„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“
Liebe Gemeinde,
Furcht und Angst gehören zu unserem Leben, wie unser Atmen und unser Herzschlag. Das weiß auch Paulus. Paulus schreibt seinen zweiten Brief an Timotheus aus dem Gefängnis in Rom. Timotheus ist – wenn man so will – sein Lieblingszögling. Er ist noch jung, kommt aus einem guten Haus, steht im Glauben und leitet eine Gemeinde. Paulus hat schon viele kommen und gehen sehen, anfangs waren sie begeistert vom Evangelium, ließen sich schnell aber von anderen Geistern locken und verführen, sei es vom eigenen aufgeblasenen Ego oder von der Furcht für ihren Glauben abgelehnt, schief angesehen oder sogar verfolgt zu werden. Paulus bittet Timotheus, bleib du im Glauben treu, verleugne unseren Herrn Jesus Christus vor den Menschen nicht.
Ganz dialektisch, wie er nun mal ist unser Paulus, schreibt er in dem Brief:
Sterben wir mit, so werden wir mit ihm leben;
dulden wir, so werden wir mit ihm herrschen;
verleugnen wir, so wird er uns auch verleugnen;
sind wir untreu, so bleibt er doch treu;
denn er kann sich selbst nicht verleugnen. (2,11-13)
Das kann Paulus sagen, weil er Gottes Geist erfahren hat und diesen von seinem Geist und seinen Gefühlen unterscheidet. Das gibt ihm Hoffnung über seine Leiden hinaus. Der Geist schenkt ihm Freiheit, selbst, wo er gefangen ist. Auch in seiner Furcht und trotz seiner Ängste richtet sich sein Blick auf Gottes Geist.
Das ist für ihn der Erfahrungsraum Gottes. Er schreibt Timotheus:
Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Kraft
Im Griechischen steht hier dynamis theou – die Energie Gottes. Eine Energie, die beruhigt und belebt. Ich stelle mir Gottes Kraft als Energiefeld vor. Wenn ich an meine Kindheit denke, gehören selbstverständlich die Engel (Michaelis-Sonntag) dazu. Es gab für mich, besonders wenn ich krank war, nichts, was mich mehr beruhigt hat als das Gebet meiner Oma an meinem Bett: 14 Englein um dich steh´n
Abends wenn ich schlafen geh
vierzehn Engel um mich stehn
zwei zu meiner Rechten
zwei zu meiner Linken
zwei zu meinen Häupten
zwei zu meinen Füßen
zwei, die mich decken
zwei, die mich wecken
zwei, die mich führen
ins himmlische Paradies
(Von: Adelheid Wette (1858 – 1916). Die Autorin war eine deutsche Schriftstellerin und Librettistin und. Sie schrieb u. a. das Libretto für die von ihrem Bruder Engelbert Humperdinck komponierte Märchenoper „Hänsel und Gretel“ – aus dem obiges Gedicht stammt.)
Es ist das Beten selbst, das wir vernehmen, die sichtbare Welt ist nicht alles. Gottes unsichtbare Welt beschützt mich. Wenn Fiona (Täufling) diesen Geist erfährt, wird es sie stärken. Wenn religiöse Erziehung gelingt, stärken wir unsere Kinder in und für diese Welt. Gottes Geist kräftigt zum Guten hin, das Böse wird abgewehrt, aufgedeckt und überwunden.
Liebe
Liebe ist eine starke Kraft. In der menschlichen Liebe spiegelt sich Gottes Liebe wider. Paulus schreibt hier von der Agape Gottes. Von dieser Liebe ergriffen zu werden ist alles andere als romantisch, sie greift tief in unser Leben und Zusammenleben ein. Ganz überraschend und witzig hat Agape Michael Kumpfmüller in seinem Roman Mischa und der Meister (2022) beschrieben. Jesus kommt nach Berlin und viele, die mit ihm in Berührung kommen, werden vom Virus der Liebe angesteckt: Ein Rezensent entschuldigt sich bei einer Autorin über den Verriss ihres Buches, ein scheinbar Verrückter wird in der Straßenbahn durch Jesu Handauflegung ruhig, eine Immobilienmaklerin wird von Glücksgefühlen erfasst als sie die Zuwendung eines jungen Paares verweigert, da sie erkennt, das Paar braucht das Geld dringender als sie, außerdem sei diese Praxis doch Wucherei…
Gottes Liebesgeist ist empathisch, lässt uns Reue empfinden, führt zur Versöhnung und Neuanfang, lässt uns in jedem Menschen Gottes Geschöpf sehen – und macht bei den Feinden nicht halt.
Besonnenheit
Ein altes deutsches Wort, doch nicht nur das Wort ist in Vergessenheit geraten. Wir leben in einer Zeit der Beschleunigung, wie der Soziologe Hartmut Rosa treffend sagt. Wir erleben es, jede und jeder von uns. Wir kommen nicht mehr hinterher. Die Stimmung ist gereizt. Nicht nur die Gemüter, auch die Worte sind erregt und aufgeladen; die Schlagzeilen werden immer greller, Positionen immer provokanter, um überhaupt Aufmerksamkeit zu bekommen und wenn auch nur für eine kurze Zeit. Aufmerksamkeit ist die Währung, die wir teuer bezahlen. Der Geist Gottes schenkt Besonnenheit, vielleicht würden wir heute sagen, der Geist Gottes schenkt Abstand, Abstand von uns selbst und unseren erregten Gefühlen, dass wir nicht sofort unsere Reaktionen whats-appen, dass wir uns selbst in einem Konflikt betrachten und über uns lachen, dass wir uns in andere Menschen hineinversetzen und sie zu verstehen suchen. Es geht nicht darum, allem Verständnis gegenüber zu bringen und sich wie ein Fähnchen im Wind zu drehen, sondern es geht um besonnene Reaktionen und Kommunikation, gepaart mit Langmut, Sanftmut und Klarheit.
Fazit
Gott hat uns seinen Geist geschenkt, einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Wenn wir in und mit diesem Geist leben, haben wir einen Kompass, der uns die richtige Richtung weist. Diesen Geist möge Gott in Fiona für immer lebendig halten.