Foto: Annett Klingner (C)
Predigt über 1. Petrus 1,1 am Sonntag nach Ostern, Quasimodogeneti 2025
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“
Liebe Gemeinde,
die Kirche und die Welt gedenken des Todes von Papst Franziskus und nehmen von ihm Abschied. Es geht mir heute nicht darum, die große Aufmerksamkeit, die Papst Franziskus zurecht bekommt zu ergänzen oder gar mir anzumaßen, sein Pontifikat zu beurteilen. Mir geht dieser Papst nicht aus dem Sinn, wenn ich den Wochenspruch von Quasimodogeneti lese (siehe Predigttext), komme ich auf sein zeichenhaftes Wirken und die damit verbundene Hoffnung für die Verlorenen dieser Welt zurück. Ja, Papst Franziskus hat mich beeindruckt, weil er ein Protestmensch gegen die Mächte des Todes war. Laut und deutlich hat er seine Stimme erhoben, zuletzt sicherlich eine gebrochene Stimme, von Krankheit gezeichnet, als er zwei Tage vor seinem Tod J.D. Vance, dem katholischen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, die Leviten las in Hinblick auf die menschenverachtende Trump-Praxis der Abschiebung von Migranten und Illegalen. Eine verlogene Praxis, da diese Menschen mit ihrer Arbeitskraft einen Teil des Wohlstands der Amerikaner produzieren.
Unsere Welt braucht nichts so sehr wie Menschen, die sich gegen die Todesenergien der Zerstörung von (sozialen) Werten stellen. Der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi von den Toten ist und bleibt ein Widerstandshort gegen Ideologien, einem Kapitalismus und einer Politik, die alle sozialen Werte auffrisst und den Menschen zur Sache degradiert. Wenn wir eine lebendige Hoffnung haben, dann lassen wir uns unseren Glauben nicht nehmen, dann treten wir für das Leben ein.
Entkirchlichung
Wir spüren deutlich als Gemeinde, dass wir in entkirchlichten Zeiten leben. Ein Beispiel:
Wenn jüngst von allen angeschriebenen Eltern zur Anmeldung ihrer Kinder zum Konfirmandenunterricht nur ein drittel der Eltern ihre Kinder anmeldet, erleben wir den Abbruch von einer noch vor 25 – 30 Jahren stabilen evangelischen Tradition. Es war selbstverständlich, dass evangelische Kinder zum Konfiunterricht geschickt wurden. Heute werden die Jugendlichen selbst gefragt, ob sie konfirmiert werden wollen. Das muss nicht schlecht sein, aber es braucht doch eine positive Haltung der Eltern zur Konfirmation und dem Kennenlernen von Gemeinde. Diese Haltung ist weitgehend verschwunden. Dem größten Teil der Eltern ist es scheinbar egal, obgleich sie bei der Taufe versprochen haben, ihr Kind christlich zu erziehen. Aber das ist lange her. Alles, was mit Glauben zu tun hat, ist für die meisten unserer Mitmenschen völlig bedeutungslos geworden. Der sonntägliche Gottesdienstbesuch hat in unseren drei Predigtstätten ebenfalls im letzten Jahrzehnt stark nachgelassen. Längst nicht mehr lassen sich alle Evangelischen kirchlich bestatten. Es ist ihnen und ihren Familien nicht mehr wichtig. Sie sehen darin keinen Mehrwert. Auch einer Kirche anzugehören gilt für immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft als obsolet. Das soll keine Bewertung sein, einfach eine nüchterne Beschreibung, was wir als Lydia-Gemeinde erleben.
Glaubens- und Nachfrageschwund
Der schwindende Glaube und die Nachfrage nach unseren Angeboten sind die eigentlichen Probleme, die wir als Kirche haben, nicht wie wir unsere Gebäude und anderen Aufgaben bezahlen können. Das ist sekundär. Der Abbau, Rückbau und Umnutzung von Gebäuden werden uns als Lydia-Gemeinde noch lange beschäftigen. Die Kirche ist aber mehr als eine Ansammlung von Gebäuden und Veranstaltungen. Sie ist eine Hoffnungsgemeinschaft, eine Erzählgemeinschaft, welche Sinn stiftet und einen Schatz hat, den die Welt nicht bieten kann. Von daher stellt sich die Frage, wie wir Hoffnung vermitteln, verkündigen und leben. Wie kommen wir aus einer zunehmend depressiven und erstarrten Haltung heraus?
Zeichenhaftes Wirken von Franziskus
Hier hat der Papst zeichenhaft für alle christliche Kirchen gewirkt. Trotz seines Eingehegt-Seins in einer Weltkirche durch die katholische (Dogmen-)Tradition und gegensätzlichen Strömungen einer Weltkirche, in die Kurie und eine schwerfällige Verwaltung ist es ihm gelungen den wesentlichen Auftrag der Kirche in der Nachfolge Jesu Christi zu leben und die Kirche in Bewegung zu bringen: Barmherzigkeit und Solidarität
Barmherzigkeit ist Solidarität mit den Vergessenen
Wenn wir auch nur ein dunkler Spiegel der Barmherzigkeit Gottes sind, so strahlen wir doch, wenn Barmherzigkeit von Herzen kommt, Hoffnung in die Kirche und in die Welt aus. Wenige Tage vor seinem Tod ermutigte Papst Franziskus Missionare eines Ordens mit den Worten: „Barmherzigkeit ist die größte Umarmung Gottes.“ Das können wir wahrhaft von diesem Papst als Gemeinde lernen. Barmherzigkeit zu leben, nicht weil wir das so gut können, sondern weil wir Gottes Barmherzigkeit in unserem Leben in der Gemeinschaft erfahren und auch gegen den Augenschein glauben, auch, weil der Geist der Barmherzigkeit uns die Augen öffnet über die eigene Befindlichkeit hinaus, hin zu denen, die nicht gesehen werden.
Barmherzigkeit stiftet Hoffnung, investiert in Menschen trotz Enttäuschungen. Barmherzigkeit sucht den Frieden, weil töten unbarmherzig ist. Barmherzigkeit sucht das Lebensrecht aller Kreatur, damit Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung ein Ende haben.
Lebendige Hoffnung
Wir brauchen eine neue Geburt, eine Wieder-Geburt des Geistes Jesu in uns, dass die Hoffnung wieder in uns lebt und neu entfacht wird. Das ist Auferstehung. Die Auferstehung Jesu von den Toten ist unser Hoffnungskern gegen Verzweiflung, Alternativlosigkeit, Einsamkeit, Gewalt und Krieg, und gegen einen totalitären Kapitalismus, der keine Freiheit bringt, sondern am laufenden Band Verlierer produziert. Wir aber sind Gewinner, weil wir zu Jesus gehören. Wir sind wie neugeborene Kinder, neugierig auf eine Welt, die Gott uns verheißt: sein Reich. Wir sind verliebt in gelingendes Leben. Das gilt auch für uns als Gemeinde. Mag vieles sterben. Mag vieles nicht mehr funktionieren. Mag vieles sich verändern. Mögen wir darunter leiden, aber das ist nicht das Ende. Gott ist verliebt in Neuanfänge. Auch mit uns oder mit denen, die nach uns kommen.