Predigt zum 17. So nach Trinitatis, „Die traut sich was?!“, Vera Leberecht, Herzogenrath 2025

Gottesdienst zum 17. So nach Trinitatis am 19. Oktober 2025 in der Ev. Markuskirche Herzogenrath

(eigentlich: 18. So nach Trinitatis)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes, des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! (Amen.)

[Szenen- bzw. Rollenwechsel]

Guten Morgen!

Das fällt mir jetzt ganz schön schwer, hier zu stehen. Ich bin sonst nämlich eher für die Eins-zu-eins-Kommunikation. Aber euer Pfarrer meinte, es wäre okay, wenn ich heute mal hier rede. Denn meine Geschichte könnte euch was zu sagen haben. Aber das überlasse ich euch selbst.

Also…

Man sieht es mir nicht mehr wirklich an, aber ich war mal richtig hübsch. Manche nannten mich sogar schön. Ich war ein echter Feger. In meiner Kindheit hat es das Leben nicht gut gemeint mit mir… und irgendwann bin ich dann in dem gelandet, was ihr so verschämt „das älteste Gewerbe der Welt” nennt. Ja, ich war eine Prostituierte. Und ich war gut in meinem Job. Das fanden jedenfalls eine ganze Menge Männer da in Jericho, wo ich wohnte, wo ja auch meine Familie herkam.

Und irgendwie war das halt so. Irgendwie war ich geduldet. Vielleicht sogar anerkannt. Aber dass die meisten mit mir nicht allzu nahen Kontakt haben wollten, ist auch klar. Jedenfalls nicht im Licht der Öffentlichkeit. Aber egal. Ich hab schon immer gut allein sein können. Und meine Ruhe hat mir auch gefallen.

Bis eines Tages zwei Männer vor meiner Tür standen. Die waren anders. Auf der Durchreise, dachte ich erst, mit einer Karawane oder so. Aber irgendwas war da faul, das spürt eine Frau wie ich ziemlich schnell. Ja, und prompt kamen an demselben Tag Leute von der Sicherheitspolizei und sagten, dass in meinem Haus zwei israelische Spione untergetaucht seien. Oh — das war mal was in meinem an Ereignissen nicht armen Leben! Da hatte ich die beiden allerdings schon aus so einer Ahnung heraus versteckt, und den Beamten des Königs habe ich gesagt, ich hätte keine Ahnung, wer die zwei Fremden gewesen seien und die hätten die Stadt längst wieder verlassen. Und — genau wie ich erwartet hatte — : Die Sicherheitsleute sind denen direkt nachgeprescht.

Mir war klar, hier ist etwas Großes im Gange. Denn über die Israeliten hatten wir schon viel gehört. Echte Schreckensmeldungen. Davon, wie sie vor dem ägyptischen Pharao durchs trockene Schilfmeer entkommen sind, in dem er dann mit seinem ganzen Heer ersoffen ist. Und dass sie unser Land eingenommen haben. Und dabei mit schrecklicher Gewalt gegen die Stadtstaaten vorgegangen sind, die auf ihrem Weg lagen. Wir alle hatten Angst: Wir wussten, es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieses Heer vor den Toren von Jericho steht. Es hat uns die Luft abgeschnürt wenn einer bloß vom Volk Israel gesprochen hat…

Und als ich da noch so an meiner Haustür stand, wusste ich es plötzlich: Die beiden hat mir Gott geschickt! Was, ihr wundert euch, dass ich von Gott spreche? Na klar, das ist ja wohl das Vernünftigste, was ein Mensch in einer solchen Situation tun kann. Da machen Nachrichten von einem Volk die Runde, einem Volk, das von dem Einen, Wahren Gott auserwählt sein soll. Und alles, was sie machen, gelingt ihnen? Das ist ein Gott, zu dem will ich gehören. Dem will ich mich ausliefern. Das ist auf jeden Fall besser, als sich auf Menschen verlassen, die schnell sind mit ihrem Urteil und dich im Zweifelsfall ihren eigenen Prinzipien opfern. (Brave Familienväter, die dich in der Öffentlichkeit mit dem Hintern nicht angucken, nachdem sie vorher… aber egal.) Oder irgendwelchen Göttern, die Gehorsam und Opfer verlangen, aber denen unser Leben offensichtlich egal ist — oder die gar nicht die Macht haben, darauf einzuwirken?!

Wir in Jericho wussten es alle längst: der Herr, der Gott Israels, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden. Und das habe ich den beiden Fremden ins Gesicht zugesagt. Und dann, ich weiß es noch wie gestern, habe ich gesagt: Ich helfe euch zu entkommen. Unter einer Bedingung: Schwört mir bei dem Herrn, dem Gott Israels, weil ich an euch Barmherzigkeit getan habe, dass auch ihr an meines Vaters Hause Barmherzigkeit tut, und gebt mir ein sicheres Zeichen, dass ihr leben lasst meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwestern und alles, was sie haben, und uns vom Tode errettet.

Und die beiden? Die haben mir versprochen: Wenn du uns rettest, wenn du uns nicht verrätst, dann stehen wir auch zu unserem Wort. Dann sind wir auch zu dir barmherzig und treu, wenn uns GOTT das Land hier gibt. Wenn wir mit unserer Kriegsmacht wiederkommen und Jericho erobern, dann werden wir dich und deine gesamte Familie verschonen. Machen wir das nicht, sollen wir auf der Stelle tot umfallen.

Und dann haben wir folgendes ausgemacht: Ich wohnte damals in einem Haus direkt an der Stadtmauer. Sie konnten also aus meinem Haus rausklettern aus der Stadt, ohne durchs Stadttor zu müssen. Ich hab ihnen eingeschärft: Flieht nicht über die Ebene Richtung Jordan; genau da fahnden ja die  Leute von der Sicherheitspolizei nach euch. Sondern: Geht in Richtung Gebirge und versteckt euch da, bis etwas Ruhe einkehrt. Bis die anderen ihre Suche aufgegeben haben und in die Stadt zurückgekehrt sind. Mindestens drei Tage. Danach könnt ihr in Sicherheit zu eurem Volk zurückkehren. Das leuchtete ihnen ein. Und sie sagten: Und du, hänge ein rotes Seil aus dem Fenster, das weithin sichtbar ist. Wenn wir dann kommen und die Stadt einnehmen, so werden alle, die sich in deinem so markierten Haus aufhalten, verschont bleiben. Nur: Geht auf keinen Fall raus, da können wir für niemandes Sicherheit garantieren! Aber solange ihr drinnen bleibt, seid ihr sicher. Das schwören wir in Gottes Namen.

Und genauso ist es passiert. Ich habe ihnen das Leben gerettet. Und sie haben auch Wort gehalten und haben mich verschont. Mich, eine Fremde. Eine Feindin. Die alles andere als einen guten Ruf hatte. Das war ihnen egal.

Und vor allem: Gott war das alles egal. Dem Gott, der der Gott Israels war und auch meiner geworden ist. Er denkt nicht in unseren menschlichen Kategorien von Herkunft, Freundin und Feind, Beruf oder was jemand alles im Leben schon verpfuscht hat. Er steht darüber. Er schaut auf das Herz eines Menschen und sieht, wer ihm wirklich vertraut — und wer auch etwas von Ihm erwartet! Was hat es mir gebracht, dass ich wie ein Schaf mitgelaufen bin in meiner Jugend, dass ich mich den lokalen Glaubenstraditionen angepasst hatte, die längst ihre Kraft verloren hatten? Was hatte mir dieser blutleer gewordene Glaube noch zu geben?

Manchmal gibt es solche Wendepunkte im Leben, da weißt du: Jetzt musst du dich entscheiden. Jetzt geht es um Leben oder Tod. Übernimm Verantwortung für das, was du glaubst und tust. Manchmal auch im totalen Gegensatz zu dem, was deine Umgebung denkt, glaubt und tut. Manchmal sogar im Gegensatz zu dem, was das objektiv Richtige zu sein scheint. Und dann bricht das Leben sich Bahn. In meinem Fall ist das tatsächlich geschehen: Erst habe ich den beiden Israeliten das Leben gerettet, und später sie mir und meiner Familie. Das ist im wahrsten Sinne ein roter Faden in meinem Leben geworden: Gott, der HERR, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, und jetzt schon viele Jahre auch mein Gott: er schenkt Leben. Er ist das Heil. Er ist die Rettung. Er ist meine Rettung geworden und sagt Ja zum Leben. Jeden Tag neu. Auch zu eurem. Traut ihr euch? Lasst ihr euch auf ihn ein? Dafür bete ich. Das wollte ich euch sagen.

[[Szenen- bzw. Rollenwechsel]]

Vorhin im Evangelium haben wir gehört, wie eine syro-phönizische Frau alles auf Jesus setzt. Sie lässt nicht locker, bis Jesus sie heilt. Damit wird deutlich: Das Heil Gottes gilt für jeden Menschen, unabhängig von einer ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit. Und auch das Beispiel von Rahab, die gerade ihre Geschichte erzählt hat, zeigt: Wenn ein Mensch alles auf eine Karte setzt und sich dem lebendigen Gott zumutet, wird er errettet.

Die Geschichte ist übrigens aufgeschrieben im Buch Josua, im zweiten Kapitel. Wer möchte, kann sie sich am Ausgang zum Nachlesen mitnehmen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

(Vera Leberecht)

Vertrauensverlust – eine Versuchung, Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

12. Oktober 2025

Hebräer 4,14-16, Neue Genfer Übersetzung, 2011

Weil wir nun aber einen großen Hohenpriester haben, der den ganzen Himmel ´bis hin zum Thron Gottes` durchschritten hat – Jesus, den Sohn Gottes – , wollen wir entschlossen an unserem Bekenntnis zu ihm festhalten.

15 Jesus ist ja nicht ein Hoherpriester, der uns in unserer Schwachheit nicht verstehen könnte. Vielmehr war er – genau wie wir – Versuchungen aller Art ausgesetzt, ´allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass` er ohne Sünde blieb.

16 Wir wollen also voll Zuversicht vor den Thron unseres gnädigen Gottes treten, damit er uns sein Erbarmen schenkt und uns seine Gnade erfahren lässt und wir zur rechten Zeit die Hilfe bekommen, die wir brauchen.

 

Liebe Gemeinde,

heute geht es um Versuchung. Was verstehen wir unter einer Versuchung? In der Regel, dass wir vom richtigen Weg abgebracht werden und selbst etwas tun, denken oder unterlassen, was wir besser nicht hätten tun, denken oder unterlassen sollen. Wenn wir der Versuchung erlegen sind, haben wir ein schlechtes Gewissen. Das Gewissen beißt uns, quält uns, dass wir es nicht geschafft haben der Versuchung zu widerstehen. Wir wissen, dass unser Gewissen das Produkt unserer Erziehung ist, das merken wir allein schon daran, dass die Beurteilungen und Empfindlichkeiten von Person zu Person verschieden sind und wir im Laufe unseres Lebens unsere Einstellungen auch ändern, unser Gewissen modifizieren.

Unsere Werte bleiben nicht ewig gleich und manche Menschen in der Gesellschaft müssen erst wieder Werte lernen, emphatisch werden mit anderen Menschen, dass Konflikte anders als mit Gewalt gelöst werden können, dass es nicht nur ein Ich gibt, sondern auch ein Du, dass jeder Mensch Respekt verdient, selbst der, der schuldig wird und scheinbar kein Gewissen mehr hat. Wir wissen, zu einer reifen Persönlichkeit gehört es, dass sie moralisch integer ist, dass sie mit sich und ihrer Umwelt in Reinem ist.

All das schwingt für mich mit in unserem Predigttext. In der Bibel geht es nicht um (die kleinen) Versuchungen, wie Versuchung in der Werbe- und Alltagsprache verstanden wird: ob ich verführt werde, ein Stück Schokolade mehr zu essen, ob ich lieber auf dem Sofa liegen bleibe als ins Fitnessstudio zu gehen, es geht nicht darum, ob ich  alles für meine Gesundheit tue, jede Voruntersuchung wahrnehme, mich ja nur gesund ernähre und jedes Verzehren von Fett mir ein schlechtes Gewissen macht, es geht nicht darum, dass ich nicht genießen darf oder noch schlimmer, nicht aufhören darf zu essen, weil es anderen schlecht geht: „Iss aber deinen Teller schön auf, du weißt doch in Afrika hungern die Kinder“, sondern es geht in der Bibel darum, dass ich mein Vertrauen in Gott nicht verliere. Das Vertrauen in Gott zu verlieren, kann schnell gehen. Das Vertrauen wieder finden, dauert umso länger und manchmal bleibt ein schmerzhafter Bruch zurück.

Bevor Jesus anfängt öffentlich zu wirken, wird er vom Geist in die Wüste geschickt (Mt 4,1-11). Dort wird er der Versuchung ausgesetzt. Ist er nicht Gottes Sohn und ein Wundertäter, kann er nicht Steine in Brot verwandeln? Ist er nicht Gottes Sohn, der Gott(es Wort) blind vertraut, dass seine Engel ihn auf Händen tragen werden, wenn er vom Dach des Tempels springt? Ist er nicht Gottes Sohn und damit der Herrscher über alle Länder?

Die Prüfung in allen Versuchungen liegt darin, dass Jesus in seinem Hunger, in seinem Bedürfnis nach Geborgenheit und in seiner Ohnmacht, sein Vertrauen zu seinem himmlischen Vater fallen lässt. Der Versucher führt Jesus vor Augen, wie sehr er von Gott verlassen ist. Quält ihn nicht der Hunger? ist er nicht einsam und ganz auf sich selbst zurückgeworfen? Verzweifelt er nicht an seiner Ohnmacht?

Das sind Versuchungen, die wir abgewandelt auch kennen, es sind existentielle Versuchungen. Da wo wir Hunger haben und unser Hunger nicht gestillt wird – die tief empfundene Demütigung in unseren Breitengeraden nicht das zu bekommen, was wir dringend brauchen: Wertschätzung, Anteilnahme, Stillung unserer Bedürfnisse. Da kann schon unser Vertrauen schwinden oder ganz abhandenkommen, wenn wir übersehen werden. Wie schnell sind wir versucht, zurück zu stecken, aufzugeben, etwas schlecht zu reden, uns gar nicht erst zu öffnen, denn dann machen wir uns ja verletzlich, wie sehr suchen wir Sicherheiten, geben der Versuchung nach, mehr zu scheinen als zu sein, geben der Versuchung nach, den einfachen Weg zu gehen, geben der Versuchung nach, Konflikten aus dem Weg zu gehen statt uns ihnen zu stellen, geben der Versuchung nach, die Macht anzubeten, statt der Liebe zu dienen.

Auch unser Vertrauen zu Gott kann verloren gehen. Das ist die Versuchung, es scheint auf dem ersten Blick einfach Gott nicht mehr zu vertrauen, einfacher denke ich manchmal als Gott zu vertrauen. „Mag ich auch gleich nichts fühlen von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele, auch mitten durch die Nacht.“ (Lied: So nimm denn meine Hände, EG 376,3)

Das ist eine im Glauben geschenkte Gewissheit, die hilft das Leben zu bestehen und nicht gleich alle Hoffnung aufzugeben. Wenn eine Durststrecke im Leben kommt, wir feststecken in Zweifeln und Grübeleien, der Alltag und die damit verbundenen Mühen uns im Bild gesprochen empfinden lassen wie im griechischen Mythos Sisyphos, der dazu verurteilt ist den Felsbrocken immer wieder den Berg hochzuschieben und kaum ist der schwere Stein oben, rollt er sogleich wieder runter. Wir verlieren dann den Blick für das Schöne am Wegrand, sehen keinen Ausweg und können nicht anders denken als in den verhafteten Bahnen. Aber haben wir es nicht auch schon erfahren, dass sich die Dinge ändern können, dass auf einmal der Berg voller Sorgen sich von selbst abträgt? Hat Gott nicht immer mehr Wege für uns bereit als wir sehen und empfinden? Ist Vertrauen in Gott nicht eine Ressource, die uns durchs Leben trägt, gerade weil die Ressource Gott nicht ausgeht?

Der Hebräerbrief ermutigt die Glaubenden, ihr Vertrauen nicht fahren zu lassen. Dabei lenkt er den Blick auf Jesus. Wenn die Glaubenden keine Kraft mehr haben zu vertrauen und allen Mut verloren haben, hilft es an einen Stellvertreter zu glauben, der für sie glaubt. Jesus Christus ist ein Stellvertreter, der für uns glaubt, wenn wir nicht mehr glauben können. Wir wissen aus Erfahrung, wie gut es ist, wenn ein Mensch an uns glaubt, selbst wenn wir den Glauben an uns selbst verloren haben. Das ermutigt uns. Das gibt uns Kraft und Hoffnung, weiter zu machen, Tag für Tag, selbst wenn die Tage dunkel sind. Wir bekommen neue Energie den nächsten Schritt zu gehen. Nichts anderes geschieht mit unserem Vertrauen in Gott. Nicht wir müssen den Glauben tragen, machen und anschieben. Wir sind gehalten. Der Glaube geschieht. Hoffnung widerfährt uns, Kräfte wachsen uns zu.

Auch Jesus wird das Vertrauen geschenkt. Es ist Gottes Geist, der in ihm wirkt. Aus diesem Geist heraus erliegt er nicht der Versuchung: in der Wüste, genauso in seinen Streitgesprächen oder wenn er alles auf Liebe setzt und nicht danach fragt und handelt, was werden die anderen jetzt denken und wo wird das enden? Diese Sorge überlässt Jesus ganz seinem Vater, selbst in seinem Sterben: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ (Lk 23,46)

Das Schlüsselwort bei aller Versuchung heißt Vertrauen. Es zu wagen, es wieder neu zu finden, sich in Gott fallen zu lassen, dieser Glaube wird uns geschenkt.