Persönliche Rezension zur Trauer, Christoph Fleischer, Fröndenberg 2021

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Hansjörg Znoj: Ratgeber Trauer, Informationen für Betroffene und Angehörige, 2., überarbeitete Auflage, Hogrefe Verlag, Göttingen 2021, broschiert, 64 Seiten, ISBN: 978-3-8017-2976-9, Preis: 9,95 Euro

Bereits vor einiger Zeit erhielt ich vom Hogrefe Verlag den “Ratgeber Trauer” als Rezensionsexemplar, leider kam meine Lektüre etwas ins Stocken. Traurige Aktualität erhielt der Ratgeber für mich durch den Tod meiner Frau im April dieses Jahrs, der auch Anlass einer kurzen Betätigungspause im Blog war.

Der Tod gehört theologisch immer zu meinen Interessensgebieten, was bei der Beerdigungspraxis im Pastoralberuf ja auch nicht unüblich ist. Ich habe zudem an der Uni ein sehr interessantes und vielseitig angelegtes Tod-Seminar am Institut für christliche Gesellschaftswissenschaften besucht.

Das Seminar ist jetzt fast 40 Jahre her, aber der Name Yorick Spiegel hat sich mir eingebrannt. Seine Lehre von den Trauerphasen war lange prägend und taucht auch im Buch von Hansjörg Znoj wieder auf. Das Buch ist ein schmaler, aber wissenschaftlich fundierter Ratgeber von insgesamt nur 64 Seiten. Ich halte die Empfehlung, das Buch an Trauernde weiterzugeben trotzdem nicht für sinnvoll.

Handout für Betroffene?

Ein Ratgeber in wissenschaftlicher Fachsprache kann kein Handout für Betroffene sein. Das bedeutet nicht, dass dafür nur das wissenschaftliche Publikum in Frage kommt. Jede Person, die irgendwie und irgendwann mit der Begleitung Trauernder zu tun hat, sollte den Inhalt der Broschüre kennen.

Was ist Trauer? Wie äußert sie sich? Was ist normal? Was könnte auf eine Trauerstörung hindeuten?

Phasen von Schock bis zur Neuorientierung

Wichtig fand ich im Vergleich zur älteren Trauerliteratur etwa, dass sich die Phasen von Schock bis zur Neuorientierung nicht wie auf einem Stundenplan verhalten. Gemeint sind eher Erfahrungsebenen, die nebeneinander, übereinander, miteinander und eben nicht schlicht nacheinander geschehen.

Auch sind trauernde Menschen im Prinzip alltagstauglich. Trauer ist keine Krankheit, wenn sie auch belastend ist. Auch in praktischer Hinsicht ist Entlastung sinnvoll.

Trauer hat schon Ähnlichkeit mit einer Depression und ich habe den Verdacht, dass beide Zustände darin verwandt sind, dass sie manchmal unbewusst ablaufen. Ich denke als psychologischer Laie, dass bei einer Depression auch eine Trauererfahrung oder ein Trauma im Hintergrund stehen können.

Trauer kein permanentes Gefühl

Wichtig war für mich bei der Lektüre des Ratgebers eine Sache, die ich in meine eigene Trauer hineingenommen habe, nämlich, dass die Trauer kein permanentes Gefühl ist. Sie ist eine Vorbelastung aufgrund der Erfahrung des Todes, die unterschwellig präsent ist und situativ aufleuchtet. Daher meine ich auch, dass man sich nicht zwangsläufig nach außen hin als Trauernder darstellen müsste.

Der Ratgeber geht für mich ein wenig zu schnell in die Richtung der pathologischen Trauer bzw. der Trauerstörung, obwohl es schon ein wichtiger Aspekt ist.

Ich persönlich habe den Rat des Ratgebers nicht befolgt, mit dem Umzug bis zum Ende des Trauerjahres zu warten. Im Gegenteil: Ich könnte unter bestimmten Umständen das Aus- und Aufräumen und die Wohnungssuche auch als tätige Trauerbewältigung sehen. Ich konnte und wollte mich mit dem Aufenthalt im großen und nun fast menschenleeren Haus nicht abfinden und bin bewusst in eine Wohnung gezogen.

Wo bleiben die Abschiednahme und das Gedenken?

Was mir insgesamt im Ratgeber fehlt, ist der bzw. die Verstorbene selbst. Im Gegensatz zur religiösen Trauerbewältigung bzw. Trauerbegleitung, fehlt hier mit der Abschiednahme auch das Gedenken. Der Ratgeber ist ausschließlich an der Person der Trauernden interessiert und blendet das Objekt der Trauer, das verlorene Gegenüber (weitestgehend) aus.

Ich bin wahrlich kein Friedhofsgänger, weil ich den bzw. die Verstorbenen eher im Leben vermute als im Grab. Aber trotzdem hat auch mir der gelegentliche Blumengruß oder der Besuch am Grab gutgetan und geholfen, mich zu orientieren.

Die im Ratgeber präsentierte neuere und auch schon die ältere Richtung der Psychologie tut m. E. gut daran, nicht nur über den Objektverlust zu reflektieren, sondern auch darüber, wie sich die bleibende Gegenwart der Verstorbenen in uns selbst gestaltet, z. B. als unterschwellige Erinnerung. Das gilt doch auch für andere Arten des Verlustes.

Martin Heidegger schreibt sinngemäß, dass das Leben nur nach vorn und in die Zukunft hineingelebt, aber dass es nur im Blick in die Vergangenheit verstanden werden kann.

Dazu reicht es meines Erachtens nicht aus, nur die Verstorbenen als Verluste und Aufgaben zu sehen. Oft wird mir dann, wenn ich etwas verliere, dessen Wert erst richtig bewusst. Diese Erfahrung des Bewusstseins sollte auch auf der Seite der Psychologie mehr gewürdigt werden.

Reflektierend möchte ich am Schluss über den Ratgeber sagen, dass er ein wichtiges Hilfsmittel für die Begleitender Trauender und ggf. ihrer Therapie darstellt. Da Betroffene im Allgemeinen nicht die Reflektionsebene der wissenschaftlichen Psychologie nachvollziehen können, sehe ich diesen Ratgeber wie schon oben ausgeführt, nicht als Handout für Betroffene, sondern als Hilfsmittel für Begleitende an.

Klar ist, dass wir Betroffene, die wir Menschen in der Begegnung mit dem Tod nun einmal sind, damit zu leben haben, dass das Leben Fragen aufwirft, die wir uns nicht beantworten können und müssen. Aber es schenkt uns auch unendlich viel, das in der Erinnerung präsent bleibt. Das schließt auch eine neue Liebe nicht aus, sondern eröffnet gerade den Weg dorthin.

Hierzu gibt es keinen besseren Text als das Stufengedicht von Hermann Hesse, in dem es zum Ende heißt: „Nimm Abschied und gesunde.“

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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