Der entmachtete Gott. Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2010

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– Bibel in gerechter Sprache. Hrsg. von Ulrike Bail u. a., Schmuckausgabe, 1. Auflage 2008, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh, ISBN 978-3-579-05463-6, Preis (Sonderpreis) 19,95 Euro (daneben: Text- und CD-ROM-Ausgabe der 3. Auflage 2007, je 29,95 Euro).

– Die Bibel – übersetzt in gerechte Sprache? Grundlagen einer neuen Übersetzung. Hrsg. von Helga Kuhlmann. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 4. Auflage 2007, ISBN 978-3-579-05499-5, Preis (Sonderpreis) 9,95 Euro.

– Neu: Marlene Crüsemann und Carsten Jochum-Bortfeld (Hg.): Christus und seine Geschwister. Christologie im Umfeld der Bibel in gerechter Sprache. Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2009, ISBN 978-3-579-05442-1, Preis: 29,95 Euro.

Die Schmuckausgabe der „Bibel in gerechter Sprache“ ist auch vom äußeren Erscheinungsbild her eine richtige Heilige Schrift, solide verarbeitet, schwer und mit Lesebändchen ausgestattet. Sie lädt jetzt wieder ein zu einer kontinuierlichen und fortlaufenden Bibellektüre mit der immer spannenden Frage, wie der Übersetzer oder die Übersetzerin jeweils so manche bekannte Geschichte denn übersetzt haben wird. Anlass zu stolpern gibt es allemal, zumal die Verwendung des Gottes-Namens und der Gottesbezeichnung mit der Eröffnung von Alternativen am Kopf der linken Seite immer ein wenig gewöhnungsbedürftig bleiben wird. In Psalm 21 ist Gott der Lebendige, in Psalm 22 die Lebendige, in Psalm 23 Adonaj, in Psalm 27 die Ewige und in Psalm 28 der Ewige usw. Doch schaut man sich die Übersetzung genauer an und lässt sich durch die verwirrende Verwendung der Gottesnamen nicht abschrecken, so erscheint bei manchem dunklen Wort endlich so etwas wie Verständnis auf. Angenehm etwa klingt das Wort „Mensch“ im Kapitel Jesaja 52/53: „der Mensch in meinem Dienst“ oder gar „Mensch“ anstelle des bekannten aber unübersetzten „Menschensohns“ im Neuen Testament. Was hier gerechter Sprache geschuldet ist, trägt inhaltlich zur Klärung und zum besseren Verständnis der Bibel bei. So hat Christus die „Gestalt eines versklavten Menschen“ angenommen (Philipper 2,7) und nicht etwa „Knechtsgestalt“. Der Lobgesang der Engel auf dem Feld bei Bethlehem klingt nun klipp und klar: „Glanz in den Höhen bei Gott! Und Friede auf der Erde bei den Menschen, die Gott wohlgefallen.“ (Lukas 2,14). Auch das dogmatisch und sprachlich auf eine Metaphysik festgelegte Wort „Glauben“ klingt anders, wenn man stattdessen das Wort „Vertrauen“ liest: „Jetzt aber leben wir mit Vertrauen, Hoffnung und Liebe, diesen drei Geschenken. Und die größte Kraft von diesen dreien ist die Liebe.“ (1. Korinther 13,13). Solche Formulierungen machen neugierig und so liest man gerne weiter, wenn auch der Gottesname immer ein wenig nebulös klingt. Vielleicht ist es richtig, was der Rat der EKD schreibt, dass sich eine Vorstellung vom persönlichen Gott hier wenig fassen lässt (Rat der EKD vom 31.03.2007: http://www.ekd.de/presse/pm67_2007_bibel_in_gerechter_sprache.html). Dennoch klingen die Sätze oft auf neue Art religiös und regen zum Nachdenken an. Die „Bibel in gerechter Sprache“ ist der Anfang eines neuen Weges. Die vierte Auflage wird 2011 erscheinen und wird hoffentlich nicht beim Bisherigen stehen bleiben. Das auf der Homepage der EKD zugängliche theologische Gutachten von Ulrich Wilckens zeigt zu recht, gerade dann, wenn man den Aufsatz gegen seine eigene Intention liest, da Wilckens darin gegen diese Bibelausgabe Stellung bezieht, dass die Bibel in gerechter Sprache eine theologische Weichenstellung vornimmt, die von Klischeebegriffen der Bibelinterpretation Abschied nimmt (http://www.bischof-wilckens.de/bigs-theol-gutachten.pdf). Dabei kann im Sinn der altkirchlichen Christologie von Gott in Jesus nur der reden, der von Jesus als wahrem Menschen reden kann. Wie dies in heutiger Sprache möglich ist und welche Folgen der Lebendigkeit und Enthierarchisierung das für das christlich-theologische Denken hat, zeigt die Bibel in gerechter Sprache. Sicherlich ist es der „Bibel in gerechter Sprache“ gelungen aufzuzeigen, dass hinter den altbekannten Lutherworten und den etwas blutleer klingenden modernen Bibelübersetzungen ein gewichtiger hebräischer oder griechischer Text steht, der heute gewiss nicht über die hölzerne Leiter religiöser Metaphysik getragen werden muss, sondern einfach und schlicht in die Sprache unserer Zeit übersetzt werden sollte.

Das Buch „Die Bibel – übersetzt in gerechte Sprache“, das die Impulse der gerechten Bibelübersetzung im Jahr 2006 sammelte, ist nun erneut zu lesen, durchaus vor dem Hintergrund der Frage, ob es denn in allem geglückt ist, sowohl dem jüdischen Kontext, als auch der geschlechter-gerechte Sprache -Vereinnahmung überwindend-, sowie der sozialgeschichtlichen Exegese gerecht zu werden. Helga Kuhlmann formuliert in ihrem Aufsatz folgende Frage, die sie gleichwohl nur durch die Darstellung der positiv gesetzten Ziele der Bibelübersetzung beantwortet und letztlich im Raum stehen lässt: „Wieso sieht sie sich nicht in gleichem Maß der symbolischen Gleichstellung Behinderter oder der islamischen Religion verpflichtet? Konnten sich in der Wissenschafts-, Verlags-, Theologie- und Kirchenpolitik die Gruppen am besten durchsetzen, die feministischen Interessen und die Interessen des jüdisch-christlichen Dialogs vertreten? In welchem Verhältnis stehen die Ziele der Bibelübersetzung zu einer Vorstellung allgemeiner Gerechtigkeit?“ (Die Bibel…, Gütersloh 2006, S. 86). Vielleicht war es schon schwer genug, den Vorgenannten gerecht zu werden, aber soll die Bibelübersetzung denn die Frage nach Behinderung und den interreligiösen Dialog mit Muslimen ausgrenzen? Helga Kuhlmann geht auf ihre Frage gar nicht ernsthaft ein, sondern versucht lediglich durch die Evidenz der Darlegungen zur Bibel in gerechter Sprache zu überzeugen und lässt somit die Frage als rhetorisch erscheinen. Dabei wäre das Thema des christlich-islamischen Dialogs in der Bibelausgabe eine Erwähnung wert gewesen, um z. B. zu fragen: Warum werden nicht wenigstens die koranischen Parallelstellen zur Bibel am Rand notiert? Es sieht in der Tat schon so aus, als sei der Herausgeberkreis der „Bibel in gerechter Sprache“ eine Gruppe von Menschen, die zunächst ein Zweckbündnis verband. So hatte Jürgen Ebach eine sehr genaue Vorstellung davon, dass die Nennung unterschiedlicher Namen und Bezeichnungen Gottes im Text der hebräischen Bibel in der Übersetzung deutlich und transparent zu Tage treten sollte (Die Bibel… S. 154). Die Gottheit, die von Abraham das Opfer seines Sohnes verlangt, ist eben nicht dieselbe wie die, die ihm auf dem Berg das Messer aus der Hand schlug. Jürgen Ebach stellt kurz fest: „Gott ist stets derselbe, aber eben nicht immer der gleiche.“ (Die Bibel… S. 155). Doch die Klarheit der Unterscheidung geht in der Vielheit der Gottesnamen faktisch wieder verloren. Allein die vielfältige Gottesrede zeigt wenigstens den Lesern, wenn sie den angemessenen Umgang mit den Gottesnamen in der Bibel darstellt, dass ein einheitlicher Gottesbegriff, der immer bei einer Abstraktion, beim Absoluten, beim „Herrn“ oder dem höchsten Wesen landet, nun dekonstruiert wird und durch die sprachliche Vielfalt den Subjektivismus der Religion repräsentiert, der dem Christentum im interkulturellen Kontext immer schon immanent war. Schon vormals zu Babel verhinderte Gott „Adonaj“ die Vereinheitlichung aller Sprache, um die Weltherrschaft vom „Turm“ aus zu beenden (Genesis 11,1-9). Und endlich wird in der Übersetzung deutlich gesagt, wann der Mensch den Menschen zum Sklaven macht und welcher Weg aus dieser Unfreiheit führt. Gewiss drängt sich von der Überschrift her die Frage auf, ob man wirklich allen Richtungen und Fragestellungen „gerecht“ werden kann. Doch nach der Dekonstruktion deutet sich eine neue Perspektive in die Blickrichtung an, die sich in der Gestalt der herrschaftsfeien Christologie zeigt.

Diese Weichenstellung wird nun mit dem Buch „Christus und seine Geschwister“ vorgenommen. Die Lektüre dieses interessanten Bandes sollte mit dem christologischen Artikel von Dorothee Sölle und dessen Auswertung im Dialog von Luise Schottroff und Renate Wind (vorgetragen auf dem Kirchentag in Bremen 2009) beginnen. Sölles Prioritäten sollen daher kurz skizziert werden:

– Abkehr von einem andere ausschließenden Symbol einer historischen Gestalt;

– Hinweis: Jesus erlöst nicht als Mann, nicht durch „physische Ähnlichkeit“;

– Die Deutung des Kreuzes als Opfer ist hinfällig. Es heißt Jesus starb „für uns“ nicht statt uns. Die politische Deutung des Kreuzes des Imperium Romanums soll Schmerz zulassen.

– Nicht Jesus als einzelne Person hat uns gerettet, sondern seine Wiederkehr in anderen Menschen

– Wir sollen Erlösung nicht totalitär verstehen, sondern die Macht in Beziehung zueinander kennen lernen.

– Keinen Antijudaismus im Kreuz dulden. Der Jude Jesus zeigt die Möglichkeit des messianischen Reiches auf.

– Der feministische Entwurf dekonstruiert und rekonstruiert damit einen autoritätsfreien Gottesbegriff.

Die Frage ist im Anschluss daran also: Wird die Weichenstellung Dorothee Sölles in der „Bibel in gerechter Sprache“ fortgesetzt, untermauert und gut reformatorisch aus dem Bibeltext verifiziert? Die Artikel des Buchs zeigen in je unterschiedlicher Weise, wie im Sinn der Kritikpunkte Sölles an der traditionellen Theologie die Bibelübersetzung neue Wege geht und neues Denken ermöglicht. Dem Kenner der biblischen Sprache wird manches ungewohnt erscheinen. Aber wiegen die neuen Zugänge den Verfremdungseffekt gegenüber der alten Luthersprache nicht auf? Die Artikel thematisieren einzelne Beispiele neuer und ungewohnter Christologie durch die „Bibel in gerechter Sprache“:

– Geschwisterlichkeit ersetzt die Hoheitstitel (Luise Schottroff, Carsten Jochum-Bortfeld, Claudia Janssen).

– Die Christologie des Paulus stellt subtile Bezüge zur sozialen Wirklichkeit der Sklaverei her (Luise Schottroff und Anna-Maria Busch).

– Die Bibel zeigt, wie sich das christologische Gegenmodell zur Herrschaft nun in der Nähe zu den „Schwachen“ vollzieht (Marlene Crüsemann).

– Die Begriffe „eved“ (luth.: Knecht, Jesaja 53, s.o.) und „Mensch“ untermauern diese Einstellung eschatologisch: Der kommende Gott ist der Gott der Menschen und des Lebens.

Die letzten vier Artikel gehen aus dem Zusammenhang mit der Bibel in gerechter Sprache heraus und artikulieren Beispiele in ökumenischen Kontexten, Parallelen oder weitere Neuansätze zu den o.g. Weichenstellungen der Christologie. Im Vergleich zur traditionellen metaphysischen, durch Machtbegriffe dargestellten Christologie erscheint dieser Neuansatz „schwach“. Jesus wird nicht zum Führer, sondern zum Bruder unter vielen neuen Geschwistern. Erst jetzt wird mit der Bibel konsequent eine neue theologische und christlich-religiöse Sprache entwickelt, die manches umsetzt, was schon durch die Texte der bekennenden Kirche und später die kirchlichen Bewegungen angestoßen wurde. Man wird der feministischen Theologie nicht absprechen können, dass erst sie zu einem konsequent anderen Sprachgebrauch beigetragen hat, da machtbetonte Begriffe zumeist männlich konnotiert waren. Der Weg eines sprachlichen Neuanfangs hat begonnen und wird nicht wieder zurückzuholen sein. Wir müssen abwarten, wie die Menschen in den Gemeinden auf die Formeln des „mit“ statt „für“ reagieren, oder ob sie weiter nach traditionellen kirchlichen Sprachformeln fragen werden. Mit der neuen Sprache ist jedoch ebenso mehr Selbständigkeit im Denken und Fühlen gegeben, die auch gegenüber den Autorinnen und Autoren der gerechten Sprache gelten wird. Die Menschen werden sehr sensibel darauf reagieren, wenn alte Formeln nur durch neue ersetzt würden. Insgesamt ist das Denken von Gott in der „Bibel in gerechter Sprache“ nicht als Oben-Unten zu vermitteln, sondern es ist zuerst schlicht erfahrungsorientiert. Die Bibel lädt damit zum Dialog ein.