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Günter Sünner: Seelenlandschaften, Spirituelle Orte in Deutschland, Scorpio Verlag München, 2025, Broschur, 238 Seiten, ISBN: 9783958036291, Preis: Print – 29,00 Euro
Zum gleichen Titel gibt es einen Film, der über das Internet gebucht werden kann (Stream bei Cosmic Cine TV und Sooner
DVD bei CFSunfilm und im Info3-Shop, Trailer hier). Weitere Informationen auch hier:https://www.ruedigersuenner.de/seelenlandschaften/.
Warum ist hier von „Seele“ die Rede?
Der Begriff „Seelenlandschaften“ gibt Rätsel auf. So referiert Günter Sünner zunächst einige Gedanken zum Thema Seele und knüpft dabei an AutorInnen und Künstler der Romantik an. Kurz gesagt: „Das Wort `Seele` wird eingesetzt, um ein raumgreifendes Sich-Ausbreiten unserer Emotionen zu beschreiben, die hinausdrängen[…]“ (S. 11).
Seine inhaltliche Anknüpfung ist ein Nachdenken über Landschaften in England, Schottland und Irland mit uralten Burgruinen, Kapellen, megalithischen Altären und Begräbnisorten. In Deutschland gibt es solche Orte auch, diese fügen sich aber oftmals unscheinbar in die Landschaft ein: Externsteine, Loreley, Brocken, Teufelsmauer und die Steilküste auf Rügen. Dass jedem und jeder dazu noch weitere steinerne Denkmale einfallen, besonders im nahen Umfeld, ist denkbar klar. Mir fehlen z. B. die Felsen im Hönnetal, die steinernen Riesen der sächsischen Schweiz und die Tropfsteinhöhlen.
Besondere Landschaftsformationen bekommen besondere Namen
Doch damit ich daran denke, funktioniert dieses Buch ja gerade richtig
Günter Sünners Ausführungen regen an über Seelenlandschaften nachzudeknen, sich bewusst zu werden, dass Landschaften aufgeladen sind , vielleicht sogar eine eigene Seele haben.
(inwieweit der Seelenbegriff hier treffend ist, weiß ich nicht, jedoch wird der Begriff Seelenlandschaft sofort mit Gefühlen assoziiert. Andere sagen Kraftorte, energetisch aufgeladene Felder, magische Orte etc.. Den Aspekt der räumlichen Ausdehnung fängt Seelenlandschaft gut ein).
Ich frage mich: Wie oft bin ich selbst Seelenlandschaften schon begegnet und welche müsste ich noch einmal aufsuchen? Das Buch lädt zu einer solchen Deutschlandreise ein. Wo ist eigentlich der Kyffhäuser? Wo die Ruinenkirche Eldena? Ist sie nicht die Ruinenkirche auf dem Cover, deren fotografische Herkunft im Buch verschwiegen wird?
Der Film folgt dem Aufriss des Buches fast vollständig und verzichtet lediglich auf „Himmelswege: Kosmische Seelenlandschaften in Sachsen-Anhalt.“ (S. 136-148).
Beispiele aus Kunst und Literatur
Die Verbindung zur Kunst wird am Beispiel von Caspar David Friedrich und der Insel Rügen vertieft. Hölderlin, Brentano und Heine kommen im Kapitel über den Rhein zu Wort. Die Märchensammlung der Gebrüder Grimm wird illustriert von Beispielen aus den Wald-Kapiteln.
In Deutschland, so wie es der Autor auf seiner Reise erlebt hat, scheint die Landschaft selbst zu sprechen wie die Felsen der tiefen Taleinschnitte, die Berge der Alpen und im Mittelgebirge, auch die Moore, die Wälder, die Flüsse und die Seen.
Wo es angebracht ist, wird die nationalsozialistische Auferstehung der Mythologie angesprochen, wobei klar wird, dass diese die Größe und Vielfalt der Verbindung zu Natur, Kultur und Religion glatt verfehlt. So kann man heute auch Verstorbene in Friedwäldern bestatten, ohne daran zu denken, dass diese Bestattungsform vor „1000“ Jahren weltanschaulich aufgewertet worden ist.
Wohin reisen wir als Nächstes?
Das Buch von Rüdiger Sünner ist nirgends flach oder oberflächlich und muss doch zum Teil auf Details verzichten, da es sich sonst in Details verlieren würde. Es gibt ohnehin genügend Literatur, deren Titel mit dem Wort mythisch oder mystisch beginnen. Wer nach der Lektüre des Buches Reisepläne schmiedet, wird in Deutschland auf jedem Fall fündig, auch über dessen Beispiele hinaus. Wie wäre es mal wieder mit dem Bodensee und dem Rheinfall von Schaffhausen, mit Schloss Schwanstein oder Tübingen und Freiburg?
Weiterdenken: Welche Orte sind ähnlich sinntragend?
Für mich gehören zu dieser Art Mythos auch die Erinnerungsstücke der Industrialisierung hinzu. Und warum nur in der Natur? Gibt es Seelenlandschaften nicht auch in den Städten und Metropolen?
Und angeregt durch die unbekannte Kirchenruine auf dem Umschlag möchte ich zum Begriff Seelenorte auch mal ganz vorsichtig einige bedeutende Kirchen vorschlagen, alte und neu, wie den Kölner Dom und die Wallfahrtskirche in Neviges.
Man sieht, dass die Lektüre des Buches mich selbst auf die Reise schickt, in Gedanken oder ganz real. Als nächstes ist dringend ein Besuch bei den Externsteinen fällig, um abschließend Günter Sünner zu zitieren: „Wahrscheinlich waren die Externsteine einst ein Ort, an dem Mönche und Pilger die Schönheit der Schöpfung zum Anlass nahmen, auch darin Spuren Gottes zu sehen.“ (S. 39)
Diese Konkretion zeigt beispielhaft, dass es sich keinesfalls um eine neue Art von Tourismus handelt, der Deutschlandreise zu mystischen Orten, sondern darum, selbst Spuren einer göttlichen Wirklichkeit in konkreten Erfahrungen zu entdecken. Dazu muss man wahrhaft kein Eremit werden.
Die Lektüre des Buches ist unbedingt zu empfehlen.