Joachim Leberecht: Predigt, Gottesbegegnung im Traum, Herzogenrath 2025

 

Predigt Genesis 28, 10-19                                   14. Sonntag nach Trinitatis, 2025

„Und ihm träumte, und siehe eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen darauf auf und nieder.“ (V.12)

Liebe Gemeinde,

haben Sie es auch gehört? Jakob träumt und sieht eine Leiter, die von der Erde bis zur Spitze des Himmels reicht. Es ist die Himmelsleiter. So weit haben viele von uns dieses eindrückliche Bild und die sprichwörtlich gewordene Himmelsleiter vor Augen. Auch das die Engel etwas mit der Leiter zu tun haben wissen wir noch irgendwo hinten in unserem Kopf. Doch in meinem Kopfkino kommen die Engel vom Himmel zur Erde, sagen Jakob die Botschaft Gottes weiter, und steigen wieder die Leiter hoch. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Luther übersetzt das Hebräische genau: „Und siehe, die Engel Gottes stiegen darauf auf- und nieder.“ Das ist bewusst formuliert. Zuerst der Aufstieg, dann der Abstieg. Die Engel sind hier nicht Boten Gottes, sondern Boten Jakobs. Sie steigen von der untersten Leitersprosse auf zu Gott – wie es auch unsere Gebete tun. Der Traum ist eine besondere Form der Wahrnehmung, Ausdruck unseres Unbewussten oder wie hier in dem alten hebräischen Denken eine besondere Bild- und Zeichensprache, die den Menschen mit Gott verbindet. Nicht irgendein Mensch. Es ist Jakob. Er ist der direkte Nachkomme von Isaak. Und Isaak ist der direkte Nachkomme von Abraham, dem Vater des Glaubens. Hier beginnt die Geschichte Gottes mit seinem Volk.

Ein Stein als Kopfkissen

In der Nacht kommen wir unseren Sehnsüchten und unseren Ängsten nah. Jakob ist allein. Ganz allein in der weiten Landschaft. Wir alle kennen Nächte, wo wir ganz auf uns selbst zurückgeworfen sind. Es ist schon viel, wenn wir einschlafen und die sorgenvollen Gedanken fahren lassen können. Manchmal wälzen wir das Kopfkissen so lange hin und her, bis wir endlich einschlummern können. Jakob hat kein Kopfkissen, aber er sucht sich einen passenden Stein, wo er seinen Kopf leicht erhöht, ablegen kann. Sich hinlegen, sich ablegen, ruhig werden, still werden und in den Schlaf hineingleiten ist etwas Wunderschönes. Nicht einschlafen zu können ist eine Plage, macht nervös und unruhig.

Jakob auf Wanderschaft

Jakob kann schlafen. Er ist auf Wanderschaft. Er ist aufgebrochen in eine ungewisse Zukunft. Er hat seine Heimat und alle, die er lieb hat hinter sich gelassen. Es ist seine erste Nacht in der Fremde. Sein Traum ist besonders lebhaft. Es scheint, dass die verborgene Welt um ihn weiß. Die Engel begleiten ihn. Sie gehen die Leiter hoch und stellen die Verbindung zum Höchsten her. Jakob ist allein, aber von Gott nicht verlassen. Was für ein. tröstlicher Traum für den einsamen Wanderer Jakob, der nicht weiß, wie er leben soll – auch mit seiner Schuld. Die Engel verbinden ihn mit Gott. Hat er auch Vater und Mutter verlassen und seinen Bruder, vor dem er sich fürchtet, weil er ihn bestohlen hat, ist er doch von Mächten umgeben, die ihn schützen. Allein auf sich zurückgeworfen ist er auf Gott geworfen. Die Engel in seinem Traum sind seine Fürsprecher. Sie sorgen dafür, dass seine Verbindung zu Gott nicht abreißt. Sie nehmen ihn, der am Boden liegt, Stufe für Stufe mit, dass Jakob schlussendlich im Traum Gott zu sich reden hört: „Ich verlasse dich nicht. Du und deine Nachkommen sollen allen Geschlechtern auf Erden zum Segen werden.“

Das ist keine alltägliche Erfahrung. Jakob macht sie. Aber nicht, weil er es will. Sie wird ihm geschenkt. Sie widerfährt ihm. Sein Traum ist der Ort der Gottesbegegnung.

Der Glaube fällt nicht vom Himmel.

Wenn es ums Eingemachte in unserem Leben geht, können wir nichts machen. Wir können nur still sein und lauschen, welche Hinweise und Ahnungen unsere Seele uns vermittelt. Alles, was wir brauchen, ist in uns. Wir müssen nur vertrauen und manchmal richtiggehend lernen auf uns zu hören. Jakob sieht und hört. Es ist nichts Neues, was er hört. Denn er steht in einer Geschichte. Einer Geschichte der Verheißung Gottes für seinen Vaters Isaak und seiner Mutter Rebekka. Und zuerst für seinen Großvaters Abraham und seiner Großmutter Sarah. Der Glaube fällt nicht vom Himmel. Der Traum auch nicht. Sie sind angelegt. Sie haben Wurzeln, die tief ins Erdreich reichen und die sogar Luftwurzeln in Form einer Himmelsleiter bilden.

Wir Menschen sind Wesen zwischen Himmel und Erde. Wir sind irdisch und   zum Himmel hin aufgerichtet.

Die Geschichte Abrahams, Isaaks und Jakobs geht weiter – bis heute. Sie wird erzählt und damit wird ein Erfahrungsraum für den Himmel geöffnet. Es gibt eine Leiter zum Himmel, zu der verborgenen Wirklichkeit, die wir Gott nennen.

Jakob ist aufgebrochen in ein neues Leben. Sein Leben wird von Gott begleitet. Auch in unserem Leben gibt es Aufbrüche. Vielleicht mehr als wir denken – bis ins hohe Alter hinein. Wir sind unterwegs, selbst wenn sich äußerlich wenig ändert. Wir leben mit dem, was uns begegnet. Eine gute Nachricht. Eine schlechte Nachricht. Eine verrückte Welt voller Gewalt und Umbrüche. Eine wunderbare Welt voller Leben, Einsatz für den Frieden und Menschlichkeit. Zeichen der Fürsorge und Güte Gottes.

Jakob hat den Zuspruch Gottes gehört.

Jakob war auf der Flucht. Er fürchtete um sein Leben. Er war allein und doch nicht allein. Jakobs Engel haben ihn mit Gott verbunden. Jakob hat den Zuspruch Gottes gehört. Wir alle brauchen Zuspruch. Ermutigung auf unserem Weg. Und sei es, dass wir uns mit unseren kleineren und größeren Macken annehmen können, letztlich mit dem, wie wir geworden sind. Auch Schuld und Brüche gehören zu unserem Leben. Dennoch nimmt uns Gott an, kappt nicht die Verbindung. Zeigt uns den nächsten Schritt.

Hinweise für unseren Weg können Träume sein in denen Gott zu uns spricht. Du bist nicht allein. Du kannst dich mit Gott verbinden und gleichzeitig verbindet sich Gott mit dir durch Engel und Zeichen am Wegesrand. Und wir selbst können auch zu Engeln werden für andere, die wir trösten und ermutigen durch Worte und einfach, dass wir da sind. Es geht um Verbindung. Nicht in der Theorie, sondern in der Praxis. Jakob hat gesehen und gehört, dass er mit Gott verbunden ist. Das war eine überwältigende Erfahrung.

Hier ist mir Gott begegnet. Dafür hat er seinen Stein, auf dem er in der Nacht seinen Kopf abgelegt hat, aufgerichtet. Ein Gedenkstein. Ein heiliger Ort für ihn. Ein Stein, der seine Gotteserfahrung repräsentiert. Ein Stein aus dem später Beth-El wurde. Ein Haus des lebendigen Gottes. Bleiben wir unterwegs, ob unser Radius klein oder groß ist, das macht nichts, überall können wir uns zu Gott aufmachen und Gottes Botschaft hören, selbst im Schlaf.

Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025, Rezension zu Hartmut von Sass: Atheistisch Glauben. Ein theologischer Essay,

Matthes & Seitz, Berlin 2024. Vierte Auflage

Gott atheistisch gedacht

Gott hat nach dem Theologen und Religionsphilosophen Hartmut von Sass keine Geschichte, dennoch können Geschichten von ihm erzählt werden, wie etwa biblische Geschichten. In seinem Essay Atheistisch glauben entfaltet Hartmut von Sass keine Gotteslehre, sondern entwirft eine Architektur des Glaubens im 21. Jahrhundert. Im neuen Haus des Glaubens schreibt von Sass christliche Tradition fort und plädiert für einen existentiellen Glauben, der sich im Alltag und in der Welt bewährt.

Gott als Person hat ausgedient

Es ist von Sass wichtig zu zeigen, dass der Glaube auch dann nicht zu Ende ist, wenn es keine andere Welt neben dieser Welt, etwas ein Jenseits oder Gott als Subjekt (Person) gibt. Im Gegenteil: Glaube (ohne Netz) macht die Welt neu und Erfahrung des Glaubens schenkt eine neue Sicht auf die Welt. Hartmut von Sass unternimmt nichts Geringeres, als einen Glauben ohne Gott (Subjekt) zu skizzieren. Einen solchen Glauben bezeichnet er als atheistisch. Jegliche Metaphysik und jeglicher Theismus sind darin überwunden.

Der Glaube bereichert die Welt

Da der Glaube ein „menschlich Ding“ ist, ist er ein Weltaspekt, der neben anderen Weltaspekten und Zugängen, wie etwa ein naturwissenschaftlicher oder ein ökonomischer die Welt bereichert. Anhand der Ästhetik (Kunst) macht Hartmut von Saß deutlich, dass der Weltzugang immer mit dem Rezipienten zu tun hat. Darin ähneln sich Kunst- und Glaubenserfahrungen. Glauben wird als eigenständige religiöse Erfahrung in der Welt als gleichberechtigt gegenüber anderen Sicht- und Zugangsweisen zur Welt verortet. Dieser Glaube steht nicht in Widerspruch zu wissenschaftlichen Aussagen, auch kennt ein solcher Glaube keine Theodizee. Wo kein Gott ist, der rettend in die Welt eingreift, ist eine Theodizee überflüssig. Damit werden auf einem Schlag viele theologische Fragestellungen ad absurdum geführt. Nicht das Warum ist die entscheidende Frage, sondern das Wohin. Wie bewährt sich der angefochtene Glaube in Krisen und Leiden, ist eine weiterbringende Fragerichtung.

Glaube als Modus

Hartmut von Sass spricht von einem modalen Glauben. Im Modus des Glaubens leben und seine ganze Existenz darin verorten, qualifiziert das Leben als religiös. Wenn auch Hartmut von Sass die theologische Rede von einem handelnden Gott atheistisch verneint, so spricht er von Gott als Macht, die in menschlichem Leben wirklich wird. Gott ereignet sich. Diese Wirklichkeit Gottes ist und bleibt gebunden an der menschlichen Erfahrung. Außerhalb der menschlichen Erfahrung kann diese Wirklichkeit nicht qualifiziert werden. Wobei Hartmut von Sass festhält, dass Gottes Offenbarung nichts anderes sein kann als seine Liebe (1 Joh 4,16).

Eschatologie im Hier und Jetzt

Da Gott sich im Hier und Jetzt ereignet, entwickelt Hartmut von Sass im johanneischen Geist eine präsentische Eschatologie. Ein ewiges Leben bei Gott jenseits des Todes, etwa in „Gottes neuer Welt“, gehört bei ihm nicht zur Architektur eines modernen Glaubens. Hartmut von Sass bleibt sich treu, lediglich aus religiösen Erfahrungen über Gott zu reden. Da es keine Erfahrungen jenseits des Todes gibt, endet mit dem irdischen Leben das Leben selbst (Ganztodthese).

Ohne Gott an Gott glauben?

Der Mythos erzählt von Gott als handelndes Subjekt. Immer wieder wurden religiöse Erfahrungen von Menschen in einem komplexen Geflecht in Sprache, Glaubenssätze und später Dogmen überführt. Das sehen wir besonders in der Christologie, wie aus Jesus von Nazareth dem Menschensohn der Gottessohn wurde. Aus meiner Sicht nimmt Hartmut von Saß dem christlichen Glauben das Geheimnis, wenn seine Architektur des Glaubens nur religiöse Erfahrungen gelten lässt, nicht aber ein systematisch-theologisches Denken darüber, welche Macht hier erfahren wird. Wer oder was offenbart sich hier? Wer oder was entzieht sich hier? Wie kommt es zu einer religiösen Erfahrung oder gar Gewissheit? Ferner: Am Anfang steht der Mythos. Die Gotteserfahrung wird mit der Sprache des Mythos gedeutet. Daraus entstehen Glaubenssätze, die überliefert werden. Die Ähnlichkeit und Differenz zwischen Mythos, Erfahrung und Dogma (Vernunft) führt in eine produktive Spannung in der Ökumene, im Dialog der Religionen, im Gespräch mit modernen Wissenschaften und im Lebensvollzug (Ethik/Kultur).

Die Produktivität der Spannung zeigt und löst sich im theologischen Ansatz Hartmut von Sass auf: Ohne Gott an Gott zu glauben. Wie aber kann der Glaube ohne Gottes Handeln den Mythos bewahren? Und ist atheistisch Glauben nicht unter der Hand ein neues Dogma?

Joachim Leberecht