War Jesus Christus, ein Revolutionär im Stil Che Guevaras, wie es das Titelbild des SPIEGELs (17/2011) und der Leitartikel von Matthias Schulz plausibel machen will?
Die offenen und verdeckten Spitzen gegen die römische Besatzung in Judäa und deren israelitischer Unterstützer im Neuen Testament, vor allem in den Evangelien, täuschen nicht darüber hinweg, dass ein „Leben Jesu“ auf der Basis neutestamentlicher Texte nicht geschrieben werden kann. Zu stark sind diese Berichte von urchristlicher Gemeinde-Theologie und jüdisch-alttestamentlichen Bezügen geprägt. Die Evangelien sind religiöse Literatur und keine historischen Berichte, die im Stil einer Reportage ausgewertet werden könnten. Das Jesusbild changiert und ist stark geprägt von christologischen Formeln. Genannt wird Jesus: „Sohn Gottes“, „Menschensohn“ bis hin zum „König der Juden“, und zwar von den Weihnachtsgeschichten bis zur Passionsgeschichte. Belege zur Reportage des „Revolutionärs“ Jesus fehlen fast völlig in den Paulusbriefen, obwohl sie doch die ältesten Zeugnisse sind und schon vor dem jüdischen Krieg geschrieben wurden, im Gegensatz zu den Evangelien, die erst danach entstanden. Dies gilt aber nicht für die Christusbezeichnungen, für die Kreuzigung, die Auferstehung, für Taufe und Abendmahl. Sogar das Liebesgebot Jesu wird von Paulus weitergegeben. Was historisch am schwersten wiegt ist jedoch der fehlende Bezug in der entscheidenden Schrift des Josephus, im „bellum judaicum“. Die vom Autor erwähnte Stelle aus den „antiqitates“ hat für die Frage nach Jesus selbst keinen historischen Wert. Allein die ausdrückliche Nennung des Gekreuzigten im Buch „bellum judaicum“ im Zusammenhang mit der Amtszeit des Pilatus, den Josephus ja ausdrücklich erwähnt, würde als Bestätigung gelten können. Der bei Josephus erwähnte Pilgeraufstand, der von Pilatus gewaltsam niedergeschlagen wurde, wurde von einer Kontroverse um die Bezahlung der Wasserleitung ausgelöst, zu der die römische Besatzung den Tempelschatz in Anspruch nehmen wollte. Der Tod der Pilger wird im Neuen Testament erwähnt, aber von Jesus selbst und nicht im Zusammenhang mit seinem eignen Tod. Von der Wasserleitung ist im Neuen Testament jedoch nicht die Rede, so dass dieser Pilgeraufstand nicht in einer anonyme Beziehung zu Jesus von Nazareth in Verbindung gebracht werden kann. Diese Stelle zeigt jedoch, zu welchen Taten Pilatus fähig war, zu der letztlich Kreuzigungen zu zählen sind. Ausdrückliche Bezüge auf Jesus fehlen jedoch im historischen Buch des Josephus. Die antike Geschichtsschreibung kennt erst die Christen, jedoch nicht Jesus selbst.
Daraus zu folgern, er sei ein Revolutionär gewesen, ist nicht angebracht und bereits durch die Arbeit von Albert Schweitzer „Geschichte der Leben Jesu Forschung“ als Unmöglichkeit zurückgewiesen. Die Glaubwürdigkeit der Person Jesu liegt in seiner Verankerung im religiösen Kontext. So wird er in den Evangelien oft Rabbi genannt. Nicht als Revolutionär hat er die Welt verändert, sondern als friedvoller, pazifistischer Erlöser, der die Bibel auslegte und Menschen heilte. Dieser Jesus, so historisch es auch gewesen sein mag, ist das Gegenbild zum aufrührerischen Wahnwitz, der in unzähligen Kreuzigungen vor den Toren Jerusalems und im kollektiven Selbstmord in der Festung Massada endete. Schon Paulus schrieb vor dem Ausbruch des jüdischen Krieges: „Wir predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit.“ (1. Korinther 1, 23)
Der Revolutionär Jesus wäre nicht auferstanden, sondern zum Märtyrer geworden.
Nachtrag: Der dem o.g. SPIEGEL-Heft beigefügt Film ist unbedingt zu empfehlen. Im Gegensatz zum besprochenen Artikel stellt er die Geschichte Jesu in einen historischen und archäologischen Kontext, ohne den Christusbezug der Evangelien aufzuheben. Und auch so ist die Geschichte Jesu geschichtlich nachvollziehbar, ohne diesen in einen Revolutionär umzudeuten.