Gegenwärtig und bewusst leben, Rezension, Christoph Fleischer, Welver 2019

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Eckart Tolle: Jetzt! Die Kraft der Gegenwart, Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christine Bolam und Marianne Nentwig, Verlag Kamphausen, Bielefeld 2000, 18. Auflage 2018, Hardcover im Pocketformat, Lesebändchen, 269 Seiten, ISBN: 978-3-89901-301-6, Preis: 14,80 Euro

Eckhart Tolle ist in Deutschland geboren und aufgewachsen (geboren 1948 in Lünen als: Ulrich Leonard Tolle/Quelle: Wikipedia, eingesehen am 10.3.2019). Sein heutiger Vorname Eckhart ist also bewusst gewählt. (Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Meister_Eckhart, eingesehen am 12.03.2019). Im biografischen Nachwort des Buches wird diese Identitätsänderung auf eine „spirituelle Transformation“ zurückgeführt.

Die hier vorliegende Neuauflage des Buches „Jetzt!“ wird mit einem Vorwort von Vera F. Birkenbihl eingeleitet, allerdings ohne anzumerken, dass diese im Jahr 2011 gestorben ist.

Die esoterische Lehre Eckhart Tolles lässt sich seiner Aussage nach keinem bestimmten Bekenntnis zuordnen, ist aber religiös beeinflusst. Einige wichtige Aussagen scheinen dem Buddhismus entnommen.

Referenzen der Bibel, des Buddhismus und anderer religiöser Lehren werden beiläufig und unterstützend zitiert und wollen von einer breiten Aufstellung seiner Lehre zeugen.

In weiten Zügen wirkt die Argumentation Tolles existenzialistisch, da sehr oft der ontologische Begriff „Sein“ verwendet wird. Mit „Sein“ meint Eckhart Tolle aber keine philosophisch gedachte Essenz oder ein Warum, sondern die gegenwärtige menschliche Existenz. Ein gutes Bild dafür ist das Bergsteigen oder Rennfahren, währenddessen eine vollständige Geistesgegenwärtigkeitnotwendig, wenn nicht sogar lebenserhaltend wichtig ist. In diesem Zustand totaler Fokussierung bleibt die Zukunft offen und die Vergangenheit wird ausgeblendet.

Dazu ist im normalen Leben die „Auflösung des Schmerzkörpers“, einer „Ansammlung von Schmerz“ als „ein negatives Energiefeld“ nötig, das Ende der absoluten Identifikation mit dem Ego und damit der missbräuchlichen Nutzung des Verstandes. Wenn ich richtig verstehe, rekurriert Tolle dabei nicht auf die Ansammlung von Erfahrungen in gedachten Wiedergeburten, wie es etwa der Buddhismus und Vertreter der Esoterik annehmen, sondern der Schmerz, der sich biografisch ansammelt (der Rez.).

Im Zustand der Gegenwärtigkeit tritt der Mensch dann quasi neben sich selbst, anstelle sich dem Verstand oder den Gefühlen unterzuordnen. In dieser Gegenwärtigkeit werde ich allgemein gesprochen zum Beobachter meiner Gedanken und Gefühle, lerne diese wahrzunehmen und zu reflektieren. Ich deute dies als einen inneren Dialog.

Die Vernunft ist in dieser Hinsicht durchaus von Nutzen, darf aber nicht mit einer rationalen Steuerung verwechselt werden. Obwohl die Lehre Tolles psychologisch wirkt, ist von einer psychologischen Reflektion nicht oft die Rede.

Die Leitkategorie der Gegenwart wird hier im Dialog mit Leserinnen und Lesern erarbeitet, die dem Autor Fragen gestellt haben. Die meisten Fragen stammen von Seminarteilnehmern, Gesprächen in Meditationsgruppen oder aus Einzelsitzungen. Andere Fragen sind eher konstruiert und dienen der Zusammenfassung (siehe Einleitung). Dies macht die Lektüre einerseits lebendig, andererseits aber durchaus sprunghaft und fragmentarisch.

Die faszinierende Glaubwürdigkeit Tolles resultiert nicht aus seiner Klugheit und Effizienz seiner Gedanken, die zweifellos vorhanden sind, sondern aus der Authentizität des gelebten „Ich“. Er deutet sein persönliches Erwachen aus einer Depression im 30. Lebensjahr wie ein Bekehrungserlebnis. Ich stelle das folgende Zitat daher bewusst ans Ende dieser Rezension, das unkommentiert bleibt.

„Ich verstand, dass der intensive Leidensdruck mein Bewusstsein in jener Nacht wohl dazu gezwungen hatte, sich aus der Identifikation mit dem unglücklichen und zutiefst ängstlichen Selbst zu lösen, welches ja letztendlich eine Einbildung des Verstandes ist. Der Rückzug muss so vollständig gewesen sein, dass das unechte, leidende Selbst sofort in sich zusammenbrach, als wenn man einen Stöpsel aus einem aufblasbaren Spielzeug herausgezogen hätte. Was zurückblieb, war meine wahre Natur – das stets gegenwärtige Ich bin: reines Bewusstsein, bevor es sich mit Form identifiziert.“ (S. 17)

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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