Jesus, wissenschaftlich gesehen, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2018

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Jens Schröter, Christine Jacobi (Hg.): Jesus Handbuch, unter Mitarbeit von Lena Nogossek, in: Theologen Handbücher, Hrsg. von Albrecht Beutel, Mohr Siebeck, Tübingen 2017, in Softcover gebunden, 685 Seiten, ISBN: 9783161538537, Preis: 49,00 Euro

Die einzelnen Abschnitte des „Jesus Handbuchs“ sind von 46 Autorinnen und Autoren verfasst worden. Beiträge, die in englischer Sprache vorlagen, wurden ins Deutsche übersetzt. Interessant ist schon die Frage, inwiefern Jesus als „Theologe“ in den Blick kommt, um in die Reihe Theologen-Handbücher aufgenommen zu werden.

Der Aufbau des Buches gibt dem Projekt recht. Nach einer Einleitung, die den aktuellen Stand der Jesusforschung widerspiegelt, folgen vier Hauptabschnitte: Geschichte der historisch-kritischen Jesusforschung (S. 15 – 124), Das historische Material (S. 125 – 182), Leben und Wirken Jesu (S. 183 – 486), Frühe Spuren von Wirkungen und Rezeptionen Jesu (S. 487 – 563).

Der abschließende Materialteil enthält neben der Auflistung der Autorinnen und Autoren ein Literaturverzeichnis und ausführliches Register.

Die einzelnen Abschnitte sind vom Forschungsschwerpunkt der Autorinnen und Autoren geprägt. Die Grundpositionen ergeben sich aus der gemeinsamen Mitte der historisch-kritischen Erforschung des Neuen Testaments her, die von der Frage nach der Hermeneutik geprägt ist.

Auch die Ergebnisse der Auswertung historischen Materials sind nicht von der Theologie und deren Überlieferung zu trennen. Die Auferstehung Jesu gehört zur Wirkungsgeschichte, während die Kreuzigung zum Leben und Wirken Jesu gerechnet wird. Das hat zur Folge, dass wie eh und je eine glaubwürdige Schicht von einer eventuellen Übermalung getrennt wird, ohne dabei zu verheimlichen, dass eine dokumentarische Darstellung des Lebens und Wirkens Jesu niemals möglich sein wird.

Wie jeder und jede, der/die mit einem Handbuch arbeitet, einzelne Abschnitte auswählt, die zur jeweils eigenen Frage gehören, so habe ich für diese Rezension einzelne Abschnitte ausgewählt. Ihre Zusammenfassung gibt ein exemplarisches Bild von der Arbeitsweise des Handbuchs. Diese Abschnitte sind mit den Namen der jeweiligen Autoren auch im Inhaltsverzeichnis aufgeführt. Die einzelnen Abschnitte werden kurz referiert und nicht bewertet.

 

Simon Gathercole (Cambridge, GB): Außerkanonische Schriften als Quelle für den historischen Jesus (S.155 – 158)

Die hier genannten und erläuterten Schriften wie z. B. das Thomas-Evangelium können nicht als Quellen für das historische Leben Jesu gelesen werden, aber sie bieten „einen wertvollen Einblick in die Rezeption der Jesusüberlieferung“ (S. 157).

 

Stephen Hultgren (Adelaide, Australien): Jesus: Herkunft, Geburt, Kindheit, Familie (S. 214 – 219).

Der Titel Jesu, der vorrangig auf die Herkunftsfrage antwortet, ist „Sohn Davids“. Als Auslegung von Psalm 110 liest Markus 12, 35 – 37 den Titel messianisch. Es gibt dazu andere Quellen (z. B. Euseb), die von weiteren Davididen im Umkreis Jesu ausgehen.
Die Frage wird gestellt, ob die Tradition um den Begriff „Jungfrauengeburt“ nicht zuletzt auf eine Adoption hinweist? Die damit verknüpften Traditionen sind jedoch im NT sekundär.

Relevant sind die gemeinsamen Stichworte der Geburtstraditionen: Bethlehem, Empfängnis durch den Heiligen Geist, Herodes. Die Frage des Geburtsorts Jesu, Bethlehem oder Nazareth, bleibt historisch gesehen offen. Deutlich ist die Verbindung der Jesustradition zum Judentum, was auch durch Anspielungen an Prophetenlegenden unterstrichen wird. Der Autor geht weiterhin auf die Bedeutung der Brüder Jesu für die Urgemeinde ein.

 

Lutz Doering (Münster, Institutum Judaicum, Direktor): Jesus im Judentum seiner Zeit (S. 227 – 229).

Als „Josephs Sohn“ war Jesus „Jude kraft Abstammung“ (S. 227, „nach patrilinearem Prinzip“). Dies bestätigen auch die Zeugnisse seines Wirkens: Synagogenbesuche und Gespräche um Gesetzesauslegung, wie nach der Heilung am Sabbat. Seine Verkündigung zeigt eine gewisse Nähe zu Qumran in der Sabbatfrage. Er gehörte jedoch keine Gruppe an, stand aber den Pharisäern näher als den Sadduzäern. Seine Zusammenfassung des Gesetzes zur Goldenen Regel hatte Vorbilder im Judentum. In der Scheidungsfrage scheint er mit der Damaskusschrift zu urteilen, die nicht die Scheidung, sondern die Polygynie verbietet. Die Diskussion um die Frage der „Vollmacht“ deutet eher auf ein prophetisches Selbstverständnis als auf ein messianisches. Der titulus crucis „König der Juden“ muss auf einen „königlichen messianischen Akzent“ wie den Einzug in Jerusalem zurückgehen. Überwiegend scheint sich Jesus als jüdischer Prophet verstanden zu haben.

 

Markus Tiwald (kath. Th., Duisburg-Essen): Einzug in Jerusalem, Tempelreinigung (Jesu Stellung zum Tempel), (S. 460 – 467).

Den Einzug verbindet Jesus mit dem Ziel, „… um in einem finalen, letztgültigen Anlauf die Menschen mit seiner Botschaft (vom Gottesreich) zu konfrontieren.“ (S. 263). In Bezug auf den Tempel knüpft Jesus an vorhandener Tempelkritik an. Es handelte sich um eine „Tempelaktion“, nicht um „die Tempelreinigung“, eine Aktion also, die die Bedeutung des „Tempelworts“ unterstreicht (S. 464, siehe Mk 14,58; Joh 2,19). Die Diskussion um die Tempelkritik Jesu führt in der Gegenwart dazu, die Aktion historisch anzuzweifeln. Markus Tiwald entscheidet sich mit einem Zitat von G. Theißen und A. Merz für die Historizität und deutet die Aktion prophetisch. Er belegt dies auch mit einem Hinweis auf den weiteren Kontext: Anstelle über den Ölberg zu fliehen, stellt sich Jesus der Konfrontation. Noch beim Passahmahl geht es ihm ums Kommen des Gottesreichs.

Wie auch in der Verkündigung von Qumran rechnet Jesus mit einem neuen Tempel im Gottesreich. Auch Jesus sieht sich im himmlischen Tempel, wie er in der Sabbatliturgie von Qumran beschrieben wird (vgl. S. 466). Weiter geht noch die Vorstellung der Gottesunmittelbarkeit: „Die analog zum Joelbuch erwartete endzeitliche Geistunmittelbarkeit könnte dann gut dazu führen, dass für Jesus … jeder Ort, wo Gottes Geist ist, ein Tempel sein kann.“ (S. 466).

 

Helmut Löhr (Münster): Das letzte Mahl Jesu. (S. 467 – 473).

Das letzte Mahl Jesu galt seinem Jüngerkreis. Es ist als Passahmahl plausibel überliefert. Zum Ablauf gibt es hingegen abweichende Überlieferungen. Die Einsetzungsworte bezeugen Jesu Rolle als Gastgeber: Das Brot ist als Leib Jesu zu deuten, der Kelch hingegen als Zeichen des Bundes. Das vergossene Blut steht für den gewaltsamen Tod Jesu. In der Zusammenfassung arbeitet Helmut Löhr die Rolle von Jesaja 52f heraus. Im Markusevangelium gibt es zudem den Rückbezug auf die Leidensankündigungen des Menschensohns. Das „gewaltsame Geschick der Propheten“ wird mit Jesu Tod erneut bestätigt (Vgl. S. 473).

 

Sven-Olav Back (Finnland): Die Prozesse gegen Jesus (S. 473 – 480).

Josephus (um 93) und Tacitus (um 115) bezeugen die Hinrichtung Jesu durch Pilatus. Laut Tacitus habe Nero die Christen mit dem Brand Roms in Verbindung gebracht. Josephus bezeugt auch den christlichen Glauben nach der Kreuzigung und die Mitwirkung der „Vornehmsten“ des eigenen Volkes (vgl. S. 473).

Obwohl die Passionserzählung im Markusevangelium die älteste ist, ist sie eher durch das Glaubenszeugnis bestimmt, als durch die historische Wahrheit. Wenn Jesus kein politischer Aufrührer war, dann entstand der Titel am Kreuz durch die Anklage.

Der jüdische Prozess gegen Jesus wurde durch Lietzmann in Frage gestellt, da Jesus sonst gesteinigt worden wäre. Allerdings gibt es plausible Gründe für den jüdischen Prozess, da Jesus durch die Tempelaktion und die Tempelworte anzuklagen war. Obwohl der Anspruch auf Psalm 110,1 und Daniel 7,13 als Gotteslästerung galt, war der messianische Anspruch Jesu keine Gotteslästerung (vgl. S. 477). Trotzdem führte Jesu Aussage zur Verurteilung.

Der römische Prozess nach Markus 15, 1-15 enthält offene Fragen. Plausibel ist, dass Pilatus zum Pilgerfest in Jerusalem weilte. Die Antwort „Du sagst es“ auf die Frage nach der Aussage „König der Juden“ zu sein, ist nicht eindeutig. Pilatus konnte den angeblichen „König der Juden“ nicht laufen lassen.

 

Sven-Olav Back (Finnland): Kreuzigung und Grablegung Jesu (S. 481 – 486).

Kreuzigung. Ein gekreuzigter Messias, diese Botschaft ist eine Provokation, der widersprochen wird (1. Kor 1,23). Weiterhin gilt die Darstellung des Markus als Vorlage, die aber variiert wird. Markus schildert keine Grausamkeiten, aber Motive: – leidender Gerechter nach Psalm 22/ – „König der Juden“ als Spottadresse/ – göttlicher Plan/ – Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes. Historisch plausibel sind: – Tragen des Patibulums (Balken)/ – Nacktheit des Gekreuzigten/ – titulus crucis/ – außerhalb der Stadt/ – Passanten am Kreuz.

Grablegung. Die Grablegung durch Josef von Arimathäa ist bezeugt. Nach Dtn 21,22 sollten Leichen am Pfahl noch ein gleichen Tag begraben werden. Die galt besonders für den Tag vor dem Sabbat. Könnte der Hohe Rat daher die Kreuzabnahme geduldet oder angeordnet haben? Nach der Mischna gab es vor der Stadt zwei Beerdigungsorte für Hingerichtete. Dass auf Bitte eines Ratsmitglieds auch ein anderer Ort möglich war, ist plausibel, auch, dass es dafür Zeugen gab.

 

Jens Schröter und Christine Jacobi (Hg.): Frühe Spuren von Wirkungen und Rezeptionen Jesu, Einleitung (S. 488/489).

Impulse des historischen Jesus für die Verkündigung sind: Zwölferkreis, Abendmahl, ethische Orientierung. Weitere Deutungen gehören in den Bereich der Christologie. Die Darstellung ist der Hermeneutik nach Gadamer verpflichtet und sieht das Bekenntnis zu Christus als „Wirkungsgeschichte“ (Vgl. S. 488). Eine nachträgliche Trennung von Ereignis und Deutung ist nicht möglich. Schon in der frühen Kirche entstehen „Glaubensaussagen“ wie Geistverleihung, Mahlgemeinschaft, Mission, Bekenntnisformeln, Hoheitstitel Jesu und die Christologie.

 

Christine Jacobi (Berlin): Auferstehung, Erscheinungen, Weisungen des Auferstandenen (S. 490 – 504). Der etwas längere Artikel wird nur im Anfangsteil zusammengefasst. Christine Jacobi verbindet die Diskussion einiger Auferstehungs- und Erscheinungszeugnisse mit der Entwicklung der frühchristlichen Christologie. „An die Auferstehung knüpfen sich die urchristliche Verehrung Jesu als Kyrios (vgl. Römer 10,9) und die durch die Übertragung der Erhöhungsaussagen in Psalm 110 (…) gewonnene Überzeugung, Jesu sitze zur Rechten Gottes …“ (S. 491).

Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der Auferstehungszeugnisse weist auf eine theozentrische Verkündigung und das Gottesprädikat des lebendigen Gottes. Die Erörterung der Erscheinungen bezeugt fast den gleichen Vorgang. Die Auferstehung Jesu bedeutet für die Jünger die Bestätigung seiner Verkündigung und Sendung des irdischen Jesus, sowie der „Macht über Leben und Tod und von der Durchsetzung seiner Gerechtigkeit über die Grenzen des Todes hinaus.“ (S. 503)

 

Fazit: Neuere Erkenntnissedes zeitgenössischen Judentums Jesu wie zu Qumran werden zwar in einzelnen Abhandlungen herangezogen, aber nicht durchgängig in den Kontext des jüdischen Lebens gestellt. Leitfrage ist eher die Entstehung der frühchristlichen Christologie.

Bei der Person Jesus selbst tritt der Messiasgedanke zugunsten eines prophetischen Selbstverständnisses zurück. Hier müsste in der Lektüre weiterer Texte noch weiter nachgefragt werden. Die Grundaussagen der liberalen Theologie und der historisch-kritischen Exegese werden weitestgehend durch das Konzept der Hermeneutik bestätigt. Wenn Hermeneutik allerdings bedeutet, dass letztlich alle Erzählung auf Interpretation beruht, dann ist die deutliche Zäsur zwischen dem Kapitel über das Leben und Wirken Jesu und dem seiner Wirkungsgeschichte zu stark. Das Jesus Handbuch ist zweifelsohne ein notwendiges Arbeitsmittel für jegliche Arbeit an und mit dem Zeugnis Jesu im Neuen Testament.

 

 

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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