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Drüggelter Kapelle am Möhnesee

 

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Filme über Geistliche – eine Auswahl, Bericht von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2024

Kino Astra in Essen, Foto: Christoph Fleischer (c)

Die folgende Auswahl geht auf ein Film-Kolleg im Januar 2024 im Haus Villigst (Schwerte/Ruhr) zurück, das Thomas Groll und Tom Damm durchgeführt haben. Das gemeinsame Filme-Schauen mit Pfarrkolleginnen und -kollegen hat zu einer regen Diskussion über die Darstellung von Kirche und ihrem Bodenpersonal geführt. Auch haben wir uns angeregt über unsere pastoralen Identitäten ausgetauscht. Meine Rezensionen sind durch das Film-Kolleg motiviert und möchten selbst anregen, sich den einen oder anderen Film anzuschauen. Alle Filme sind auch für das Gemeinde-Kino zu empfehlen.

Glauben ist alles (2001)

 

Romantische Komödie

Die gut zweistündige romantische Komödie von Edward Norton (Regie und Schauspieler) aus dem Jahr 2001 mit dem Titel: „Glauben ist alles“ (Keeping the faith) lässt sich gut anschauen. Edward Norton gelingt es als Regisseur witzige Verwicklungen und Szenen auf die Leinwand zu bringen. Der Film überzeugt mich allerdings in der Konstellation zweier befreundeter Geistlicher, der eine Rabbi (Ben Stiller), der andere katholischer Priester (Edward Norton), die sich in ein und dieselbe Frau verlieben, nicht. Gerade die Lebenswelten des Rabbis und des katholischen Priesters werden nur oberflächig berührt. Vielmehr wirkt hier alles Religiöse ausschließlich als Showeffekt und soll lediglich die Dramatik des Dreiecksverhältnisses steigern. Die Dreieckskomödie bleibt ohne Überraschungen und bietet nur an ganz wenigen Stellen Tiefgang. Auch entwickeln sich die drei Figuren nicht wirklich. Das Potential der Konkurrenzsituation der befreundeten Geistlichen wird in der Verfilmung nicht ausgeschöpft, auch die schöne Blondine (Jenna Elfman), die beiden Männern den Kopf verdreht, ist eine Karikatur ihrer selbst. Womit der Film allerdings punktet, sind seine beeindruckenden Aufnahmen von New York und die Filmmusik.

Die Pastorin (2013)

 

Leichte Unterhaltung

 

Der Fernsehfilm „Die Pastorin“ (Christine Neubauer) von 2013 ist leichte Unterhaltung. Im Mittelpunkt steht eine geschiedene evangelische Pastorin, die einen beruflichen Neuanfang wagt, der mehr als holprig ist. Die durch Umzug und Pfarrstellenwechsel entstandene räumliche Nähe zu ihrem Ex, um der Kinder willen, lässt in ihr eine neue Hoffnung auf Weiterführung der Beziehung keimen, bis sie herausbekommt, dass seine jetzige Flamme ein Kind von ihm erwartet. Die Kinder stehen dazwischen und halten ihre Eltern für ziemlich blöd und kompliziert. Die Ältere geht ihren eigenen Weg. In der Gemeinde braut sich etwas zusammen, die Pastorin ist in einer seelsorglichen Begleitung plötzlich selbst involviert und stellt ihren Neuanfang in Frage. Gefühlsmäßig holt mich der Film gut ab, intellektuell und ästhetisch bleibt viel Luft nach oben. „DiePastorin“ ist einer der wenigen Filme, der eine Pastorin in der Hauptrolle zeigt. Christine Neubauer spielt die Rolle der Seelsorgerin und Predigerin gut. Dass das Drehbuch überfrachtet ist, dafür kann sie nichts.
Heute wäre eine ganze Serie aus dem Drehbuch von Katrin Ammon entstanden, das Josh Broecker verfilmt hat. In die 1,5 Stunden ist einfach zu viel hineingepackt. So bleibt der Film trotz vieler existenzieller Themen ein leichtes Melodram mit Hang zur Schmonzette.

Am Sonntag bist du tot (2014)

Thriller-Tragödie

Ein außergewöhnlich starker Film, besetzt in der Hauptrolle mit einem katholischen Priester (Brandon Gleeson), der seine Berufung in einem kleinen irischen Dorf überzeugend in Kontakt mit den Menschen vor Ort lebt. Im Beichtstuhl wird ihm von einem seiner Schäfchen angedroht, dass er ihn am Sonntag in einer Woche am Strand töten wird. Daher auch der deutsche Titel: „Am Sonntag bist du tot.“ Im englischen Original trägt der Film den Titel: „Calvary“ und stellt damit eine Verbindung zu Passion und Sterben Jesus von Nazareth am Kreuz von Golgatha her. Die Sühnetod-Theologie ist Vorlage für die erzählte Geschichte im Film. Hier sühnt der gute Priester für die Sünden eines anderen Priesters, der schon verstorben ist. Der als Kind durch den verstorbenen Priester mehrfach missbrauchte Mann, rächt sich mit seiner Gewalttat an dem unbescholtenen Priester für die erlittenen Übergriffe unter denen er sein Leben lang gelitten hat. Ein Unschuldiger leidet für die Schuld eines anderen. Der Regisseur John Michael McDonagh schreibt hier die Passionsgeschichte Jesu fort.  Recht früh (2014) greift er das Thema sexueller Missbrauch auf. Pater James geht hier allerdings einen anderen Weg als seine Kirche. Der unbescholtene Pater James geht hier wie Jesus in freien Stücken zu seiner Hinrichtung. Das ist verwirrend. Wo bleibt seine Abwehr? Sein Recht auf Leben? Oder ist sein Weg eine Mahnung an die Kirche und die Täter endlich Verantwortung zu übernehmen? Sühne als Voraussetzung für Vergebung?  „Am Sonntag bist du tot“ ist eine sehenswerte Thriller-Tragödie. Sie erzählt mit atemberaubenden irischen Landschaftsimpressionen von Schuld und Sühne.

Adams Äpfel (2005)

Groteske pur

 

Der frisch aus dem Gefängnis entlassene Adam (Ulrich Thomsen) landet in einem kuriosen Resozialisierungsprogramm bei Pastor Iwan. Iwan (Mad Mikkelsen) sieht in jedem Menschen das Gute, selbst wenn dieser wie Adam Nazi ist und ihn zusammenschlägt. Adam kann die Umdeutung der Realität durch Iwan nicht ertragen und macht es sich zum Ziel, Iwans Gutmenschentum zu dekonstruieren. Das schafft er nach vielen Fehlversuchen, indem er Iwan anhand von Hiob klarmacht, dass nicht der Teufel Iwan prüft und versucht, sondern Gott selbst. Daraufhin bricht Iwan zusammen und verliert seine Antriebskraft. Der Tumor in seinem Kopf ist nicht mehr in Schach zu halten. Er wird daran schnell zugrunde gehen, wenn er nicht wieder Lebensmut bekommt. Adam erkennt voll Schrecken, dass er Iwan zwar bezwungen hat, aber in der kleinen Gemeinschaft alles aus dem Ruder zu laufen droht. Das erste Mal wird Adam emphatisch und übernimmt ganz im Sinne Iwans Verantwortung für die Lebensgemeinschaft. Der Wandel Adams ist perfekt und findet seinen Höhepunkt, als er mit dem allerletzten Apfel einen kleinen Apfelkuchen backt und ihn gemeinsam mit Ivan genüsslich verzehrt. Der dänische Regisseur Anders Thomas Jensen erzählt in Adams Äpfel skurril die Konversion eines Nazis und von einem Pfarrer, der erst im Scheitern erfolgreich ist.

 

Italienisch für Anfänger (2000)

Liebes-Komödie

„Liebe für Anfänger“ könnte der dänische Film von Lone Scherfig auch heißen. Sie erzählt ohne viele Schnörkel und in sich stimmig, wie sechs liebenswerte, schrullige Menschen, am Ende sind es drei Paare, zueinander finden. Es sind durchweg Randexistenzen einer Stadtgesellschaft, die in ihren Familienbanden, Aggressionen und Hemmungen verstrickt sind. Gemeinsam ist ihnen die Sehnsucht nach einem anderen Leben, nach Freiheit und Liebe. Die Geschichte ist um den jungen Pastor Andreas (Anders W. Berthelsen) erzählt, der eine Pfarrvertretung übernimmt. Der vorherige alte Pastor ist unpässlich. Das qualvolle Sterben seiner Frau hat den alten Pastor aus der Bahn geworfen und er verhält sich derart daneben, dass er für den Dienst nicht mehr tragbar ist. Der Vertretungspastor Andreas hat selbst vor einem halben Jahr seine Frau verloren. Er ist verzweifelt, einsam und selbst auf der Suche, wie sein Leben weitergeht. In seiner Rolle wird er von den am Leben Leidenden aufgesucht und erweist sich als warmherziger Seelsorger, der die Menschen tröstet und ihnen einen guten Gedanken mit auf den Weg gibt. Wie Andreas sich den Menschen zuwendet und mit ihnen redet, ist für meinen Geschmack etwas zu soft, aber durchaus typisch für einen in Klinischer Seelsorge (Gesprächsführung) geschulten jungen Pastor. Dass er nicht nur sanft kann, zeigt er in einer Szene, wo er dem alten Pfarrer die Leviten liest.

Die Regisseurin Lone Scherfig lässt im Verlauf der Erzählung geschickt alle drei Liebespaare in einem von der Kommune durchgeführten Italienisch-Kurs für Anfänger aufeinander treffen. Es kommt zu Verwicklungen und komischen Szenen, bis sich jedes Paar gefunden hat. Auch der junge Pastor Andreas findet eine neue Liebe. Die Paare jedoch wissen noch nicht voneinander. Als der Italienisch-Kurs zu Ende geht, beschließen alle den Kurs mit einer Abschlussfahrt nach Venedig zu beenden. In Venedig kommt es zum Höhepunkt, da sich bei einem Abendessen in einem romantischen Restaurant  eindeutig zeigt, wer zu wem gehört.

Auch wenn der Schluss mir zu süßlich ist, schafft es Lone Scherfig, einen Kunstfilm nach den Regeln von Dogma 95 zu drehen, der facettenreich ist und die Liebessehnsucht heutiger Menschen mit allen Regeln einer Komödie in den Blick nimmt.

Gott existiert, ihr Name ist Petrunya (2019)

Tragikomödie

Die 32jährige studierte Historikerin Petrunya lebt bei ihren alten Eltern in einem nordmazedonischen Dorf. Petrunya ist arbeits- und antriebslos und wird von ihrer Mutter völlig beherrscht. Mit einem intuitiven Sprung in den Fluss beim traditionell auf Männer beschränkten Kreuz-Fischen beginnt ihre Selbstwerdung. Petrunya fischt das Kreuz aus dem Wasser. Dieses soll nach alter Tradition vom orthodoxen Priester geweiht und in den Fluss geworfen ein Jahr lang Glück bringen. Die jungen Männer des Dorfes reagieren wutentbrannt und entreißen Petrunya das Kreuz. Im Gerangel ergreift sie es wieder und flieht. Die Aufregung ist groß, die Polizei fahndet nach ihr. Jetzt beginnt ein Kammerspiel in einer heruntergekommenen Polizeistation. Patrunya erwehrt sich aller Einschüchterungen, sei es vom Kommandanten, dem Priester, dem Staatsanwalt, dem wütenden Mob und auch der Journalistin, die die Story groß herausbringen will. Petrunya entdeckt ihre eigene Stärke und innere Freiheit. Auch von der Mutter, die sie besorgt in der Polizeistation besucht, grenzt sie sich entschieden ab und kann danach die leicht verwirrte Mutter in den Arm nehmen. Als der ereignisreiche Tag sich neigt und sie zuletzt gemeinsam mit dem Priester die Polizeistation verlässt, gibt sie überraschend das von allen begehrte Kreuz dem Priester mit den Worten zurück: Ich brauche es nicht. Ein Hilfsmittel zu ihrem Glück braucht Petrunya nicht länger. Widerstandskraft und Freiheit liegen in ihr selbst. Ein wunderbarer Film. Völlig zurecht hat dieser Film im Rahmen der Berlinale 2019 den Ökumenischen Jurypreis gewonnen. Regie führt: Teona Strugar Mitevska. Petrunya wird gespielt von Zorica Nusehva.

Corpus Christi (2019)

 

Drama

„Leib Christ. Empfangt, was ihr seid, damit ihr werdet, was ihr seid: Leib Christi“ sagt der Priester in der Messe vor der Kommunion. „Ihr alle seid Priester“, damit eröffnet Pfarrer Thomasz seine Messfeier im polnischen Jugendknast. Sein eifriger Knast-Messdiener Daniel (Bartosz Bielenia) saugt jedes Wort des Priesters auf und hat den Wunsch, sein Abitur nachzumachen, um eine Priesterausbildung anzustreben. Priester werden das ist sein größter Wunsch. Das komme nicht in Frage, die Kirche würde nie einen schuldig Verurteilten zum Priester ausbilden, antwortet brüsk Pfarrer Thomasz. Aus dem Gefängnis entlassen stolpert der fromme ehemalige Sträfling in einem Dorf in die Priesterrolle: Er gibt sich als junger Pater auf Wanderschaft aus. Der sichtlich gezeichnete Dorfpriester vor Ort bittet ihn, ihn während er selbst auf Kur ist zu vertreten. Nun steht Daniel vor dem Dilemma, was nun? Eine Beichte abnehmen, eine Messe feiern, eine letzte Ölung spenden, eine Predigt halten, wie geht das? Pater Thomasz – wie er sich ab da selbst nennt – vertraut ganz seiner Intuition und findet einen unverstellten Zugang zu den Menschen im Dorf. Seine Gebete sind echt, einfache Worte, die die Situation aufnehmen und Gott ins Leben der Menschen bringen. Seinem Gerechtigkeitssinn folgend lässt er nicht locker, bevor er erfährt, was für ein Unfall im Dorf sechs junge Menschen und einen Ehemann getötet hat. Die alte Sündenbockgeschichte offenbart ihre Aktualität, da für die Eltern der sechs umgekommenen Jugendlichen ein ehemaliger alkoholsüchtiger Mann eindeutig der Schuldige ist. Er, der selbst beim Unfall ums Leben kam, wird als Mörder beschimpft, seine seitdem zurückgezogen im Dorf lebende Frau als Hure. Der Ausschluss aus der Gemeinschaft wird daran deutlich, dass sein Bild nicht an der großen Dorf-Gedenktafel hängt und seine Urne nach einem Jahr immer noch nicht auf dem Gemeindefriedhof beigesetzt wurde. Das will die Gemeinde und der mächtige Bürgermeister, der das örtliche Sägewerk besitzt, nicht. Jetzt findet der falsche, aber wahre Priester seine eigentliche Rolle und lebt trotz der hartnäckigen Widerstände auf. Wahrhaft seelsorglich und an Christus orientiert lebt er das Evangelium, auch wo es scheidet und weh tut. Wo sich langsam im Dorf etwas in Bewegung setzt, läuft auf Daniel die Katastrophe zu. Auf dem Höhepunkt seines Niedergangs kann er nur noch entblößt Mensch sein. Das priesterliche Gewand ist abgestreift, schutzlos und machtlos begibt er sich in die Hände der Polizei. Seine bleibende Botschaft: vergeben und lieben.

Das auf eine wahre Geschichte zurückgehende Drehbuch von Jan Komasa, der selbst auch Regie geführt hat, führt eindrücklich katholisch-polnische Provinzfrömmigkeit, die Verlogenheit der Institution Kirche und das wahre Priestertum in der gebrochenen und doch hoffnungsstiftenden Figur eines Straffälligen vor Augen. Jan Komasa hält allen Geistlichen einen Spiegel vor.  Genial!

Joachim Leberecht, Sehnsucht – Lust – Anbetung, Predigt zur Fastenzeit, Herzogenrath 2024

Predigt Invocavit Mt 4,1-11                                                         18. Februar 2024

Liebe Gemeinde,

„Und siehe da traten Engel herzu und dienten ihm“ (Mt 4,11) – oft läuft mir, wenn ich den Schlusssatz der Versuchungsgeschichte Jesu bei Matthäus höre, ein wohliger Schauer über den Rücken. Die Versuchung ist bestanden nach 40 Tagen Einsamkeit, Fasten und Kampf mit den (eigenen) Dämonen in der Wüste. Die himmlische Welt dient Jesus, richtet ihn auf und lässt ihn erste Schritte seiner Mission gehen.

Wenn wir auf die gegenwärtige Situation unserer Kirche schauen, könnten wir zu dem Schluss kommen, die Kirche selbst sei mitten in der Wüste und muss sich erodierenden Prozessen, Versuchungen und Ängsten erwehren. Im Bild gesprochen: Ab und an blüht dann mal ein kleines Pflänzchen Hoffnung mitten in der Wüste auf. Alle freuen sich darüber und klammern sich daran. Doch am nächsten Tag ist das Pflänzchen schon wieder weg. Mal im Ernst, abgesehen davon, dass das Bild der Wüste zu allen Zeiten der Kirchengeschichte passt – der Versuchung sind wir als Gemeinde und als einzelne immer ausgesetzt – möchte ich das Bild der Wüste nicht länger für unser Erleben von Kirche strapazieren, aber ich möchte die drei Versuchungen Jesu auf die gegenwärtige Situation der Kirche und unserer Lydia-Gemeinde beziehen.

Sehnsucht

Wir sollen uns von unserer Sehnsucht leiten lassen, heißt es. Das sei ein guter Kompass und in der Sehnsucht liege eine ungeheure Kraft, gesteckte Ziele zu erreichen.  Jesus überkommt in der Wüste der Hunger. Hunger ist mehr als Appetit oder Heißhunger. Auf dem Höhepunkt seines Fastens schreit alles in ihm nach Brot. Hier setzt der Satan an, er solle doch als Sohn Gottes Steine in Brot verwandeln.

Nun, wir sollen zwar nicht Steine in Brot verwandeln, aber möglichst viele kaum mehr benutzte Kirchen stilllegen, fallen lassen, entwidmen oder verwandeln in CO 2 abgasneutrale Orte. Wobei hier – anders als bei Jesus – die Finanzen und der Klimawandel die ausschlaggebenden Faktoren sind. Wäre es nicht einfacher Kirchen abzustoßen und sie nicht als Steine der Verkündigung in einem säkularen Umfeld zu bewahren?

Der Einwand Jesu eben nicht Steine in Brot zu verwandeln beeindruckt. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wovon aber dann? Der Mensch lebt von Worten – die von Gott ausgehen.

Das unmittelbare Bedürfnis Jesu nach Brot wird in seiner Replik auf die Versuchung des Satans noch einmal von Jesus selbst geprüft und er kommt zu dem Ergebnis: Nicht mein bedürftiger Körper ist jetzt gefragt, sondern mein Geist und mein Verhältnis zum göttlichen Vater. Jesus gewinnt Klarheit und weist die Versuchung ab.

Es gilt Sehnsucht von Sehnsucht zu unterscheiden. Die Sehnsucht nach schneller Veränderung, Anpassung an gesellschaftliche Trends ist verständlich, aber ich verstehe nicht, warum unsere rheinische Kirche mit der vereinbarten CO 2 Neutralität aller ihrer Gebäude – einschließlich der Kirchen – bis zum Jahr 2035 besser dastehen will als der Gesetzgeber es vorsieht. Damit werde den Gemeinden Auflagen aufgebürdet an denen sie nur scheitern können. Die Sehnsucht danach Primus zu sein und es besser machen zu wollen als andere ist eine gefährliche Versuchung.

Etwas mehr Abstand, Zeit zum Austausch, ruhiges Abwägen würde uns als Kirche guttun. Das tut uns auch als Gemeinde gut. Auch im Presbyterium. Die Frage aus der ersten Versuchung Jesu, was nährt uns wirklich, kann uns helfen zu Entscheidungen zu kommen, Gemeinde vor Ort zu gestalten.  Jesus hat sich entschieden, der Versuchung nicht nachzugeben. Wo liegen unsere Versuchungen in der Frage, wie gestalten wir die Lydia-Gemeinde für die nächsten zehn Jahre? Neben all dem was wichtig ist: Lasst uns auf Gott und aufeinander hören. Gott spricht zu uns.

Lust

Liebe Gemeinde,

verbreitet ist die Schadenfreude, wenn etwas oder jemand fällt. Weniger verbreitet ist die Lust am eigenen Untergang. In der Kirche ist der unheimliche Genuss daran, den eigenen Niedergang zu beklagen, sich schlecht zu machen und sich gleichzeitig wohlig um sich selbst zu drehen, epidemiehaft verbreitet. Ja, Trauer darüber, dass wir uns von vielem Liebgewordenen und Gewissheiten m wahrsten Sinne des Wortes verabschieden müssen gehört zu Veränderungsprozessen dazu und darf sein, aber die Trauer ist zu unterscheiden von einem krampfhaften Festhalten-Wollen nach dem Motto: Augen zu und durch! Nach mir die Sintflut! Gerade weil die gesellschaftlichen und kirchlichen Veränderungen uns Schwindel bereiten und wir gar nicht mehr hinterherkommen, ist es gut, einen festen Stand zu haben, um nicht in den wilden, zerstörerischen und lähmenden dunklen Abgrund hineingezogen zu werden.

Jesus springt nicht von der Zinne, obgleich es ihm der Durcheinanderbringer schmackhaft macht. „Du wirst aufgefangen. Die Engel werden dich sanft in ihren Händen tragen.“

Liebe Gemeinde,

es gibt ein geistliches Geschwätz, das zum Himmel stinkt. Es suggeriert in allem: Gott wird dich auffangen – in Gottes Händen bist du geborgen! Ich kann diese Anmaßung, wie sehr diese Rede über Gott verfügt, immer schlechter ertragen – da sie Passivität und Verdrängung fördert. Jesus ist nicht bequem. Er lässt sich nicht verlocken zu springen, da er weiß, dass die Verheißungen Gottes kein Wunschkonzert sind, sondern Zuversicht schenken in höchster Not. Das ist kein Spiel. Gottes Verheißungen eröffnen Zukunft, schenken Freiheit trotz Verstrickungen, machen reich trotz Mangel, ermächtigen trotz Ohnmacht.

Jesus bleibt einfach stehen. Trotz des Schwindels der uns ergreift einen festen Stand haben oder immer wieder zu einem guten Stand kommen, trotz der Ohnmacht und der Angst vor den Herausforderungen ermächtigt sein und sich der Versuchung erwehren über den Zustand der Lydia-Gemeinde und den einschneidenden Veränderungen nur zu jammern, das wünsche ich mir. Dass wir uns dazu verhelfen. Dass wir miteinander die Freude am Glauben wecken und leben – gleich ob Mitglieder und Finanzen schwinden – und wir als Kirche rein soziologisch gesehen auf den absteigenden Ast sitzen. Das können wir auch. Jammern ist ansteckend, Freude auch. Das Schöne ist: Im Glauben müssen wir unseren Stand nicht selbst erkämpfen. Freude über Freude.

Anbetung

Macht ist und bleibt eine Versuchung. Nicht nur im großen Stil des Herrschens über ganze Länder und Kontinente, um eigene Interessen und das Erweitern seiner Einflusssphäre zu sichern, notfalls mit Gewalt und Krieg. Es ist noch nicht ausgemacht, ob das autoritäre oder demokratisch kapitalistische System dominieren wird, der global geführte Kampf darum ist entbrannt. Schon jetzt wissen wir, er hat stattgefunden und findet statt auf Kosten der Armen und unter Missachtung der Menschenrechte, von Tier- und Schöpfungsrechten ganz zu schweigen. Ganz anders die Absage Jesu an das Herrschen mit Gewalt über andere. Diese Versuchung ist für Jesus vielleicht die geringste, für die Welt und die Kirche in der Welt aber die größte. Hieße das doch, Gott zu lieben und die Wahrheit und die Gerechtigkeit und nicht dem Mammon zu dienen, dem Kapital zu folgen, das vermeintlich eigene Recht auf Teufel komm raus kriegerisch durchzusetzen. Angeblich für Werte in Wahrheit für Interessen werden die Opfer übersehen, zählt nicht das Leben eines Menschen, sondern allein das Ziel. „Die Herren dieser Welt kommen und gehen – unser Herr kommt“ hat der Kämpfer der Bekennenden Kirche der ersten Stunde Martin Niemöller gesagt. Es passt dieses Wort, dass dem Glauben eine grundsätzliche subversive und kritische Haltung gegenüber den Mächtigen – und auch gegenüber den Wortführern in den eigenen Reihen – in die DNA schreibt. Bleiben wir kritisch. Bleiben wir wachsam. Bleiben wir nüchtern. Es ist gut, dass die Zeiten der Pfarrherrlichkeiten ausklingen. Der Nährboden für falsche Abhängigkeiten und sexuelle Übergriffe wird den Pfarrern entzogen, wenn die Gemeinde sie nicht länger mit einem Heiligenschein versieht. Es gibt in der evangelischen Gemeinde geistlich gesehen kein oben und unten, nur – aber auch das muss kritisch begleitet werden – verschiedene Aufgaben und Funktionen.

Jesus wehrt den Versuch der Macht ohne Liebe und Gerechtigkeit ab. Wer Gott anbetet, der betet nicht eine weltliche Macht an, sondern eine geistige Macht, Gott selbst. Diese Anbetung führt nicht in die Isolation, sondern in die Gemeinschaft. Macht wird hier durch Gerechtigkeit und Liebe bestimmt.

Liebe Gemeinde,

das sind die drei Versuchungen Jesu und der Kirche: der Sehnsucht und nicht dem Geist zu folgen, die Lust sich in die Arme Gottes fallen zu lassen und nicht für das eigene Tun und Handeln gerade zu stehen, und die Anbetung der Macht, das über Andere herrschen und bestimmen wollen – und sei es nur durch eine fiese Mail – und sich der Liebe und Gerechtigkeit zu entziehen.

Jesus hat den Teufel besiegt, wir werden immer wieder schwach werden, den Versuchungen erliegen, aber wir dürfen immer wieder aufstehen, uns an Jesus ausrichten, Gott und den Menschen dienen. Und ohne unser Zutun treten dann die Engel zu uns und helfen uns zu leben.

Amen

Predigt Heruntergekommener Gott, Heilig Abend, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2023

Predigt Heruntergekommener Gott                                             Heilig Abend 2023

„Er war von göttlicher Gestalt.“ „Er wurde in allem den Menschen gleich. In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch.“ (Phil 2,6a u.7b; Basis-Bibel)

Liebe Festgemeinde,

kürzlich sagte ein Freund zu mir: „Gott ist ganz schön heruntergekommen. In meinem Umfeld glaubt eigentlich niemand mehr so richtig an Gott, eher wird gesagt, irgendwas zwischen Himmel und Erde muss es schon geben, aber was das genauer sein soll, weiß niemand. Ab und zu höre ich, dass jemand sagt, er sei spirituell und wenn ich dann Frage, was er damit meint, sagt die Person, ich empfinde ein intensives Gefühl der Kleinheit angesichts eines mächtigen Berges, mein Herz ist zum Zerreißen gespannt vor Freude, wenn ich durch den Wald gehe und die Vögel zwitschern höre, und Trost erfahre ich, wenn Musik meine Seele erreicht.“

„Ja, Gott ist ganz schön heruntergekommen“, wiederhole ich.

„Sag ich doch! Und schau dir nur die nicht abreißenden Austrittswellen in den Kirchen an. Das ist glaube ich erst die Spitze des Eisbergs. Jetzt, wo soziologisch gesehen weniger als die Hälfte der Bevölkerung noch Kirchenmitglied ist, gibt es immer weniger Grund in der Kirche zu bleiben, da der Mensch nun Mal ein Herdentier ist und zur Mehrheit dazugehören will… Ich schäme mich ja schon, wenn ich in einer Runde gefragt werde, ob ich noch in der Kirche bin und es bejahe, gerate unter Rechtfertigungsdruck. Mein Gegenüber lächelt dann und sagt: ´Tritt doch aus. Glauben kannst du auch ohne Kirche.´“

Um ihn zu irritieren werfe ich ein: „Erstens: Es stimmt. Gott ist heruntergekommen. Zweitens: Der Glaube an Gott ist heruntergekommen.“

„Wie meinst du das?“ fragt er erstaunt.

„Ich fange mal mit dem zweiten an. Immer weniger Menschen leben einen Glauben. Das heißt z.B., sie beten nicht regelmäßig. Das Beten ist verlernt worden. Überhaupt verschwindet religiöse Sprache im Alltag. Menschen sagen nicht mehr, wenn jemand schwer erkrankt ist oder einen hohen runden Geburtstag hat: Ich wünsche dir den Segen Gottes, sie sagen einfach: Ich wünsche dir viel Kraft. Damit ist das Gleiche gemeint und doch weniger gesagt. In die Gottesdienste der Markuskirche kommt auch keine Kern-Gemeinde mehr. Mit den treuen Älteren, die regelmäßig zum Gottesdienst kamen, ist nicht mehr zu rechnen. Ich sage nicht, dass unsere Kirchenmitglieder ablehnend sind oder die Menschen überhaupt nicht mehr religiös ansprechbar sind, im Gegenteil: Die Frage nach dem Sinn stellen sich viele, was aber nicht bedeutet, dass daraus eine religiöse Praxis wird, also z.B. ein regelmäßiges Beten oder ab und an ein Gottesdienstbesuch. Auch wenn es immer wieder existentielles Fragen und ein ernsthaftes Suchen nach einem gelingenden und guten Leben gibt, ist der Glaube an Gott – im Sinne einer Praxis – heruntergekommen. Es gibt auch weiterhin Übergänge im Leben und besondere Zeiten, wo bewusst oder diffus Berührung mit dem Heiligen gesucht wird.“

„Ja, wie Heilig Abend – wenn sich die Kirchen einmal füllen,“ resümiert mein Freund lächelnd.

„Das hat auch seine guten Gründe“, erwidere ich. „Der eine ist, dass sich das Weihnachtsfest von den Kirchen gelöst hat und super als Lichterfest, Weihnachtsmarktromantik und vor allem als Familienfest funktioniert. Der Konsum ist auch eine Weihnachtstriebfeder und das Gefühl, wie es das WDR-Radio treffend auf den Punkt bringt: Wir sind Weihnachten. Wärme und Licht in der dunkelsten Zeit des Jahres. Niemand kann in unserem Land vor Weihnachten fliehen. Innerlich emigrieren kann man/frau, aber fliehen nicht.

Der andere Grund liegt in der Weihnachtsgeschichte, wie sie die Bibel überliefert, am besten nach dem Lukasevangelium – natürlich für Evangelische und Bildungsbürger in der Übersetzung der vertrauten Worte Martin Luthers…“

Mein Freund wirft spöttisch ein: „Also eine andere Form von Romantik, Weltflucht, dem Gefühl von Zusammengehörigkeit der Gutmenschen, die auch an die Armen denken und ein bisschen vom Frieden singen?“

„Na, sei mal nicht so ironisch,“ zwinkere ich meinem Freund zu. „Dahinter steckt mehr. Kurz gesagt: Die Frage nach Gott, die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben und ja, die Verheißung von Frieden auf Erden. Den wir so bitter nötig haben.“

„Jedes Jahr aufs Neue – wie mir scheint. Und du meinst wirklich, dass die Weihnachtsgeschichte, die ja eher eine Weihnachtslegende ist, wie wir historisch wissen – viele Menschen in die Kirche zieht? Also Heilig Abend als literarisches Ereignis?“

„Mmh, wieso nicht? Interessanter Gedanke. Der in diesem Jahr verstorbene Martin Walserdachte über das Verhältnis von Literatur und Religion ähnlich (1). Religion und Literatur sind wie Geschwister, die untrennbar zusammengehören. Und für mich ist auch ein neuer Gedanke seit der Lesung von Simon Strauß aus seiner Novelle Zu zweit im November im Markus-Gemeindehaus: Religion und Literatur halten das Wunder wach (2). Und Heilig Abend geht es um das Wunder aller Wunder im christlichen Glauben.“

„Du meinst, dass Jesus geboren wird?“

„Ja.“

„Was ist denn an dieser Geburt das Wunder? Das mit der Jungfrau kannst du ja wohl vergessen – oder?“

„Dass Gott heruntergekommen ist – ganz wörtlich. Gott kommt zur Welt, um die Welt zu erlösen, um das vergängliche und bedrohte Leben mit den Menschen zu teilen, die Entfremdung zu überwinden, die Einsamkeit zu heilen, zu versöhnen und Frieden zu stiften. Dafür legen sich die Engel ins Zeug loben und preisen Gott: ´Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.´ (Lk 2,14). Und der Heilig Abend-Gottesdienst ist nichts anderes – wie übrigens jeder Gottesdienst – als das Einstimmen in den Lobpreis der Engel. Also: Nicht nur das Hören der Weihnachtsgeschichte – gerade das Antworten, das Einstimmen in den Lobpreis macht Weihnachten zu Weihnachten. Angelus Silesius (1624-1677) dichtet treffend: „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärest doch ewiglich verloren.“ (3) 

Häh, was hat das jetzt mit dem Lobpreis, dem Singen und Beten zu tun? Erst recht mit der Weihnachtsgeschichte nach Lukas?“, grätscht mein Freund dazwischen.

Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen…“ ( Lk 2,19) oder wie Dostojewskij sagt: „Die menschliche Natur verlangt nach Anbetung.“(4). Gerade das spüren viele Menschen an Heilig Abend.

Wir können uns streiten, ob Jesus in einem Stall in Bethlehem geboren wurde oder nicht, ob Herodes alle männliche Neugeburten nach Jesu Geburt töten ließ oder nicht. Ob Jesus in mir oder in dir geboren ist oder nicht, darüber können wir nicht streiten. Davon können wir nur erzählen. Das ist eine Glaubenswahrheit, die nicht weniger wahr ist als das 1+1 = 2 ergibt. Der bekannte Dirigent Daniel Barenboim kann sagen: Musik ist alles und alles ist Musik. In mir ist Musik. (5) Wie könnte dann nicht in einem Gläubigen Christus geboren werden und leben?“

„Aber wenn das so ist, dann müsste die Welt doch anders aussehen?“

„Allerdings!“

„Aber dann ist doch das ganze Heilig-Abend-Feiern in der Kirche nutzlos?“

„Nein, weil ein Gottesdienst sich nicht funktionalisieren lässt. Oder anders gesagt: weil Weihnachten auf Verwandlung, Veränderung und Neuwerden abzielt und das Wunder der Menschwerdung Gottes wachhält. Und weil wir uns selbst nicht sagen können, dass Gott gekommen ist, uns und diese Welt zu erlösen. Weihnachten in seiner Tiefe bedeutet: „Der heruntergekommene Gott ist jetzt einer von uns. ((Gott)) rührt zu Tränen von Freude und Leid“ und ist selbst davon berührt. „Diesem Gott begegne ich nicht mehr zuerst in Tempeln und Kirchen, sondern in den Höhen und Tiefen des Alltags, in der Stille und im Lärm, und vor allem im Antlitz meiner Nächsten.“ (6)

Sieh mal, mir hat ein Wort des Tübinger Theologen Eberhard Jüngel geholfen, meinen Glauben mit meinem Erleben zu verbinden und nicht an eine extra heilige Welt zu glauben. Jüngel sagt: Wer glaubt, macht eine „Erfahrung mit seiner Erfahrung“ (7) – erlebt sich in allem, was ihm widerfährt mit dem Urgrund des Lebens verbunden. Daher reißt seine Verbindung zu Gott nicht ab. Und wo sie abreißt, mache ich die Erfahrung, dass Gottes Gnade größer ist als meine vermeintlich guten oder schlechten Absichten und Taten. Auch das ist Weihnachten: Ein Fest der Annahme, der Umarmungen und des Gesegnet-Werdens mit neuen Lebensenergien.“

„Mmh. Schön und gut. Ich muss jetzt los. Danke für das Gespräch.!“

Mein Freund war schneller weg, als ich gucken konnte. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich jetzt Stoff für die Heilig-Abend-Predigt. Ich weiß auch schon meinen Schlusssatz. Weihnachten kommt Gott auf uns zu. Also geht auch aufeinander zu: umarmt euch, berührt euch, beschenkt euch, versöhnt euch, segnet euch – dann wird es ganz von selbst Heilige Nacht. (8)

Anmerkungen:

1 Martin Walser/Jakob Augstein: Das Leben wortwörtlich. Ein Gespräch, Kapitel       11 Ohne Gott fehlt mir etwas, Rowohlt Verlag, Hamburg 2017

2 Siehe Lesung und Gespräch Simon Strauss/Joachim Leberecht unter dem Link:https://www.erwachsenenbildung-aachen.de/infos/mediathek

3 Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann, 1675

4 Fjodor M. Dostojewskij: Böse Geister. In der Übersetzung von Svetlana Geier, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 2010

5 Daniel Barenboim: Musik ist alles und alles ist Musik. Erinnerungen und Einsichten, Piper Verlag, Berlin 2014

6 Johann Pock: Adventspoesie Teil 4, Der heruntergekommene Gott, in: feinschwarz.net, 24.12.2017

7 Eberhard Jüngel: Erfahrungen mit der Erfahrung. Unterwegs bemerkt, Radius Verlag, Stuttgart 2008

8 Predigtidee aus einer Andacht im Dezember-Pfarrkonvent 2023 von Pfarrer Uwe Loeper, der auf das Gedicht von Hans Dieter Hüsch Du bist ein heruntergekommener Gott verweist. Erschienen in Hans Dieter Hüsch/Uwe Seidel: Das kleine Buch zum Glück, tvd, Düsseldorf 2012

Predigt: „Denn alles Fleisch ist wie Gras.“ über 1. Petrus 1,24, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2023          

Zum Ewigkeitssonntag 2023

          

Liebe Gemeinde,

kennen Sie das Deutsche Requiem von Johannes Brahms? Johannes Brahms hat in seinem Requiem Verse zu Sterben und Tod aus der Bibel vertont und sie kunstvoll aneinandergefügt. Das Requiem beginnt mit dem mehrstimmigen Chorsatz zur Seligpreisung: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“(Mt.5,4) Die Melodie ist sehr getragen. Dann folgt eine kurze Pause und es wird dramatisch. Langsames, marschmäßiges Trommeln eröffnet den nächsten Satz in Moll, erst instrumental und dann setzen die tiefen Bassstimmen ein: „Denn alles Fleisch ist wie Gras.“ In der Wiederholung wird die Dramatik musikalisch noch gesteigert: „Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen.“ Der Satz wird minutenlang wiederholt bis die Musik auf einen Höhepunkt zustrebt, kippt und der Chor laut ruft: „Aber des HERRN Wort bleibet in Ewigkeit.“ (1. Petr.1,24-25)

 

Was ist der Mensch?

Was ist der Mensch? Die Bibel hält fest, der Mensch ist vergänglich. Alles Leben ist vergänglich und gleicht – ob kurz oder lang – einem Grashalm. Der Psalmist dichtet: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da.“ (Ps. 103,15)

Nimmer da. Das ist der Verlust. Das ist die schmerzliche Wahrheit. Wir wussten es eigentlich immer: unsere Lieben werden sterben. Aber dann, wenn wir es erleben, fühlt es sich doch ganz anders an. Wir trösten uns damit, dass der Tod eine Erlösung war von den Schmerzen – und, dass ist er auch gewiss, wenn das Weiterleben eines Menschen nur eine Verlängerung seines Leidens wäre – und dennoch widerhallt das Nimmer da in uns. Saß er nicht dort immer in seinem Sessel und hat seine Kreuzworträtsel gelöst? Hat sie nicht immer alles schön dekoriert?  Wir hatten erst wieder seit kurzem Kontakt, jetzt ist es als würden wir unser Kind ein zweites Mal verlieren! Nimmer da. Das ist keine Kategorie für unser Denken, aber wir erfahren es. Es gibt viele Arten von Trauer. Eine davon ist der unwiederbringliche Verlust. Der Tod erschüttert, wir aber müssen funktionieren. Das federt den Schrecken ab und zeigt gleichzeitig wie sehr wir der modernen Arbeitsteilung unterworfen sind und für die Trauer gesellschaftlich kein Platz ist. Die Beerdigung muss geplant werden. Wie geht das? Was ist der Wunsch des Verstorbenen, was die Vorstellungen der einzelnen Familienmitglieder? Der Tod setzt in der Familie eine Zäsur, führt zusammen, relativiert Meinungsverschiedenheiten, lässt uns bestenfalls gnädiger miteinander umgehen. Eltern spüren die Nähe und Unterstützung ihrer Kinder, Kinder begreifen, wie viel sie miteinander als Geschwister verbindet oder auch trennt.

Schönes und Schmerzhaftes

Schönes und Schmerzhaftes führt der Tod zu Tage. Dankbarkeit über die Erziehung und für die Liebe der Eltern. Auch für die Ehe oder Partnerschaft gilt das. Von einem Tag auf den anderen Tag geht all das Vertraute verloren. Die Einsicht, es war vielleicht nicht alles gut, aber ich sehe, dass der oder die Verstorbene auch ein Kind seiner Familie und seiner Zeit, seines Wesens war und es gut mit mir meinte – selbst wenn die Wirkung eine andere war. Der Verlust bringt uns unweigerlich mit uns selbst ins Gespräch. Es ist jetzt die Zeit noch einmal auf die Beziehung und wie sie sich gestaltet hat zu schauen, was mir die und der Verstorbene bedeutet hat und auch über seinen Tod hinaus bedeutet. Kann ich ihn in Frieden gehen lassen? Gibt es noch etwas zu klären, etwas zu sagen, sich zu versöhnen? Selbst, wo ich weiß, dass es keinen sinnlichen Austausch mehr mit dem Verstorbenen gibt, ist ein Zwiegespräch sinnvoll. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie allein sind und ganz selbstverständlich mit dem Toten sprechen oder auf einmal mit Gewissheit sagen können, dass sie sich von ihr oder von ihm auf eine gute Weise umgeben fühlen. Der Friede mit dem Verstorbenen stiftet Geborgenheit, Kraft und Mut den eigenen Weg als Ehepartner, Sohn oder Tochter weiter zu gehen. Es ist mehr als ein sich erinnern. Es ist ein Verbunden-Sein über den Tod hinaus. Es ist auch ein Annehmen der eigenen Sterblichkeit. Der andere ist vorausgegangen, ich werde hinterhergehen.

Vergänglichkeit

Mi der Vergänglichkeit haben wir es alle zu tun. Für den Sterbenden vergeht die Welt, bricht der Kontakt zu allen ab, die er liebt und auch zu allem, was ihn wichtig war. Und für die, die weiterleben, fährt die Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit wie ein Blitz durch Mark und Bein. Manchmal sind es nur scheinbar ewig langandauernde Sekunden des Überwältigt-Werdens der eigenen Sterblichkeit, bei anderen nistet sich eine Melancholie über die eigene Vergänglichkeit und über das Vergehen aller Dinge ein. Die Grenzen zur Resignation und zum nicht mehr Leben wollen sind dabei fließend. Es gibt einen Lebensüberdruss und auch ein sehnliches Erwarten des Todes.

Das Rätsel um den Tod ist das Rätsel des Menschen. Der Mensch ist (sich selbst) ein Geheimnis (Dostojewskij). Die Wissenschaft kann das Geheimnis um den Tod nicht lösen. Kein Mensch kann das, und wer das behauptet, lügt. Gewissheit bringt hier allein der Glaube, aber nicht im Sinne eines Wissens, das überprüft werden kann, sondern in einem Grundvertrauen auf einen Gott, der da hilft – auch durch den Tod und über den Tod hinaus.

 

Unvergänglichkeit Gottes

Der Vergänglichkeit allen Lebens stellt die Bibel die Unvergänglichkeit Gottes gegenüber. „Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen.“ „Aber des HERRN Wort bleibet in Ewigkeit.“ (1. Petr. 1,24-25)

Der Ewige, der alles vergängliche Leben durch sein Wort geschaffen hat, der einen ewigen Bund mit den Menschen geschlossen hat, wie sollte Gott nicht treu sein, seine geliebten Geschöpfe ins ewige Leben zu rufen? Oder, wie der Apostel Paulus schreibt: „Was soll uns trennen von der Liebe Gottes? Etwa der Tod? Nein, nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.“ (nach Römer 8,38f)

Eine konkrete Vorstellung, was das genau heißt, gibt es nicht. Es übersteigt auch unsere Erkenntnismöglichkeiten, selbst die Bibel malt den Himmel nicht konkret aus, gewährt nur Einzelnen visionäre Bilder, etwa vom himmlischen Jerusalem, wo Gott und die Menschen in Frieden und Gerechtigkeit zusammenleben (Offb. 21,3).

Von daher dürfen wir glauben: Unsere Toten und wir selbst sind und werden in Gottes Hand geborgen sein.

In Brahms Requiem kommt die christliche Hoffnung deutlich zum Ausdruck, wo Brahms 1. Kor. 15,54 unübertroffen vertont: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“

 

Predigt über Genesis 13 „Denn wir sind Brüder“, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2023              

             

 Am 21. Sonntag n.Tr. 2023

Liebe Gemeinde,

die Geschichte der gütlichen Trennung von Abraham und Lot findet wie von selbst Widerhall in dem gegenwärtig besonders von Gewalt geplagten Landstrich in Palästina und Israel. Es geht um Land, es geht um die Erde, die trägt und nährt, Sicherheit und Freiheit ermöglicht.

Doch bevor wir – vielleicht vorschnell – den Text auf die heutige politische Lage – und das heißt das leidvolle Erleben der Menschen in Israel und der Menschen in den palästinensischen Gebieten – beziehen, lasst uns ein wenig tiefer in die biblische Geschichte von Abraham und Lot und ihr Hoffnungspotential blicken.

Abraham

Abraham ist der Träger der Verheißung Gottes. Gott verheißt ihm ein Land in das er ziehen soll und welches ihm und seinen Nachkommen Zukunft schenkt. Diese Zukunft ist nicht exklusiv, sondern schließt alle Menschen ein: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ (Gen 12,3)

Der Aufbruch Abrahams aus Ur in Chaldäa wird mit einem Ziel verbunden, einem Land, das ihm und seinen Nachkommen versprochen ist.

Scheinbar geht Abraham mit dieser Landverheißung leichtfertig um, als er seinen Neffen Lot wählen lässt, wo er mit seinen Hirten und Herden lagern und sesshaft werden will. Oder ist hier schon ein Stück Altersweisheit bei Abraham zu erkennen, dass er nicht meint, er müsste um dieses versprochene Land kämpfen und selbst die Grenzen abstecken? Der HERR wird seine Sache schon führen auch gegen jeden Augenschein. Wenn das nicht Gelassenheit ist!

Lot

Lot jedenfalls lässt sich von seinen Augen leiten, von dem, was er sieht, ein fruchtbares Tal, das Wasser des Jordans, eine goldene Zukunft für Hab und Gut. Doch Lot hat nicht damit gerechnet, dass hinter dem glanzvollen Augenschein eine ganz andere Macht und Wirklichkeit zum Vorschein kommt. Es leben böse Menschen in Sodom, die ihm seine Wahl so richtig versalzen werden. Wer kann schon in Frieden mit bösen Menschen leben? Am Ende bleibt ihm – wie so vielen – nur die Flucht. Und auf der Flucht der Verlust seiner Frau, die zurückschaut und zur Salzsäule erstarrt. (Gen 19,26)

 

Das verheißene Land

Abraham dagegen ist zu bewundern für seine Großzügigkeit. Er, der Ältere, lässt dem Jüngeren den Vortritt und fügt sich seiner Wahl. Vorher hatte er im Gebet den HERRN angerufen. Mag das der entscheidende Unterschied gewesen sein?

Jedenfalls ist es bei näherer Betrachtung auffällig, dass der HERR Abrahams Blick über sein künftiges Weideland schweifen lässt und dieser es anschließend nicht mit Pflöcken und Grenzziehungen absteckt, sondern an besonderen Orten Altäre für den HERRN baut. Das verheißene Land ist hier nicht geografisch konnotiert, sondern an die Wirklichkeit und den Glauben an den HERRN gebunden (Altäre).

Immer wieder betont der biblische Text, dass das Land schon bewohnt war, dass der HERR Abraham zuweist. Das ist in diesem eher noch fluiden Stadium der Sesshaftwerdung und des Glaubens an den einen HERRN überhaupt kein Problem. Für Abraham ist der Glaube an den HERRN gerade Voraussetzung einer friedvollen Koexistenz mit den Mitbewohnern des Landes, ist ihm doch verheißen: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.“ (Gen 12,3)

Hoffnungspotential

Wenn wir also auf das Hoffnungspotential dieser Geschichte schauen, können wir festhalten, dass die Verheißung Gottes sich auch gegen den Augenschein durchsetzt und Ziel der Verheißung – auch der Landverheißung an Abraham, später an Israel – das Wohlergehen aller im Blick hat (Segen). Mit einer gewissen Ironie wird das Schicksal von Lot erzählt. Sein alleiniges Setzen auf den Augenschein und auf die menschliche Vernunft wird kritisiert. Wer sich von Macht, Kapital und Sicherheit blenden lässt, erlebt ein böses Erwachen.

Bilder des Schreckens

Wenn wir jetzt die schrecklichen Bilder der Gewalt in den Kriegen der Welt und besonders in letzten Wochen in Israel und Gaza sehen und uns in den Kommentaren der Medien und Politiker, der Kriegstreiber und Kriegsbefürworter, aber auch der Mahner verlieren, fragen wir uns als die, die wir heute Gottesdienst feiern, was können wir denn der Verzweiflung über das Leid und auch der Abstumpfung entgegensetzen? Gibt es nicht Wege aus Unterwerfung, Unterdrückung und der ewigen Spirale der Vergeltung heraus?

Unsere Abrahams-Geschichte enthält nicht die eine Lösung – und wir haben sie alle nicht – gleichzeitig bewahrt sie heilsames Potential des Umgangs miteinander in Konflikten auf, die uns auch heute noch Wegweisung sein können.

Der Glaube an Gott stiftet Frieden

Erinnern wir uns an die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR am Ende der achtziger Jahre im letzten Jahrhundert. Von den Leipziger Friedensgebeten, den Montagsgebeten und Montagsdemonstrationen ging der Ruf aus: Keine Gewalt!

Die friedlichen Demonstrationen waren vom Geist des Friedens beseelt und der Machtapparat wurde dadurch überwunden.

Konfliktpotential erkennen und präventiv Handeln

Abraham nimmt den Konflikt der Hirten um die Wasserquellen wahr. Er macht sich Gedanken, wie der schwelende Konflikt mit seinem Neffen zu lösen ist. Abraham hat die Größe zurück zu treten. Verzichtet auf Macht und Anspruch, er benutzt Gottes Verheißung nicht, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Wir brauchen ein neues Hören auf die Frühwarnsysteme, auf Menschen, die vorausdenken können und Empathie für alle Seiten von Beteiligten an Konflikten und Kriegen haben. Ohne das Hineinversetzen in den anderen, in seine Angst, in sein Sicherheitsbedürfnis, in sein Wertesystem wird es keine Verständigung geben. Es geht um Verstehen, was ein himmelweiter Unterschied ist zu Verständnis haben für z.B. Gewalt. Mir scheint, dass wir die Zeit des Verstehens zugunsten von Durchsetzung von Recht und von Interessen übersprungen haben, einfach ausgeblendet. Das aber führt nicht zur Verständigung, sondern verstärkt das Recht behalten um jeden Preis – doch die Toten können Gott nicht mehr loben.

Denn wir sind Brüder

Diese vier Worte Abrahams an Lot sind der Grund der Verständigung. Ich kann und will dich nicht übervorteilen. Du trägst Sorge um das Leben deiner Familie und um deinen Besitz wie ich auch. Lass uns einen Weg finden, damit die Gräben zwischen uns nicht tiefer werden.

Was hat der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt: „Besser hundert Mal verhandeln als einmal schießen.“ Wie konnte der Geist der Diplomatie und der Wille nach einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen im kriegsgeprüften Europa verschwinden? „Wir sind doch Brüder.“ Ein toter russischer Soldat unterscheidet sich nicht von einem toten ukrainischen Soldaten. Wann endlich schwenkt der Westen um und setzt nicht mehr auf Waffen, sondern auf Friedensverhandlungen?

Für Abraham und Lot war die Trennung ein Weg, den Konflikt zu entschärfen. Es gibt Unterschiede. Es gibt Gewalt, die es einzudämmen gilt. Es gibt das Recht auf Selbstverteidigung, doch bleibt die Frage, wie kann der Krieg beendet werden, „denn wir sind Brüder.“

Das gilt auch für Israel, dem erwählten Volk Gottes. Das über Jahrzehnte eingepferchte palästinensische Volk – ohne eigenen Staat – sind doch Schwestern und Brüder. Haben sie nicht auch ein Recht auf eigene Erde?

Fazit

Wenn Religion die Anbetung Gottes hervorhebt, dann immer gleichzeitig auch die Unversehrtheit allen Lebens. Wir können nicht Gott würdigen und achtlos an Schwester und Bruder vorübergehen. Wir sind füreinander und für den Frieden verantwortlich. Das sagt uns die Geschichte von Abraham und Lot.