Predigt Rogate 2020, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

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Predigt Matthäus 6, 5-15

„…und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.“

 

Liebe Gemeinde,

Hand aufs Herz – haben Sie in den letzten Wochen während die Herzogenrather Kirchenglocken angesichts der Pandemie jeden Abend um 19:30 Uhr zum Gebet aufgerufen haben das eine oder andere Mal ein stilles Gebet gesprochen? Von einigen habe ich gehört, dass sie sich jeden Abend um 19:30 Uhr zum Gebet – eine jede und ein jeder für sich – verabredet haben. Es stärkt und motiviert, wenn wir wissen, wir sind mit anderen zur selben Zeit im Gebet verbunden. Und für viele mag das Läuten, wenn sie es je nach Windrichtung gehört haben, zumindest ein kurzes Innehalten – vielleicht verbunden mit einem Stoßseufzer oder ein kurzes: „Herr, erbarme dich“ verbunden gewesen sein.

Aber all die, die auf das Läuten zum Gebet geachtet haben und sich dadurch als Gemeinschaft – trotz des Abstandsgebot und der ausgesetzten Gottesdienste – erlebt haben, ist eines gemein. Sie haben hingehört und sich – und sei es nur für einen kurzen Moment – auf Gott hin ausgerichtet. Andere haben davon gehört, dass die christlichen Kirchen zu einem Gebet aufrufen und auch wenn sie sich nicht beteiligt haben, fanden sie einen Glockenaufruf zum Gebet angesichts der Pandemie und den damit verbundenen Ängsten und Sorgen angemessen. Wer wollte, konnte hören, sich mit anderen verbunden wissen und wahrnehmen, dass Menschen stellvertretend für die Erkrankten, die Helferinnen und Helfer und die um ihre Toten Trauernden eintreten.

Wiederum gab es andere, die sich in ihrer Abendruhe gestört fühlten, weil ein zusätzliches Läuten im öffentlichen Raum erschallte. Wir haben als Gemeinde von einem Mitbürger eine Beschwerde erhalten, der das Läuten als echte Störung und Minderung seiner Lebensqualität empfand.

Angesichts der Äußerung Jesu zum öffentlichen Gebet – „wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließe die Tür zu“ (V.6) – könnte der Eindruck entstehen, dass Jesus ein öffentliches Gebet und damit auch ein Glockenläuten zum Gebet ablehnt. Drückt sich also in der Beschwerde – und diese ist ja in der jüngsten Vergangenheit aufs Gesamte gesehen in unserer pluralistischen Gesellschaft landauf und landab nicht neu, nicht der Geist Jesu aus, der das Gebet in den verborgenen Raum verlegen will?

Gerade wo wir wissen, wie schädlich für die Gesundheit Lärm sein kann – unabhängig wie subjektiv das Läuten der Glocken empfunden wird – stellt sich diese Frage für uns um so dringender: Ist es noch zeitgemäß zu unseren Gottesdiensten und zum Gebet vernehmbar und manchmal auch sehr lange mit lautem und mächtigem Glockengeläut zu läuten?

Noch scheint es so zu sein, dass das Läuten von einer großen Mehrheit akzeptiert und getragen wird. Viele Menschen sehen und empfinden darin eine Fortsetzung und ein eingebettet sein in die abendländische christliche Kultur. Anders fällt das Urteil schon aus, wenn die Muslime zu ihrem Freitagsgebet öffentlich aufrufen. Für den Ruf des Muezzin gibt es nur eingeschränkte Genehmigungen.

Wenn ich die Worte Jesu richtig einordne, wendet er sich gegen jede Zurschaustellung des Gebets. Das Gebet, sagt Jesus, ist etwas, was sich jeder Machtdemonstration und letztlich auch jeder Öffentlichkeit entzieht, da seine Kräfte im Verborgenen wirken.

Das bedeutet für unseren Kontext, dass wir als Gemeinden vor Ort auf die Beschwerden sensibel eingehen sollten und – wie wir es auch schon getan haben – nach Lösungen schauen, die einen Konflikt wegen des Läutens befrieden. Zumindest sollten wir uns die Frage stellen, ob die Beschwerde angemessen ist. Ein Beleidigtes – wir machen es aber, weil es immer schon so war – ist hier nicht angemessen. Eben so wenig ein Vorschnelles und zuvorkommendes Einschränken des Läutens.

Denn anders als zur Zeit Jesus ist unser Alltag nicht durch viele religiöse Rituale geprägt und strukturiert. Die Religion ist in unseren Breitengraden fast ausschließlich in das Private abgewandert und prägt das öffentliche Leben nicht mehr selbstverständlich. Es gilt der Konsens: Religion ist Privatsache. Das lässt sich soziologisch darlegen. Es gibt kaum ein größeres Tabu als über seinen Glauben im Alltag zu sprechen.

Liebe Gemeinde, als evangelischer Christ freue ich mich über jedes Zeichen des Glaubens – und sei es noch so unscheinbar wie manch verwittertes Wegkreuz im öffentlichen Raum. Auch unsere Kirchengebäude – selbst, wenn sie entwidmet sind – sind Zeugen einer anderen Welt. Sie weisen auf das Verborgene hin.

Auch deshalb liebe ich das Kirchengeläut, weil es hörbar die Menschen erinnert, Gott mit Lob, Dank und Bitte zu begegnen. Ich glaube, dass diese sinnlichen Zeichen einer pluralistischen Gesellschaft gut zu Gesichte stehen, weil sie Trost und Halt spenden in einer sich schnell verändernden Gesellschaft.

Natürlich ist das Gebet kein Selbstzweck, es steht jeder Verzweckung entgegen – wie Jesus seine Jüngerinnen und Jünger zurecht lehrt. Das Gebet ist immer auf Gemeinschaft angelegt. Das Beten allein im stillen Kämmerlein – so nötig und wichtig auch diese Gebetskultur ist – birgt die Gefahr, in sich zu verkümmern.

Es hat mich schon sehr verwundert, dass ein Kollege aus dem Kirchenkreis ernsthaft meinte, dass das Gebet im stillen Kämmerlein jetzt das Gebot der Stunde sei und den Gottesdienst vollständig ersetzen würde. Eben nicht.

Nein, beide Gebetsformen sind wie Ein- und Ausatmen. Die eine Gebetsform lebt von der anderen und umgekehrt. Mein persönliches Gebet lebt und wird oft genug, wenn mir die Worte versagen, vom Gebet in der gottesdienstlichen Gemeinschaft getragen. Und anders herum werde ich durch das gemeinsame Beten angeregt zum persönlichen Gebet.

Beten ist zutiefst ein kommunikativer Akt und führt aus der Vereinzelung heraus. Daher lehrt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger, wenn ihr betet, so sprecht: Vater unser…

Das Grundgebet der Christenheit ist ein Gemeinschaftsgebet: Es heißt nicht: „Mein Vater“, sondern „Unser Vater“.

Jeder kommunikative Akt weist über sich hinaus. Daher können die Religionen gar nicht anders als äußerlich sicht- und erkennbar werden. Darum läuten wir auch die Glocken. Wir rufen zum Gebet – und beim „Vater unser“ – läutet die Vater-Unser-Glocke. Der öffentliche Raum wird so weit die Glocken tragen in das Gebet mit hineingenommen. Wir dürfen uns freuen, dass wir in einem Land leben, wo wir unseren Glauben leben dürfen, nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern öffentlich. Das Läuten ist eine Einladung mitzubeten. Nur wer sich im Gebet übt, wird aus der Kraft des Gebets sein Leben führen können. Das ist unser Zeugnis und unser Geschenk für die Welt. Daran lasst uns festhalten.

Amen

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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