Ansporn für müde Gläubige, Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2022

Sonntag Sexagesimae 2022, Predigt über Hebräer 4,12+13 (Luther 2017)                                                                         

Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft geben müssen.

 

Liebe Gemeinde,

Das ist doch auch mal ein Wort und ein Ruf an diejenigen, die jetzt so zahlreich aus ihren Kirchen austreten. Doch sie sitzen nicht hier. Sie hören es nicht und wollen es auch nicht mehr hören, von oben herab.

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Austrittswelle und wird am Arbeitsplatz, im Verein und in den Familien diskutiert. Überall höre ich die Rede, dass es Monate braucht bis am Amtsgericht der Kirchenaustritt erfolgen kann. Das Personal dafür wird in vielen Kommunen aufgestockt. Auch der ehemalige Papst Benedikt der XVI. ist der Lüge überführt. Wem kann man eigentlich noch Vertrauen in der Institution Kirche? Die heute austreten ziehen meiner Ansicht nach eine Konsequenz aus einer langen Entfremdungsgeschichte mit ihrer Kirche und vielleicht sogar auch mit der Kernbotschaft, der Rede und dem Glauben an Gott, mit dem sie nichts mehr anfangen können.

Sie sind müde geworden

Auch der Schreiber des Hebräerbriefs sieht, wie viele Menschen sich in den christlichen Gemeinden der zweiten und dritten Generation gar nicht mehr so recht dazu gehörig fühlen. Sie sind müde geworden, der Lebenskampf fordert viel Kraft und die Gemeinschaft der Gläubigen ist nicht ein erhoffter konfliktfreier Ort. Die Orientierung auf das Ziel des Glaubens ist aus den Augen geraten. Der Sinn scheint verloren gegangen, die Antwort auf die Frage: Weshalb sind wir eigentlich gemeinsam unterwegs? Eindringlich bittet der Schreiber des Briefes: „Werft euer Vertrauen nicht weg!“ (Hebräer 10,35)

Hier macht sich jemand ziemlich viel Mühe den Leserinnen und Lesern aufzuzeigen, warum es sich lohnt zusammen zu bleiben und gemeinsam wieder das Ziel des Glaubens in den Blick zu nehmen. Zugegeben: Der Schreiber benutzt viele Vorstellungen und auch Bilder, die uns fremd geworden sind, aber dennoch sind seine Gedanken klar und erstaunlich aktuell.

Das Ziel ist ein tiefer Friede

Ausgehend von Gottes Ewigkeit, von der Ruhe die vorhanden ist und nach der die Menschen damals und wir heute uns sehnen, sagt er: Wir müssen uns nach Gottes Wort richten, damit keiner zurückbleibt oder am Ziel vorbeilebt. Das Ziel ist ein tiefer Friede: Es ist das Zur-Ruhe-Kommen in Gottes Nähe.

Damit diese Ruhe in Gott schon jetzt erlebbar wird – mitten in aller Unruhe – und das Sehnen nach dieser Ruhe uns antreibt und anstachelt zu einem guten Leben, ist es wichtig immer wieder zu hören, was Gott in unser Leben hineinspricht.

Das Wort Gottes ist so etwas wie die Muttersprache des Glaubens. Sie entsteht aus dem Hören und aus dem Tun des Gehörten. Gott spricht zu uns wie er von Anfang an gesprochen hat als er durch sein Wort die Welt erschuf. Wir geben mit unserem Leben Antwort auf das Schöpferwort Gottes.

lebendig, kräftig und messerscharf

Das Wort Gottes – das ist für den Schreiber gewiss – ist lebendig, kräftig und messerscharf. Es kann zwar ungehört bleiben, aber wenn es gehört wird, dann geht es nicht spurlos an uns vorbei, dann fährt es uns dazwischen, wenn wir uns zu sehr eingerichtet haben in unsere Sicht der Dinge, wenn wir immer schon meinen zu wissen, was richtig oder falsch ist, wenn unser Mitgefühl erstickt ist, wenn alles zugeschüttet und verborgen ist, der Zugang zu uns selbst und zu anderen, wenn unsere Liebe kalt ist.

Aber wer lässt sich heute schon gerne ein Wort gefallen, das beunruhigt, das einschneidend und durchdringend ist, gefährlich sogar, jedenfalls nicht ohne Folgen bei Berührung?
Ein scharfes Wort kann tief treffen. Scharf wie eine Waffe. Wie ein zweischneidiges Schwert. Oder wie ein Filetiermesser, das Fleisch problemlos vom Knochen trennt. Oder wie ein Skalpell, mit dem der Arzt gezielte Schnitte macht, um krankes Gewebe von gesundem zu trennen. Das kann wehtun.
Vielleicht ist das Skalpell, ein scharfes medizinisches Messer, für uns heute das alltagstauglichere Bild im Vergleich zum Schwert. Dann ist Gottes Wort so riskant, aber auch so heilsam wie eine Operation am offenen Herzen. Zur Zeit des Hebräerbriefs noch undenkbar -, aber heute so selbstverständlich wie der Einsatz des zweischneidigen Schwertes damals.

Der Gedanke daran jedenfalls dürfte Menschen damals wie heute nicht kalt lassen. Was damit gemacht wird, ist wohl ganz und gar nicht egal. Weil es Folgen hat. Oft geht es um Leben und Tod, wenn ein Schwert oder ein Skalpell zum Einsatz kommt – natürlich auf sehr unterschiedliche Weise. Der Vergleich will uns klarmachen – genauso ist Gottes Wort: Ganz und gar nicht egal. Darauf kommt es an. Wenn Gott durch seinen Sohn Jesus Christus redet, dann geht es um uns, um unsere Existenz, um unser gemeinsames Leben in der Gemeinde und in dieser verletzlichen und liebesbedürftigen Welt.

Deshalb bleibt Gott für uns nicht an der Oberfläche

Darauf können wir uns einlassen oder eben auch nicht. Einer wichtigen Operation können wir zustimmen oder sie ablehnen. Aber mal ehrlich, wer würde so etwas ablehnen? Wenn man ablehnt, hat man zwar kein Risiko, zusätzlich verletzt zu werden -, aber eben auch kaum eine Chance auf Heilung.
Deshalb bleibt Gott für uns nicht an der Oberfläche. Was er sagt und von uns will, greift tief in unser Leben ein, durchdringt jeden einzelnen Gedanken, seziert jedes einzelne Vorhaben und Tun. Er blickt uns mitten ins Herz und prüft, wie wir`s meinen (vgl. Ps 139,23). Gott ist derjenige, der „uns unbedingt angeht.“ (Paul Tillich)
Dabei ist vor allem zu bedenken: Gottes Wort richtet sich nicht gegen uns, um uns zu verletzen. Gott richtet sein Wort vielmehr an uns, damit es hilft und heilt, uns auf den ewigen Weg führt, in seine Ruhe und in seinen Frieden. Mit aller Macht setzt sich das Wort Gottes für das Leben ein.
Das ist ein Kriterium zur Unterscheidung. Daran muss sich auch die Kirche messen lassen.

Amen

 

Joachim Leberecht, Predigt über Matthäus 14, 22-33, Herzogenrath 2022

 

Wider Chaosmächten (4.Sonntag vor der Passionszeit 2/2022)

 

Matthäus 14, 22-33 (Basis-Bibel)

 

Liebe Gemeinde,

Jesus brauchte Ruhe und Abstand von den vielen Menschen, die ihn bedrängten. Alle wollten etwas von ihm und überall wo er hinging, liefen sie ihm hinterher. Gab es denn keinen Ort, wo er allein sein konnte? Wo ihn Stille umgab?

Nach der Speisung der 5000 schickte er seine Jüngerinnen und Jünger mit unwirschen Worten fort. Sie sollten schon einmal über den See fahren. Und nachdem er das Volk entlassen hatte, stieg er allein auf einen Berg, um Gott nah zu sein.

Die Angst infizierte alle.

Die Jünger aber waren auf dem See unterwegs. Es wurde dunkel. Eine starke Brise kam auf. Die See wurde unruhig. Die Jünger mühten sich mit dem Rudern ab. Der Wind stand ihnen hart entgegen. Das Boot wurde wie eine Nussschale auf den Wellen hin und hergeworfen. Sie bekamen es mit der Angst zu tun. Die Angst infizierte alle.

Das kennen wir doch auch alle zu Genüge aus den letzten zwei Jahren. Wir saßen und sitzen alle in einem Boot, fürchteten und fürchten uns vor den über uns schwappenden Wellen der Pandemie. Infiziert sind wir von Angst, ganz durchdrungen. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Auch die Panikmache der Regierung und besonders in den Medien hat die Angst wie ein Krebsgeschwür in Gesellschaft und Kirche wüten lassen. Die Kirche hat sich landauf, landab wie die Jüngerinnen und Jünger in der Geschichte verhalten: ängstlich! Der frühere Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, resümiert: Die „Kirche wirkte in der Pandemie kleinmütig und angepasst.“ (Katharina Geiger, Interview mit Heribert Prantl für katholisch.de vom 6.1.2021 unter dem Titel: „Kirche wirkte in der Pandemie kleinmütig und angepasst.“)

Und zurzeit blicken viele Länder Europas auf Deutschland und die Rede von der „German Angst“ macht wieder die Runde. Wir werden die tiefsitzende Angst in unserer auf Sicherheit ausgerichteten Gesellschaft einfach nicht los. Und niemand von uns kann da einfach aussteigen. Wir alles sitzen im selben Boot.

Die Stille vor Gott hatte ihn gestärkt.

Aber zurück zur biblischen Erzählung. Der Evangelist Matthäus berichtet weiter: Jesus beendet sein Gebet. Mehrere Stunden hatte er sich von allen zurückgezogen. Die Stille vor Gott hatte ihn gestärkt. Inzwischen war es Nacht geworden. Und mitten in der Nacht kommt er seinen in Not geratenen Jüngern entgegen.

In ihrer Not sehen die Jünger Gespenster. „War da nicht etwas auf dem Wasser?“ „Das ist unheimlich.“ „Ich hab´s auch gesehen!“ „Hier geht was nicht mit rechten Dingen zu!“ „Das ist der Tod in der Gestalt eines Gespenstes!“ „Ein Wassergeist, der unseren Untergang ankündigt!“ Einer schreit: „Ich kann nicht mehr, ich geh ins Wasser.“ Im letzten Moment wird er zurückgehalten. Ein Klagen und Wehschreien in schwarzer Nacht, ein Tohuwabohu wie bei der Erschaffung der Erde. In das Chaos hinein spricht Christus: „Seid getrost. Ich bin´s. Fürchtet euch nicht!“

Da erkennen die Jüngerinnen und Jünger, wer ihnen in ihrer Not am nächsten ist. Es ist Christus, der HERR. Es gibt viele Schein- und Trugbilder, wenn uns auf dem Lebensweg der Wind hart entgegensteht. Da ist es gut, wenn wir uns an die Stimme Christi gewöhnt haben, dass wir sie hören und heraushören, wenn unsere innere oder äußere Not am größten ist. Es ist das Evangelium, das wir hören dürfen: „Fürchtet euch nicht!“ – „Fürchte dich nicht!“

 

Dann aber bricht Petrus ein.

Petrus, der schnelle und mutigste unter ihnen, findet zuerst seine Sprache wieder: „Jesus, rufe mich und ich komme zu dir.“ Jesus ruft ihn und Petrus geht über das Wasser. Nichts hält ihn mehr, selbst da, wo kein fester Boden unter den Füßen ist. Ganz nah möchte er seinem HERRN sein. Wie ein Kind, das voller Vertrauen in die Arme seiner Mutter springt, geht Petrus los, ganz selbstvergessen, ein höchster Akt des Vertrauens. Dann aber bricht Petrus ein. Die Wasser stürzen über ihn zusammen!

Auch wir, Liebe Gemeinde, haben in unserer Region im vergangenen Sommer die Dämonen des Wassers erlebt, die Chaosmächte, die wir  bedingt durch den Klimawandel theoretisch voraussahen, denen wir praktisch aber nicht gewachsen waren. Schon von alters her wurden Wasserfluten und todbringende Überschwemmungen gefürchtet. Jetzt sind sie so nah an uns herangekommen, haben uns heimgesucht. Wir sind erschreckt und die Betroffenen ihr ganzes Leben davon gezeichnet.

In vielen Religionen gehören Geschichten der Rettung aus dem Wasser zum Kernbestand. „In der buddhistischen Tradition findet sich eine interessante Parallele [zu unserer Geschichte]: Im Zweifel an Buddha sinkt ein Laienbruder im Fluss ein und rettet sich schließlich durch die Kraft seiner eigenen Gedanken.“ (Dorothee Wüst, Gottesdienst Praxis, 2021, S. 145)

Wie anders stellt Matthäus die Rettung dar. Es sind nicht die spirituellen Gedanken und Eigenkräfte, die Petrus retten. Petrus kann sich sprichwörtlich nicht mehr am eigenen Schopfe aus den Fluten ziehen. Petrus kann nur noch rufen: „HERR, rette mich!“ Und Jesus greift Petrus bei der Hand und rettet ihn.

Wie tröstlich, dass die Geschichte erzählt, dass Petrus seinen Glauben nicht durchhalten konnte, dass er eingebrochen ist, dass Christus ihm außer Blick gerät und er die Furcht ins Herz lässt, die reale Furcht vor dem starken Wind und den mächtigen Wellen.

Hier kann ich mich gut mit Petrus identifizieren. Ich möchte glauben und Vertrauen und dann schleicht sich doch immer wieder der Zweifel ein: „HERR, ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“

Jesus lässt den zweifelnden Petrus nicht untergehen, stößt ihn nicht von sich weg, zieht ihn hoch auf Augenhöhe und sagt: „Du hast zu wenig Vertrauen. Warum hast du gezweifelt?“

Liebe Gemeinde,

sicherlich wurde diese Geschichte in den christlichen Gemeinden erzählt, dass wir Christus in jeder Not vertrauen können. Christinnen und Christen haben zu jeder Zeit und an allen Orten die Erfahrung gemacht, wie schwankend ihr Glaube sein kann. Es gibt Starke und Mutige, und in der Regel Kleingläubige. Diese Einsicht soll nicht in die Resignation führen nach dem Motto: Wir Menschen sind halt so, nein, diese Einsicht und Erfahrung soll zum Mitgefühl führen, zu Geduld mit denen, die ängstlich sind. Mut aber soll auch denen gemacht werden, die voll Gottvertrauen Ängste überwinden, die ihre Komfortzone verlassen, die sich nicht von der Angst gefangen nehmen lassen, die unbeirrt groß Denken und Handeln – allen Chaosmächten zum Trotz. Sie dürfen neu hören und immer wieder erfahren, wenn sie auf gefährlichem Terrain einbrechen, werden sie errettet und wieder aufgerichtet.

Entscheidend ist doch, dass Jesus hier Petrus rettet, wo ihm der Glaube wegbricht.

Die Not kann so groß werden, dass wir untergehen, dass wir unseren Glauben zu verlieren drohen, dass er uns weggeschwemmt wird, aber ein Hilferuf genügt, ein Seufzer und Gott überlässt uns nicht den tosenden Fluten, selbst wenn wir untergehen. Amen

 

 

 

 

 

Predigt 2. Sonntag nach Epiphanias 2022, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2022,  (freigegeben ab dem 16.01.2022)

Text der Predigt: 1. Korinther 2,1-5 (Luther 2017)

1 Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen.

2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten.

3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern;

4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweis des Geistes und der Kraft,

5 auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

                                             

 

Epiphanie – ein Widerfahrnis

                                                                                                                       

Liebe Gemeinde,

Epiphanie: der Himmel stürzt gen Erde, zerschellt und erscheint für einen Augenblick als Feuerflamme. Epiphanie: Erscheinung Gottes, erlebbar, doch nicht greifbar; sie entzieht sich jeglicher Vorstellung, leuchtet auf und verdunkelt sich zugleich. Epiphanie: nicht wiederholbar, ein Widerfahrnis, nur stammelnd lässt sich davon reden.

 

Christus-Epiphanie

Von einer Christus-Epiphanie, die Paulus´ Leben umkrempelte, durcheinanderbrachte und in eine völlig neue Richtung lenkte, erzählt die Apostelgeschichte (Apg. 9,1-18). Paulus wurde durch das Christuslicht geblendet, erblindete und wurde nach drei Tagen durch Handauflegung des Hananias wieder sehend. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen: Christus ist der HERR. Von seiner Christus-Epiphanie berichtet Paulus nicht direkt, jedoch von einem Wechsel, der in ihm stattgefunden hat: „Jetzt lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20)

 

Von der Epiphanie Gottes im Gekreuzigten

Der Auferstandene ist ihm erschienen. Paulus aber hört nicht auf, von dem Gekreuzigten zu reden. So schreibt er der Gemeinde in Korinth: „Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten.“ (1. Kor 2,2)

Paulus will die Gemeinde auf die Erde holen. Er selbst war im „dritten Himmel“ (2. Kor 12,2), aber auch darüber schweigt er, weil es ihm nicht um seine persönlichen Erlebnisse und Erscheinungen geht. Es geht ihm um die Epiphanie Gottes in seinem Sohn Jesus Christus. Am verfluchten Holz – im Gekreuzigten – leuchtet das Geheimnis des Glaubens auf und ist dennoch nicht zu fassen. Für die Juden (bei Paulus!) ist das Sterben des Messias reine Blasphemie (Ärgernis). Ein Messias, der würdelos am Kreuz stirbt, kann nicht der endzeitlich erwartete Messias sein. Für die Griechen (Heiden) ist der Tod Gottes am Kreuz eine philosophische Unmöglichkeit (Torheit), denn das weiß doch jedes Kind, dass der Logos (das Göttliche) ewig ist und nichts mit der vergänglichen Materie zu tun hat (1. Kor 1,23).

Epiphanie findet verborgen im Sterben Jesu statt. Immer und immer wieder kreisen Paulus´ Gedanken um das Kreuz Christi: in unzähligen neuen Anläufen versucht er das, was den Verstand übersteigt, in seinen schwachen Worten zu verkünden. Pauls weiß selbst, dass er daran nur scheitern kann, aber er kann nicht anders als von Jesus als dem Gekreuzigten reden.

Was für eine Predigtlehre! Sie geht davon aus, dass die Sprache versagt angesichts des Geheimnisses Gottes. Paulus weiß, dass seine Predigt vergeblich ist, wenn Gott nicht seine schwachen Worte in sein Wort verwandelt. Epiphanie allein durch die Dynamis Gottes. Gott hat die Macht und die Kraft, menschliche Worte in das Wort Gottes, das dich und mich anspricht, zu transformieren.

 

Von der Gottesgewissheit

Der religiös empfängliche Mensch der Gegenwart sehnt sich nach sinnlicher Erfahrung Gottes, er möchte von Gottes Kraft erfasst und berührt werden. Er sucht die Stille, das Licht, die Gemeinschaft. Er versenkt sich in Anbetung, richtet sich auf Gott aus, singt ihm leidenschaftlich im Lobpreis. Bei aller richtigen Erkenntnis, dass die Stille ein Ort sein kann zur Gottesbegegnung, bei aller Erfahrung der Geborgenheit und des Aufgehoben-Seins in einer betenden Gemeinschaft, kann der tiefreligiöse Mensch die empfundene Gottesnähe schon im nächsten Augenblick oder noch während der Anbetung in Zweifel ziehen, alles sei nur subjektive Einbildung, ein schönes Gefühl, ja, aber erfahre ich wirklich Gott oder nur die Resonanz meiner Projektion? Dieser Modernitätsfalle entkommt niemand.

Wenn ich den Korintherbrief aus dieser Perspektive noch einmal genauer lese, stelle ich fest, dass das Problem der Gottesgewissheit so modern gar nicht ist: Schon Paulus kämpft damit, dass er das Geheimnis Gottes zwar predigen, aber letztlich nicht erklären kann. Paulus ist auch skeptisch gegenüber außergewöhnlichen Erscheinungen, die manche als Beweis ihrer Gotteserfahrung ins Feld führen und sich damit über andere erheben, ja sogar absondern und eigene Grüppchen bilden. Gewissheit im Glauben ist nach Paulus eine Gabe Gottes. Diese Gabe Gottes ist nicht an äußere Erscheinungen gebunden. Gerade das Geheimnis des Kreuzes, dass der HERR stirbt, zeigt, dass die Dynamis Gottes in den Schwachen mächtig ist. Martin Luther folgt hier Paulus. Der Mensch kann sich seines Glaubens nicht aus sich selbst heraus gewiss sein. Die Gewissheit kommt allein von Gott. Mit der Gewissheit verhält es sich wie mit der Rechtfertigung. Beide kommen von Gott. Kämen sie nicht von Gott, so bliebe der Mensch verloren, da er sich nur um sich selbst drehen würde. Auch Luther bindet sein ganzes Reden und seine gesamte Theologie an das „Wort vom Kreuz“, an den Gekreuzigten selbst. (Siehe Predella des Cranach-Altars in der Wittenberger Predigtkirche.)

Der Blick auf den Gekreuzigten zeigt, wie Jesus stirbt. In seinem Tod den Tod des Todes zu sehen und zu glauben ist ein ungeheurer Vorgang. Für den Gläubigen ist Christi Sterben ein Trost angesichts des eigenen Sterbens: „Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein“, dichtet Paul Gerhardt (EG 85,9). Jesus, der Sohn Gottes, kennt die Angst und die Gottverlassenheit, daher können wir uns ihm mit allen unseren Schwächen und Ängsten anvertrauen, auch mit unseren Zweifeln oder wenn wir von Gottes Kraft gar nichts mehr spüren. „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht“ (Julie Hausmann 1862; EG 376,3).

Annähern können wir uns der Gottesgewissheit durch das Gebet, wie es auch Jesus selbst am Kreuz getan hat. Das Beten fängt beim Kreuz an, es fängt dort immer wieder an. Durch das Beten, durch das Stammeln und auch Seufzen kommt, wenn wir nur dabei ausharren, die Anbetung und der Lobpreis wie von selbst: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis dass du kommst in Herrlichkeit.“

In Zeiten des eigenen Gottesverlustes und der eigenen Scham, nicht mehr glauben zu können, keine eigenen Worte mehr im Gebet zu finden, können wir uns bergen in gemeinsam gesprochenen Gebeten und Bekenntnissen, können wir uns an Sätzen geronnenen Glaubens nähren. Es ist schon ein Wunder, wie ein gemeinsam gesprochenesVater unser uns unseres Glaubens – zumindest für diesen Moment – gewiss machen kann.

 

 

Schon-Jetzt und Noch-Nicht

Der Wechsel von Gewissheit und Ungewissheit wird enden. Ein klares Bild wird hervortreten: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“ (1. Kor 13,12)

Gewissheit stellt sich immer ein, wenn Gott sich uns selbst gewiss macht und endgültig am Ende der Tage. Paulus schreibt dieses der Gemeinde in Korinth – und uns – in das Stammbuch. Wir leben noch nicht in der Herrlichkeit, wir leben noch in der vergänglichen Welt. Wir sind allein durch Gnade gerettet, schon jetzt und dann in der Herrlichkeit. Das Schon-Jetzt und Noch-Nicht ist die Grundform der christlichen Existenz. Sie verweist uns zuerst auf den Gekreuzigten und dann auf den Auferstandenen. So ist das christliche Leben ein Sterben und Auferstehen, immer und immer wieder bis die Kraft Gottes, die Kraft der Auferstehung alles in ein neues, ewiges Leben verwandelt. Die Epiphanie der Auferstehung geschieht tausendfach unter uns, aber wir können sie nicht festhalten, wir dürfen sie nur immer wieder erwarten auch für die, die entschlafen sind.

Epiphanie: der Himmel stürzt gen Erde, zerschellt und erscheint für einen Augenblick als Feuerflamme. Epiphanie: Erscheinung Gottes, erlebbar, doch nicht greifbar; sie entzieht sich jeglicher Vorstellung, leuchtet auf und verdunkelt sich zugleich. Epiphanie: nicht wiederholbar, ein Widerfahrnis, nur stammelnd lässt sich davon reden.

Amen

 

 

Predigt Christvesper 2021, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2021

             Thema der Predigt: „Und er wird der Friede sein.“ Micha 5,4

Foto: Christoph Fleischer

Liebe Gemeinde am Heiligen Abend,

an Weihnachten kommen wir mit unseren Sehnsüchten in Berührung. In diesem Fest liegt immer wieder etwas Verheißungsvolles, was die Gegenwart übersteigt, wir ahnen, wir müssten noch einmal neu anfangen dürfen, wir sehnen uns danach, dazu zu gehören, geborgen zu sein und in Frieden miteinander zu leben.

Wir spüren, Weihnachten übersteigt uns, ist mehr als wir mit unserem guten Willen leisten können, mehr als die Geschenke unterm Weihnachtsbaum, mehr als gutes Essen und Trinken, mehr als das schöne Glück als Familie zusammen zu kommen und zu feiern.

Wir spüren, Weihnachten stärkt uns, endlich ein paar Tage Ruhe, ausspannen, das Jahr mit all seinen Anforderungen hinter sich lassen, durchatmen, nicht mehr hetzen, sich zurückziehen in geschmückte und gut duftende Räume, einmal die Welt aussperren und nicht alles an sich heranlassen, Vertrautes machen, Rituale begehen, diese kleinen immergleichen Dinge an diesem besonderen Tag zelebrieren, die nicht aufhören dürfen, da sie sonst von den Kindern eingefordert werden, die Halt geben und ein Fest festlich machen.

Wir spüren, Weihnachten ist noch mehr als das freudige Miteinander in einer ganz speziellen Weihnachtsatmosphäre, Weihnachten lebt von der Differenz, dass die Welt nicht so ist wie sie sein sollte, aber sein könnte.

Die Liebe Gottes kommt als Kind in die Welt und will in uns neu geboren werden, dass sie weiterwächst und sich verbreitet; diese Welt, unser Leben hell macht und erlöst. Dabei spüren wir schmerzhaft, dass Vieles einfach nicht erlöst oder gelöst ist.

Es tut gut den weiten Raum abzuschreiten, wo dieses Fest mit seinen vielen Sehnsüchten seinen Ursprung hat. Es ist viel älter als wir denken und immer wieder können wir eintauchen in den Klangraum der alten Verheißungen, die heute neu gehört und geglaubt werden wollen. Ich lese den Predigttext aus dem Propheten Micha. Er hat im 8. Jahrhundert vor Christus gelebt und folgende Botschaft für sein Volk von Gott erhalten. Heute ist es Gottes Wort für uns. Es spricht in unsere Zeit, in unseren Heiligen Abend, in unser Weihnachtsfest hinein: Micha 5,1-4

Predigttext der Basisbibel

[1] Du aber, Betlehem Efrata, bist zu klein,

um zu den Landstädten Judas zu zählen.

Doch aus deiner Mitte soll einer kommen,

der Herrscher sein wird in Israel.

Seine Wurzeln reichen zurück bis in die Urzeit,

seine Herkunft steht von Anfang an fest.

[2] – Darum wird die Not nur so lange anhalten,

bis eine Frau das Kind zur Welt gebracht hat.

Dann wird der Rest seiner Brüder heimkehren

zu den Menschen in Israel. –

[3] Er wird auftreten und sein Volk weiden.

Dazu gibt ihm der Herr die Kraft und die Macht.

Sie liegt in dem Namen des Herrn, seines Gottes.

Dann wird man wieder sicher im Land wohnen können.

Denn seine Macht reicht bis zum Rand der Welt.

[4] Er wird sich für den Frieden stark machen.

Das Zerrissene heilen

Wie sehr brauchten die Israeliten zur Zeit des Propheten eine solche Kraft, die es schafft, das, was auseinanderklaffte wieder zusammen zu führen? Die Herrschenden jedenfalls haben den Keil immer tiefer ins Volk getrieben. Die Reichen kamen – wie so oft –  gut weg, die Armen gingen vor die Hunde. Die Spaltung in der Gesellschaft war unübersehbar, aber die Herrschenden schlossen die Augen und sagten: Es gibt keine Spaltung.

Der Prophet verheißt, dass Gott eine Gestalt sendet, die das Zerrissene heilt, die Getrenntes wieder zusammenführt, die die Spaltung überwindet, dass alle Zugang zur Heimat ihrer Väter und Mütter haben und dass sie geschützt sind.

Gott wird den Messias senden und wir Christinnen und Christen glauben, dass das Kind, das heute Nacht geboren wird, der Messias ist.

Es ist geradezu traurig, dass wir unsere Erfahrungen, Ängste und Sehnsüchte in dem alten Prophetenwort wiederfinden und gespiegelt bekommen. Als hätten wir als Menschheit nichts gelernt.

Der Spaltpilz geht um. Er zerreißt unsere Familien, unsere Freundschaften, untergräbt unser Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen, in politisch Handelnde. Ich schüttele mich und mir graut davor, dass die Spaltung und die Radikalität zunehmen könnten.

Ich sehe mich auch selbst, meine Ohnmacht, mein Erschrecken und gleichzeitig meine Vehemenz mit der ich meine Sicht vertrete, behaupte, verteidige und wie ich zur Zerrissenheit beitrage. Ich bin mir nicht bewusst, jemals mit meiner Person so stark in die Frage nachdem, was richtig oder falsch ist, involviert gewesen zu sein wie in der jetzigen Pandemie; gleichzeitig bin ich verwirrt, irritiert und überfordert, alles, was sich aufdrängt an Nachrichten einzuordnen. Ich bin selbst zerrissen. Glücklich diejenigen, denke ich, die eine feste Haltung haben, oder verstecken sie sich nur dahinter, weil sie gar nicht erst eine andere Sichtweise an sich heranlassen, weil die Einteilung der Meinungen in schwarz und weiß halt doch hilfreich ist, zumindest bequem?

Christus heilt das Zerrissene. Was können wir von ihm lernen oder geht es vielleicht gar nicht ums Lernen oder Nachahmen, sondern darum, dass verletzliche Kind in der Krippe aufzusuchen und in seiner Gegenwart und im Anblick des menschenfreundlichen Sohnes Gottes sich selbst heilen zu lassen?

Das Zerrissene, die eigene Bedürftigkeit wahrnehmen, könnte ein erster Schritt sein, dass ich hinter und unter meinen Ängsten meine resistente Haltung wahrnehme und selbst in der entgegengesetzten Haltung – die ich unvernünftig nenne – zuerst den Menschen dahinter sehe.

Christus heilt das Zerrissene, weil er in jedem Menschen das Ebenbild Gottes sieht. Christus heilt das Zerrissene, weil er sich unserer erbarmt, jede und jeden annimmt, keinen ausschließt, der seine Nähe sucht. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen,“ sagt Christus. Christus ist das Heil.

Dieser spirituelle Zugang zum Leben und zum Andersdenken – und Handelnden – auch und gerade in der Krise – wirkt sich im Miteinander aus, vielleicht weniger als wir hoffen, aber oft mehr als wir augenscheinlich wahrnehmen.

Heute Nacht scheint die Liebe auf, nicht die Rechthaberei, heute Nacht werde ich geliebt und das macht mich fähig andere Menschen –  meinen Nächsten – mit Liebe anzuschauen. Gottes Liebe erscheint in einem verletzlichen Kind und will zur Selbsterkenntnis führen: Es würde uns allen guttun, wenn wir uns auf Christus hin ausrichten und sein Licht durch uns scheinen ließen. Mag es auch immer wieder nur flackern dieses Licht in uns, mag es drohen zu verlöschen und nur noch glimmen, es würde dennoch einen Unterschied machen. Der Christusglaube trägt die Liebe in sich, eine Liebe, die das Zerrissene heilt.

 

Ein Zuhause finden

Zu Zeiten des Propheten Micha lebte ein großer Teil des Volkes Israel im Exil. Dorthin waren die Menschen deportiert worden. Ihre Arbeitskraft wurde ausgenutzt, sie wurden überwacht, ihre Identität und die Bindung ihrer Religion an Heilige Orte sollte in der Fremde geschwächt werden. Der Prophet verheißt den Exilierten ihre Rückkehr, wenn die Gebärende den Messias zur Welt bringt.

Eine Geburt als Wendepunkt in Zeit und Geschichte. Das ist Weihnachten. Alles, was die vergehende Zeit strukturiert gibt uns Halt in der Zeit. Wir Menschen brauchen Halt in der Zeit. Wer die Zeit nicht mehr strukturiert erlebt, verliert sich selbst schnell in der Zeit. Arbeitslose wissen davon ein Lied zu singen. Aber auch wir alle verlieren uns schnell in der Zeit, wenn wir nur noch Informationen und Bildern auf unseren Smartphones nachjagen, die nichts mit unserem wirklichen Leben zu tun haben. Informationen und Scheinkommunikation addieren die Zeit, sie füllen sie nicht.

Eine Geburt ist da schon etwas anderes. Eine Geburt ist eine Zäsur! Wie gern fragen Kinder ihre Eltern, wie es denn war als sie auf die Welt kamen. Sie wollen hören wie schön es war, wie es die Welt verzaubert hat, wie wichtig diese Zeit für die Eltern war, was Neues damit begann. So verortet sich ein Kind in die Zeit.

„Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“ heißt es treffend im Evangelium. Mit der Geburt Christi beginnt eine neue Zeitrechnung. Es ist eine heilvolle Zeit für alle angebrochen.

Nach Hause kommen ist gerade an Weihnachten wichtig. Viele machen sich auf und besuchen ihre Eltern und Großeltern, oft kommen sie in ihr altes Zuhause – oft rutschen sie auch wider Willen in eine vermeintlich schon längst abgelegte Rolle als würde das Leben an vertrauten Orten wieder in eine alte Spur springen, wie die Nadel auf einer Schallplatte.

Das mit dem Nachhausekommen ist schön und gleichzeitig nicht einfach und oft gibt es kein festes Zuhause mehr, wenn die Eltern sich getrennt haben, wenn das Leben alles durch einander gewirbelt und neu geordnet hat. Ein neues Zuhause finden, geht das? Oder besser noch bei sich zu Hause sein, wie geht das? Ich glaube das geht, aber es gibt viele verschiedene Wege dahin.

Und es sind oft viele Schritte, zwei vor, einer zurück, die es dafür braucht. Sicher ist, dass die Dinge in unserem Leben uns Halt geben. Das vertraute Bett. Der vertraute Stuhl. Die alte Vase im Regal. Die Stimme meiner Partnerin, meines Partners. Selbst die Geräusche des defekten Kühlschranks.

In Michas Verheißung werden die Menschen in Sicherheit wohnen. Der Gesandte Gottes wird unter ihnen und mit ihnen wohnen. Wir wissen, dass die Welt noch nie so viele Flüchtlinge gezählt hat wie heute. Menschen wie du und ich, die einfach nur in Sicherheit leben wollen und es in ihrer Heimat nicht können.

Auch Jesus war ein Flüchtlingskind. Seine Familie musste vor den Schergen Herodes nach Ägypten fliehen. Jesus war Zeit seines öffentlichen Wirkens ohne festen Wohnsitz. Wohnung hat er bei denen gefunden, die ihn aufnahmen. Seine Heimat war eine geistige, seine Verbindung mit seinem himmlischen Vater.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ heißt es im Neuen Testament. Weihnachten heißt auch, wir sind nur Gast auf Erden, unsere Heimat ist im Himmel.

Wenn die Dimension der Ewigkeit verloren geht, werden wir Gottes Heil zu Weihnachten nicht mehr erkennen oder gar schmecken. Aber selbst, wenn wir uns schwer tun das Heil in Christus heute zu erkennen oder zu glauben, lasst uns darauf achten und darin üben, einander zu beherbergen, denn der Mensch kann ohne einen Zipfel Heimat nicht sein. Und wenn wir einander beherbergen, uns füreinander öffnen und uns in unserer Bedürftigkeit annehmen, wird Gott uns nahe sein und wir werden seine Gegenwart spüren als würden wir den Saum seines Gewandes berühren.

 

Frieden

„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“ verkünden die Engel. Weihnachten und Frieden sind auf ewig miteinander verbunden. Mit der Geburt Gottes als Mensch, verbürgt sich Gott für Frieden.

Der Prophet Micha verheißt den Messias. Und das Zeichen des Messias wird sein, dass mit ihm der Friede kommt. Der Friede Gottes ist in die Welt gekommen und wir haben immer noch nicht verlernt Kriege zu führen.

Wir verdunkeln den Glanz, der in die Welt gekommen ist. Aber überall da, wo wir unsere Menschwerdung leben und immer wieder neu damit anfangen, wo wir Frieden machen, Versöhnung leben, nicht allgemein, sondern ganz konkret: in der Bitte um Verzeihung, in der Art und Weise wie wir über andere sprechen, wenn wir von Herzen vergeben, in der aufrichtigen Suche nach Lösungen in einem Konflikt, in der Annahme des Anderen, wenn wir gerecht sind und für das Gute streiten, da kommt Christus wieder zur Welt, da wird Weihnachten.

Amen

 

 

 

 

 

 

Predigt zum Gedenken der Reformation 2021: Geschenkte Freiheit, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2021

 

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal 5,1)

Liebe Gemeinde,

das Stichwort Freiheit wurde genau vor 500 Jahren mit der Freiheitsschrift Martin Luther zum Initial der Reformation: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Vielleicht war dieser Auftakt einer neuen kirchlichen Bewegung so klar und deutlich, dass er gleich den Bauernkrieg mit ausgelöst hat und religiöse Bewegungen wie die Täufer, die über das Ziel hinaus schossen.

Doch wie ist das heute mit der Freiheit? Landauf, landab machen sich viele Menschen Gedanken, wie unsere evangelische Kirche sich den Herausforderungen der Zeit stellen soll. Es gibt viele gute Ansätze und neuerdings auch ein Positionspapier der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland mit dem Titel: „E.K.I.R. 2030. Wir gestalten ‚evangelisch rheinisch‘ zukunftsfähig“. Im Positionspapier wird auf die protestantische DNA ecclesia semper reformanda hingewiesen, was soviel heißt wie: Die Reformation der Kirche ist nie abgeschlossen. Eine Kirche, die an alten Strukturen festhält, ist nicht offen für die lebensstiftenden Bewegungen und Veränderungsprozesse des Geistes Gottes.

Von der Notwendigkeit alte Strukturen aufzubrechen

Von der Notwendigkeit alte Strukturen aufzubrechen und neue Wege als Kirche zu gehen sind so gut wie alle überzeugt. Was aber ist ein guter Weg und wie können wir das beurteilen? Gibt es dafür theologische Kriterien oder gar eine Unterscheidung der Geister? In vielen grundsätzlichen Fragen herrscht Uneinigkeit. Das verunsichert viele Menschen.

Uneinigkeit ist erst einmal gar nicht schlimm, wenn sie produktiv ist, wenn Unterschiede deutlich werden und die gemeinsame Suchbewegung nicht dauerhaft gelähmt oder gar verlassen wird. Schon viele engagierte Christinnen und Christen haben sich mit aller Kraft für Veränderungen eingesetzt und sind dabei aufgerieben worden.

Sicherlich gibt es nicht nur ein Kriterium, um zu prüfen, ob die angestrebten Veränderungen mit dem, was die Kirche verkündigt und was ihr Innerstes ist, übereinstimmen. Jedoch sollte ein Kriterium, das aus meiner Sicht für die protestantischen Kirchen zur Urerfahrung als Glaubensgemeinschaft gehört, unbedingt berücksichtigt werden: Freiheit

Hier sind einige, nicht abgeschlossene oder gar annähernd vollständige Gedanken dazu:

Geschenkte Freiheit

Wir müssen uns die Freiheit nicht erarbeiten. Sie ist uns von Gott geschenkt. Unser Erlöser, unser Bruder und HERR Jesus Christus hat uns zur Freiheit befreit. Wir sind befreite Kinder Gottes und erleben diese Freiheit im Glauben. Gottes Geist teilt uns die Freiheit, die uns niemand streitig machen kann, mit. In der Gemeinschaft der Glaubenden bezeugen wir einander diese Freiheit. Das heißt konkret, wir sehen unser Gegenüber und die Anderen nicht von ihren Fehlern und Defiziten, sondern von Gott her, der uns alle zur Freiheit beruft, aufrecht und selbstverantwortlich unseren Glauben und unser Leben in dieser Welt zu leben. Die durch Gott geschenkte Freiheit ermöglicht Veränderungen und Neuanfänge, ohne Identität zu verlieren. Diese geschenkte Freiheit hat auch Bestand in schmerzhaften Prozessen, in Trauer über das Verlorene, über den Rückbau von Strukturen und selbst im Verlust von Kirchen und Gemeinden. Die geschenkte Freiheit macht uns heilsam passiv und gleichzeitig wachsam, widerständig und lebendig. Durch die von Gott geschenkte Freiheit wird der Mensch zu seinem rechten Maß befreit, das heißt er muss nicht alles selbst leisten, sondern er ist schon frei und darf das ausleben, was Gott an Möglichkeiten in ihm angelegt hat.

Ich träume von einer Kirche, die von der geschenkten Freiheit Gottes her lebt, denn nur diese Kirche hat eine befreiende Botschaft für alle Menschen, nur diese Kirche hat ein weites Herz und weiß die Quelle ihrer Kraft nicht in sich selbst, sondern in Gott.

 

Freiheit und Liebe

Die geschenkte Freiheit ist kein Selbstzweck. Sie führt zur Verantwortung an dem Platz, wo wir als Gemeinde leben. Die geschenkte Freiheit ist der bleibende Auftrag, Kirche zu gestalten und erlebbar zu machen, dass Menschen in ihr diese Freiheit schmecken, von ihr angezogen werden, gestärkt werden ihr Leben zu bewältigen. Umgekehrt muss sich unsere Gemeinde immer wieder fragen lassen: Erleben denn Menschen bei uns diese Freiheit des Glaubens? Wie kann die und der Einzelne die geschenkte Freiheit – Gottes unbedingtes Ja zu ihr und ihm – erfahren? Was brauchen die Menschen wirklich? Was gibt ihnen Halt und Sinn? Wie können sie, wie können wir aus Entwurzelung, Einsamkeit und Überdruss, aus krankmachenden Strukturen ausbrechen, ohne sich wieder anderen ambivalenten Mächten auszusetzen? Das geht nur im Erfahrungsraum der Liebe, der geschenkten Freiheit. Es gilt die Sehnsucht nach Gott, die Sehnsucht nach Angenommensein und Dazuzugehören, aufzugreifen. Es gilt auch die Sehnsucht nach Partizipation und Selbstwirksamkeit, nach Resonanz, die die Menschen heute umtreibt wirklich ernst zu nehmen.

Ich träume von einer Kirche als Resonanzraum für Menschen, die auf der Suche sind nach Gott und seiner Wirklichkeit.

Ich träume von einer Kirche, die Zeugin ist von der Liebe Gottes und deren schwacher Glaube nicht aufhört in der Liebe tätig zu sein. (Gal 5,6b).

 

Freiheit und Wahrheit

Die Freiheit ist in die Wahrheit verliebt. In Wahrheit mutet die Kirche der Welt ihre Botschaft von der Versöhnung zu. Diese Versöhnung wird in der Gemeinde selbst gelebt, das heißt: Die Wahrheit mutet sich den Anderen zu. Nur im Geist der Wahrhaftigkeit kann Freiheit gedeihen und Liebe Wurzeln schlagen.

Martin Luther hat einmal sinngemäß gesagt: Das christliche Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden. Ich glaube, der Satz stimmt auch, wenn wir ihn auf die Kirche übertragen. Die christliche Kirche ist nicht ein Kirche-Sein, sondern ein Kirche-Werden. Diese Haltung, dass wir unterwegs sind, dass wir nach vorn ausgerichtet sind, immer wieder Gemeinde-Werden, gilt es einzuüben. Dann halten wir nicht nur an dem fest, was war oder ist, sondern richten uns auf das aus, was werden kann. Wir sind und bleiben für Gottes Wirken offen, für Veränderungen an und durch uns.

Ich träume von einer Kirche, die der Wahrheit verpflichtet ist und wahrhaftig miteinander umgeht. Ich träume von einer Kirche, die ein Raum der Freiheit ist, wo Wahrhaftigkeit und Vertrauen gedeihen.

 

Freiheit und Gerechtigkeit

Wenn die geschenkte Freiheit nicht zur Gerechtigkeit im Umgang miteinander, im Sehen und Gesehen-Werden, in der Verteilung der Güter, dass alle ausreichend zum Leben haben, in der gleichen Würde aller Menschen ohne Ansehen der Person führt, dann kann sie noch so geistlich vor sich hergetragen werden, sie wird dem Willen Gottes nicht gerecht. Wo Gerechtigkeit nicht angestrebt wird und Fuß fasst, ist die Freiheit ein Spielball der Macht und der bestehenden Verhältnisse.

Ich träume von einer Kirche, in der es gerecht zugeht und die zu Recht und Gerechtigkeit beiträgt.

 

Liebe Gemeinde,

das sind nur einige Gedanken zu einer Kirche, die in unserer Gesellschaft im Umbruch steht. Die neue Gestalt der Kirche ist noch nicht erkennbar, um sie wird gerungen. Wir dürfen ganz aktiv auf Gott vertrauen und darin völlig passiv sein, dass Gott seinen Weg mit unserer Kirche gehen wird. Hier sind das Gebet und das Hören auf Gottes Wort und seinen Geist gefragt. Wir sind Empfangende, darin bin ich gewiss. Und wir dürfen mit unserem schwachen Glauben und unseren vorläufigen Erkenntnissen mit Herz und Verstand neue Kirchenformen denken, wagen und gestalten, aber wir sollten niemals vergessen:

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ (Gal 5,1)

Amen