Rezension zu: Markus Reiter, Dumm 3.0. Wie Twitter, Blogs und Networks unsere Kultur bedrohen. Gütersloher Verlagshaus 2010, ISBN 978-3-579-06883-1, 17,95 Euro
Die Formulierung des Buchtitels „Dumm 3.0“ spielt an auf die Bezeichnung des interaktiven Internets als „Web 2.0“. Damit ist die rhetorische Figur der Klimax gemeint, deren Aussage hier ist: Nach Web 2.0 kommt Dumm 3.0. Dass diese Phase jetzt schon im Internet angekommen ist, zeigen z. B. auch erste Reaktionen auf Interviews zu diesem Buch z. B. auf Twitter, womit es aber auch Aufmerksamkeit erzeugt.
Journalismus muss bezahlt werden, um gut zu bleiben.
Markus Reiter kennt sowohl vom „Readers Digest“ als auch von der „FAZ“ her die Funktionsweise des professionellen Journalismus, der Informationen auf ihren Nachrichtengehalt hin prüft, bewertet und aus der Vielzahl von Meldungen auswählt. Journalismus muss zudem gesellschaftliche Skandale aufwecken und Demokratie erlebbar machen. Er darf nicht nur in den Suchdiensten des Internets recherchieren, sondern muss dies auch persönlich vor Ort und im Gespräch. In Reiters Buch kommen daher Blogger wie Presse-Journalisten gleichermaßen zu Wort.
Das Internet ist die Zukunft.
Obwohl der Autor schon mit dem Titel die Zukunft des Internets schwarz malt, die Entgleisungen der Bloggerszene als „Kakophonie“ bezeichnet, ist klar: Die Präsenz des Internets hat schon jetzt begonnen, die journalistische Welt zu verändern. Interessanterweise kommt in diesem Zusammenhang der Schritt zu den Massenmedien Radio und TV ein wenig zu kurz. Dass man in den Zeitungen die Nachrichten von gestern liest, weiß ja schon der Radiohörer und nicht erst der Nutzer des Internets. Manchmal schienen Markus Reiters prophetische Zukunftsvisionen den Weg zu einer deutlicheren Analyse zu verstellen. Was bringt die Zukunft wirklich? Wird die Tageszeitung abgesehen von überregionalen Massenblättern bald nur noch als E-Book gelesen, wie er prophezeit? Wäre es wirklich ein Beinbruch, wenn die Auflagenstärke der Presse auf den Stand der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurückfallen würde? Klar ist heute allerdings: Für die Meinungsvielfalt braucht die Presse in den Zeiten des Internet nicht mehr zu sorgen.
Demokratie, Meinungsfreiheit und Globalität.
Markus Reiter stellt an anschaulichen Beispielen dar, wie z. B. den „Piraten“, dass der Internet-Journalismus zu Meinungsinseln privater Gruppen führt, so er nicht ohnehin ein Spiegelbild der kommerziellen Angebote ist. Der Unterschied zwischen öffentlich und privat ist im Internet verschwunden. Suchdienste ersetzen den Journalismus nicht, können aber hochaktuelle Infos liefern (Beispiel: Wiederwahl des Bundespräsidenten). Die wichtigste Funktion des Internet scheint jedoch zu sein, Globalität herzustellen.
Fazit.
Markus Reiter verdeutlicht die Umbruchphase, in die das Internet den Journalismus gebracht hat. Manche Qualitätsverluste in der eigenen Zunft werden beklagt. Das Buch ist anregend und verdeutlicht die Empfindlichkeiten, die durch Kostendruck und Konkurrenz ausgelöst werden. Die Polemik Reiters gegen den Internetjournalismus klingt an einigen Stellen überzeichnet, wenn er auch zu Recht auf Missstände hinweist. Bezahlter Journalismus wird bleiben, nicht nur für die Eliten, sondern gerade auch für die nicht elektronisch lesenden Massen. Langfristig jedoch mögen elektronische Datenträger die Druck-Erzeugnisse verdrängen. Das Abo der Zeitung jedoch wird auch dann ein Abo bleiben. Das Internet vermittelt Globalität und Gleichzeitigkeit im „Second Life“, die Information im ersten Leben dagegen Lokalität und gute Recherche. Der Autor stellt wichtige Fragen und weist zu Recht auf die Aufgaben von Bildung hin. Die Geschichte der Zivilisation ist bis jetzt immer auf neue Medien eingestiegen, ohne die alten gänzlich aufzugeben. Es gibt die Bibel neben dem Fernsehen. Also wird es in Zukunft auch die Zeitung neben dem Internet geben. Dies alles wird vernetzt sein. Die Blogger-Cliquen werden sich hoffentlich auflösen. Und was bezahlt werden kann und soll, wird auch zu bezahlen sein.