Vom Schlechten des Guten, Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

Predigt über Prediger 7,15-18 zum Sonntag Septuagesimae 2025   

15 Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit. 16 Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. 17 Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. 18 Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen. (Luther 2017)                 

Liebe Gemeinde,

„Nur die besten sterben jung“ dröhnt es aus den Lautsprechern. Es scheint, als hätten die Böhsen Onkelz, eine Kultband um die Jahrtausendwende, die auf wummernde Rockmusik mit dumpfen Texten daherkam, beim Prediger Salomo abgeschrieben. Beobachtet der Prediger doch, dass gute, gerechte Menschen oft früher sterben als die bösen, die sich nicht an Gottes Gebote halten.

Die Böhsen Onkelz schreien es heraus, Zeile für Zeile, dass das Leben nicht gerecht ist. Es ist sinnlos darüber nachzudenken, warum es so ist.

Das Leben ist absurd, zufällig, unberechenbar. Mit diesem Lebensgefühl drücken die Böhsen Onkelz das aus, was im Prediger Salomo schon über 2000 Jahre vorher als Weisheit aufgeschrieben ist.

Alles ist eitel

„Alles ist eitel“ – übersetzt es Luther. Alles ist ein Nichts, ein Windhauch könnte man auch übersetzen. Diese Erkenntnis des Prediger Salomos ist verstörend und grenzt an Nihilismus, der Verneinung des Lebens und der Hoffnung, dass es sich lohnt, sich für das Gute einzusetzen. Da bleibt dann nur noch Resignation, oder?

Ist das Leben gerecht?

Es gibt keine Garantie, dass aus guten Handlungen ein gutes Leben folgen wird. Es gibt aber auch keine Garantie, dass aus bösen Taten ein schlechtes Leben folgt. Und wenn wir ehrlich sind: Ist das nicht auch unsere Erfahrung? Wieviel Menschen gibt es, die sich abrackern, die sich ehrlich bemühen, die wirklich Gutes wollen und doch auf keinen grünen Zweig kommen? Immer geht das Glück eine Tür weiter.

Von der Weisheit, des Guten nicht zu viel zu tun

Der Prediger Salomo geht sogar in seiner Analyse noch einen Schritt weiter. Er rät den Guten nicht zu viel des Guten zu machen. Der Prediger steht einem Aufstand der Anständigen skeptisch gegenüber. Wer sich auf der richtigen Seite wähnt, neigt dazu, andere radikal abzuwerten.

Wir alle kennen Menschen, die voller Überzeugung und mit gutem Beispiel vorangehen und entsprechend ihren ethischen Erkenntnissen moralisch „sauber“ leben. Sie trinken keinen Alkohol. Sie essen kein Fleisch. Sie fahren kein Auto. Sie fliegen nicht mit dem Flugzeug. Sie leben bewusst und gesund. Sie treiben viel Sport. Sie setzen sich für Minderheiten ein. Sie gendern, wie es gerade angesagt ist. Mit einem Wort. Sie sind perfekt und auf der Höhe eines fortschrittlichen Zeitgeistes. Sie wollen auf der richtigen Seite stehen, unbedingt, koste es, was es wolle. Dabei merken Sie nicht, wie sie sich und andere mit ihrer rigiden Moral schaden. Sie wollen oft gute Veränderungen, nehmen Minderheiten in den Blick, stellen sich auf die Seite der Ausgegrenzten, kritisieren Machtstrukturen und legen dunkle Kapitel der eigenen Geschichte offen und gleichzeitig sehen sie sich selbst als die besseren Menschen. Sie gehen in einen permanenten Klage- und Angriffsmodus über, canceln öffentlich Andersdenkende, werden zu Moral- und Sprachpolizisten. Ganze gesellschaftliche Schichten werden manchmal von einem Gerechtigkeitswahndiskurs erfasst, der bar aller Lebenspraxis ist. Da kann es schon einmal passieren, dass aus Friedensaktivisten über Nacht glühende Befürworter von Waffengattungen aller Art werden. Aus „Frieden schaffen ohne Waffen“ wird kurzerhand: „Frieden schaffen mit Waffen“. Jetzt zählt nur noch Stärke und Aufrüsten. Wer bestimmt eigentlich, was gut ist und was nicht?

Selbstgewählte Askese

Selbstgewählte Askese kann etwas Gutes sein. Sie kann sich aber auch schnell zu einer überheblichen Selbstgerechtigkeit entwickeln, die das Verhalten der anderen nur als schädlich und defizitär wahrnimmt. Dann wird aus einer vitalen Moral ein starrer Moralismus. Das kennen wir aus jeder Gemeinschaft und Gruppe, sei es in der Kirche, in politischen Parteien oder in Vereinen.

Dann ist man als Dieselfahrer der Sünder schlechthin; der Genussmensch, der gern ein gutes Stück Fleisch isst oder eine Zigarre qualmt und dem Wein zugeneigt ist: Ein unbeherrschter Fresser und Säufer. Vor allem, ein schlechtes Vorbild für Kinder, und jemand, der mit seiner Gesundheit fahrlässig umgeht. Gutsein sein heißt auf der richtigen Seite stehen, auf der anderen Seite sind die Bösen.

Gott als höchstes Gut?

Es gibt keinen Gott mehr als höchstes Gut, da muss der Mensch schon der bessere Gott sein (Homo Deus, Noah Harari) und mit gutem Beispiel vorangehen. Welch eine Überforderung, wenn der Mensch sich nicht mehr von Gott rechtfertigen und erlösen lassen will.

Der Prediger Salomo kritisiert das überhebliche Gutsein der Gutmenschen. Es schadet mehr als es nützt. 

Ethik statt Moralismus

Gleichzeitig brandmarkt der Prediger Menschen, die jegliches Maß einer guten Ethik und einer regelbasierten (Welt)ordnung hinter sich gelassen haben und leben, als gebe es nur sie selbst und ihre Bedürfnisse (oder die ihrer Gruppe). Sie achten nicht den Besitz und die Würde des anderen, sie übertreten Grenzen und Gebote, sie freuen sich diebisch, wenn ihr böses Treiben Angst und Schrecken verbreitet, sie achten nicht die Wahrheit und schließen jeden Pakt mit dem Teufel, solange es sich für sie rechnet. Kommen sie an die Macht, spielen sie mit Recht und Ordnung und Lüge wird in Wahrheit verkehrt.

Das rechnet sich aber nicht, hält ihnen der der Prediger vor. Sie bauen sich die Grube, in die sie fallen, selbst. Sie zerstören das Leben anderer und damit auch ihr Leben. Selbst wenn sie lang leben – und viele von ihnen leben länger als die Gerechten – sind sie doch Sklaven ihrer Bosheit, letztlich sind sie ein lebendiger Spiegel ihrer Gottlosigkeit.

Aber wenn alles im Leben eitel und ein Nichts ist, das Gute wie das Böse, und wenn dem Guten nicht zwangsläufig Gutes und dem Bösen nicht zwangsläufig Böses folgt – und wenn auch mit allem Einsatz für das Gute der Mensch das Ziel verfehlt und sogar verkehren kann, wenn also das Leben (dir) zeigt, es scheint egal zu sein, was du machst, es kommt sowieso anders als du denkst, woran soll sich der Mensch denn dann noch halten? Es ist dann doch alles egal – oder?

Ehrfurcht Gottes als Lebenshaltung

Der Prediger verfällt nicht in Resignation. Er nimmt das Leben wie es ist und kommt mit einer Antwort daher, die abständig erscheint angesichts seiner Erkenntnis: „alles ist eitel“. Seine Antwort ist so einfältig wie genial, weil sie trotz aller Vergänglichkeit und dem drohenden Nichts eine Orientierung bietet. Das Leben, das eine Mal schön und gut, das andere Mal bitter und böse, will gelebt sein in der „Ehrfurcht vor Gott.“  Selbst das Nichts, die Vergänglichkeit und der Tod werden dann in der „Ehrfurcht vor Gott“ gelebt. Die Furcht Gottes ist keine Furcht, die den Menschen erstarren lässt, sondern eine, die allem Irdischen Würde verleiht. Wir können nicht – und auch das ist Ehrfurcht vor Gott – hinter die Rätselhaftigkeit eines Planes Gottes (Vorsehung)) oder des Zufalls schauen. Die wahre Ehrfurcht Gottes verleiht Demut. Eine Demut, die sich in das Leiden der anderen und der gesamten Schöpfung einfühlt und das eigene oder fremde Schicksal nicht verurteilt oder gar unter Gottes Gericht stellt. Auch wenn es keine Garantie gibt, dass du empfängst, was du tust, hört ein Mensch, der sein Leben in Ehrfurcht vor Gott lebt, nicht auf das Gute zu suchen und zu tun. Der Mensch, der darum weiß, dass alles eitel ist und der gleichzeitig Gott die letzte Wirklichkeit sein lässt, achtet den anderen und sich selbst.

Ich schließe mit einem Gebet und Eduard Mörike:

„Herr, schicke was du willst. Ein Liebes oder Leides! Ich bin vergnügt, dass beides aus deinen Händen quillt. Wollest mit Freuden und wollest mit Leiden mich nicht überschütten! Doch in der Mitte liegt holdes Bescheiden.“