Ein anderer Papst-Nachruf, Eine Predigt, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

Foto: Annett Klingner (C)

Predigt über 1. Petrus 1,1 am Sonntag nach Ostern, Quasimodogeneti 2025

„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“

 

Liebe Gemeinde,

die Kirche und die Welt gedenken des Todes von Papst Franziskus und nehmen von ihm Abschied. Es geht mir heute nicht darum, die große Aufmerksamkeit, die Papst Franziskus zurecht bekommt zu ergänzen oder gar mir anzumaßen, sein Pontifikat zu beurteilen. Mir geht dieser Papst nicht aus dem Sinn, wenn ich den Wochenspruch von Quasimodogeneti lese (siehe Predigttext), komme ich auf sein zeichenhaftes Wirken und die damit verbundene Hoffnung für die Verlorenen dieser Welt zurück. Ja, Papst Franziskus hat mich beeindruckt, weil er ein Protestmensch gegen die Mächte des Todes war. Laut und deutlich hat er seine Stimme erhoben, zuletzt sicherlich eine gebrochene Stimme, von Krankheit gezeichnet, als er zwei Tage vor seinem Tod J.D. Vance, dem katholischen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, die Leviten las in Hinblick auf die menschenverachtende Trump-Praxis der Abschiebung von Migranten und Illegalen. Eine verlogene Praxis, da diese Menschen mit ihrer Arbeitskraft einen Teil des Wohlstands der Amerikaner produzieren.

Unsere Welt braucht nichts so sehr wie Menschen, die sich gegen die Todesenergien der Zerstörung von (sozialen) Werten stellen. Der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi von den Toten ist und bleibt ein Widerstandshort gegen Ideologien, einem Kapitalismus und einer Politik, die alle sozialen Werte auffrisst und den Menschen zur Sache degradiert. Wenn wir eine lebendige Hoffnung haben, dann lassen wir uns unseren Glauben nicht nehmen, dann treten wir für das Leben ein.

Entkirchlichung

Wir spüren deutlich als Gemeinde, dass wir in entkirchlichten Zeiten leben. Ein Beispiel:

Wenn jüngst von allen angeschriebenen Eltern zur Anmeldung ihrer Kinder zum Konfirmandenunterricht nur ein drittel der Eltern ihre Kinder anmeldet, erleben wir den Abbruch von einer noch vor 25 – 30 Jahren stabilen evangelischen Tradition. Es war selbstverständlich, dass evangelische Kinder zum Konfiunterricht geschickt wurden. Heute werden die Jugendlichen selbst gefragt, ob sie konfirmiert werden wollen. Das muss nicht schlecht sein, aber es braucht doch eine positive Haltung der Eltern zur Konfirmation und dem Kennenlernen von Gemeinde.  Diese Haltung ist weitgehend verschwunden. Dem größten Teil der Eltern ist es scheinbar egal, obgleich sie bei der Taufe versprochen haben, ihr Kind christlich zu erziehen. Aber das ist lange her. Alles, was mit Glauben zu tun hat, ist für die meisten unserer Mitmenschen völlig bedeutungslos geworden. Der sonntägliche Gottesdienstbesuch hat in unseren drei Predigtstätten ebenfalls im letzten Jahrzehnt stark nachgelassen. Längst nicht mehr lassen sich alle Evangelischen kirchlich bestatten. Es ist ihnen und ihren Familien nicht mehr wichtig. Sie sehen darin keinen Mehrwert. Auch einer Kirche anzugehören gilt für immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft als obsolet. Das soll keine Bewertung sein, einfach eine nüchterne Beschreibung, was wir als Lydia-Gemeinde erleben.

Glaubens- und Nachfrageschwund

Der schwindende Glaube und die Nachfrage nach unseren Angeboten sind die eigentlichen Probleme, die wir als Kirche haben, nicht wie wir unsere Gebäude und anderen Aufgaben bezahlen können. Das ist sekundär. Der Abbau, Rückbau und Umnutzung von Gebäuden werden uns als Lydia-Gemeinde noch lange beschäftigen. Die Kirche ist aber mehr als eine Ansammlung von Gebäuden und Veranstaltungen. Sie ist eine Hoffnungsgemeinschaft, eine Erzählgemeinschaft, welche Sinn stiftet und einen Schatz hat, den die Welt nicht bieten kann. Von daher stellt sich die Frage, wie wir Hoffnung vermitteln, verkündigen und leben. Wie kommen wir aus einer zunehmend depressiven und erstarrten Haltung heraus?

Zeichenhaftes Wirken von Franziskus

Hier hat der Papst zeichenhaft für alle christliche Kirchen gewirkt. Trotz seines Eingehegt-Seins in einer Weltkirche durch die katholische (Dogmen-)Tradition und gegensätzlichen Strömungen einer Weltkirche, in die Kurie und eine schwerfällige Verwaltung ist es ihm gelungen den wesentlichen Auftrag der Kirche in der Nachfolge Jesu Christi zu leben und die Kirche in Bewegung zu bringen: Barmherzigkeit und Solidarität

Barmherzigkeit ist Solidarität mit den Vergessenen

Wenn wir auch nur ein dunkler Spiegel der Barmherzigkeit Gottes sind, so strahlen wir doch, wenn Barmherzigkeit von Herzen kommt, Hoffnung in die Kirche und in die Welt aus. Wenige Tage vor seinem Tod ermutigte Papst Franziskus Missionare eines Ordens mit den Worten: „Barmherzigkeit ist die größte Umarmung Gottes.“  Das können wir wahrhaft von diesem Papst als Gemeinde lernen. Barmherzigkeit zu leben, nicht weil wir das so gut können, sondern weil wir Gottes Barmherzigkeit in unserem Leben in der Gemeinschaft erfahren und auch gegen den Augenschein glauben, auch, weil der Geist der Barmherzigkeit uns die Augen öffnet über die eigene Befindlichkeit hinaus, hin zu denen, die nicht gesehen werden.

Barmherzigkeit stiftet Hoffnung, investiert in Menschen trotz Enttäuschungen. Barmherzigkeit sucht den Frieden, weil töten unbarmherzig ist. Barmherzigkeit sucht das Lebensrecht aller Kreatur, damit Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung ein Ende haben.

Lebendige Hoffnung

Wir brauchen eine neue Geburt, eine Wieder-Geburt des Geistes Jesu in uns, dass die Hoffnung wieder in uns lebt und neu entfacht wird. Das ist Auferstehung. Die Auferstehung Jesu von den Toten ist unser Hoffnungskern gegen Verzweiflung, Alternativlosigkeit, Einsamkeit, Gewalt und Krieg, und gegen einen totalitären Kapitalismus, der keine Freiheit bringt, sondern am laufenden Band Verlierer produziert. Wir aber sind Gewinner, weil wir zu Jesus gehören. Wir sind wie neugeborene Kinder, neugierig auf eine Welt, die Gott uns verheißt: sein Reich. Wir sind verliebt in gelingendes Leben. Das gilt auch für uns als Gemeinde. Mag vieles sterben. Mag vieles nicht mehr funktionieren. Mag vieles sich verändern. Mögen wir darunter leiden, aber das ist nicht das Ende. Gott ist verliebt in Neuanfänge. Auch mit uns oder mit denen, die nach uns kommen.

Predigt Gefangene befreien, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

Liebe Gemeinde,

das öffentliche Wirken Jesu beginnt nach dem Evangelisten Lukas mit seiner Predigt im Synagogengottesdienst seines Heimatdorf Nazareth. Jesus liest aus der Schriftrolle des Propheten Jesaja. Es ist ein messianischer Text, der die Verheißung enthält, dass der kommende Messias die Gefangenen befreien wird. Wir hören die Worte in der Lutherübersetzung 2017:

„Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, das sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.

Und als er das Buch zutat, gab´s er dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn. Und er fing an, zu ihnen zu reden. Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“  Lukas 4, 18-20

 

Messianische Verheißung

Umwälzung liegt in der Luft. Die Verhältnisse kehren sich um. Die Gefangenen werden befreit und die Unterdrücker werden zur Rechenschaft gezogen. Die Zerschlagenen werden geheilt. Jesus erinnert uns heute, die messianische Zeit ist erst dann vollendet, wenn alle Eingekerkerten befreit werden. Der jüdische Glaube weiß davon ein leidvolles Lied zu singen und wie ein piependes Ohrgeräusch ist es mahnend in das Christentum eingeschrieben: Erst wenn alle, die in Gefängnissen ihrer Würde beraubt wurden – heute, gestern oder zukünftig – befreit werden, ist die Sendung des Messias Jesus abgeschlossen. Wenn Jesus als Weltenrichter aus den Himmeln wiederkommt, werden alle Gefangenen freikommen und das Recht wird aufgerichtet. Das wird ein Auszug aus der Knechtschaft und physischen Unterdrückung sein, wie es noch kein Mensch gesehen hat. Der Kommende ist der Richter, der die Schafe von den Böcken scheiden wird (Matthäus 25, 31). Es ist der Weltenrichter an dem die Welt ihr Gericht durch Tod am Kreuz vollzog und den Gott mit der Auferstehung ins Recht gesetzt hat. Jesus ist ein Richter, der selbst Unrecht erlitten hat.

 

A Better Place

Menschlich gesehen sollten wir einen solchen Richter fürchten. Wer ist schon von Rachegedanken frei? Wenn wir richten könnten, wie würden wir die Menschen, die getötet und vergewaltigt haben, vielleicht sogar unser eigenes Kind, richten?

In der achtteiligen Drama-Serie „A Better Place“ ( ARD 2024/2025) wünscht eine über die Freilassung des Mörders ihres Sohnes zornentbrannte Mutter, dass der Mörder zeitlebens weggesperrt bleibt. Zu einer Mediation mit dem Täter ist sie nicht bereit. Verständlich! Oder? Das Experiment Gefangene eines Gefängnisses in der fiktiven Stadt Rheinstadt unter strengen Auflagen, aber mit einem Vertrauensvorschuss in die Freiheit zu entlassen, dass sie wieder Fuß fassen können, scheitert auf ganzer Linie.

Es ist die Angst Verurteilte frei zu lassen, weil wir ihr kriminelles Gewaltpotential fürchten. Dabei zeigen Studien, dass eine Täter-Opfer-Mediation und eine aktive Wiedergutmachung durch Täter zu einer stabileren und viel höheren Resozialisierungsrate führt und auch zu einem höheren Gerechtigkeitsempfinden auf Seiten der Opfer. Aber es ist einfacher und in der Gesellschaft akzeptierter Täter, zu isolieren. Eine aktive Wiedergutmachung durch Täter ist nicht gewollt. Dazu kommt unsere Vorstellung von Sühne, die von alters her unser Denken und Empfinden bestimmt. Der Täter soll für seine Tat büßen. Die Bußübung ist der Freiheitsentzug, das Wegsperren hinter Mauern und Gittern (Wegsperren, Thomas Galli). Das verhindert Täter als Teil der Gesellschaft zu sehen. Sie haben es verwirkt.

 

Der Weltenrichter Jesus

Jesus, der Weltenrichter, kehrt es um. Nicht Rache bestimmt sein Richten, sondern seine göttliche Empathie und seine göttliche Gerechtigkeit. Tätern und Opfern soll Gerechtigkeit widerfahren. In Jesu Rede über das Endgericht (Matthäus 25) gibt es einen Rollentausch. Jesus lässt sich selbst gefangen nehmen. Wo gibt es einen weltlichen Richter, der sich mit einem physisch Gefangenen und den damit verbundenen Freiheitsentzug identifiziert? Wo gibt es einen himmlischen Richter, der beim Jüngsten Gericht sagt: Wenn du einen Gefangenen aufgesucht hast, hast du mich aufgesucht? Gehe ein in das ewige Leben!

Es geht in Matthäus 25 noch nicht einmal um Befreiung, sondern bei diesem Werk der Barmherzigkeit um das Aufsuchen von Gefangenen: um Kommunikation, um Gespräch, um Gemeinschaft, um Würdigung. Jesus setzt sich der Entwürdigung aus, dem Ausgeliefertsein der Wächter, dem Verstummen, dem lauten und stillen Leiden der Gefangenen, der Folter und Isolationshaft. Jesus teilt die Scham und die Stigmatisierung der Gefangenen, ihre Sehnsucht dazu zu gehören, wieder ein Teil der Familie, wieder ein Teil der Gemeinschaft zu sein. Ein freier Mensch auf Gottes Erde und unter Gottes Himmel. Der Weltenrichter hat für alle gesühnt, ist an unserer Stelle leiblich gebrochen worden und hat die Tiefen der Hölle durchschritten. Mit Sühne sollte Schluss sein!

„Herr, du bist Richter, du nur kannst befreien, wenn du uns freisprichst, dann ist Freiheit da. Freiheit sie gilt für Menschen, Völker, [Ethnien], so weit wie deine Liebe uns ergreift (Eg 663,4).“

Gefängnishölle

Gefängnis ist in den meisten Ländern der Welt: Die Hölle. Und das nicht nur in den Autokratien und Diktaturen unserer Welt. Das hat uns nicht zuletzt das Drama der Gefangenschaft von Julian Assange gelehrt. Der in einen Hochsicherheitstrakt Eingekerkerte Whistleblower, der schlimmste Kriegsverbrechen aufgedeckt hatte, wurde wegen Staatsverrat angeklagt. Ein politisch Verfolgter, wie so viele, die in Gefängnissen drangsaliert und psychisch gebrochen werden. Ihre Zahl ist Legion.

 

 

Freiheit im Gefängnis?

Es ist die staatliche Willkür, die Menschen in Gefängnissen weltweit zerbrechen lässt, aber auch suchen lässt nach einem göttlichen Halt. Zurückgeworfen auf sich selbst, öffnen sich Menschen für geistige Wahrheiten, für die spirituelle Dimension ihres Lebens. Robert Rother, dem ich vor einem Jahr persönlich begegnet bin, erzählt in seinem Buch Drachenjahre, wie er 7 Jahre und 7 Monate in der chinesischen Gefängnishölle in Dongguan überlebt hat. Er fand zu Gott und Mithilfe seines Glaubens entwickelte er eine Überlebensstrategie. So paradox es klingt. Im Gefängnis erfährt er sich – immer wieder – als frei, wie nie zuvor in seinem Leben. Er schreibt: „Der Glaube half mir, meinen Absturz als etwas Relatives zu begreifen und meinen Bedeutungsverlust zu akzeptieren. Es war letztlich das Einzige, was mir blieb. Nicht einmal die im Knast allmächtige Staatsmacht konnte mir den Glauben nehmen – nicht den an Gott und nicht den an mich selbst. So bewahrte ich mir meine Würde (Drachenjahre S.134/135).“

Geschichten von Gefängnis und Befreiung

Auch wenn wir in die Bibel schauen, lesen wir von Geschichten, wie Gott rettend seine Kinder aus Gefangenschaft befreit oder wie Zeiten der Gefangenschaft zum einen zur Erfahrung der Abwesenheit Gottes, zum anderen zur Gotteserfahrung werden. Das Volk Israel und sein Gottesverhältnis ist entscheidend durch Gefangenschaft und Unterdrückung geprägt. Die wichtigste jüdische Hoffnungs- und Zukunftserzählung ist der Exodus aus der Sklaverei Ägyptens. Gott führ sein Volk in die Freiheit.

Da ist aber auch die Geschichte von Josef, der zu Unrecht ins Gefängnis verbannt wird. Gott steht ihm bei, segnet ihn mit Träumen und der Fähigkeit, Träume zu deuten. Der Pharao lässt ihn aus dem Gefängnis kommen und er wird der zweite Mann im Staat Ägypten. Die Geschichte von Josef hat mich schon als Kind beeindruckt. Ich habe als Kind mit Josef gelitten und mich über die wunderbaren Fügungen in seinem Leben gefreut: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen (Genesis 50,20).“ 

Als Zäsur der biblischen Geschichte Israels gilt die Gefangenschaft großer Teile der Elite Israels, ihre Deportation nach Babylon. Während der babylonischen Gefangenschaft hat Gott zu Israel geredet durch die Propheten. Nach der Zerstörung des Tempels und der Zerstreuung hielt ein kleiner Rest in der Fremde an Gott fest. Rückblickend lässt sich sagen, dass der jüdische Glaube auch ohne Tempelkult in Jerusalem weitergelebt hat. Der Glaube an den einen Gott hat der Krise standgehalten, mehr noch: Die babylonische Gefangenschaft war eine produktive Zeit für die schriftliche Fixierung des jüdischen Glaubens und für die messianische Hoffnung, dass Gott sein Volk befreien wird. In der Krise sind Psalmen und biblische Schriften entstanden, die uns heute in einer gottvergessenen Welt Wegzehrung und Weisung sind.

„Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Völkern: Der HERR hat Großes an ihnen getan. (Psalm 126, 1-3)

Gefangenschaft und Recht

Aber auch das Neue Testament erzählt von wunderbaren Befreiungsgeschichten aus Gefängnissen. Als Paulus und Silas buchstäblich im innersten Bunker eines Gefängnislochs in Thessaloniki die eisernen Ketten von den Fesseln fallen, kommt der Gefängniswächter zum Glauben und will den zugefügten Schaden wieder gut machen „Und er [der Gefängniswärter] nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen (Apg 16,33)“

Das ist nicht das einzig Interessante an dieser Geschichte. Nachdem die Stadtrichter nichts gegen Paulus und Silas in der Hand hatten, aber vor ihrer Untersuchungshaft Stockschläge durch die Gerichtsdiener anordneten, waren sie furchtbar erschreckt, da sie erfuhren, dass Paulus und Silas das römische Bürgerrecht besaßen. Paulus und Silas beschwerten sich bei ihnen, dass sie als römische Bürger nicht hätten körperlich gezüchtigt werden dürfen. Sie traten selbstbewusst für ihr Recht ein.

Noch in den schlimmsten menschenverachtenden Systemen gibt es ein Rechtssystem. Auch Roland Rother hat die chinesischen Gesetzte und Gefängnisverordnungen studiert, um sich gegen Übergriffe zu wehren. Das hat die Willkür – selbst in einem korrupten System – begrenzt.

Die allgemeinen Menschenrechte der UNO helfen sehr, sich für Gefangene einzusetzen, deren Menschenrechte verletzt werden. Es gibt weltliche und christliche Organisationen, die sich für politisch und religiös Verfolgte und Inhaftierte einsetzen. Immer wieder führt die Schaffung von Öffentlichkeit zu Haftverbesserungen, manchmal auch zur Haftentlassung (Nelson Mandela).

Auch in unserem Land gibt es Forderungen, das Gefängniswesen zu reformieren (Wie wir das Verbrechen… Thomas Galli). Die Ziele der Resozialisierung werden mit Wegsperren nicht erreicht, im Gegenteil. Viele Inhaftierte werden in unseren Gefängnissen erst recht kriminalisiert. Diese Reformen scheitern bisher an einem rigiden Justizsystem und an der Angst der politisch Verantwortlichen vor dem Volk. Der Sühnegedanke ist zu tief in uns allen verankert. Christinnen und Christen sollten sich für eine Gefängnisreform, die Opfern und Tätern hilft, einsetzen. Es gilt nicht nur ein Werk der Barmherzigkeit an Gefangenen zu tun, sondern das Recht dahingehend zu verändern, dass Menschenwürde für Opfer und Täter angestrebt wird.

 

Gott befreit

Wenn Gott befreit, dann ist es eine echte Befreiung. Die größte Befreiung ist die Auferstehung Jesu von den Toten. Auferstehung ist die Befreiung vom Tod. Seitdem läuft zukünftig (eschatologisch) alles auf die Befreiung der physisch und psychisch Gefangenen heraus. Auf diese große Befreiung warten wir. Sie ist uns verheißen, wenn Jesus mit Macht und Herrlichkeit wieder kommt. Die Unterdrücker werden nicht das letzte Wort über ihre Opfer haben. Wir sind Kinder der Freiheit und stehen mit einem Fuß im Reich Gottes. Lasst uns unsere Berufung leben, Gefangene aufsuchen (Gefängnisseelsorge), und mit unseren Gebeten, unserer Haltung und unserer Kraft Gefangene aus der Isolation befreien.

Amen.

Anmerkung: Mit der Predigt will ich die Hoffnung und den Glauben stärken, dass Gott am Ende der Zeit die Gefangenen endgültig befreien wird. Die Unterdrücker werden nicht das letzte Wort haben.

 

Predigt vom Verlieren & Wiederfinden, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2021

Predigt Lukas 15, 8-10 ,   3. So. nach Trinitatis

Liebe Gemeinde,

Jesus erzählt Gleichnisse, wenn er den Menschen etwas über Gott und sein Reich sagen will. Hier erzählt er von einer Frau, die einen Silbergroschen verliert und ihn mit Mühe solange sucht, bis sie ihn findet. Ihre Freude darüber ist so groß, dass sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen herbeiruft, dass sie sich mit ihr mitfreuen.

Verlieren und Wiederfinden sind Themen, die sich durch unser Leben ziehen und die uns immer wieder existentiell angehen.

Die Fernsehserie Letzte Spur Berlin im ZDF dreht sich darum, dass ein Team von Ermittlern einen Menschen sucht, der mir nichts, dir nichts wie vom Erdboden verschwunden ist. Meistens entspinnt sich darum eine komplizierte Geschichte und der Zuschauer gewinnt einen tiefen Einblick in die menschliche Seele und atmet am Ende auf, wenn die vermisste Person wiedergefunden wird.

Menschen können sich auch selbst verlieren, sich so sehr verausgaben bis in den Burnout hinein, dass sie sich selbst nicht mehr kennen und andere sie auch nicht mehr wiedererkennen. Wie sehr wünschten sie sich, sich wiederzufinden und sie strengen sich dabei an und merken, dass der Wille nicht reicht – sie leiden unter ihrem eigenem Ausgebrannt-Sein, sind in ihrem Selbstwertgefühl völlig verunsichert, verlieren sich Stück für Stück, oft auch ihre Arbeit, Partner oder Partnerin.

Ist da jemand, der sie sucht, dass sie sich wiederfinden können? Wollen sie sich wieder finden lassen? Haben Sie Geduld nach der Suche nach sich selbst?

Und wenn ihnen das Geschenk widerfährt, dass sie sich wieder finden. Was ist das dann für eine Freude?

Auch jede Sucht ist ein Verlust seiner selbst. Die Sucht füllt nicht die Lücke, die Leere, die Angst. Das weiß der süchtige Mensch intuitiv und er weiß, dass er sein Leben zerstört und andere damit unglücklich macht, aber er kommt nicht davon los. Die Sucht ist sein einziger Halt, denkt der Süchtige. Diesem Irrglauben ist der Süchtige verfallen. Doch es gibt Wege aus der Sucht.

Und der Verlust der Selbständigkeit? Davor fürchten sich Menschen unserer Breitengrade am meisten. Der Verlust der körperlichen Selbständigkeit und der Verlust der geistigen Fähigkeiten greifen stark in unser Selbstbild ein. Wer bin ich dann noch? Gibt es dann überhaupt noch ein Sich-Wiederfinden?

Sicher in vielen Fällen kein Wiederfinden als sei nichts geschehen. Verlieren und Wiederfinden sind Prozesse. Nichts ist mehr wie vorher und wird wie vorher sein. Der Verlust bleibt immer ein Teil der eigenen Biografie, selbst da, wo der Mensch sich wieder findet, aber die Freude am Leben – und sei es nur ein Lächeln, das erwidert wird – ist wirklich Freude, und wie jede Freude, wie jedes Glück, wie jede Liebe ein Wieder-Gefunden-Werden – und das ist möglich bis zum letzten Atemzug.

Jesus spricht von Gott, als würde Gott und die ganze Welt Gottes unter dem Verlust der Menschen leiden, die er verloren hat. So sehr verloren hat, dass diese Menschen keine Beziehung mehr zu ihm haben. Das Geschöpf ist von seinem Schöpfer getrennt. Da ist eine Beziehungsunfähigkeit, die ein großer Verlust ist für die himmlische Welt. In der Bibel heißt dieser Verlust Sünde. Sünde ist die Entfremdung von Gott. Sünde ist in erster Linie ein relationaler Begriff. Der Sünder, die Sünderin hat keine Beziehung mehr zu Gott. Das ist die Sünde, nicht irgendein moralisches Fehlverhalten.

Jesus sagt, die Freude unter den Engeln ist groß, wenn ein Sünder sich wieder auf Gott ausrichtet, wenn ein Mensch wieder die Beziehung zu Gott lebt – dann ist es, als sei Gott selbst das Geschenk des Wiederfindens widerfahren.

Verlust kann schwer wiegen. Der Gottesverlust, sagt Jesus – so wie ich ihn verstehe – , ist der größte Verlust für den Menschen. Der Mensch lebt in Gottesferne, entfremdet von Gott und entfremdet von sich selbst und den Nächsten, weil jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist.

Wer die Dimension des Göttlichen, der göttlichen Liebe, in seinem Leben wieder entdeckt, wieder findet, den durchflutet eine Freude, die niemand nehmen kann.

Im Grunde genommen war die große Aufgabe des Gottessohnes Jesus den Menschen wieder neues Vertrauen zu Gott zu schenken. Dafür ist Jesus Mensch geworden, das hat ihn sein Leben gekostet, weil Jesus nicht anders konnte als von einem Gott der Liebe zu reden.

Gott hat mit der Auferweckung Jesu dafür gesorgt, dass der Verlust des Lebens aufgehoben wurde ins ewige Leben. Und im Glauben an Christus haben wir heute schon ewiges Leben in uns.

Es gibt ein Wiederfinden, jetzt schon und einmal in Ewigkeit. Und jedes Wiederfinden löst große Freude aus.

Amen

 

Jesu Predigt vom Reich Gottes gilt heute, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2021

Zu:

Claus Petersen: 21 Entdeckungen, Was Jesus wirklich lehrte, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2020, gebunden, 224 Seiten, ISBN 978-3-579-06616-5, Preis: 20,00 Euro (print)

Claus Petersen (geb. 1952) hat trotz (oder wegen?) seiner freikirchlichen Prägung schon zur Schulzeit sein Interesse für die Theologie entdeckt und war daher auch an einem altsprachlichen Gymnasium. Er studierte in Erlangen und Heidelberg und war eine Zeitlang Assistent für Altes Testament.

Als evangelischer Pfarrer verfolgte er einen eindeutigen, streitbaren Kurs. Er hat sich in seiner Predigt und Gotteslehre allein nach der Botschaft Jesu gerichtet, der Gegenwart des Reiches Gottes. Er war Mitgründer der ökumenischen Initiative „Heaven on Earth“ und veröffentlichte in Publik Forum 2007 den Aufruf „Wie Jesus an das Reich Gottes glauben.“

Während die persönliche Ebene des Themas im ersten Kapitel entfaltet wird, wird das Thema des Buches im zweiten Kapitel exegetisch näher erläutert.

21 Spruchtexte Jesu

Die 21 Spruchtexte Jesu, die im weiteren Verlauf des Buches einzeln erläutert werden, sind eine Auswahl aus der Überlieferung der Evangelien, die der Autor aus exegetischen Gründen dem historischen Jesus zuschreiben möchte. (Diese Methode hält man allerdings in der Theologie für problematisch, da es kaum Kriterien gibt, die eine solche Rückfrage nach der originalen Jesusüberlieferung rechtfertigen kann. d. Rez.)

Dass Claus Petersen vor allem die Reich Gottes Verkündigung für authentisch hält, dürfte in der Theologie Unterstützung finden. Was die Stärke des Buches ist, sich auf die „wahre“ Lehre Jesu zurückzugehen ist allerdings auch befremdlich. Der selektierende Umgang mit den biblischen Texten am Beispiel des Vater Unsers und der Seligpreisungen im Detail ist nicht leicht einzusehen.

Reich Gottes gegenwärtig

Die besondere Ausprägung, von der Petersen ausgeht, ist die Aussage, dass das Reich Gottes gegenwärtig ist. Es geht Jesus darum, „im Reich Gottes zu existieren, und zwar im hier und jetzt…“ (S. 44).

Die Mitte seiner Botschaft ist das „Genug“. Es ist eine Botschaft, die sich gegen den Reichtum richtet, gegen das „Zuviel“. Unserem heutigen System des Kapitalismus widerspricht die Politik Jesu.

Der Hauptteil des Buchs besteht darin, die vom Autor als authentisch gelesenen Jesustexte zu interpretieren. Allerdings bin ich von diesem Hauptteil enttäuscht. Es handelt sich nämlich bei diesen Texten eher um predigtartigen Meditationen. Die exegetischen Begründungen, die ich erwartet hätte, werden hier einfach vorausgesetzt. Diese hätte man aber nach der durchaus aufregenden Einleitung anders erwartet.

Das Buch ist im Hauptteil wie ein Lied mit 21 Strophen, die alle nach der gleichen Melodie gesungen werden. Schade um den aufregenden Ansatz von der revolutionären Botschaft Jesu, der nun vom Mittelteil her in der Luft hängt.

Wie im Himmel, so auf Erden, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2021

Zu:

Jan-A. Bühner: Jesus und die himmlische Welt, Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie, Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2020, Softcover, 488 Seiten, ISBN: 978-3-7720-8725-7, Preis: 98,00 Euro (print)

Dr. Jan-A. Bühner war bis zu seinem Ruhestand Pfarrer, Dekan und Generalsekretär der Deutschen Bibelgesellschaft in Stuttgart. Das vorliegende Buch entstand bereits im Jahr 1983 als Vorlage für eine Habilitation, wurde aber erst 2020 veröffentlicht. Klaus Berger, Prof. em. aus Heidelberg, schreibt in seinem Geleitwort, dass diese Arbeit heute gebraucht wird, um die Ergebnisse der Qumranforschung inhaltlich klarer einordnen zu können. Klaus Berger schreibt: Vor allem sollte der jüdischen Himmelssymbolik Gerechtigkeit widerfahren …. Und Jesus redet schließlich vom „Himmelreich“. (S.14)

Um einen kleinen Eindruck dieser Arbeit zu vermitteln, gebe ich einige Beobachtungen aus dem Anfangsteil wieder, der die Thematik in der Erforschung des Neuen Testaments verortet.

Jesus: dem Himmel zugehörig

Theologiegeschichtlich ist der Himmel seit der Aufklärung unwichtig bzw. rational rein zeitlich gedeutet worden. Es gilt aber als sicher, dass sich Jesus nach dem neutestamentlichen Zeugnis als dem Himmel zugehörig versteht.

Diese Beobachtung des Autors wird in der Übersicht über die Konzepte der Eschatologie in der neutestamentlichen Exegese um und seit 1900 gegeben. Darin wird der Himmel entweder temporal verschoben oder rational erklärt (z. B. nach Bousset, Schweitzer, Bultmann u. a. ).

Der Gott der Mystik wohne nicht im Tempel, sondern im Herzen.

Die durch die neuere Exegese abgelöste religionsgeschichtliche Schule sei wieder neu zu würdigen, da hier die Gegensätze zwischen Eschatologie (Zukunft) und Mystik (Gegenwart) aufgehoben zu sei scheinen. Er schreibt z. B.: „Der Gott der Mystik wohne nicht im Tempel, sondern im Herzen.“ (S. 40)

Auch der bekannte Neutestamentler Ernst Lohmeyer habe auf die Bedeutung der „Zukunftstheologie des 2. Tempels“ für die Jesustradition hingewiesen (vgl.S.45).

Jedenfalls geht die Ausdrucksweise, die Jesus als Erhöhten ansieht, auf Formulierungen der jüdischen Mystik zurück. Hier heißt es, die Aufgabe des Tempels sei die Vermittlung zwischen Himmel und Erde, eine Aufgabe, die später auf Jesus bezogen wird.

Im zweiten Teil des Buches wird die jüdische Literatur der Spätantike herangezogen. Der dritte Teil widmet sich der frühchristlichen Literatur im Neuen Testament und auch darüber hinaus.

„Sohn“ aus dem „Haus des Vaters“

Die Ausdrucksweise vom „Sohn“ aus dem „Haus des Vaters“ wird als jüdische Formulierung vor allem in den Texten von Jesu Taufe herausgestellt. Die Ausdrucksweise vom „Menschensohn als himmlischer Hoherpriester“ zeigt inhaltlich die Verbindung zum jüdischen Kultgeschehen, aber auch schon die Abstraktion und Umwandlung.

Die Eschatologie hat nach Bühner schon in der Person Jesu „präsentifizierende Züge“, da seine Verbindung zum Himmel bzw. zum Vater in den Evangelien seine Wort- und Handlungsmacht verdeutlicht.

An dieser Stelle taucht eine Bemerkung zu Jakobus auf, die die Familie Jesu in den Blick nimmt und in der dieser auch als Zeuge die Bedeutung Jesu ernst nimmt. Jan-A. Bühner schreibt hier: „Das christologische Zeugnis des Jakobus weist ausdrücklich auf den Menschensohn. Der Menschensohn, der zur Rechten der Großen Kraft thront, also zur unmittelbaren Sphäre der Heiligkeit Gottes gehört, überhöht offenbar die Verbindungskraft des Tempels bzw. begründet sie neu, und schafft ein neues ungenealogisches Priestertum.“ (S. 440).

Ein kurzes Nachwort aus dem Jahr 2020 greift einige aktuelle Veröffentlichungen auf, die einzelne Beobachtungen Bühners verstärken, z. B. indem sie auf einen frühjüdischen Baptismus hinweisen. Das Nachwort ist aber m. E. zu kurz. Denn da der Bearbeitungszustand des Buches auf dem Stand von 1983 ist, hätte hier eine ausführlichere Bearbeitung erfolgen sollen, die z. B. auch die Arbeiten von Peter Schäfer einbezieht, dessen frühe Veröffentlichungen schon in der Literaturliste genannt sind. Auch die von Klaus Berger genannte gründlichere Kommentierung einzelner Stellen aus Qumran oder anderer Texte wäre interessant. Die Verbindung und der Dialog zwischen Judentum und Christentum steht immer wieder auf der Tagesordnung und kann gewiss nicht mit den Prädikaten „alt“ und „neu“ passend beschrieben werden.

Vielleicht ist das Zeugnis des Urchristentums „älter“ als man in der Redeweise vom alten und neuen Bund vorspiegelt. Bezeichnend wäre vor diesem Hintergrund die Frage, warum damals diese doch interessante und ausführliche wie wissenschaftlich gründliche Habilitation abgelehnt worden ist. Wurde in der Politik der theologischen Fakultäten dieses Thema bewusst unterdrückt? (Wenn ich zu dieser Frage einen Kommentar erhalte, ergänze ich die Rezension entsprechend. d. Rez.) Ich selbst habe in den späten siebziger Jahren in Münster die Auseinandersetzungen in der Fachbereichspolitik an der Uni Münster miterlebt. Jan-A. Bühner und dem Verlag sind zu danken, dass diese Arbeit nun doch noch veröffentlicht worden ist. Die Debatte um den jüdischen Jesus ist damit wieder neu eröffnet.