Raum und Gesellschaft, Rezension von Felix Hemmers, Wesel 2020

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Rainer W. Ernst: Räumliche Ressourcen – Architektur im Prozess gesellschaftlicher Verantwortung, Transcript Verlag, Bielefeld 2018, 178 Seiten, ISBN: 978-3-8376-4331-2, Preis: 29,99 Euro

Link: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4331-2/raeumliche-ressourcen/?number=978-3-8376-4331-2

Das Buch „Räumliche Ressourcen – Architektur im Prozess gesellschaftlicher Verantwortung“ beschreibt die raumtheoretischen Gedanken des Autors anhand seiner eigenen professionellen Entwicklung. Es ist eine Mischung aus Autobiografie, Architekturtheorie – und Philosophie sowie einer Ansammlung kreativer literarischer Werke.

Anhand drei großer Kapitel folgt man der Entwicklung der Gedanken des Autors zu den Themen Raum und Gesellschaft. Im ersten Abschnitt geht es den Raum als generelle gesellschaftliche Ressource. Es wird ausführlich dargestellt, dass Raum über vielfältige Eigenschaften verfügt und dadurch als gesellschaftliches Gut fungiert. Die Bewertung des Raumes sei dabei jedoch immer interessensabhängig, sprich polyvalent. So haben Anwohner andere Bewertungskriterien für einen Raum als Investoren, die wiederum andere Ziele verfolgen als Politiker.

Im zweiten Teil wird die Globalisierung und dessen Einflüsse auf die weltweiten Städte kritisch betrachtet. Dabei werden auch generelle Nachteile wie die Zerstörung der Artenvielfalt oder die weltweite Verbreitung von Krankheitserregern angesprochen. In Hinblick auf die Stadtplanung würden die westlichen Industrienationen einfach ihre Vorstellung von Stadt in die Welt tragen, ohne dabei lokale Besonderheiten wirklich nachhaltig verstehen und integrieren zu wollen. Dadurch werden mitunter kreative Lebens- und Arbeitsräume nicht nur ignoriert, sondern sogar zerstört.

Hauptaussage dieses Kapitels ist schließlich, dass weltweit Städte des Typus „Glocal“ entstehen, die sich durch eine Mischung aus globaler Vereinheitlichung und lokalen Strukturen auszeichnen. Dies bietet Risiken (gewaltsamer Widerstand gegen die Zerstörung von Kultur) aber auch Chancen (Stärkung der weltweiten Zusammenarbeit).

Der dritte Teil des Buches fügt die Erkenntnisse der ersten Kapitel zusammen und erzeugt so das Konzept des Möglichkeitsraumes. Dabei geht es darum, Städteplanung weltweit demokratischer und komplexer zu gestalten. Dabei ist auch Offenheit gegenüber neuen Lebens- und Arbeitsmodellen gefordert. In der Praxis kann dies durch eine regelmäßige kommunale Bilanzierung von räumlichen Ressourcen umgesetzt werden. Aus dieser Bilanz sollen verschiedene Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des städtischen Raumes und deren Konsequenzen für unterschiedliche Bereich skizziert werden, die dann als Entscheidungshilfe dienen.

Das besondere dieses Buches ist die Veranschaulichung der Gedanken des Autors in den unterschiedlichsten Formen. Immer wieder unterbrechen anregende Zwischentexte in Form von losen Gedanken, Liedtexten, Wortspielen oder Diagrammen den Haupttext. Dadurch wird man in die Gedankenwelt des Autors einbezogen, man spürt seine tiefe Verbundenheit mit dem Thema „Raum“.

Dazu passen auch die sehr detaillierten Anmerkungen, in denen teilweise ganze geschichtliche Abläufe wiedergegeben werden. Auch die Verbindung des chronologischen beruflichen Werdegangs des Autors mit der Entwicklung seines Raumverständnisses führt zu einer sehr verständlichen Darstellung seiner Gedanken. Der Leser geht praktisch in Kurzform durch denselben Prozess. Passend dazu werden nach jedem Kapitel Werke des Autors mit Bildern und Erklärungen dargelegt. In Erinnerung davon ist mir vor allem ein Pilotprojekt zur Bekämpfung der Armut in Salvador-Bahia geblieben.

Das Buch weist zudem eine hohe Aktualität für generelle gesellschaftliche Probleme des Zeitgeschehens aber auch der Zukunft auf. Dabei geht um die Gestaltung einer naturfreundlicheren Zukunft aber auch um die Gefahren in Form von „Nicht-Orten“ (wie Marc Augé das Ortlose benannt hat) durch vereinheitliche globale Stadtentwicklung. Das Buch regt zu einer tieferen Auseinandersetzung mit diesen Themen an und gibt neue Impulse dazu.

Auch das Thema der Umnutzung oder Zwischennutzung von historischen Gebäuden spricht Ernst an. Der Umgang mit vorhandenen Räumen führt aus seiner Sicht zu neuen Anforderungen an den Raum. Leider werden diese Anforderungen nicht weiter spezifiziert.

Insgesamt fördert das Buch die kreative Auseinandersetzung mit dem Raumbegriff. Die vielen kreativen Texte dienen als Inspiration für philosophisches Eintauchen in Raum und Gesellschaft. Wie demokratisch ist der Raum in unseren Städten wirklich, und wie können wir zukünftige Planungen transparenter und offener gestalten?

Besonders interessant ist das Buch sicherlich für Architekten und Stadtplaner, sie können aus der Lektüre für ihre Arbeit mitnehmen, komplexe globale Zusammenhänge und lokale Besonderheiten in jede Planung einfließen zu lassen und den Planungsprozess offener und interdisziplinärer zu gestalten.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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