Vertrauensverlust – eine Versuchung, Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

                     12. Oktober 2025

Hebräer 4,14-16, Neue Genfer Übersetzung, 2011

Weil wir nun aber einen großen Hohenpriester haben, der den ganzen Himmel ´bis hin zum Thron Gottes` durchschritten hat – Jesus, den Sohn Gottes – , wollen wir entschlossen an unserem Bekenntnis zu ihm festhalten.

15 Jesus ist ja nicht ein Hoherpriester, der uns in unserer Schwachheit nicht verstehen könnte. Vielmehr war er – genau wie wir – Versuchungen aller Art ausgesetzt, ´allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass` er ohne Sünde blieb.

16 Wir wollen also voll Zuversicht vor den Thron unseres gnädigen Gottes treten, damit er uns sein Erbarmen schenkt und uns seine Gnade erfahren lässt und wir zur rechten Zeit die Hilfe bekommen, die wir brauchen.

 

Liebe Gemeinde,

heute geht es um Versuchung. Was verstehen wir unter einer Versuchung? In der Regel, dass wir vom richtigen Weg abgebracht werden und selbst etwas tun, denken oder unterlassen, was wir besser nicht hätten tun, denken oder unterlassen sollen. Wenn wir der Versuchung erlegen sind, haben wir ein schlechtes Gewissen. Das Gewissen beißt uns, quält uns, dass wir es nicht geschafft haben der Versuchung zu widerstehen. Wir wissen, dass unser Gewissen das Produkt unserer Erziehung ist, das merken wir allein schon daran, dass die Beurteilungen und Empfindlichkeiten von Person zu Person verschieden sind und wir im Laufe unseres Lebens unsere Einstellungen auch ändern, unser Gewissen modifizieren.

Unsere Werte bleiben nicht ewig gleich und manche Menschen in der Gesellschaft müssen erst wieder Werte lernen, emphatisch werden mit anderen Menschen, dass Konflikte anders als mit Gewalt gelöst werden können, dass es nicht nur ein Ich gibt, sondern auch ein Du, dass jeder Mensch Respekt verdient, selbst der, der schuldig wird und scheinbar kein Gewissen mehr hat. Wir wissen, zu einer reifen Persönlichkeit gehört es, dass sie moralisch integer ist, dass sie mit sich und ihrer Umwelt in Reinem ist.

All das schwingt für mich mit in unserem Predigttext. In der Bibel geht es nicht um (die kleinen) Versuchungen, wie Versuchung in der Werbe- und Alltagsprache verstanden wird: ob ich verführt werde, ein Stück Schokolade mehr zu essen, ob ich lieber auf dem Sofa liegen bleibe als ins Fitnessstudio zu gehen, es geht nicht darum, ob ich  alles für meine Gesundheit tue, jede Voruntersuchung wahrnehme, mich ja nur gesund ernähre und jedes Verzehren von Fett mir ein schlechtes Gewissen macht, es geht nicht darum, dass ich nicht genießen darf oder noch schlimmer, nicht aufhören darf zu essen, weil es anderen schlecht geht: „Iss aber deinen Teller schön auf, du weißt doch in Afrika hungern die Kinder“, sondern es geht in der Bibel darum, dass ich mein Vertrauen in Gott nicht verliere. Das Vertrauen in Gott zu verlieren, kann schnell gehen. Das Vertrauen wieder finden, dauert umso länger und manchmal bleibt ein schmerzhafter Bruch zurück.

Bevor Jesus anfängt öffentlich zu wirken, wird er vom Geist in die Wüste geschickt (Mt 4,1-11). Dort wird er der Versuchung ausgesetzt. Ist er nicht Gottes Sohn und ein Wundertäter, kann er nicht Steine in Brot verwandeln? Ist er nicht Gottes Sohn, der Gott(es Wort) blind vertraut, dass seine Engel ihn auf Händen tragen werden, wenn er vom Dach des Tempels springt? Ist er nicht Gottes Sohn und damit der Herrscher über alle Länder?

Die Prüfung in allen Versuchungen liegt darin, dass Jesus in seinem Hunger, in seinem Bedürfnis nach Geborgenheit und in seiner Ohnmacht, sein Vertrauen zu seinem himmlischen Vater fallen lässt. Der Versucher führt Jesus vor Augen, wie sehr er von Gott verlassen ist. Quält ihn nicht der Hunger? ist er nicht einsam und ganz auf sich selbst zurückgeworfen? Verzweifelt er nicht an seiner Ohnmacht?

Das sind Versuchungen, die wir abgewandelt auch kennen, es sind existentielle Versuchungen. Da wo wir Hunger haben und unser Hunger nicht gestillt wird – die tief empfundene Demütigung in unseren Breitengeraden nicht das zu bekommen, was wir dringend brauchen: Wertschätzung, Anteilnahme, Stillung unserer Bedürfnisse. Da kann schon unser Vertrauen schwinden oder ganz abhandenkommen, wenn wir übersehen werden. Wie schnell sind wir versucht, zurück zu stecken, aufzugeben, etwas schlecht zu reden, uns gar nicht erst zu öffnen, denn dann machen wir uns ja verletzlich, wie sehr suchen wir Sicherheiten, geben der Versuchung nach, mehr zu scheinen als zu sein, geben der Versuchung nach, den einfachen Weg zu gehen, geben der Versuchung nach, Konflikten aus dem Weg zu gehen statt uns ihnen zu stellen, geben der Versuchung nach, die Macht anzubeten, statt der Liebe zu dienen.

Auch unser Vertrauen zu Gott kann verloren gehen. Das ist die Versuchung, es scheint auf dem ersten Blick einfach Gott nicht mehr zu vertrauen, einfacher denke ich manchmal als Gott zu vertrauen. „Mag ich auch gleich nichts fühlen von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele, auch mitten durch die Nacht.“ (Lied: So nimm denn meine Hände, EG 376,3)

Das ist eine im Glauben geschenkte Gewissheit, die hilft das Leben zu bestehen und nicht gleich alle Hoffnung aufzugeben. Wenn eine Durststrecke im Leben kommt, wir feststecken in Zweifeln und Grübeleien, der Alltag und die damit verbundenen Mühen uns im Bild gesprochen empfinden lassen wie im griechischen Mythos Sisyphos, der dazu verurteilt ist den Felsbrocken immer wieder den Berg hochzuschieben und kaum ist der schwere Stein oben, rollt er sogleich wieder runter. Wir verlieren dann den Blick für das Schöne am Wegrand, sehen keinen Ausweg und können nicht anders denken als in den verhafteten Bahnen. Aber haben wir es nicht auch schon erfahren, dass sich die Dinge ändern können, dass auf einmal der Berg voller Sorgen sich von selbst abträgt? Hat Gott nicht immer mehr Wege für uns bereit als wir sehen und empfinden? Ist Vertrauen in Gott nicht eine Ressource, die uns durchs Leben trägt, gerade weil die Ressource Gott nicht ausgeht?

Der Hebräerbrief ermutigt die Glaubenden, ihr Vertrauen nicht fahren zu lassen. Dabei lenkt er den Blick auf Jesus. Wenn die Glaubenden keine Kraft mehr haben zu vertrauen und allen Mut verloren haben, hilft es an einen Stellvertreter zu glauben, der für sie glaubt. Jesus Christus ist ein Stellvertreter, der für uns glaubt, wenn wir nicht mehr glauben können. Wir wissen aus Erfahrung, wie gut es ist, wenn ein Mensch an uns glaubt, selbst wenn wir den Glauben an uns selbst verloren haben. Das ermutigt uns. Das gibt uns Kraft und Hoffnung, weiter zu machen, Tag für Tag, selbst wenn die Tage dunkel sind. Wir bekommen neue Energie den nächsten Schritt zu gehen. Nichts anderes geschieht mit unserem Vertrauen in Gott. Nicht wir müssen den Glauben tragen, machen und anschieben. Wir sind gehalten. Der Glaube geschieht. Hoffnung widerfährt uns, Kräfte wachsen uns zu.

Auch Jesus wird das Vertrauen geschenkt. Es ist Gottes Geist, der in ihm wirkt. Aus diesem Geist heraus erliegt er nicht der Versuchung: in der Wüste, genauso in seinen Streitgesprächen oder wenn er alles auf Liebe setzt und nicht danach fragt und handelt, was werden die anderen jetzt denken und wo wird das enden? Diese Sorge überlässt Jesus ganz seinem Vater, selbst in seinem Sterben: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ (Lk 23,46)

Das Schlüsselwort bei aller Versuchung heißt Vertrauen. Es zu wagen, es wieder neu zu finden, sich in Gott fallen zu lassen, dieser Glaube wird uns geschenkt.