Zum Frieden mahnen, Rezension von Konrad Schrieder, Hamm 2019

Zu: Kai Brodersen (hg.): Erasmus von Rotterdam. Die Klage des Friedens, Zweisprachige Ausgabe, Leinen mit Papierumschlag, Marix Verlag, Wiesbaden 2018, 160 S., ISBN 978-3-7374-1092-2, € 6,00.

Schon der Titel „Klage des Friedens – Querela Pacis“ der Schrift des Humanisten und Zeitgenossen Martin Luthers Erasmus von Rotterdam weckt Interesse. Es war die Zeit Karls I. von Spanien und Burgund, dem späteren Kaiser Karl V., der 1517 Philipp von Burgund zum Bischof von Utrecht wählen ließ, dem sie gewidmet ist. Die Türken standen mit ihrem Heer vor Wien, und das Christentum sah sich vor die Aufgabe gestellt, seine Identität zu verteidigen. Doch die vorreformatorische Welt war bereits theologisch tief gespalten in Thomisten und Scotisten, den sogenannten Realisten und Nominalisten (13, 37). Politisch war Deutschland nicht nur in zahllose widerstreitende Fürstentümer zerfallen, aber auch in Europa bekämpften sich sie Heilige Liga Papst Julius II. und Frankreich, das zunächst aus Italien herausgedrängt werden konnte, später aber durch die Eroberung der Eidgenossenschaft wieder zu einem bestimmenden Machtfaktor heranwuchs.

Erasmus gründet seine Klage darüber, dass Christen gegen Christen kämpfen mit dem Einheitsgebot aus Joh. 17 (45) und leitet daraus ab „dass dort kein / Frieden sein kann, wo Gott nicht anwesend ist, und dass Gott dort nicht sein kann, wo kein Frieden anwesend ist“ (41 f.). Er zieht daraus zum einen die provokante Schlussfolgerung, dass Könige, die sich schon mit dem Blut von Heiden befleckt haben dies umso mehr tun, wenn durch sie Christen ihr Leben lassen müssen (43). Wenn Christus nicht einmal Eintracht und Freundschaft unter Christen bewirkt habe, wozu seien dann Zeremonien und Messopfer (sacrificium) notwendig? (52, 118). Selbst unter Tieren fressen sich gleichartige Tiere nicht auf (57, vgl. 34). Aber Erasmus will eher vermitteln als anklagen. Das geschundene Frankreich und sein König Franz I. sind für ihn zwar Sinnbild des Friedens (56, 87), aber auch die Autorität des Papstes und Karls I. fordert er bedingungslos ein (66, 87). Den Fürsten hält er einen Fürstenspiegel vor, sorgfältig abzuwägen, ob Kriege und ihre Folgen und die gängige Heiratspolitik geeignete Mittel sind, Glück und Macht zu erhalten. Denn an letzteren hat die gesamte Bevölkerung Anteil, für die die Fürsten die Verantwortung tragen (67, 69, 79 f., 70, 86, 88). Grundlage muss immer das anfangs formulierte dreifache ethische Axiom bleiben: „Einen Liebenden von sich zu stoßen ist nämlich in jedem Fall unmenschlich; sich von einem, der sich verdient gemacht hat, abzuwenden, ist undankbar; den Begründer und Erhalter von allem zu misshandeln aber ist gottlos“ (27). So ist der Krieg gegen die Türken, wenn er sich nicht vermeiden lässt, das kleinere Übel als ein Kampf der Christen untereinander (73). Aber besser ist es, durch christliches Vorbild und Unterweisung „die Türken an die Religion Christi heran[zu]führen“ (83, vgl. 73).

Erasmus bedient sich in seinem Traktat an vielen Stellen eines offensiv-polemischen Stils (55, besonders ab S. 77), der durch viele rhetorische Fragen an Dringlichkeit gewinnt. Immer wieder führt er Beispiele aus der Mythologie, der griechisch-römischen Antike und gleichermaßen aus den Schriften der Bibel an, um die Gefahren und Folgen zu markieren, die das Handeln der Fürsten in sich birgt. Es handelt sich um eine verzweifelte Klage. Dieses Wachrütteln darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Erasmus zutiefst irenisch denkt und die Einheit des christlichen Abendlandes heraufbeschwört, eine Einheit, die im ausgehenden Mittelalter zumindest geistesgeschichtlich noch real existent war.

An diesem Punkt stellt sich der Ertrag für den heutigen Leser. Ein friedlicher Umgang miteinander in einer pluralistischen Gesellschaft kann nur gelingen, wenn es allgemein anerkannte Werte gibt, die von allen beachtet werden, wenn diese Werte allen Menschen dienen und wenn sie nicht an ein subjektives Empfinden rückgebunden sind, sondern an eine objektive Instanz, die außerhalb der Interessen des Einzelnen liegen. Die Alternative von Realismus und Nominalismus ist mit der Entdeckung einer metaphysischen Anthropologie in einigen theologischen Ansätzen des 20. Jahrhunderts aufgebrochen worden. Die Rückbindung an eine metaphysische Anthropologie führt vom Subjektivismus weg und bindet die Werte an ein absolutes Sein, das nicht von uns abhängt, aber von uns erkannt werden kann (Erkenntnismetaphysik). Es wäre interessant, hier im Blick auf die Friedensthematik weiterzudenken.

Brodersen hat mit seiner Neuübersetzung eine gut verständliche und sachgemäße Übertragung dem kritischen Text von Otto Herding, Freiburg im Breisgau, von 1977 vorangestellt. Zwar finden sich unter dem lateinischen Text die jeweiligen Seitenangaben der deutschen Übersetzung. Ein zweisprachiges Gegenüber würde jedoch das Blättern ersparen und den Urtext präsenter werden lassen, der einen kritischen Apparat vermissen lässt. Eine ausführliche Einleitung ordnet die Schrift in seinen geschichtlichen Kontext ein. Als gebundene Ausgabe ist dieses Büchlein eine heute eher seltene bibliophile Erscheinung und dafür zu einem sehr günstigen Preis zu haben.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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