Die Predigt 1. Korinther 14 (Auswahl) zum 2. Sonntag nach Trinitatis wird gehalten in Günne und in Neuengeseke am 9./10.6.2018.
1 Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet!
2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht ihn: im Geist redet er Geheimnisse.
3 Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.
4 Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde. …
10 Es gibt vielerlei Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. 11 Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich ein Fremder sein für den, der redet, und der redet, wird für mich ein Fremder sein.
12 So auch ihr: Da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut. …
20 Liebe Brüder und Schwestern, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Bosheit geht; im Verstehen aber seid erwachsen. 21 Im Gesetz steht geschrieben: »Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, aber auch so werden sie nicht auf mich hören, spricht der Herr.« 22 Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen.
23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? 24 Wenn aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen überführt und von allen gerichtet; 25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.
Liebe Gemeinde,
dieser Text, den wir in Auszügen gehört haben, lehnt sich sehr eng an das bekannte Hohelied der Liebe. Um das kurz ins Gedächtnis zu rufen, lese ich die ersten drei Verse und den letzten:
„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (1.Korinther 13, 1-3.13)
In Kapitel 14 erfahren wir, dass es Paulus besonders um zwei Begabungen geht, um die Zungenrede und um die prophetische Rede. Ich möchte diesem Text in zwei Richtungen nachgehen. Das erste ist: Die Gaben des Geistes in der Gemeinde, Predigt und prophetische Rede. Das zweite ist der Respekt für das Unverständliche und Ungewöhnliche.
Im Schlussteil möchte ich auf eine aktuelle Sache eingehen, das Bischofswort zur Teilnahme evangelischer Christinnen und Christen an der katholischen Eucharistie und die Stellung des Vatikans dazu.
Erster Teil:
Die Gaben des Geistes in der Versammlung
Wie oft überlegte ich, auf welche Fragen dieser Text wohl antwortet. Eine Frage lautet meines Erachtens: was sind die Gaben des Geistes in der Menschenversammlung?
Dazu ein kurzer Kommentar zum Wort Versammlung, griechisch Ekklesia. Wenn wir dieses Wort ekklesia, aus dem in der langen Geschichte des Christentums das Wort Kirche geworden ist, der Einfachheit halber mit Kirche übersetzen, dann haben wir ein bestimmtes Verständnis in diesen Bibeltext hineingelesen, das er möglicherweise, ja ganz sicher, so gar nicht hat.
Möglicherweise ist die Kirche der damaligen Zeit die Synagoge, die jüdische Gottesdienst Versammlung. Und was ist dann Ekklesia? Dieses Wort steht im ganz normalen griechischen Wörterbuch und es hat eine ganz alte demokratische Tradition. Volks-Versammlung, Bürgerschaft könnte man sagen. Warum gehen wir über diese Bedeutung des Wortes hinweg? Wir sollten uns einmal vorstellen, dass auch dann, wenn aus dieser Ekklesia eine Kirche geworden ist, diese Kirche am Anfang nichts anderes war als eine Menschenversammlung.
Das Wort Menschen ist hier natürlich überflüssig, aber ich füge es trotzdem hinzu, damit wir uns klarmachen, dass die Menschen sich hier versammeln und von ihrem Glauben und ihren Erfahrungen mit Jesus erzählen und sich untereinander darüber austauschen und auch mit einander beten, zusammen oder einzeln, und möglicherweise auch miteinander das Abendmahl feiern. Paulus spricht in diesem Abschnitt von den Gaben des Geistes, der diese Menschenversammlung ausmacht.
Die prophetische Rede, die Fähigkeit von der Gegenwart Gottes in dieser Welt zu sprechen, ist eine Gabe des Geistes. Die Fähigkeit in unbekannten Sprachen zu sprechen, zu singen oder zu beten und Gott zu preisen ist eine andere Gabe des Geistes. Die Fähigkeit auf die Armut der Menschen hinzuweisen und dafür zu sprechen, dass Menschen ihre Herzen brennen lassen und sich für andere einsetzen, ist eine wieder andere Gabe des Geistes.
In diesem 14. Kapitel geht es um die unverständlichen Worte und um die prophetische Rede. Das Ziel aller Gaben, die Menschen, Männer und Frauen in die Versammlung der Gemeinde, in die Menschenversammlung aller Völker, aller sozialen Schichten und Generationen einbringen, ist klar umrissen.
Es geht darum, dass alle das gemeinsame Ziel haben, die Gemeinde aufzubauen, zu ermutigen und zu trösten. Dazu setzt sich Paulus nun auch noch einmal kritisch mit der Rede in unbekannten Sprachen auseinander. Die Intention des Paulus ist klar: auf den Glauben kommt es an. Und dazu ist die prophetische Botschaft zu allererst geeignet, da sie das Ziel hat, Menschen vom Glauben zu überzeugen und Menschen, die bereits glauben, darin zu bestärken. Das ist nun im Einzelnen beschrieben worden, was ich im Folgenden aufzähle:
Erstens: Die Menschen sind durch diese Rede von ihrer Schuld überzeugt. Hiermit ist allerdings nicht gemeint das schlechte Gewissen vor Gott, das uns in der Religion oft genug eingeredet worden ist. Mit Schuld ist hier eine Art Betroffenheit gemeint. Ich bin zwar nicht schuld an allen schlechten Verhältnissen auf dieser Welt, aber ich bin an allen Verhältnissen dieser Welt beteiligt, und insofern auch nicht unschuldig. Diese Verhältnisse sind die Schuld, die ich schon mit meiner Geburt auf dieser Erde übernommen habe. Verhältnisse die ich übernommen habe, sind schon da gewesen, als ich zum Leben gekommen bin. Und trotzdem ist es mein Leben und ich bin jeden Tag für jeden Gedanken, für jede Tat, für jede Handlung für jede Beziehung und für das Unterlassen einer Beziehung verantwortlich. Ich lebe nicht im luftleeren Raum. Das ist die Schuld, die Jesus am Kreuz für uns getragen hat. Sie führt uns auf den Weg des Glaubens, eines neuen Handelns.
Zweitens: Ich bin mit meinem Leben so verbunden, dass ich mich nun von allen Menschen, ja vielleicht sogar von allen Geschöpfen, und damit natürlich auch von Gott zur Rechenschaft gezogen sehe. Wenn die Versammlung, in der das passiert, eine Menschenversammlung ist, dann haben alle Verhältnisse, in den Menschen leben, auch etwas mit mir oder mit uns zu tun.
Drittens: Geheime Gedanken kommen ans Licht. Es wird deutlich, dass ich von nun an nicht mehr so tun kann, als gäbe es die anderen Menschen nicht. Paulus will damit sagen, dass Menschen miteinander offen und ehrlich umgehen können, weil sie von Jesus her wissen, dass sie darin vor Gott und untereinander gleich sind und keiner einen Vorzug vor einem oder einer anderen hat, nicht aufgrund irdischen Reichtums und auch nicht aufgrund religiöser geistlicher Gaben.
Viertens: Angesprochen von dem Bewusstsein der Gegenwart Gottes und angesprochen von dem Gefühl, bei aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit zu einer einzigen Menschheit zu gehören, die von Gott geschaffen worden ist und die von Jesus Christus erlöst worden ist, eröffnet sich den Menschen in der Versammlung der Wunsch, zu Gott zu beten und mit Gott in Verbindung zu sein. Diese Verbindung wird von Gott selbst hergestellt durch Jesus Christus.
Fünftens: Am Ende dieses Abschnitts steht der Satz, der den Menschen in den Mund gelegt wird, die auch die möglicherweise diese Versammlung das erste Mal erleben, und die dann ein bestimmtes Gefühl und einen bestimmten Gedanken auf der Zunge haben. Sie sagen von den anderen: „Gott ist mitten unter euch!“ Eine andere Übersetzung sagt: „Gott ist wahrhaftig in euch!“ In griechischen Neuen Testament steht hier einfach nur: „Gott ist in euch!“
Zweiter Teil:
Ich gehe nun von dieser Erfahrung, Gottes Geist in den Menschen erfahren zu können zurück auf den zuvor schon benannten Gegensatz zwischen Zungenrede und prophetischer Rede. Gemeint ist wohl der Gegensatz zwischen einem Vorgang, der erklärt und gedeutet werden muss und einem Vorgang, der klar und deutlich verstehbar ist. Die eigentliche Absicht des Paulus ist für unsere Kirche heute geradezu absolut aktuell.
Er empfiehlt: Bei allem, was in einer Gemeinde geschieht und auch in dem was Menschen miteinander reden, sollten wir uns fragen: ob es in diesem Moment möglich wäre, dass ein Außenstehender hinzukommt.
Die prophetische Rede ist mehr oder weniger nichts anderes als das Wort Gottes selbst. Dieses Wort spricht Menschen unmittelbar an. Es geht zu Herzen, ist aber auch gedanklich nachvollziehbar. Menschen sehen ihren eigenen Lebenswandel vor sich oder denken über die Frage nach dem Sinn ihres eignen Lebens nach. Im Mittelpunkt jedes Gottesdienstes steht ein einzelner Mensch ganz persönlich. Es geht um die Frage, wie die Gegenwart Gottes im eigenen Leben zu erfahren und zu verstehen ist. Dies macht Paulus am Beispiel der prophetischen Rede klar. „(24+25) Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.“
Ich weiß nicht, woher Paulus dieses Argument hat, aber die Aussage, wie wirkt das, was wir reden und tun auf einen Außenstehenden, finde ich wirklich ganz interessant. Auf unsere Gottesdienste angewandt sehe ich dabei zwei Möglichkeiten:
Die erste Möglichkeit ist diese: Wir denken nur an die Außenstehenden und Ungläubigen und überlegen von ihnen her, wie sie Gott heute erfahren können. Der Gottesdienst sollte dann voraussetzungslos sein. Dann müssen wir alles aus dem Gottesdienst verschwinden lassen, was aus sich heraus unverständlich ist.
Ich finde es gut, dass es inzwischen manche Gottesdienste gibt, die sich an Außenstehende richten, wie ja auch Familiengottesdienste für Kinder verständlich sein müssen.
Die zweite Möglichkeit ergibt sich, wenn man wie Paulus trotz der Bedenken der Zungenrede ein gewisses Recht einräumt. Dies hieße im übertragenen Sinn bezogen auf unsere Gottesdienstgestaltung auch eine gewisse Toleranz gegenüber eingeübten, aber von außen unverständlichen Elementen. Übertragen könnte man sagen, dass es letztendlich der Respekt vor jeder Art von Kunst ist.
Wenn jemand in eine Synagoge oder in eine Moschee ginge, dann würde er sich nicht darüber wundern, dass er sehr viele Riten und Lesungen nicht versteht, vor allem wenn auch noch in Arabisch oder in Hebräisch gelesen wird. Aber Religion ist nicht nur eine Sache des Intellekts, sondern auch des Gefühls. Es muss in der Religion auch Dinge geben, die dem Verstand zunächst verschlossen sind. An die man sich vielleicht eher gewöhnt, als dass man sie versteht. Religion ist immer auch ein Geheimnis und sollte es auch bleiben.
Doch es ist ein Geheimnis, dass jeden und jede persönlich betrifft und im Kern verständlich ist. Noch einmal in der Welt des Paulus gesagt: Die Zungenrede ist ein Zeichen für die Ungläubigen, weil sie diese Menschen mit der geistigen Wirklichkeit der Religion konfrontiert. Für die Gläubigen wird Kirche eher zu einer Heimat als zu einem Ort, an dem immer alles nur mit dem Verstand erschlossen wird.
Es geht um die Gegenwart des Heiligen Geistes, der uns auch Furcht und Respekt einflößt. Die prophetische Rede ist Zeichen für die Gläubigen, weil sie den Glauben nun auch vom Verstand her erklärt, so dass er nicht nur für die Kirchen selbst gilt, sondern auch für das ganze Leben. Und für beides gilt gemeinsam: „Strebt nach der Liebe!“ Kürzer kann man die christliche Religion nicht zusammenfassen.
Ein Ausblick zum Schluss: Die katholische Bischofskonferenz hat auf ihrer letzten Sitzung ein Papier beschlossen, dass unter bestimmten Umständen die Teilnehme evangelischer Christinnen und Christen an der katholischen Messfeier, an der Eucharistie erlauben will. Der Beschluss war relativ eng gefasst. Das war nur im Sinn von konfessionsverschiedenen Ehepaaren gemeint, die gemeinsam den katholischen Gottesdienst besuchen. Der Erlaubnis soll ein Gespräch mit dem Priester vorhergehen. Dies ist natürlich schon viel enger als die bisherige Praxis, in der die Teilnahme evangelischer Christen schlicht geduldet wird, weil in der Anonymität ein gewisser Schutz auch in der Messe gilt.
Gegen den Beschluss wurde Protest eingelegt unter anderem vom Kölner Bischof Woelki. Diese Bischöfe hatten Zweifel an der kirchenrechtlichen Gültigkeit. Jetzt hat der Papst in einem Brief an Bischof Marx erklärt, dass der Beschluss der deutschen Bischofskonferenz dem katholischen Kirchenrecht widerspricht. Damit geht der Schuss also nach hinten los. Also, anstelle im Vollzug eine gewiss liberale Praxis stillschweigend zu dulden, wurde der Beschluss, der dies festschreiben wollte, widerrufen. Ich frage mich: Wie soll denn jetzt noch das Streben nach der Liebe zu Geltung kommen.
Und wie sollen evangelische Christinnen und Christen darauf reagieren? Ich denke wir sollten deutlich machen und immer wieder auch ansprechen, dass bei uns wirklich jeder Getaufte zum Abendmahl zugelassen ist. Die Katholiken können also als Gast am evangelischen Abendmahl teilnehmen. Ich habe es in den Altenheimen auch immer so gehalten, jedenfalls solange es von den einzelnen geduldet worden ist.
Von unserer Seite aus sollte es auch kein Problem sein, als evangelischer Christ an der katholischen Messfeier teilzunehmen. Wenn uns der Zugang zur Eucharistie verwehrt würde, hätte man das gewiss zu respektieren, obwohl es schmerzhaft sein mag, sich abgewiesen zu fühlen. Der ökumenische Dialog muss weitergehen. Beide Kirche sollten im Sinn des Paulus nach der Liebe streben, auch wenn sie manchmal dem Kirchenrecht widerspricht.
Amen.