Predigt Amos 5, 21-24, Joachim Wehrenbrecht, Herzogenrath am 11.02.2018 – Tulpensonntag

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Verlesung des Textes aus der Lutherbibel 2017:

21 Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen – 22 es sei denn, ihr bringt mir rechte Brandopfer dar –, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. 23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!

24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Niklas Fleischer (c)

Liebe Gemeinde,

Was ist das wieder für ein Text!

Können Sie sich erinnern? Wir evangelischen Predigerinnen und Prediger sind vermeintlich abgestraft worden nicht politisch zu predigen!

„Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den #Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht.“

Das twitterte der Chefredakteur der Welt nach einer Christmette in Berlin und löste damit eine kontroverse Debatte aus.

Den Propheten Amos hat der Chefredakteur wohl nie gelesen. Mit der religiösen Bildung ist es nicht weit her in unserm Land. Bibelwissen – Fehlanzeige.

Heute am Tulpensonntag nur „rote Nelken“ im Text. Dem Gottesdienst als Feier der Innerlichkeit und liturgisch korrekter und schön-festlicher Anbetung Gottes wird eine Absage erteilt.

Gott mag keine Gottesdienste, die nicht mit einem heilvollen Leben verbunden sind. Es gibt kein heilig im Gottesdienst und unheilig vor der Kirchentür.

Es gibt keine billige Gnade, der alles egal ist. Gott lässt sich auf keinen faulen (Kult)-Handel ein. Seine Leidenschaft gilt allen Lebenden einer Polis, zuerst den Schwachen und Armen.

Wir haben uns in der sozialen Marktwirtschaft bequem eingerichtet und wir haben bei aller Kaufkraft und Kauflust in der Mittelschicht nicht bemerkt wie der Kapitalismus und das Diktum der neoliberalen Wirtschaft die soziale Marktwirtschaft schon längst ausgehöhlt haben.

Das oberste Gebot unseres Wirtschaftens ist das Wachstum auf Teufel komm raus. Unsere heilige Kuh ist der Aktienmarkt. Sie entscheidet über Heil und Unheil.

Beispiel:

Wir nehmen eine explosive Steigerung der Rüstungsgüter billigend in Kauf, obwohl es politisch anders in der GroKo angekündigt war. Wir haben zwar eine der  strengsten Ausfuhrregeln für Rüstungsgüter weltweit, scheren uns aber nicht darum, wenn diese von den Rüstungskonzernen geschickt umgangen werden. Dann ist plötzlich wieder niemand verantwortlich, wenn Deutsche Panzer, Bomben und Minen in Syrien und in anderen Konfliktregionen in unserer Welt töten. Außerdem trägt die Rüstungsindustrie nicht unwesentlich zum Wirtschaftswachstum bei. Unser Protest bleibt kleinlaut.

Beispiel:

Unsere Gesellschaft ist in der Mitte nach rechts gerückt. Antijudaismus und Rassismus jeglicher Art sind wieder salonfähig geworden.

Jetzt rückt der Heimatbegriff in das Ministerium fürs Innere auf. Ist denn Abgrenzung und Abschottung das Gebot der Stunde?

Beispiel:

Im Koalitionsvertrag ist die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge bis Mitte nächsten Jahres beschlossen, danach sollen nur bis zu 1000 Flüchtlinge pro Monat und besondere Härtefälle als Familienangehörige nachkommen dürfen. Die wertkonservativen Parteien mit dem C im Namen verraten hier ihre Familien-Werte. „Recht wird durch Gnadenakte ersetzt“ kommentiert unser rheinischer Präses Manfred Rekowski zu Recht diese Koalitionsvereinbarung.

Eine humanitäre Gesellschaft zeichnet sich durch den Umgang mit den Schwachen, Armen und Geflüchteten aus. Sie werden bei uns abgespeist, stigmatisiert und haben keine Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das ist ein Skandal.

Liebe Gemeinde,

wir werden für dumm verkauft. Die Endsolidarisierung in der Gesellschaft wird politisch in Feiertagsreden beklagt, ist aber Teil der politischen Wirklichkeit und Kultur. Befindlichkeiten werden vordergründig befriedigt und medial hysterisch aufgeputscht, Ungerechtigkeiten hingegen nicht beseitigt, da die Lobby des Geldes die neuen Hohepriester unserer quasireligiösen neoliberalen Kultur sind.

Beispiel:

Keiner traut sich an die wirklich Reichen heran, an die fetten Kühe sagt der Prophet Amos vor 2800 Jahren. Eine Vermögenssteuer – Fehlanzeige, eine gerechte Erbschaftssteuer – Fehlanzeige.

10% der Bevölkerung verfügt über 60% des Nettohaushaltskapitals in Deutschland. Das die Schere zwischen den Reichen und Armen sich weiter öffnet ist skandalös und darf auch von uns Kirchen nicht verschwiegen werden, selbst da, wo wir von dem Wachstumsraten der Gesamtwirtschaft in den letzten Jahren durch die höchsten Kirchensteuereinnahmen, die je verzeichnet wurden, profitiert haben und das trotz vieler Austritte und dem demografischen Wandel.

Wir dürfen nicht übersehen: Die mittleren und unteren und auch mittleren Einkommen partizipieren immer weniger an der Steigerung des Realeinkommens. Viele Rentenbezieher leben schon jetzt unterhalb des Existenzminimums. Private Verschuldung ist ein echtes Problem.

Die Finanzkrise hat uns gelehrt: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. Die Deutsche Bank ist noch nicht aus den roten Zahlen raus, da bedienen sich die Manager schon wieder sprunghaft in Millionenhöhe fette Boni.

Liebe Gemeinde,

die Herausforderungen, die vor uns liegen sind groß. Sie werden nur bewältigt, wenn wir solidarisch denken und handeln.

Was hat Religion damit zu tun? Was habe ich damit zu tun?

Religion ist nicht nur die Schmiere der Gesellschaft, in ihr werden auch die Werte Recht, Gerechtigkeit und Menschlichkeit wach gehalten.

Der biblische Gott ist ein leidenschaftlicher Gott. Ein leidenschaftlicher Gott gegen das Unrecht und für das Wohl und das nötige Auskommen aller!

Wir sind als Christinnen und Christen gebunden an den Gott, der für die Schwachen und Armen eintritt. Das ist uns manchmal peinlich, aber einen anderen Gott haben wir nicht (zu verkündigen).

Es ist gut, dass ehrenamtliche Johanniter als Kältehelfer in unserer Region Obdachlose aufsuchen und unterstützen in diesen frostigen Tagen und Nächten.

Es ist gut, auch wenn es keine strukturell politische Lösung ist, dass es Tafeln gibt, wo Menschen billig Lebensmittel bekommen, die sonst im Müll landen.

Es ist gut, dass wir viel Kraft, Zeit und Geld in der Lydia-Gemeinde investieren in die Rechtsberatung und Begleitung von Flüchtlingen und Asylsuchenden.

Ist es nicht auch unter uns so, dass Stimmen laut werden, um Flüchtlinge kümmern wir uns, aber die eigenen Leute kommen zu kurz und geraten außer Blick? Das eigene Unbehagen, eigene Bedürftigkeit und das Wissen, dass auch viele unserer Gemeindeglieder prekär leben führt zu diesen oft leisen, manchmal auch lauten Vorwürfen. Lasst uns miteinander darüber ins Gespräch kommen und gleichzeitig darauf achten, dass wir Notlagen nicht gegeneinander ausspielen. Auch müssen wir uns unserer begrenzten Ressourcen bewusst sein ohne damit jegliche Nachfragen und Kritik im Keim zu ersticken.

Es ist gut, wenn die Schwerpunkte unserer Arbeit in der Lydia-Gemeinde mitgetragen werden, wir Standpunkte einnehmen und für sie einstehen ohne Scheuklappen auf den Augen zu haben.

Es gibt viel Gutes Engagement in unserer Gesellschaft und auch in unserer Gemeinde und doch müssen wir wieder lernen, dass wir Verantwortung nicht delegieren können. Lass die da oben mal machen. Eben nicht. In jedem Gottesdienst lädt Gott uns ein zu schauen, was ist denn meine Aufgabe, was ist denn mein Praxis-Gottesdienst. Ist es ein Anruf, den ich schon lange vor mir hergeschoben habe? Eine Einsicht, die ich mit meinem Partner teilen sollte? Ein Gebetsanliegen, das ich für die nächste Woche mitnehme und für das ich eintrete?

Unsere Gottesdienste dienen nicht nur der Erbauung der Seele. Sie sind ein Fragen und Hören nach Gottes Willen für uns. Nicht, dass wir besser wären als andere, oft scheitern wir bei unseren ernsthaften Versuchen die Welt ein bisschen besser zu machen, friedvoll miteinander umzugehen, Vorurteile abzubauen, solidarisch miteinander zu sein. Wir hören aber nicht auf, auf Gottes Wort zu hören wie heute. Wir wollen Gottes Wort verstehen, bewahren und auch tun.

Der Prophet Amos redet uns heute ins Gewissen: Gottesdienst ist nicht nur Ästhetik, sondern wir dienen Gott mit unserem Handeln. Praxis Gottesdienst ist in einer multikulturellen Gesellschaft mit ihren Fliehkräften mehr denn je gefragt.

Eine Praxis, die dem Leben aller dient und nicht nur die Steigerung der eigenen Erlebniswelten oder das Geldvermehren zum Ziel hat.

Heute am Tulpensonntag gab es ein Evangelium symbolisch gesprochen wie „roten Nelken“. Das Rot steht von jeher für die Leidenschaft. Auch für die Leidenschaft und der Hingabefähigkeit des Glaubens.

Auch wenn unser (evangelischer) Glaube keine Theokratie anstrebt, so gibt es im Glauben keinen Lebensbereich, der für uns ohne Gott ist. Religion ist alles andere als Privatsache und findet nicht abseits in abgezirkelten Bereichen statt.

Ach, möge der Geist Gottes uns mehr Leidenschaft für das Reich Gottes  schenken, dann werden wir fröhliche und heilvolle Gottesdienste feiern, die sich selbst nicht genug sind, sondern Gott, dem Nächsten, der Welt und auch uns dienen.

In diesem Sinn will auch ich heute am Tulpensonntag ein Narr sein, Sie auch?

Amen

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

Ein Gedanke zu „Predigt Amos 5, 21-24, Joachim Wehrenbrecht, Herzogenrath am 11.02.2018 – Tulpensonntag“

  1. Eine engagierte Predigt, aber keine gute. Für mich werden da anscheinend unreflektiert zu viele Parolen aus einer bestimmten politischen Ecke wiedergegeben, z.B.:

    „nicht bemerkt wie der Kapitalismus und das Diktum der neoliberalen Wirtschaft die soziale Marktwirtschaft schon längst ausgehöhlt haben.“

    Phrase. Was heißt denn das konkret, die soziale Marktwirtschaft sei „ausgehöhlt“? „Neoliberal“ ist ein reiner Kampfbegriff.

    „Das oberste Gebot unseres Wirtschaftens ist das Wachstum auf Teufel komm raus.“

    Das Zielsystem wird sinnvoll mit dem sog. Magischen Viereck beschrieben. Stabiles Preisniveau, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges und angemessenes Wachstum.

    „Unsere heilige Kuh ist der Aktienmarkt. Sie entscheidet über Heil und Unheil.“

    Phrase. Der Aktienmarkt ist nur einer von mehreren Märkten. Er wird vielleicht zu wichtig genommen, ja, aber letztlich bildet er mehr ab, als er entscheidet, wie man gerade in den letzten Wochen in der Reaktion auf die Zinspolitik der US-Notenbank gesehen hat.

    Die dann folgenden Beispiele sind keine Beispiele für das vorher Gesagte, sondern für verschiedene Probleme und Missstände.

    „Befindlichkeiten werden vordergründig befriedigt und medial hysterisch aufgeputscht, Ungerechtigkeiten hingegen nicht beseitigt, da die Lobby des Geldes die neuen Hohepriester unserer quasireligiösen neoliberalen Kultur sind.“

    Phrasen. „Neoliberal“ wieder einmal als Kampfbegriff.

    Auf eine solche Predigt kann ich verzichten. Bei Amos ging es um Recht und Gerechtigkeit. Darüber kann und sollte man predigen. Aber es ist keineswegs ausgemacht, dass die politische Linke das beste Rezept oder gar ein Monopol auf diese Begriffe hätte.

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