Predigt Exodus 13,20-22, Altjahrsabend 2020, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2021

 

Predigttext (Lutherbibel Ausgabe 2017): So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.

Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

 

Liebe Gemeinde,

in der Wüste geht Gott seinem Volk am Tag in einer Wolkensäule, in der Nacht in einer Feuersäule voran. Beides sind Zeichen seiner Gegenwart in einer kargen, lebensfeindlichen Umwelt. Um in der Wüste zu überleben, braucht es vor allem die Fähigkeit, sich an die unwirtlichen Verhältnisse anzupassen, aufeinander zu achten, einander zu helfen, damit niemand verloren geht. Die Wüste zeigt, wie schutzlos der Mensch ist, wie angreifbar, aber auch seine Anpassungsfähigkeit, seinen Überlebenswillen. Mut und Unmut, Fata Morgana und Realität, Glaube und Unglaube liegen hier dicht beieinander.

Gottes Erscheinungen in Wolken- und Feuersäule sind Zeichen seiner zuverlässigen Gegenwart, aber diese Zeichen müssen im Glauben erfasst werden, denn die Wolke verhüllt, was sie offenbart, und das Feuer ist unnahbar. Für das Volk Israel wird deutlich, dass es uns Menschen unmöglich ist, Gott in seiner Heiligkeit und Herrlichkeit anzusehen, geschweige denn sein Handeln zu verstehen. 40 Jahre lang irrte das Volk Israel durch die Wüste, bevor es die Schwelle ins gelobte Land überschritt.

Seit einem Jahr leben wir global gesehen mit der Pandemie. Dazu ist viel gesagt und geschrieben worden, von Expert*innen und anderen schlauen Köpfen, von Moralaposteln und Selbstdarstellern. Auch haben wir in der Gemeinde, in der Familie und am Arbeitsplatz, ständig diskutiert und gestritten, was zu tun und was zu lassen ist. Wir haben oft geirrt und uns übereinander erhoben. Das hat uns mürbe und oft nicht nur unterschwellig aggressiv gemacht. Im Herbst zeigte sich dann ein Hoffnungschimmer am Horizont. Viele entwickelte Impfstoffe versprechen, dass wir aus dieser weltumspannenden Krise herauskommen oder sie zumindest eindämmen können, denn mit dem Virus müssen wir weiterhin leben. Frank Plasberg sagte zu Beginn seiner Fernsehsendung über erste positive Testergebnisse von Impfmitteln in „hart aber fair“ etwas lapidar: Endlich hat Gott angefangen, seine Arbeit zu tun.

Ja. Das sehe ich auch so. Gottes verlässliches Begleiten seiner Welt und seiner Menschheit sind auch in der Überwindung von Leid zu sehen. Die Impfstoffe sind auch Zeichen seiner Fürsorge für uns. Und die Menschen, die diese Impfgaben entwickelt haben, sind Co-Schöpfer*innen Gottes, die aktiv an der Erhaltung des Lebens mitgearbeitet haben. Wir sind geistbegabte Wesen, und Gottes Geist vermag durch unseren Geist das Leben vielfältig zu fördern. Die schnelle Entwicklung von Impfstoffen zeigt auch, wozu wir Menschen in der Lage sind, wenn wir über Grenzen hinaus unsere Ressourcen bündeln. Auch darin liegt in dem von vielen abgeschriebenen Jahr 2020 eine hoffnungsvolle Perspektive, die wir so sehr brauchen, damit andere Krisen überwunden werden können. Das gemeinsame Handeln kann zur Blaupause im nächsten Jahrzehnt und darüber hinaus werden.

Wenn aber die Überwindung von Leid durch uns Menschen eine Art ist, wie Gott die Welt regiert, nicht offensichtlich, aber verhüllt, ist dann nicht auch das Zulassen von Leid eine Art Feuerprobe für unser Menschsein und unseren Gottesglauben?

Ich weiß, diese Frage ist alt. Viele Menschen in Philosophie und Theologie haben sie zu beantworten versucht, meist unbefriedigend, weil diese Frage theoretisch – mit der Vernunft gesprochen – nicht ohne Aporien zu Ende gedacht werden kann. Auch das wussten die meisten ihrer Zunft. Dennoch haben sie versucht, eine Sprache dafür zu finden, und im Glaubensvolk, für die Menschen, die ihr Schicksal aus Gottes Hand nahmen, gab es dafür immer schon eine Sprache. Eine Sprache wie ein Zeichen einer Wolken- oder Feuersäule.

Unsere gegenwärtigen Kirchen allerdings bleiben da eher stumm, wie sie auch verstummten und es ihnen die Sprache verschlagen hatte, als im ersten Lockdown alle Kirchen in Deutschland für lange Zeit für die Öffentlichkeit geschlossen wurden. Es gibt eine Scham darüber zu sprechen, es gleicht einem Tabu, ähnlich wie es für die Dekonstruktivisten unmöglich war über die Liebe zu sprechen, ohne sie gleichzeitig damit schon zu zerstören.

Aber nicht über Liebe zu reden, hieße die Liebe zu verleugnen, und nicht über die Erfahrung von Leid aus Gottes Hand zu reden, hieße die Wirklichkeit, wie sie Glaubende erfahren, zu leugnen. Das aber führt zur Abspaltung und Verkümmerung des Glaubens selbst, da eine Wirklichkeit der Glaubenserfahrung nicht mehr in den Blick genommen wird. Mir kommt für diese Glaubenserfahrung ein altes Wort in den Sinn: Heimsuchung. Ich weiß, dieses Wort ist vielfach falsch benutzt worden und hat Ängste geschürt, hat die Menschen klein gemacht anstatt groß, ist zu Propagandazwecken und Machterhaltung durch kirchliche Institutionen und Personen missbraucht worden.

Dennoch möchte ich es am Ende des Jahres von der Pandemie als Heimsuchung reden und im Gespräch mit der Gemeinde danach fragen, ob es sinnvoll und hilfreich ist, neben Gottes Wirken in all dem Guten, das uns widerfährt, auch von Gottes Heimsuchung in all dem Bösen, das uns widerfährt, zu reden.

Heimsuchung verstehe ich hier nicht als Strafe für böse Taten oder gar als strafendes Gerichtshandeln Gottes an einer ungläubigen Welt, die seine Gebote nicht achtet, sondern ich versuche Heimsuchung anders zu verstehen. Sie ist ein Zeichen, dass Gott uns sucht, dass wir zu ihm heimfinden.

Zeigt nicht unsere Verletzlichkeit als Menschen, wie bedürftig wir sind? Hat uns das für viele gefährliche Virus nicht zurück in die Realität geholt, uns, die wir gefangen sind in unseren Schein-Realitäten? Hatten sich viele von uns nicht zurückgelehnt und es sich auf Kosten anderer gut gehen lassen, als lebten wir auf einer Insel der Seligen? Doch hart hat die Realität zugeschlagen und vieles, was wir für selbstverständlich hielten, ist zerbrochen.

Ist das nicht die Botschaft des Evangeliums, dass die, die zerbrochen sind und ein zerschlagenes Gemüt haben, bei Gott eine Heimat haben? Ist das nicht Heimsuchung, ein dringendes Rütteln am Kern des Menschseins, zur göttlichen Heimat seiner Existenz zurückzukehren?

Stattdessen haben wir Kirchen – wir, die dafür verantwortlich sind, die Frage nach Gott in unserer Gesellschaft offen zu halten – das Feld den Verschwörungstheoretiker*innen und den Hardlinern, die in allem das Gericht und die Strafe Gottes sehen, überlassen, und wir haben auch die Wissenschaft allein gelassen. Nur so konnte sie für viele zum Heilsersatz und zum einzigen Trost oder zur Furchtauslöserin werden.

Ich habe mich in dieser Zeit in einer spirituellen Wüste vorgefunden und die Kirche weithin als orientierungslos erlebt. Gottesdienste wurden und werden nicht mehr analog gefeiert. In den meisten evangelischen Gemeinden wurde die Feier des Abendmahls eigestellt. Gläubige konnten und können Gottes Gegenwart in Brot und Wein als Wegzehrung und Glaubensstärkung nicht mehr erfahren. Aus meiner Sicht ist den Kirchen – trotz vieler Aktivitäten im digitalen Raum und im eigenen Umfeld – in der breiten Öffentlichkeit nicht gelungen, den Menschen eine Sinndeutung der Pandemie anzubieten oder zumindest die Frage nach dem, was unser Menschsein ausmacht, zu stellen und den spirituellen Kern der Krise frei zu legen.

Wir haben mehr den Zahlen und Statistiken geglaubt als den Zeichen unseres Gottes, der verborgen und doch vernehmbar um uns und unser Vertrauen in aller Furcht und Angst geworben hat. Unsere Kirchen – und ich schließe mich darin ein – waren sehr kleingläubig und unser Glaubenszeugnis hat sich im Alltag verflüchtigt. Ich kann nur hoffen, dass Gott in vielen Menschen in aller Stille durch die Krise ein neues Fragen nach einer Gottesbeziehung ausgelöst hat, ein Bewusstsein der Verbundenheit, ja notwendigen Abhängigkeit von ihm und allen Menschen.

Wir stehen an der Schwelle eines neuen ungewissen Jahres, doch wir dürfen vertrauen: Gott geht mit. Gott hat sein Volk in der Wüste begleitet und den rechten Weg gezeigt durch eine Wolken- und Feuersäule. Tag und Nacht ist unser Gott ein mitgehender Gott, der unser Leben will, der nur Gutes für uns will und der uns selbst in der Heimsuchung zu sich und zur Gemeinschaft mit ihm und seiner gesamten Schöpfung ruft.

So dürfen wir getrost und in der Gewissheit von Gottes Geleit in das neue Jahr hinübergehen und immer wieder heimkehren zu Gott selbst. Amen.

 

 

 

Predigt Ewigkeitssonntag 2020, Über die Trauer, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

„Ich bin durch der Hoffnung Band zu genau mit ihm verbunden“ EG 526,3a

 

Liebe Gemeinde,

der Tod eines Menschen geht bekanntlich denen nahe, die in der gemeinsamen Lebenszeit mit ihm verbunden waren. Der Verlust hinterlässt nicht nur eine Lücke, mehr noch eine undurchdringliche Leere.

Es kann aber auch sein, dass der Tod eines nahen Menschen die Wunde wieder aufreißt, die der Verstorbene dem Hinterbliebenen zugefügt hat, dann werden nur zu oft Wut und Groll das Verhältnis zu dem Gestorbenen bestimmen.

Bleiben wir aber heute bei denen, die dem Verstorbenen überwiegend im Guten nahe waren, denen ihre Zuwendung und Liebe galt, die ihn schmerzlich vermissen. Eine klaffende Wunde hat ihr Tod geschlagen. Und das verschlägt uns die Sprache. Vor dem Schmerz werden wir schweigsam. Tränen liegen uns näher.

Wir trauern. Wir müssen Abschied nehmen und den Toten ziehen lassen, obgleich wir das nicht wollen. Die Tränen fließen einfach angesichts des Verlustes. Wir erfahren das Zerstörerische des Todes.

Der Tod trennte, was im Leben zusammen gehörte: Ehemann und -frau, Eltern und Kinder. Der Tod trennt und stellt vor Augen: Das Leben des Verstorbenen ist endgültig zu Ende. Er wird nicht mehr sichtbar, hörbar und fühlbar. Der Tod schweigt und macht den Gestorbenen schweigend, entzieht ihn den Lebenden. Wie sollte das nicht einschneidend sein?

Unsere Liebe findet keine fühlbare Gegenliebe mehr und in der Trauer irren wir schwankend umher, weil wir weiter auf Zeichen der Gegenliebe hoffen. Viele von uns müssen durch eine Phase der Verstörung hindurch um dann, wenn es sich fügt, aber niemand kann die Zeit, wann das eintritt, vorhersagen, im Glauben tastend zu erfassen, dass der Verstorbene nicht im Tod geblieben ist, sondern verwandelt in Gott weiterlebt. Das ist ja das Band der Hoffnung, die dem Glaube innewohnt und dessen er sich gewiss ist. Schon jetzt sind wir mit „der Hoffnung Band“ mit Gott verbunden. Wie sollte dieses Band nicht über den Tod hinaus bestehen, wo Gottes Liebe doch den Tod überwunden hat?

Doch wahr ist auch: Je stärker einer mit dem Verstorbenen zeitlebens verbunden war, je mehr er zu seinem Leben und zu seiner Liebe gehörte, desto schmerzlich ferner ist er ihm durch den Tod – doch auch wieder näher, weil sehnlich entbehrt. Und also ist der Schmerz der Trauer selbst ein Ausdruck der Liebe: und zwar der Liebe, die über den Tod des Geliebten hinaus geblieben ist und ihm weiterhin gilt. Wen wir lieben, den behalten wir lieb – ganz von selbst, solange wir leben.

Wir brauchen den Verstorbenen nicht krampfhaft festhalten, da wir ihn ja lieb behalten. Unsere Trauer und unser Leben brauchen nicht rückwärts gewandt sein. Wir können uns der Gegenwart und auch der Zukunft öffnen, auch wenn Traurigkeit immer wieder wie eine starke Welle über uns schwappt.

Wenn wir, die Trauernden überzeugt sind, dass die Verstorbenen bei Gott gut aufgehoben sind und eins mit Gott leben, dann können wir die, um die wir trauern ziehen lassen, ohne sie zu verlieren. Sie sind uns gegenwärtig in unserer Liebe und in unserem Herzen. Aber nicht nur da, sie sind gegenwärtig wahr und wirklich als die, die wir lieben und das Leben mit ihnen geteilt haben bei Gott selbst. Gott hat sie verwandelt. Alle Schuld, alles Schwere, alles Leid ist von ihnen abgefallen.

Wir können sie Gott überlassen, seiner unendlichen Liebe, der sie umfängt. Wir können uns wieder dem weitergehenden Leben zuwenden und darin neu unseren Weg finden. Gott gebe es.

In der Worten von Dietrich Bonhoeffer finden wir beides wieder;

Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag.  Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. (Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 608)

 

 

 

 

Predigt 1 Thessalonicher 5,1-11   Was wäre, wenn Jesus heute wiederkäme? Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

 

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr November 2020

Liebe Gemeinde,

In seinem Roman „Die Brüder Karamasow“ lässt Fjodor M. Dostojewski im Kapitel „Der Großinquisitor“ Jesus auf die Erde wiederkommen.

(Fjodor Dostojewskij: Die Brüder Karamasow, S.Fischer, Frankfurt am Main, 2006, in der Neuübersetzung von Swetlana Geier. Hier: Der Großinquisitor. Fünftes Buch, Kapitel V, S.397ff.)

Der Großinquisitor fragt Jesus: „Warum bist du gekommen, uns zu stören?“ (S.403) Jesus wird eingekerkert und am Ende entlässt der Großinquisator Jesus mit den Worten: „Geh und komme nicht wieder…. Komme nie mehr wieder…. Niemals, niemals!“ (S.424)

Was würden wohl die Kirchen und die, die das Sagen in der Welt haben, mit Jesus machen, wenn er heute wiederkäme?

Würden sie ihn, der ganz Wahrheit ist, aushalten?

Würden sie ihn, der ganz Liebe ist, aushalten?

Wer kann das schon, Jesus ganz aushalten?

 

Wer spürt nicht, dass wenn Jesus heue wiederkäme, er auch zum Gericht käme? Über uns und über die Welt, über das, was im Argen und im Dunklen liegt?

Sein Gericht würde hinüberfahren über alle, die die Wahrheit durcheinanderbringen, Lügen verschleiern als Wahrheit, mit ihrer Verdrehung der Fakten medial die Deutungshoheit beanspruchen und Menschen bewusst aufwiegeln. Nicht umsonst wird die mythologische Gestalt des Teufels in der Bibel Durcheinanderbringer genannt. Das erleben wir in vielen Varianten hautnah. Wir können uns dem nicht entziehen. Es ist wie so oft: Die Wahrheit stirbt zuerst im medialen Krieg. Das Internet, einst als demokratisches Medium gepriesen, der Beteiligung aller am Diskurs, ist heute zum großen Teil in den sozialen Medien ein Brandbeschleuniger von Hassbotschaften, Rassismus jeglicher Couleur und Verschwörungstheorien.

 

Lasst euch nicht durcheinanderbringen, würde Paulus uns heute schreiben. Auch nicht in Corona-Zeiten. Bleibt auf dem Weg. Bleibt bei Jesus. Ihr lebt nicht im Dunkeln und müsst auch nicht in Ängsten leben. Ihr seid Kinder des Lichts und Kinder des Tages.

Seid wachsam und bleibt nüchtern. Lasst euch nicht vernebeln, bleibt klar im Kopf, seid keine Schlafmützen.

Schützt euch aktiv vor Verwirrung und besinnt euch auf den Glauben, den ihr angenommen habt.

Damit spricht Paulus eine Dimension an, die uns auch heute helfen kann, unser Leben zu bestehen und im Glauben zu bleiben. Für mich ist es nämlich nicht so, dass Jesus erst am Ende der Tage wiederkommt, sondern er fährt schon heute hinein in unser Leben durch seinen Geist, richtet uns schon heute, richtet uns schon heute auf, gibt uns durch den Geist Gedanken ein, dass wir uns zum x-ten Mal versöhnen mit unserer Partnerin und unserem Partner, dass wir ein Auge haben für die, die sich zurückziehen und verstummen, dass wir Verantwortung übernehmen für einen Menschen, für eine Aufgabe.

Wir können Jesu Wiederkommen nicht verschieben auf den St. Nimmerleinstag, sondern Jesus kommt immer dann, wenn wir für ihn offen sind. Jesus kommt immer augenblicklich im Geist der Versöhnung, der Wahrheit, der Liebe und des Guten. Da Jesus im Glauben schon heute zu uns kommt, wird Jesus auch einst am Ende der Tage für alle sichtbar kommen.

Foto: Niklas Fleischer (co)

Klare Orientierung in allem Dunkeln gibt der Glaube an Jesus. Nicht aus uns selbst sind wir Kinder des Lichts und des Tages, sondern in Verbindung mit Jesus. Sein Licht leuchtet im Glauben in uns auf und macht uns widerständig gegen die Irrlichter dieser Welt und in uns selbst.

Im Glauben sind wir geschützt wie ein Mensch, der eine kugelsichere Weste trägt, um seine kostbare Gottesbeziehung – früher sagte man Seelenheil – zu bewahren. Auch schützt uns die Liebe zum Nächsten, die konkrete Hilfe für den anderen oder die andere, die Liebe zu allen Menschen als Geschöpfe Gottes. Sie ist nicht immer da, aber immer wenn sie da ist, dann ist Jesus wiedergekommen.

Ein Helm schützt uns vor der Verletzung unseres Kopfes. So kann die Hoffnung auf die Zukunft Gottes, auf das Wiederkommen Jesu, uns vor Resignation schützen. Es ist eine Hoffnung über den Zerstörer Tod hinaus. Wir sind stark oder schwach, ja, aber die lebendige Hoffnung, die Jesus uns durch den Geist schenkt, die ist groß, größer als wir, und kann uns durchtragen.

In diesem Sinn schließe ich mit Paulus Worten:

„Macht euch gegenseitig Mut und baut einander auf, wie ihr es ja schon tut.“ (1. Thess.5,11)

 

 

 

 

Predigt über Markus 2,23-28, Die Liebe zu Gott fragt nach dem Gebot der Stunde, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

Predigt Markus 2,23-28:  Die Liebe zu Gott fragt nach dem Gebot der Stunde

Zwanzigster Sonntag nach Trinitatis, Oktober 2020

Das Ährenraufen am Sabbat

23Und es begab sich, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. 24Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? 25Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, da er Mangel hatte und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: 26wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? 27Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.

Liebe Gemeinde 

in seinem Roman „Narziß und Goldmund“ lässt Hermann Hesse zwei grundverschiedene Charaktere aufeinanderprallen (Suhrkamp Taschenbuch 1975, Erstausgabe 1931). Auf der einen Seite den asketischen Narziß, der Gottes Gebote befolgt und ein Leben des Geistes und der Andacht, der frommen und strengen Selbstbeschauung führt, um Gott zu dienen, und auf der anderen Seite Goldmund, der ein sinnliches, künstlerisches Leben scheinbar fernab von Gott führt. In einem Gespräch sagt Narziß zu seinem Schüler Goldmund: „Die Liebe zu Gott – und Narziß sagt diese Worte nachdenklich und langsam – die Liebe zu Gott ist nicht immer eins mit der Liebe zum Guten. Ach, wenn es so einfach wäre! Was gut ist, wissen wir, es steht in den Geboten. Aber Gott ist nicht nur in den Geboten, sie sind nur der kleinste Teil von ihm. Du kannst bei den Geboten stehen und kannst weit weg von Gott sein.“ (Seite 37)

Am Ende des Romans zieht Narziß Bilanz über sein Leben und gerät in große Zweifel, ob er ein gottgemäßes und das heißt seinem Wesen entsprechendes Leben geführt hat. Denn gewiß, „vom Kloster aus, von der Vernunft und Moral aus gesehen, war sein Leben besser (als das sinnliche Leben Goldmunds, d.V.), es war richtiger, steter, geordneter und vorbildlicher, es war ein Leben der Ordnung und des strengen Dienstes, ein dauerndes Opfer, ein immer neues Streben nach Klarheit und Gerechtigkeit. … Aber von oben aus gesehen, von Gott aus gesehen – war da wirklich die Ordnung und Zucht eines exemplarischen Lebens, der Verzicht auf Welt und Sinnenglück, das Fernbleiben von Schmutz und Blut, die Zurückgezogenheit in Philosophie und Andacht besser als das Leben Goldmunds? War der Mensch wirklich dazu geschaffen, ein geregeltes Leben zu führen? … War er nicht von Gott geschaffen mit Sinnen und Trieben, mit blutigen Dunkelheiten, mit der Fähigkeit zur Sünde, zur Lust und Verzweiflung?“ (Seite 305 – 306).

Liebe Gemeinde,

es ist kein Leichtes gegen religiöse Ordnungen, aber auch gegen Gesetze und Regelungen, die Gott die Ehre geben wollen oder ganz schlicht den Menschen dienen wollen, zu verstoßen. Wer das macht, steht außerhalb der gültigen Gesetze, er oder sie steht außerhalb der menschlichen Gemeinschaft, die mit Gesetzen, Verordnungen und Regelungen einen Halt geben wollen, eine Sicherheit, gerade in Zeiten der Unsicherheit und eines drohenden Chaos. Wer ausschert, wird denunziert, bestraft, bestenfalls mit Unverständnis und Kopfschütteln bedacht: ihm und ihr wird Leichtsinn und Verrücktheit vorgeworfen. Das ist in unseren Tagen nicht anders als zur Zeit Jesu.

Nun geht es Jesus nicht darum, einfach religiöse Regeln zu brechen, als er ganz in sich ruhend im Streitgespräch mit den Pharisäern von der Selbstverständlichkeit spricht, dass die menschlichen Bedürfnisse über dem Sabbatgebot stehen. Den Hunger zu stillen, steht über dem religiösen Gebot, den Sabbat zu heiligen, denn der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat. Jesu Freiheit gegenüber den Geboten ist kein Selbstzweck oder eine Form von Selbstverwirklichung, keine Anarchie, sondern ganz an den bedürftigen Menschen gebunden. Dass Jesus sich diese Freiheit genommen hat, hat ihm Ablehnung, Verruf und schließlich den Tod gebracht. Jesus fragt nicht nach einem ewig gültigen (religiösen) Gesetz, sondern er fragt danach, was das Gebot der Stunde ist, wie sich Gottes Liebe im Augenblick zeigt und vollzieht.

Liebe Gemeinde,

mir geht das Gespräch letzter Woche mit einer älteren Dame durch den Kopf. Seit Frühjahr ist ihr ein Kontakt nach dem anderen weggebrochen. Sie hält sich streng an die Corona-Regeln, geht kaum nach draußen, wagt kein Gespräch mehr auf offener Straße, geht nur schnell zum Einkaufen in den nächsten Laden. Selbst ein Spaziergang im Wald ist ihr unheimlich, da sie ja nicht weiß, ob ihr jemand joggend begegnet und sie ihn oder umgekehrt sich selbst gefährden könnte. In ihrer kleinen Einzimmerwohnung lebt sie zurückgezogen und verkümmert mehr und mehr. Das Ansteigen der Infektionszahlen macht ihr große Angst, die dunkle Jahreszeit auch. Ihre Einsamkeit treibt sie zur Verzweiflung. Ihre Seele leidet Pein. Sie weiß, sie ist nicht die Einzige, anderen geht es noch schlechter als ihr, aber ist das ein Trost?

Ich glaube, Jesus hätte die Frau aufgesucht und in den Arm genommen. Sie hätte gespürt, ich bin ein Mensch, ein Kind Gottes.

Ich denke an Franziskus, von dem erzählt wird, dass er seinen Ekel überwand und einen von der Pest gezeichneten Fremden küsste und ihn mit „Bruder“ ansprach.

Ich denke an den Seelsorger, von dem erzählt wird, dass er im Frühjahr vor Gericht geklagt hat, ein Pflegeheim besuchen zu dürfen, um ein sterbendes Gemeindeglied zu begleiten.

Wir Menschen sind nicht für ein einsam, abgeschiedenes klösterliches Leben geschaffen. Wir brauchen Berührung, Gespräch und Gemeinschaftserfahrung. Die seelische Belastung durch Corona-Regeln ist groß geworden und kehrt jetzt mit Macht wieder. Kinder warnen ihre Eltern davor unter Menschen zu gehen. Sie sollen möglichst jeden Kontakt vermeiden. Immer mehr ältere Menschen sind eingeschüchtert. Die Informationsflut bedrängt alle Seelen. Viele News auf unseren Smartphones liefern eine Hiobsbotschaft nach der anderen und vernebeln unseren Geist. Manchmal kommt es mir vor, als würde unser eigenes Denken und Urteilen in diesen Zeiten für schlecht angesehen. Jedes Handeln, jeder Schritt wird moralisch in richtig oder verwerflich eingeteilt. Die vielen Schattierungen, die das Leben hat, werden nicht mehr erfasst und gewürdigt.

Ich weiß, wir haben als Gesellschaft seit dem Lockdown im Frühjahr dazu gelernt. Es hat mich gefreut am Freitag in der Zeitung zu lesen, dass in Deutschland einheitliche Regeln für Besuche in Alten- und Pflegeheimen erarbeitet werden sollen. Der Fehler, die Schutzbedürftigen gänzlich zu isolieren, soll nicht noch einmal wiederholt werden. Auch Schutzbedürftige – ja gerade sie – brauchen persönliche Nähe und Kontakt zu ihren Angehörigen. Die Abwägung ist nicht einfach und fordert von allen ein feines Fingerspitzengefühl.

Wenn ich das Evangelium höre, frage ich mich, was das Gebot der Stunde ist. Sicherlich lässt sich das nicht für alle gleich beantworten, und jede und jeder muss sich selbst fragen, was zu tun oder zu lassen ist.

In dem erwähnten Gespräch habe ich die ältere Dame nicht umarmt. Sie hat aber immer wieder meinen Hund Kalle gestreichelt. Als hätte Kalle gespürt, dass es ihr gut tut, dass sie ihn streichelt, ist er immer wieder zu ihr gegangen. Als sie sich verabschiedet hat, sagte sie: „Es tat gut zu sprechen, das Beste aber war, Kalle zu streicheln.“

Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir in diesen Zeiten nicht ständig in die moralische Falle tappen, einander zu verurteilen, sondern wirklich nach den Bedürfnissen der Menschen fragen. Alte Menschen haben Bedürfnisse, junge auch. Wir alle.

Wie können sie gestillt werden?

Die scheinbar nebensächliche Geschichte vom Ährenraufen am Sabbat ist für das Verständnis der Biographie Jesu und ein Leben im Geiste Jesu von Bedeutung, da sie ein für alle Mal klar macht: Die Liebe zu Gott zeigt sich in der Liebe zum Menschen: Diese Liebe ist größer als jedes Gebot – auch als jede Corona-Regel.

Wir können das Leben nicht bis in alle Einzelheiten regeln. Es gibt keine absolute Sicherheit. Nicht die Gesundheit ist unser Gott, sondern Gott, der uns gesund erhält und uns auch in Krankheit beisteht. Das befreit uns nicht von sinnvollen Regeln und Handeln, schenkt uns aber Freiheit unsere Nächsten höher zu stellenals (religiöse) Gebote.

Das ist keine billige Freiheit, sondern eine teure, da wir mit unserem Leben dafür einstehen müssen. Hermann Hesse hat den Grundkonflikt von Gebot und Gehorsam und von Gebot und Freiheit in „Narziß und Goldmund“ skizziert.

Jesus, der Menschensohn, ist Herr über den Sabbat. Das Evangelium erinnert uns daran zu fragen: Was ist das Gebot der Stunde? Lassen wir uns von der Angst leiten oder von der Liebe?

Mögen wir stark sein, selbstverantwortlich handeln, Mut haben und auf Gottes Geist hören.

Amen

 

Predigt über 5. Mose 30, 14, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

Denn es ist das Wort ganz nah bei dir   5. Mose 30,14

Es war ein alter Mann. Sein Körper war verbraucht. Er ahnte, dass er bald sterben würde. Seine Frau Elfriede umsorgte ihn Tag und Nacht. Auf sie konnte er sich verlassen. Sie saßen oft schweigend in den alten Sesseln. Ein runder niedriger Tisch stand vor ihnen. Darauf lag eine Decke, bestickt von seiner Frau Elfriede. Im Hintergrund war eine Nische. Dort stand ein altes Radio. Oft saßen sie da, hörten eine Sendung oder einfach nur Musik. Sie waren einander vertraut. Gustav sagte zu Elfriede: „Hol die Brüder aus der Gemeinde. Ich will noch einmal mit ihnen reden.“

Es war alles vorbereitet. Der alte Mann hatte sich mit seiner letzten Kraft und Hilfe den schönen Morgenmantel angezogen. Er war grau und hatte weinrote Streifen. Darin sah er auf seine Art vornehm aus trotz seiner Hinfälligkeit.

Es klingelte. Die zwei bekannten Brüder aus der Gemeinde traten ein. Sie legten ihre Mäntel ab und nahmen am kleinen runden Tisch Platz. Nach der kurzen Begrüßung war es eine Zeit lang still. Elfriede stand auf, holte eine Kerze, stellte sie auf den kleinen runden Tisch und entzündete sie.

Es breitete sich eine friedvolle Atmosphäre aus. Helmut, einer der Brüder, fragte Gustav, ob er eine Karte ziehen wolle. Auf den Karten standen – ähnlich wie in den Losungen – Bibelverse. Stumm zog der alte Mann eine Karte. Lesen konnte er nicht mehr. Sein Augenlicht war zu schwach. Helmut las: „Wenn du aber getreu bist bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“

Das Licht der Kerze flackerte. Elfriede saß versunken da und Tränen rollten ihr über die Wangen. Sie schämte sich nicht.

Dann fing Gustav an leise und stockend zu sprechen: „Schon dreimal habe ich diese Krone gesehen. Es war letzte Nacht. Ich konnte nicht gut schlafen. Ich träumte schlecht und hatte Angst. Dann war da plötzlich ein Frieden.“

Alle schwiegen. Es war genug gesagt.

Als die Brüder gingen, saß Elfriede noch lange neben Gustav. In der Nacht starb ihr Mann.

Am nächsten Morgen kam der Bestatter. Sie betteten Gustav in einen Sarg und trugen den Sarg die Treppe herunter. Unten ging die Tür auf. Hier wohnte der Enkel. Er sah wie der Sarg hinausgetragen wurde. Der Sarg war offen und er konnte seinen toten Opa sehen. De Sarg war weiß ausgeschlagen. Eine weiße Decke ragte dem Toten bis zum Kinn. Das schneeweiße Haar, das bleiche Gesicht aus dem alles Leben gewichen war, erschreckte den Enkel bis ins Mark.

In seinen Träumen sah er immer wieder das blasse Gesicht seines Opas. Es machte ihm Angst.

Eines Tages nach der Schule ging der Enkel zu Oma. Sie stand in der kleinen Küche und bot ihm ein Glas Rotbäckchensaft an. Sie setzten sich an den runden Tisch.

„Oma, bist du gar nicht traurig, dass Opa gestorben ist?“

„Doch, ich bin traurig“, sagte die Oma. „Ich weine viel. Doch ich weiß, Opa ist jetzt zuhause.“

„Wo ist denn sein zuhause?“ fragte der Enkel.

„Sein zuhause ist bei Gott.“

Und dann erzählte Oma dem Jungen, was Opa halb gesehen und halb geträumt hatte. Dass er einen Bibelvers gezogen habe, darauf stand: „Du wirst die Krone des Lebens empfangen.“

„Diese Krone hat Opa dreimal gesehen.“

Das Bild mit der Krone prägte sich dem Enkel ein. Es begann das Schreckensbild des bleichen Gesichts zu überlagern.

Dann und wann kam es noch mal hervor, aber das Bild der Krone blieb.

Joachim Leberecht