor Emeritus, Freiburg) „Martin Heidegger: Das Sein selbst“ (S. 243 – 241), dass dann das Seinsdenken oder die Seinsgeschichte eben doch selbst der Ort sind, in den Heidegger tatsächlich die Spur des Massenmords hineingelegt hat. Martens Fazit soll diese Rezension beenden: „Heideggers Denken, selbstsicher auf Unwirkliches und Unmögliches fixiert, widersetzt sich dem Humanum. Für uns, die wir dem Leben zugewandt sind, erweist es sich als bodenlos.“ (S. 241).

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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