Aus dem Land der fliegenden Kohlen, Rezension von Christoph Fleischer, Fröndenberg 2022

zu: Marlies Blauth: Bilder aus Kohlenstaub, edition exemplum, ATHENA-Verlag Oberhausen 2021, schwarz-weiß, Hochglanz, 99 Seiten, Paperback, 21×25 cm, ISBN  978-3-7455-1102-4, Preis: 24,50 Euro (print)

 

Der dritte und umfangreichste Gedichtband der Malerin Marlies Blauth ist, wie schon die vorigen, mit eigenen Illustrationen bebildert. Obwohl das Coverbild mehrfarbig ist (warum?), sind alle Bilder im Text schwarz-weiß und, wie schon im Titel bezeichnet, unter Verwendung von Kohlenstaub erstellt.

Die Verwendung dieses Materials soll die Assoziation Ruhrgebiet gleich Kohlenpott hervorrufen. Zugleich ist diese Assoziation ein wenig unwirklich, da ja bekanntermaßen keine aktive Zeche mehr in diesem Ballungsraum existiert. Im Geleitwort von Margrid F. Gantenberg (Journalistin) wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Landschaft des Ruhrgebiets einem Wandel unterliegt. Die Region nördlich der Ruhr könnte man jetzt eher als grüne und blühende Industrielandschaft bezeichnen.

Industrie im Wandel

Hier möchte ich allerdings schon vor einer neuen Ruhrgebietsromantik warnen. Richtig ist, dass die Industrie im Wandel ist. Der immense Straßen-, Bahn und Flugzeugverkehr bringt allerdings nach wie vor einen recht eng besiedelten und nicht ganz leisen Ballungsraum hervor, in dem es gleichwohl landschaftlich interessante Zonen und Parks gibt. Durchweg von Unna bis Duisburg in der Nähe des Flusses Ruhr und in Bereichen, in denen die Landwirtschaft nie ganz verdrängt worden ist.

Marlies Blauth verschweigt Industriekolosse nicht.

Bild: Industrie – Kohlenstaub auf Malpappe [15 cm x 25 cm, 2021], S. 44

„liebliche Landschaften“

Marlies Blauth dichtet aber auch: „liebliche Landschaften/ die man hier nicht vermutet“ (S. 21).

Die alten (und neuen) Kirchen zeugen von einer geschichtlichen Kontinuität durch die Umbrüche hin zu Kohle und Stahl und von ihnen weg. Einige Bilder und Text nehmen das Motiv der Kirche bewusst auf.

Bild Landschaft mit Kirche – Kohlenstaub auf Malpappe [15 cm x 25 cm, 2021], S. 21

Umnutzung von Kirchen

Das Bild der Peterskirche aus dem Dortmunder Vorort Syburg steht dafür exemplarisch. Doch auch die Umnutzung von Kirchen ist bekannt, wie es im Gedicht Umwidmung heißt, wahrscheinlich anspielend auf die Konzertkirche in Bochum: „im übrigen ist es/ ein lichtgefluteter Raum/ für alle, die auf dem Weg sind -/ wäre da nicht/ das Kassenhaus in der Apsis:…“

Im Übrigen ist es passend zur Landschaftsbeschreibung, dass die Jahreszeiten durchwandert werden, beginnend mit dem kalten Winter, dem aufblühenden Frühjahr bis zum düsteren Herbst und der Festserie in der Weihnachtszeit. Der November wird als der „tote Monat“ (S. 63) bezeichnet. Einer der stärksten Texte ist in dieser Hinsicht das Gedicht Rombergpark Dortmund (S. 67), dass daran erinnert, dass in den letzten Kriegstagen noch im Rombergpark Gefangene der Gestapo erschossen worden sind und dann im Wald der Bittermark in einem Massengrab beerdigt worden sind.

Was die Region natürlich auch interessant macht sind die Zeugnisse vergangener Industrieherrlichkeit, wie das unterbrochene Viadukt in der Nähe des Westfalenparks in Dortmund-Hörde: „Hympendahlbrücke“

Bild: Hympendahlbrücke – Kohlenstaub/ Fineliner auf Malpappe [15 cm x 25 cm, 2021], S.69

„stolze Gerippe“

Gleiches gilt für die ehemaligen Hochöfen in Phönix-West, die heute nur noch „stolze Gerippe“ (S. 70) sind.

Das letzte Gedicht möchte ich gern hier zitieren, einen Teil der zeigt, wie die Gedichte von Marlies Blauth funktionieren. Sie dekonstruieren und rufen damit Bilder hervor:

Glaubensbekenntnis:
und wenn
niemand an mich glaubt:
mein Vater gibt mich nicht auf
meine Mutter, die Schöpfung, die Erde, der Himmel
halten mich in der Mitte

(Gedicht: Glaubensbekenntnis, S. 97)

Das Buch ist ein gutes Geschenk für Menschen aus unserer Region Ruhrgebiet.