Eines meiner früheren Lieblingssprichworte ist mir inzwischen sehr fragwürdig geworden.
Es lautet: „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“ Warum ich diesen Satz in Erinnerung habe und wo ich ihn das erste Mal gehört habe, weiß ich nicht. Auch dass er Friedrich Nietzsche zugesprochen wird, ist mir erst später bekannt geworden. Davon soll auch dieser kurze Text handeln.
Ich weiß, dass mir dieses Sprichwort schon seit meiner Kindheit bekannt ist. Daher möchte ich kurz schildern, in welchem Zusammenhang ich dieses Wort früher gesehen habe. Dies hat mit einem Gefühl der Schwachheit oder der Schwäche zu tun. In der Tat habe ich mich von Kind an immer ein wenig schwach gefühlt; sportlich Schwache waren in der Klasse weniger angesehen. Zumindest habe ich das so gefühlt oder meinte es so zu erleben. Schwachheit war eigentlich ein Allgemeinzustand, den ich zu akzeptieren gelernt habe, woran auch die eine oder andere gute Note nichts änderte, denn man wollte ja andererseits nicht als Streber gelten.
Es gab aber auch Ressourcen, mit diesem Gefühl der Schwachheit produktiv umzugehen, Erfahrungen oder Kompetenzen, mit denen ich dagegen halten konnte; das Wort „Ressourcen“ kannte ich damals noch nicht. Ich engagierte mich politisch und war gläubig, religiös sozialisiert und im evangelischen Jugendverband CVJM tätig. Die Schwachheit war damit nicht verschwunden, aber erträglich geworden. Sie flammte in der Pubertät noch einmal auf, trat dann aber in den Hintergrund.
Ich kann aber gar nicht sagen, dass heute das Problem nicht mehr besteht. Es gibt nach wie vor Situationen, in denen ich mich wie gelähmt fühlen kann. Schwachheit ist also nicht nur eine Frage der Entwicklung. Gerade dann, wenn von mir Stärke explizit erwartet wird oder ich sie selbst von mir fordere, fühle ich manchmal besonders schwach. Es kann Situationen geben, in denen ich mich nach wie vor hilflos fühle. Im Allgemeinen ist der Alltag davon aber nicht bestimmt. Wie schon damals bleibt mir nichts anderes übrig, als meine Schwächen zu akzeptieren und gleichzeitig Verhaltensweisen und Kontakte zu finden, die für mich zur Stärke werden konnten. Wenn es mir manchmal nicht so gut ging oder ich mich etwas schwächer fühlte, dann sagte ich laut oder leise zu mir: „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“ Doch hat mir das wirklich geholfen? War es nicht einfach eine Durchhalteparole? „Krisen machen nicht stärker – aber klüger, Einwurf, Christoph Fleischer, Welver 2015“ weiterlesen