Erste Hilfe am leidenden Christus? Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019

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Johannes Fried: Kein Tod auf Golgatha, Auf der Suche nach dem überlebenden Christus, Verlag C. H. Beck, München 2019, gebunden, 189 Seiten, ISBN: 978 3 406 73141 9, Preis: 19,95 Euro

Der Ansatz des Buches, den unterschiedlichen Christusbekenntnissen und damit der Erinnerung an den historischen Jesus einmal neu auf die Spur zu gehen, ist sicherlich lohnenswert. Dass der Islam immer noch behauptet, Jesus wäre am Kreuz nicht gestorben, sondern zuvor ausgetauscht worden, muss doch in der Überlieferung irgendeinen Anhaltspunkt haben. Hier taucht beim renommierten Historiker Johannes Fried (geb. 1942) eine Variante auf, die zumindest einmal bedenkenswert ist: Der Lanzenträger von Golgatha rettete den sterbenden Christus, der nicht als tot, sondern als scheintot ins Felsengrab des Josef von Arimathäa gelegt worden ist. Die Evangelien werden nun aber dazu zum einen ins zweite Jahrhundert datiert und ihre Beschreibung der Kreuzigung und Auferstehung als Erzählung christlicher Bekenntnisse und nicht historischer Wahrheiten gedeutet.

In das nun entstandene Vakuum legt der Autor die Vermutung hinein, die etwas abweichend erzählte Kreuzigungsgeschichte des Evangelisten Johannes sei die wahre, denn in ihr würde die Auferstehung Jesu als Wiederbelebung eines schwer verletzten Häftlings gedeutet.

Hinterfragt man aber diese Schilderung ein wenig, die im Grunde auf einem nur aus Zweitschriften rekonstruierten Marcionevangelium kommen soll, dem alle Anklänge des Jüdischen genommen sind, so muss man bemerken, dass hier ein Kategorienfehler vorliegt. Einmal schreibt Fried zu Recht, die Jesusgeschichte sei ein im Nachhinein gedeutetes Bekenntnis, schon vom Apostel Paulus ausgehend, und ein anderes Mal stellt er Beobachtungen der Tradition als historische Fakten heraus, die genauso gut aus alttestamentlichen Quellen stammen könnte.

Er schreibt so zu Recht, dass die Evangelien bemerken, die Kreuzesnachbarn Jesu seien „Räuber“ und damit Freiheitskämpfer gewesen, genauso wie der freigelassene Barrabas (laut Erzählung). Johannes Fried verfehlt aber die Frage, ob die Anzahl der Gekreuzigten wirklich nur aus Dreien besteht, und nicht aus einer Gruppe. Im Mittelalter malte man den Kreuzigungsaltar schlicht mit der daraus hergeleiteten Dreiergruppe. (Ein gar nicht abwegiges Argument, das man in keiner Kreuzigungsnacherzählung findet. Aber wenn schon Spekulationen, warum nicht auch solche. D. Rez.)

Die Perspektive, die in jeder Erzählung die erzählte Geschichte leitet und die in der Christustradition dann auch zur christlichen Überlieferung wurde, ist immer ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Natürlich könnte man sich fragen, ob etwa durch eine solche Provokation die Diskussion um den gekreuzigten Christus aus der Umklammerung christlicher Dogmen gelöst werden kann.

Aber im Stile des historischen Handwerks werden Alternativen abgelehnt, etwa mit Anmerkungen, die auf vereinzelte Beiträge zur Forschung verweisen. So heißt es in der Anmerkung 25 zu Kapitel 1: „Ich betrachte die bisherige These einer „Logienquelle“ durch Klinghardt, das älteste Evangelium, für erledigt. Markions Evangelium (Mcn) war eine Quelle aller kanonischen Evangelien und entstand um 90.“ (S. 170)

Dass das Marcionevangelium eine antijudaistisch gereinigte Version des Lukasevangeliums ist, kann man z. B. sogar in Wikipedia nachlesen (eingesehen am 27.5.2019).

Statt einer durchweg traditionsgeschichtlichen Untersuchung des Auferstehungsthemas legt Johannes Fried eine Vermischung der Ebenen vor, in dem er die Frage nach der Entstehung der christlichen Religion mit einer Ersten Hilfe am Gekreuzigten durch einen Lanzenstich beantwortet. Werden dadurch jetzt nicht all die zu Idioten gestempelt, die die Schriften des neuen Testaments inhaltlich kritisch und trotzdem kerygmatisch gelesen haben? Das Buch von Johannes Fried ersetzt keine gründliche Hermeneutik.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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