Predigt Christvesper 2021, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2021

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             Thema der Predigt: „Und er wird der Friede sein.“ Micha 5,4

Foto: Christoph Fleischer

Liebe Gemeinde am Heiligen Abend,

an Weihnachten kommen wir mit unseren Sehnsüchten in Berührung. In diesem Fest liegt immer wieder etwas Verheißungsvolles, was die Gegenwart übersteigt, wir ahnen, wir müssten noch einmal neu anfangen dürfen, wir sehnen uns danach, dazu zu gehören, geborgen zu sein und in Frieden miteinander zu leben.

Wir spüren, Weihnachten übersteigt uns, ist mehr als wir mit unserem guten Willen leisten können, mehr als die Geschenke unterm Weihnachtsbaum, mehr als gutes Essen und Trinken, mehr als das schöne Glück als Familie zusammen zu kommen und zu feiern.

Wir spüren, Weihnachten stärkt uns, endlich ein paar Tage Ruhe, ausspannen, das Jahr mit all seinen Anforderungen hinter sich lassen, durchatmen, nicht mehr hetzen, sich zurückziehen in geschmückte und gut duftende Räume, einmal die Welt aussperren und nicht alles an sich heranlassen, Vertrautes machen, Rituale begehen, diese kleinen immergleichen Dinge an diesem besonderen Tag zelebrieren, die nicht aufhören dürfen, da sie sonst von den Kindern eingefordert werden, die Halt geben und ein Fest festlich machen.

Wir spüren, Weihnachten ist noch mehr als das freudige Miteinander in einer ganz speziellen Weihnachtsatmosphäre, Weihnachten lebt von der Differenz, dass die Welt nicht so ist wie sie sein sollte, aber sein könnte.

Die Liebe Gottes kommt als Kind in die Welt und will in uns neu geboren werden, dass sie weiterwächst und sich verbreitet; diese Welt, unser Leben hell macht und erlöst. Dabei spüren wir schmerzhaft, dass Vieles einfach nicht erlöst oder gelöst ist.

Es tut gut den weiten Raum abzuschreiten, wo dieses Fest mit seinen vielen Sehnsüchten seinen Ursprung hat. Es ist viel älter als wir denken und immer wieder können wir eintauchen in den Klangraum der alten Verheißungen, die heute neu gehört und geglaubt werden wollen. Ich lese den Predigttext aus dem Propheten Micha. Er hat im 8. Jahrhundert vor Christus gelebt und folgende Botschaft für sein Volk von Gott erhalten. Heute ist es Gottes Wort für uns. Es spricht in unsere Zeit, in unseren Heiligen Abend, in unser Weihnachtsfest hinein: Micha 5,1-4

Predigttext der Basisbibel

[1] Du aber, Betlehem Efrata, bist zu klein,

um zu den Landstädten Judas zu zählen.

Doch aus deiner Mitte soll einer kommen,

der Herrscher sein wird in Israel.

Seine Wurzeln reichen zurück bis in die Urzeit,

seine Herkunft steht von Anfang an fest.

[2] – Darum wird die Not nur so lange anhalten,

bis eine Frau das Kind zur Welt gebracht hat.

Dann wird der Rest seiner Brüder heimkehren

zu den Menschen in Israel. –

[3] Er wird auftreten und sein Volk weiden.

Dazu gibt ihm der Herr die Kraft und die Macht.

Sie liegt in dem Namen des Herrn, seines Gottes.

Dann wird man wieder sicher im Land wohnen können.

Denn seine Macht reicht bis zum Rand der Welt.

[4] Er wird sich für den Frieden stark machen.

Das Zerrissene heilen

Wie sehr brauchten die Israeliten zur Zeit des Propheten eine solche Kraft, die es schafft, das, was auseinanderklaffte wieder zusammen zu führen? Die Herrschenden jedenfalls haben den Keil immer tiefer ins Volk getrieben. Die Reichen kamen – wie so oft –  gut weg, die Armen gingen vor die Hunde. Die Spaltung in der Gesellschaft war unübersehbar, aber die Herrschenden schlossen die Augen und sagten: Es gibt keine Spaltung.

Der Prophet verheißt, dass Gott eine Gestalt sendet, die das Zerrissene heilt, die Getrenntes wieder zusammenführt, die die Spaltung überwindet, dass alle Zugang zur Heimat ihrer Väter und Mütter haben und dass sie geschützt sind.

Gott wird den Messias senden und wir Christinnen und Christen glauben, dass das Kind, das heute Nacht geboren wird, der Messias ist.

Es ist geradezu traurig, dass wir unsere Erfahrungen, Ängste und Sehnsüchte in dem alten Prophetenwort wiederfinden und gespiegelt bekommen. Als hätten wir als Menschheit nichts gelernt.

Der Spaltpilz geht um. Er zerreißt unsere Familien, unsere Freundschaften, untergräbt unser Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen, in politisch Handelnde. Ich schüttele mich und mir graut davor, dass die Spaltung und die Radikalität zunehmen könnten.

Ich sehe mich auch selbst, meine Ohnmacht, mein Erschrecken und gleichzeitig meine Vehemenz mit der ich meine Sicht vertrete, behaupte, verteidige und wie ich zur Zerrissenheit beitrage. Ich bin mir nicht bewusst, jemals mit meiner Person so stark in die Frage nachdem, was richtig oder falsch ist, involviert gewesen zu sein wie in der jetzigen Pandemie; gleichzeitig bin ich verwirrt, irritiert und überfordert, alles, was sich aufdrängt an Nachrichten einzuordnen. Ich bin selbst zerrissen. Glücklich diejenigen, denke ich, die eine feste Haltung haben, oder verstecken sie sich nur dahinter, weil sie gar nicht erst eine andere Sichtweise an sich heranlassen, weil die Einteilung der Meinungen in schwarz und weiß halt doch hilfreich ist, zumindest bequem?

Christus heilt das Zerrissene. Was können wir von ihm lernen oder geht es vielleicht gar nicht ums Lernen oder Nachahmen, sondern darum, dass verletzliche Kind in der Krippe aufzusuchen und in seiner Gegenwart und im Anblick des menschenfreundlichen Sohnes Gottes sich selbst heilen zu lassen?

Das Zerrissene, die eigene Bedürftigkeit wahrnehmen, könnte ein erster Schritt sein, dass ich hinter und unter meinen Ängsten meine resistente Haltung wahrnehme und selbst in der entgegengesetzten Haltung – die ich unvernünftig nenne – zuerst den Menschen dahinter sehe.

Christus heilt das Zerrissene, weil er in jedem Menschen das Ebenbild Gottes sieht. Christus heilt das Zerrissene, weil er sich unserer erbarmt, jede und jeden annimmt, keinen ausschließt, der seine Nähe sucht. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen,“ sagt Christus. Christus ist das Heil.

Dieser spirituelle Zugang zum Leben und zum Andersdenken – und Handelnden – auch und gerade in der Krise – wirkt sich im Miteinander aus, vielleicht weniger als wir hoffen, aber oft mehr als wir augenscheinlich wahrnehmen.

Heute Nacht scheint die Liebe auf, nicht die Rechthaberei, heute Nacht werde ich geliebt und das macht mich fähig andere Menschen –  meinen Nächsten – mit Liebe anzuschauen. Gottes Liebe erscheint in einem verletzlichen Kind und will zur Selbsterkenntnis führen: Es würde uns allen guttun, wenn wir uns auf Christus hin ausrichten und sein Licht durch uns scheinen ließen. Mag es auch immer wieder nur flackern dieses Licht in uns, mag es drohen zu verlöschen und nur noch glimmen, es würde dennoch einen Unterschied machen. Der Christusglaube trägt die Liebe in sich, eine Liebe, die das Zerrissene heilt.

 

Ein Zuhause finden

Zu Zeiten des Propheten Micha lebte ein großer Teil des Volkes Israel im Exil. Dorthin waren die Menschen deportiert worden. Ihre Arbeitskraft wurde ausgenutzt, sie wurden überwacht, ihre Identität und die Bindung ihrer Religion an Heilige Orte sollte in der Fremde geschwächt werden. Der Prophet verheißt den Exilierten ihre Rückkehr, wenn die Gebärende den Messias zur Welt bringt.

Eine Geburt als Wendepunkt in Zeit und Geschichte. Das ist Weihnachten. Alles, was die vergehende Zeit strukturiert gibt uns Halt in der Zeit. Wir Menschen brauchen Halt in der Zeit. Wer die Zeit nicht mehr strukturiert erlebt, verliert sich selbst schnell in der Zeit. Arbeitslose wissen davon ein Lied zu singen. Aber auch wir alle verlieren uns schnell in der Zeit, wenn wir nur noch Informationen und Bildern auf unseren Smartphones nachjagen, die nichts mit unserem wirklichen Leben zu tun haben. Informationen und Scheinkommunikation addieren die Zeit, sie füllen sie nicht.

Eine Geburt ist da schon etwas anderes. Eine Geburt ist eine Zäsur! Wie gern fragen Kinder ihre Eltern, wie es denn war als sie auf die Welt kamen. Sie wollen hören wie schön es war, wie es die Welt verzaubert hat, wie wichtig diese Zeit für die Eltern war, was Neues damit begann. So verortet sich ein Kind in die Zeit.

„Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“ heißt es treffend im Evangelium. Mit der Geburt Christi beginnt eine neue Zeitrechnung. Es ist eine heilvolle Zeit für alle angebrochen.

Nach Hause kommen ist gerade an Weihnachten wichtig. Viele machen sich auf und besuchen ihre Eltern und Großeltern, oft kommen sie in ihr altes Zuhause – oft rutschen sie auch wider Willen in eine vermeintlich schon längst abgelegte Rolle als würde das Leben an vertrauten Orten wieder in eine alte Spur springen, wie die Nadel auf einer Schallplatte.

Das mit dem Nachhausekommen ist schön und gleichzeitig nicht einfach und oft gibt es kein festes Zuhause mehr, wenn die Eltern sich getrennt haben, wenn das Leben alles durch einander gewirbelt und neu geordnet hat. Ein neues Zuhause finden, geht das? Oder besser noch bei sich zu Hause sein, wie geht das? Ich glaube das geht, aber es gibt viele verschiedene Wege dahin.

Und es sind oft viele Schritte, zwei vor, einer zurück, die es dafür braucht. Sicher ist, dass die Dinge in unserem Leben uns Halt geben. Das vertraute Bett. Der vertraute Stuhl. Die alte Vase im Regal. Die Stimme meiner Partnerin, meines Partners. Selbst die Geräusche des defekten Kühlschranks.

In Michas Verheißung werden die Menschen in Sicherheit wohnen. Der Gesandte Gottes wird unter ihnen und mit ihnen wohnen. Wir wissen, dass die Welt noch nie so viele Flüchtlinge gezählt hat wie heute. Menschen wie du und ich, die einfach nur in Sicherheit leben wollen und es in ihrer Heimat nicht können.

Auch Jesus war ein Flüchtlingskind. Seine Familie musste vor den Schergen Herodes nach Ägypten fliehen. Jesus war Zeit seines öffentlichen Wirkens ohne festen Wohnsitz. Wohnung hat er bei denen gefunden, die ihn aufnahmen. Seine Heimat war eine geistige, seine Verbindung mit seinem himmlischen Vater.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ heißt es im Neuen Testament. Weihnachten heißt auch, wir sind nur Gast auf Erden, unsere Heimat ist im Himmel.

Wenn die Dimension der Ewigkeit verloren geht, werden wir Gottes Heil zu Weihnachten nicht mehr erkennen oder gar schmecken. Aber selbst, wenn wir uns schwer tun das Heil in Christus heute zu erkennen oder zu glauben, lasst uns darauf achten und darin üben, einander zu beherbergen, denn der Mensch kann ohne einen Zipfel Heimat nicht sein. Und wenn wir einander beherbergen, uns füreinander öffnen und uns in unserer Bedürftigkeit annehmen, wird Gott uns nahe sein und wir werden seine Gegenwart spüren als würden wir den Saum seines Gewandes berühren.

 

Frieden

„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“ verkünden die Engel. Weihnachten und Frieden sind auf ewig miteinander verbunden. Mit der Geburt Gottes als Mensch, verbürgt sich Gott für Frieden.

Der Prophet Micha verheißt den Messias. Und das Zeichen des Messias wird sein, dass mit ihm der Friede kommt. Der Friede Gottes ist in die Welt gekommen und wir haben immer noch nicht verlernt Kriege zu führen.

Wir verdunkeln den Glanz, der in die Welt gekommen ist. Aber überall da, wo wir unsere Menschwerdung leben und immer wieder neu damit anfangen, wo wir Frieden machen, Versöhnung leben, nicht allgemein, sondern ganz konkret: in der Bitte um Verzeihung, in der Art und Weise wie wir über andere sprechen, wenn wir von Herzen vergeben, in der aufrichtigen Suche nach Lösungen in einem Konflikt, in der Annahme des Anderen, wenn wir gerecht sind und für das Gute streiten, da kommt Christus wieder zur Welt, da wird Weihnachten.

Amen

 

 

 

 

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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