Karfreitagspredigt über Hebräer 9, 15.26-28, Christoph Fleischer, Werl 2012

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Diese Karfreitagspredigt aus dem Jahr 2012 halte ich 2018 überarbeitet in Neuengeseke und Möhnesee
Verlesung des Textes: Hebräer 9, 15.26-28
Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen. Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für alle Mal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.
Mahnmal in Günne

Liebe Gemeinde!

Auf welche Frage antwortet dieser Text heute?
Ich meine, dass die Frage den Karfreitag als Feiertag in den Blick nimmt. Sie lautet: Warum ist „Karfreitag“ ein Feiertag und nicht ein Trauer- und Gedenktag? Man mag dahinter noch die Frage sehen: Warum sagt man, Karfreitag sei der höchste evangelische Feiertag?
Die Antwort auf diese Frage darf nicht davon absehen, was uns durch die Erzählung von der Kreuzigung Jesu an Leid und Not vor Augen steht. „O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn…“. Müssen wir Christinnen und Christen etwa genauso leiden? Wird das Heil und die Erlösung um so größer ausfallen, je mehr ein Mensch leidet? Ist die Religion ein Mittel, das uns unsere Schmerzen vergessen lässt und also eine Antwort auf unsere Schmerzen ist? Und wenn schon nicht wir leiden, muss es dann nicht stellvertretend um das Leiden derer gehen, die so ähnlich dran sind wie Jesus? Dann wäre Karfreitag wohl ein Tag für Amnesty International und deren Protest gegen Folter und Todesstrafe.
Doch wir spüren, indem wir uns den Weg der Leidensgeschichte so real klar machen, dass vom Anspruch eines evangelischen Feiertages dann überhaupt nichts bleibt. Vielleicht muss das auch so sein, sagen die Einen. Wo bleibt das alte evangelische Zeugnis von der Gnade und der Rechtfertigung, sagen die Anderen?


Also noch einmal: Die Antwort auf die Frage nach dem Feiertag Karfreitag darf nicht davon absehen, dass die meisten Menschen heute weit davon entfernt sind, in der Rechtfertigung durch Christus Trost zu suchen. Sie wissen meist nicht, womit ihnen Gott in ihrem Alltag und in ihrer Lebensauffassung helfen soll. Sie warten nicht mehr auf die Einlösung eines Heilsversprechens. Sie haben ihre Fragen angesichts des Todes, des Leid, der Katastrophen, der Armut, der Kriminalität, doch von den Kirchen erwarten sie die Antwort auf diese Fragen nicht mehr. Umso schwieriger ist die Vermittlung der Zusage des Heils und der Erlösung durch den Gekreuzigten. Zu Recht sieht man in Jesus den Sterbenden an sich, der den Tod nicht verdient hat – wer hat den Tod schon verdient? – sondern das Leben, das Gott ihm zu Ostern – anders als vorher – zurückgibt.
Was gibt es also Karfreitag zu feiern?
Ich versuche mal die etwas verworrene Sprache des Hebräerbriefes auf den Punkt zu bringen und sage: Dieser Mensch Jesus von Nazareth hebt durch seinen Tod die Welt aus den Angeln. Er begründet eine Gemeinschaft, die darin besteht, dass Menschen von Gottes Handeln erzählen. Das Handeln Gottes geschieht im Alltag: Die Armen im Geist und die Menschen ohne Arbeit und Brot werden selig gepriesen, die Friedensstifter und die Barmherzigen, die Blinden und die Lahmen und die, die von einem bösen Geist gefangen sind. Der verlorene Sohn  kehrt heim. Der barmherzige Samariter stellt die Priester in den Schatten. Der reiche Jüngling muss sich gegen seinen Besitz entscheiden und schafft´s nicht. Der römische Hauptmann erfährt Gottes Nähe genauso wie die samaritische und die syrophönizische Frau. Sie nennen ihn den Fresser und Weinsäufer, weil er gern mit denen zusammensitzt und isst, die sonst nicht dazu gehören. Jesus ist der Messias – schon vor seinem Tod am Kreuz. Doch genau diese Aufgabe wird durch den Kreuzestod in ein völlig neues Licht gerückt, und zwar in zwei Aspekten:
Erstens: Fakt ist: Die Menschen, in erster Linie die Herrschenden, bringen den Messias um. Gott scheint am Kreuz machtlos zu sein, doch der Schein trügt. Gott ist an der Seite des sterbenden Gottessohns und Menschensohns. Nirgendwo anders.
Zweitens: Schon im Sterben, erst recht aber zu Ostern beginnt ein neues Leben Jesu, erst noch auf der Erde, dann im Himmel, bei Gott. In der Erfahrung des Glaubens lässt er sich blicken, ist gegenwärtig in der Feier von Brot und Wein, ist wirksam im Wort und in darauf folgenden Tat und Einstellung.

Das also ist Karfreitag zu feiern: Jesus ist der Messias und beginnt mit seinem Tod sein universelles Wirken. Vor seinem Tod ist sein Wirken noch an seinen Leib gebunden und so auf Israel und Palästina beschränkt. Sein Tod beendet dieses Leben und so wird Jesus zum Zeichen des neuen Bundes: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Die frohe Botschaft, die diese Gemeinschaft gründet und festigt, bezeugt die Bibel im Neuen Testament. Der Hebräerbrief zeigt in vielen Beispielen, dass schon das Alte Testament, die Religion Israels, dies alles angekündigt und beschrieben hat, jedenfalls wenn man es so interpretieren will. Das Christentum ist ein neuer Zweig eines alten Baumes, wie es Paulus einmal schreibt. Und so fasst es der Hebräerbrief zusammen, in Stichworten gesagt:
Jesus ist der Mittler des neuen Bundes.
Im ihm ereignet sich die Erlösung von den Übertretungen im Sinn des alten Bundes.
Er vermittelt denen, die zu ihm gehören das verheißene ewige Erbe.
Er ist am Ende der Welt erschienen und hat die neue Zeit Gottes eröffnet.
Durch sein Sterben werden die Sünden vieler weggenommen, aus allen Völkern.
Er wird zum zweiten Mal erscheinen zum Heil für die, die auf ihm warten.

Anknüpfend an die Beschreibung dieser frohen Botschaft durch den Hebräerbrief, die heute Karfreitag zu verkündigen ist, werde ich jetzt abschließend auf drei Fragen eingehen:
1. Inwiefern ist der neue Bund ein Testament, so etwas wie ein Vermächtnis?
2. Wozu ist der Tod Jesu ein Opfer?
3. Was steht für uns noch aus?
1. Inwiefern ist der neue Bund ein Testament, so etwas wie ein Vermächtnis?
Mal abgesehen, was christlich-dogmatisch über Jesu Tod gesagt wird, ist das Wort „Testament“ im Sinn von Vermächtnis auch verständlich ohne den Bezug zum Alten Testament. Das liegt an der doppelten Bedeutung des Wortes Bund im Griechischen. Der Bund ist ein Vermächtnis. Das klingt doch einleuchtend. Jesu Vermächtnis ist der neue Bund für alle Menschen, die auf Jesus und auf Gott vertrauen.
2. Wozu ist der Tod Jesu ein Opfer?
Der Ausdruck „Opfer“ ist voller Widersprüche. Die Vorstellung, Gott würde seinen Sohn opfern, wie Abraham Isaak opfern wollte, ist hier gar nicht gemeint. Sie ist abwegig und ein Missverständnis dessen, was mit dem Titel „Gottes Sohn“ gemeint ist. Auf dem Kreuz steht: INRI „Jesus von Nazareth – König der Juden“. Jesus ist als König der Juden gestorben, als Messias.
Die einzige mögliche Antwort auf die Frage des Opfers ist, dass Jesus sich selbst opfert. Aber auch das ist eine nachträgliche Interpretation, denn nach der Schilderung der Passion, ist Jesus zwar bereit dazu, steht konsequent zu seinem bisherigen Weg und zu seinen Worten, stirbt und leidet aber an keiner Stelle freiwillig. Er willigt in Gethsemane in das Unvermeidliche ein, daraus kann man kein Opfer herleiten.
Es geht darum, dass das Wort „Opfer“ hier streng im Sinn der Bibel aufgefasst werden muss. Jesus gibt sein Leben hin für Gott, und zwar nicht erst am Kreuz, sondern von der Taufe am Jordan an. Dieses Opfer wird nach seinem Tod bestätigt. Da Jesu Hingabe für Gott stellvertretend für alle Menschen erfolgt, bestätigt Jesus zuletzt mit seinem Tod, dass alle Menschen Gottes Eigentum sind und unter Gottes Schutz stehen. Die Passion ist der offensichtliche Widerspruch gegen die menschliche Würde. Der Tod Jesu und sein neues Leben sind der Protest gegen diese Respektlosigkeit. Die Sünde wird von Gott vergeben, nicht durch die Menschen, da die Menschen durch Jesu Tod Gott allein gehören.
3. Was steht für uns noch aus?
Das Heil steht noch aus, Jesu erneute Wiederkehr als Messias. – Das Christentum sieht das Kreuz als Ende der Welt und schafft so eine neue Zeit, von Ewigkeit zu  Ewigkeit. Damit wird die Zeit der Welt von Jesus an zur Geschichte. Wir Menschen haben daraus ein Entwicklungsmodell gemacht, die Evolution, und meinen alles immer besser machen zu können, erst mit Gott auf unserer Seite, und dann auch ohne Gott. Diese Geschichte ist spätestens seit Auschwitz zu Ende. Von den Menschen ist kein Heil zu erwarten. Das Kreuz Jesu bleibt eine Mahnung, insofern es sich in der Menschheit wiederholt hat. Jesus ist die Gestalt des Gefolterten, zu Unrecht verurteilten und hingerichteten Menschen. Im Kreuz glauben wir daran, dass Gott die Würde der verletzten Menschen wiederherstellt. Wir glauben an die Zukunft nach dem Scheitern der Geschichte.
Zum Schluss: Aus den Worten des Hebräerbriefes darf kein Heilsbesitz abgeleitet werden. Die Menschheit jedoch wartet noch auf die Erlösung. Wir geben nicht auf. Die Kraft erwächst aus dem Leben, das Gott schenkt. Niemand kann sich selbst erlösen, freisprechen oder rechtfertigen. Der neue Bund steht seit fast 2000 Jahren. Er wird durch uns mit Leben gefüllt, wenn wir im Namen Jesu glauben und mit Gottes Geist rechnen. Nur wo Jesu Geist wirkt, ist der Neue Bund lebendig. Wer im Namen Jesu oder im Namen Gottes Menschen ausgrenzt oder diskriminiert, ausbeutet oder gar missbraucht, missachtet oder gar ihnen das Leben nimmt, zerstört den neuen Bund und verfehlt das Erbe des Gekreuzigten.

Das Kreuz Jesu ist Mahnung und Geschenk zugleich. Das feiern wir am Karfreitag.

Amen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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