Predigt zum 17. So nach Trinitatis, „Die traut sich was?!“, Vera Leberecht, Herzogenrath 2025

Gottesdienst zum 17. So nach Trinitatis am 19. Oktober 2025 in der Ev. Markuskirche Herzogenrath

(eigentlich: 18. So nach Trinitatis)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes, des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! (Amen.)

[Szenen- bzw. Rollenwechsel]

Guten Morgen!

Das fällt mir jetzt ganz schön schwer, hier zu stehen. Ich bin sonst nämlich eher für die Eins-zu-eins-Kommunikation. Aber euer Pfarrer meinte, es wäre okay, wenn ich heute mal hier rede. Denn meine Geschichte könnte euch was zu sagen haben. Aber das überlasse ich euch selbst.

Also…

Man sieht es mir nicht mehr wirklich an, aber ich war mal richtig hübsch. Manche nannten mich sogar schön. Ich war ein echter Feger. In meiner Kindheit hat es das Leben nicht gut gemeint mit mir… und irgendwann bin ich dann in dem gelandet, was ihr so verschämt „das älteste Gewerbe der Welt” nennt. Ja, ich war eine Prostituierte. Und ich war gut in meinem Job. Das fanden jedenfalls eine ganze Menge Männer da in Jericho, wo ich wohnte, wo ja auch meine Familie herkam.

Und irgendwie war das halt so. Irgendwie war ich geduldet. Vielleicht sogar anerkannt. Aber dass die meisten mit mir nicht allzu nahen Kontakt haben wollten, ist auch klar. Jedenfalls nicht im Licht der Öffentlichkeit. Aber egal. Ich hab schon immer gut allein sein können. Und meine Ruhe hat mir auch gefallen.

Bis eines Tages zwei Männer vor meiner Tür standen. Die waren anders. Auf der Durchreise, dachte ich erst, mit einer Karawane oder so. Aber irgendwas war da faul, das spürt eine Frau wie ich ziemlich schnell. Ja, und prompt kamen an demselben Tag Leute von der Sicherheitspolizei und sagten, dass in meinem Haus zwei israelische Spione untergetaucht seien. Oh — das war mal was in meinem an Ereignissen nicht armen Leben! Da hatte ich die beiden allerdings schon aus so einer Ahnung heraus versteckt, und den Beamten des Königs habe ich gesagt, ich hätte keine Ahnung, wer die zwei Fremden gewesen seien und die hätten die Stadt längst wieder verlassen. Und — genau wie ich erwartet hatte — : Die Sicherheitsleute sind denen direkt nachgeprescht.

Mir war klar, hier ist etwas Großes im Gange. Denn über die Israeliten hatten wir schon viel gehört. Echte Schreckensmeldungen. Davon, wie sie vor dem ägyptischen Pharao durchs trockene Schilfmeer entkommen sind, in dem er dann mit seinem ganzen Heer ersoffen ist. Und dass sie unser Land eingenommen haben. Und dabei mit schrecklicher Gewalt gegen die Stadtstaaten vorgegangen sind, die auf ihrem Weg lagen. Wir alle hatten Angst: Wir wussten, es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieses Heer vor den Toren von Jericho steht. Es hat uns die Luft abgeschnürt wenn einer bloß vom Volk Israel gesprochen hat…

Und als ich da noch so an meiner Haustür stand, wusste ich es plötzlich: Die beiden hat mir Gott geschickt! Was, ihr wundert euch, dass ich von Gott spreche? Na klar, das ist ja wohl das Vernünftigste, was ein Mensch in einer solchen Situation tun kann. Da machen Nachrichten von einem Volk die Runde, einem Volk, das von dem Einen, Wahren Gott auserwählt sein soll. Und alles, was sie machen, gelingt ihnen? Das ist ein Gott, zu dem will ich gehören. Dem will ich mich ausliefern. Das ist auf jeden Fall besser, als sich auf Menschen verlassen, die schnell sind mit ihrem Urteil und dich im Zweifelsfall ihren eigenen Prinzipien opfern. (Brave Familienväter, die dich in der Öffentlichkeit mit dem Hintern nicht angucken, nachdem sie vorher… aber egal.) Oder irgendwelchen Göttern, die Gehorsam und Opfer verlangen, aber denen unser Leben offensichtlich egal ist — oder die gar nicht die Macht haben, darauf einzuwirken?!

Wir in Jericho wussten es alle längst: der Herr, der Gott Israels, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden. Und das habe ich den beiden Fremden ins Gesicht zugesagt. Und dann, ich weiß es noch wie gestern, habe ich gesagt: Ich helfe euch zu entkommen. Unter einer Bedingung: Schwört mir bei dem Herrn, dem Gott Israels, weil ich an euch Barmherzigkeit getan habe, dass auch ihr an meines Vaters Hause Barmherzigkeit tut, und gebt mir ein sicheres Zeichen, dass ihr leben lasst meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwestern und alles, was sie haben, und uns vom Tode errettet.

Und die beiden? Die haben mir versprochen: Wenn du uns rettest, wenn du uns nicht verrätst, dann stehen wir auch zu unserem Wort. Dann sind wir auch zu dir barmherzig und treu, wenn uns GOTT das Land hier gibt. Wenn wir mit unserer Kriegsmacht wiederkommen und Jericho erobern, dann werden wir dich und deine gesamte Familie verschonen. Machen wir das nicht, sollen wir auf der Stelle tot umfallen.

Und dann haben wir folgendes ausgemacht: Ich wohnte damals in einem Haus direkt an der Stadtmauer. Sie konnten also aus meinem Haus rausklettern aus der Stadt, ohne durchs Stadttor zu müssen. Ich hab ihnen eingeschärft: Flieht nicht über die Ebene Richtung Jordan; genau da fahnden ja die  Leute von der Sicherheitspolizei nach euch. Sondern: Geht in Richtung Gebirge und versteckt euch da, bis etwas Ruhe einkehrt. Bis die anderen ihre Suche aufgegeben haben und in die Stadt zurückgekehrt sind. Mindestens drei Tage. Danach könnt ihr in Sicherheit zu eurem Volk zurückkehren. Das leuchtete ihnen ein. Und sie sagten: Und du, hänge ein rotes Seil aus dem Fenster, das weithin sichtbar ist. Wenn wir dann kommen und die Stadt einnehmen, so werden alle, die sich in deinem so markierten Haus aufhalten, verschont bleiben. Nur: Geht auf keinen Fall raus, da können wir für niemandes Sicherheit garantieren! Aber solange ihr drinnen bleibt, seid ihr sicher. Das schwören wir in Gottes Namen.

Und genauso ist es passiert. Ich habe ihnen das Leben gerettet. Und sie haben auch Wort gehalten und haben mich verschont. Mich, eine Fremde. Eine Feindin. Die alles andere als einen guten Ruf hatte. Das war ihnen egal.

Und vor allem: Gott war das alles egal. Dem Gott, der der Gott Israels war und auch meiner geworden ist. Er denkt nicht in unseren menschlichen Kategorien von Herkunft, Freundin und Feind, Beruf oder was jemand alles im Leben schon verpfuscht hat. Er steht darüber. Er schaut auf das Herz eines Menschen und sieht, wer ihm wirklich vertraut — und wer auch etwas von Ihm erwartet! Was hat es mir gebracht, dass ich wie ein Schaf mitgelaufen bin in meiner Jugend, dass ich mich den lokalen Glaubenstraditionen angepasst hatte, die längst ihre Kraft verloren hatten? Was hatte mir dieser blutleer gewordene Glaube noch zu geben?

Manchmal gibt es solche Wendepunkte im Leben, da weißt du: Jetzt musst du dich entscheiden. Jetzt geht es um Leben oder Tod. Übernimm Verantwortung für das, was du glaubst und tust. Manchmal auch im totalen Gegensatz zu dem, was deine Umgebung denkt, glaubt und tut. Manchmal sogar im Gegensatz zu dem, was das objektiv Richtige zu sein scheint. Und dann bricht das Leben sich Bahn. In meinem Fall ist das tatsächlich geschehen: Erst habe ich den beiden Israeliten das Leben gerettet, und später sie mir und meiner Familie. Das ist im wahrsten Sinne ein roter Faden in meinem Leben geworden: Gott, der HERR, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, und jetzt schon viele Jahre auch mein Gott: er schenkt Leben. Er ist das Heil. Er ist die Rettung. Er ist meine Rettung geworden und sagt Ja zum Leben. Jeden Tag neu. Auch zu eurem. Traut ihr euch? Lasst ihr euch auf ihn ein? Dafür bete ich. Das wollte ich euch sagen.

[[Szenen- bzw. Rollenwechsel]]

Vorhin im Evangelium haben wir gehört, wie eine syro-phönizische Frau alles auf Jesus setzt. Sie lässt nicht locker, bis Jesus sie heilt. Damit wird deutlich: Das Heil Gottes gilt für jeden Menschen, unabhängig von einer ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit. Und auch das Beispiel von Rahab, die gerade ihre Geschichte erzählt hat, zeigt: Wenn ein Mensch alles auf eine Karte setzt und sich dem lebendigen Gott zumutet, wird er errettet.

Die Geschichte ist übrigens aufgeschrieben im Buch Josua, im zweiten Kapitel. Wer möchte, kann sie sich am Ausgang zum Nachlesen mitnehmen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

(Vera Leberecht)

Joachim Leberecht: Predigt, Gottesbegegnung im Traum, Herzogenrath 2025

 

Predigt Genesis 28, 10-19                                   14. Sonntag nach Trinitatis, 2025

„Und ihm träumte, und siehe eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen darauf auf und nieder.“ (V.12)

Liebe Gemeinde,

haben Sie es auch gehört? Jakob träumt und sieht eine Leiter, die von der Erde bis zur Spitze des Himmels reicht. Es ist die Himmelsleiter. So weit haben viele von uns dieses eindrückliche Bild und die sprichwörtlich gewordene Himmelsleiter vor Augen. Auch das die Engel etwas mit der Leiter zu tun haben wissen wir noch irgendwo hinten in unserem Kopf. Doch in meinem Kopfkino kommen die Engel vom Himmel zur Erde, sagen Jakob die Botschaft Gottes weiter, und steigen wieder die Leiter hoch. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Luther übersetzt das Hebräische genau: „Und siehe, die Engel Gottes stiegen darauf auf- und nieder.“ Das ist bewusst formuliert. Zuerst der Aufstieg, dann der Abstieg. Die Engel sind hier nicht Boten Gottes, sondern Boten Jakobs. Sie steigen von der untersten Leitersprosse auf zu Gott – wie es auch unsere Gebete tun. Der Traum ist eine besondere Form der Wahrnehmung, Ausdruck unseres Unbewussten oder wie hier in dem alten hebräischen Denken eine besondere Bild- und Zeichensprache, die den Menschen mit Gott verbindet. Nicht irgendein Mensch. Es ist Jakob. Er ist der direkte Nachkomme von Isaak. Und Isaak ist der direkte Nachkomme von Abraham, dem Vater des Glaubens. Hier beginnt die Geschichte Gottes mit seinem Volk.

Ein Stein als Kopfkissen

In der Nacht kommen wir unseren Sehnsüchten und unseren Ängsten nah. Jakob ist allein. Ganz allein in der weiten Landschaft. Wir alle kennen Nächte, wo wir ganz auf uns selbst zurückgeworfen sind. Es ist schon viel, wenn wir einschlafen und die sorgenvollen Gedanken fahren lassen können. Manchmal wälzen wir das Kopfkissen so lange hin und her, bis wir endlich einschlummern können. Jakob hat kein Kopfkissen, aber er sucht sich einen passenden Stein, wo er seinen Kopf leicht erhöht, ablegen kann. Sich hinlegen, sich ablegen, ruhig werden, still werden und in den Schlaf hineingleiten ist etwas Wunderschönes. Nicht einschlafen zu können ist eine Plage, macht nervös und unruhig.

Jakob auf Wanderschaft

Jakob kann schlafen. Er ist auf Wanderschaft. Er ist aufgebrochen in eine ungewisse Zukunft. Er hat seine Heimat und alle, die er lieb hat hinter sich gelassen. Es ist seine erste Nacht in der Fremde. Sein Traum ist besonders lebhaft. Es scheint, dass die verborgene Welt um ihn weiß. Die Engel begleiten ihn. Sie gehen die Leiter hoch und stellen die Verbindung zum Höchsten her. Jakob ist allein, aber von Gott nicht verlassen. Was für ein. tröstlicher Traum für den einsamen Wanderer Jakob, der nicht weiß, wie er leben soll – auch mit seiner Schuld. Die Engel verbinden ihn mit Gott. Hat er auch Vater und Mutter verlassen und seinen Bruder, vor dem er sich fürchtet, weil er ihn bestohlen hat, ist er doch von Mächten umgeben, die ihn schützen. Allein auf sich zurückgeworfen ist er auf Gott geworfen. Die Engel in seinem Traum sind seine Fürsprecher. Sie sorgen dafür, dass seine Verbindung zu Gott nicht abreißt. Sie nehmen ihn, der am Boden liegt, Stufe für Stufe mit, dass Jakob schlussendlich im Traum Gott zu sich reden hört: „Ich verlasse dich nicht. Du und deine Nachkommen sollen allen Geschlechtern auf Erden zum Segen werden.“

Das ist keine alltägliche Erfahrung. Jakob macht sie. Aber nicht, weil er es will. Sie wird ihm geschenkt. Sie widerfährt ihm. Sein Traum ist der Ort der Gottesbegegnung.

Der Glaube fällt nicht vom Himmel.

Wenn es ums Eingemachte in unserem Leben geht, können wir nichts machen. Wir können nur still sein und lauschen, welche Hinweise und Ahnungen unsere Seele uns vermittelt. Alles, was wir brauchen, ist in uns. Wir müssen nur vertrauen und manchmal richtiggehend lernen auf uns zu hören. Jakob sieht und hört. Es ist nichts Neues, was er hört. Denn er steht in einer Geschichte. Einer Geschichte der Verheißung Gottes für seinen Vaters Isaak und seiner Mutter Rebekka. Und zuerst für seinen Großvaters Abraham und seiner Großmutter Sarah. Der Glaube fällt nicht vom Himmel. Der Traum auch nicht. Sie sind angelegt. Sie haben Wurzeln, die tief ins Erdreich reichen und die sogar Luftwurzeln in Form einer Himmelsleiter bilden.

Wir Menschen sind Wesen zwischen Himmel und Erde. Wir sind irdisch und   zum Himmel hin aufgerichtet.

Die Geschichte Abrahams, Isaaks und Jakobs geht weiter – bis heute. Sie wird erzählt und damit wird ein Erfahrungsraum für den Himmel geöffnet. Es gibt eine Leiter zum Himmel, zu der verborgenen Wirklichkeit, die wir Gott nennen.

Jakob ist aufgebrochen in ein neues Leben. Sein Leben wird von Gott begleitet. Auch in unserem Leben gibt es Aufbrüche. Vielleicht mehr als wir denken – bis ins hohe Alter hinein. Wir sind unterwegs, selbst wenn sich äußerlich wenig ändert. Wir leben mit dem, was uns begegnet. Eine gute Nachricht. Eine schlechte Nachricht. Eine verrückte Welt voller Gewalt und Umbrüche. Eine wunderbare Welt voller Leben, Einsatz für den Frieden und Menschlichkeit. Zeichen der Fürsorge und Güte Gottes.

Jakob hat den Zuspruch Gottes gehört.

Jakob war auf der Flucht. Er fürchtete um sein Leben. Er war allein und doch nicht allein. Jakobs Engel haben ihn mit Gott verbunden. Jakob hat den Zuspruch Gottes gehört. Wir alle brauchen Zuspruch. Ermutigung auf unserem Weg. Und sei es, dass wir uns mit unseren kleineren und größeren Macken annehmen können, letztlich mit dem, wie wir geworden sind. Auch Schuld und Brüche gehören zu unserem Leben. Dennoch nimmt uns Gott an, kappt nicht die Verbindung. Zeigt uns den nächsten Schritt.

Hinweise für unseren Weg können Träume sein in denen Gott zu uns spricht. Du bist nicht allein. Du kannst dich mit Gott verbinden und gleichzeitig verbindet sich Gott mit dir durch Engel und Zeichen am Wegesrand. Und wir selbst können auch zu Engeln werden für andere, die wir trösten und ermutigen durch Worte und einfach, dass wir da sind. Es geht um Verbindung. Nicht in der Theorie, sondern in der Praxis. Jakob hat gesehen und gehört, dass er mit Gott verbunden ist. Das war eine überwältigende Erfahrung.

Hier ist mir Gott begegnet. Dafür hat er seinen Stein, auf dem er in der Nacht seinen Kopf abgelegt hat, aufgerichtet. Ein Gedenkstein. Ein heiliger Ort für ihn. Ein Stein, der seine Gotteserfahrung repräsentiert. Ein Stein aus dem später Beth-El wurde. Ein Haus des lebendigen Gottes. Bleiben wir unterwegs, ob unser Radius klein oder groß ist, das macht nichts, überall können wir uns zu Gott aufmachen und Gottes Botschaft hören, selbst im Schlaf.

Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025, Rezension zu Hartmut von Sass: Atheistisch Glauben. Ein theologischer Essay,

Matthes & Seitz, Berlin 2024. Vierte Auflage

Gott atheistisch gedacht

Gott hat nach dem Theologen und Religionsphilosophen Hartmut von Sass keine Geschichte, dennoch können Geschichten von ihm erzählt werden, wie etwa biblische Geschichten. In seinem Essay Atheistisch glauben entfaltet Hartmut von Sass keine Gotteslehre, sondern entwirft eine Architektur des Glaubens im 21. Jahrhundert. Im neuen Haus des Glaubens schreibt von Sass christliche Tradition fort und plädiert für einen existentiellen Glauben, der sich im Alltag und in der Welt bewährt.

Gott als Person hat ausgedient

Es ist von Sass wichtig zu zeigen, dass der Glaube auch dann nicht zu Ende ist, wenn es keine andere Welt neben dieser Welt, etwas ein Jenseits oder Gott als Subjekt (Person) gibt. Im Gegenteil: Glaube (ohne Netz) macht die Welt neu und Erfahrung des Glaubens schenkt eine neue Sicht auf die Welt. Hartmut von Sass unternimmt nichts Geringeres, als einen Glauben ohne Gott (Subjekt) zu skizzieren. Einen solchen Glauben bezeichnet er als atheistisch. Jegliche Metaphysik und jeglicher Theismus sind darin überwunden.

Der Glaube bereichert die Welt

Da der Glaube ein „menschlich Ding“ ist, ist er ein Weltaspekt, der neben anderen Weltaspekten und Zugängen, wie etwa ein naturwissenschaftlicher oder ein ökonomischer die Welt bereichert. Anhand der Ästhetik (Kunst) macht Hartmut von Saß deutlich, dass der Weltzugang immer mit dem Rezipienten zu tun hat. Darin ähneln sich Kunst- und Glaubenserfahrungen. Glauben wird als eigenständige religiöse Erfahrung in der Welt als gleichberechtigt gegenüber anderen Sicht- und Zugangsweisen zur Welt verortet. Dieser Glaube steht nicht in Widerspruch zu wissenschaftlichen Aussagen, auch kennt ein solcher Glaube keine Theodizee. Wo kein Gott ist, der rettend in die Welt eingreift, ist eine Theodizee überflüssig. Damit werden auf einem Schlag viele theologische Fragestellungen ad absurdum geführt. Nicht das Warum ist die entscheidende Frage, sondern das Wohin. Wie bewährt sich der angefochtene Glaube in Krisen und Leiden, ist eine weiterbringende Fragerichtung.

Glaube als Modus

Hartmut von Sass spricht von einem modalen Glauben. Im Modus des Glaubens leben und seine ganze Existenz darin verorten, qualifiziert das Leben als religiös. Wenn auch Hartmut von Sass die theologische Rede von einem handelnden Gott atheistisch verneint, so spricht er von Gott als Macht, die in menschlichem Leben wirklich wird. Gott ereignet sich. Diese Wirklichkeit Gottes ist und bleibt gebunden an der menschlichen Erfahrung. Außerhalb der menschlichen Erfahrung kann diese Wirklichkeit nicht qualifiziert werden. Wobei Hartmut von Sass festhält, dass Gottes Offenbarung nichts anderes sein kann als seine Liebe (1 Joh 4,16).

Eschatologie im Hier und Jetzt

Da Gott sich im Hier und Jetzt ereignet, entwickelt Hartmut von Sass im johanneischen Geist eine präsentische Eschatologie. Ein ewiges Leben bei Gott jenseits des Todes, etwa in „Gottes neuer Welt“, gehört bei ihm nicht zur Architektur eines modernen Glaubens. Hartmut von Sass bleibt sich treu, lediglich aus religiösen Erfahrungen über Gott zu reden. Da es keine Erfahrungen jenseits des Todes gibt, endet mit dem irdischen Leben das Leben selbst (Ganztodthese).

Ohne Gott an Gott glauben?

Der Mythos erzählt von Gott als handelndes Subjekt. Immer wieder wurden religiöse Erfahrungen von Menschen in einem komplexen Geflecht in Sprache, Glaubenssätze und später Dogmen überführt. Das sehen wir besonders in der Christologie, wie aus Jesus von Nazareth dem Menschensohn der Gottessohn wurde. Aus meiner Sicht nimmt Hartmut von Saß dem christlichen Glauben das Geheimnis, wenn seine Architektur des Glaubens nur religiöse Erfahrungen gelten lässt, nicht aber ein systematisch-theologisches Denken darüber, welche Macht hier erfahren wird. Wer oder was offenbart sich hier? Wer oder was entzieht sich hier? Wie kommt es zu einer religiösen Erfahrung oder gar Gewissheit? Ferner: Am Anfang steht der Mythos. Die Gotteserfahrung wird mit der Sprache des Mythos gedeutet. Daraus entstehen Glaubenssätze, die überliefert werden. Die Ähnlichkeit und Differenz zwischen Mythos, Erfahrung und Dogma (Vernunft) führt in eine produktive Spannung in der Ökumene, im Dialog der Religionen, im Gespräch mit modernen Wissenschaften und im Lebensvollzug (Ethik/Kultur).

Die Produktivität der Spannung zeigt und löst sich im theologischen Ansatz Hartmut von Sass auf: Ohne Gott an Gott zu glauben. Wie aber kann der Glaube ohne Gottes Handeln den Mythos bewahren? Und ist atheistisch Glauben nicht unter der Hand ein neues Dogma?

Joachim Leberecht

Wo ist Gott im Leiden? Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

Predigt Hiob – oder die Frage: Wo ist Gott im Leiden?

Text entnommen aus https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/

1 Da reagierte Hiob und sprach: 2 »Auch heute noch besteht meine Klage im Widerspruch, meine Hand liegt schwer auf meinem Stöhnen.
3 Wer gäbe, dass ich Gott zu finden wüsste, dass ich zu Gottes Thron gelangte!
4 Ich wollte vor Gottes Antlitz den Rechtsfall vorbringen und meinen Mund mit Zurechtstellungen füllen.
5 Ich wüsste dann endlich die Worte, die Gott mir erwiderte, merkte, was Gott mir sagte.
6 Würde Gott mit großer Kraft gegen mich streiten? Nein – aber mich beachten!
7 Dort setzte sich ein Aufrechter mit Gott auseinander, und ich wäre auf immer meinem Gericht entronnen.
8 Schau: Gehe ich nach vorn, so ist Gott nicht da, und nach hinten, da bemerke ich es nicht,
9 nach links beim göttlichen Wirken, ich erblicke es nicht, lenkte Gott nach rechts, so sähe ich es nicht.
10 Ja, Gott kennt den Weg mit mir, prüfte Gott mich – da käme ich wie Gold heraus.
11 Mein Fuß hielt an Gottes Schritt fest, diesen Weg beachtete ich und wich nicht ab.
12 Das Gebot der göttlichen Lippen – ich ließ nicht ab vom mir geltenden Gesetz, ich bewahrte die Worte aus Gottes Mund.
13 Die Gottheit aber bleibt sich gleich – und wer könnte das wenden? –
sie will es tun und tut es.
14 Ja, Gott wird dem mir geltenden Gesetz Genüge tun und Ähnliches ist viel bei Gott.
15 Darum erschrecke ich vor Gottes Angesicht; ich nehme es wahr und erbebe davor.
16 Gott selbst macht mein Herz verzagt, die Gottheit, die Macht über die Macht hat, versetzt mich in Schrecken.
17 Ja, nicht von der Finsternis werde ich vernichtet und auch nicht von meinem eignen Gesicht, bedeckt von Dunkel.

Liebe Gemeinde,

mein Name ist Hiob, was übersetzt heißt: Wo ist mein Vater? In meinem Fall läge es auch nahe zu übersetzen: Wo ist mein göttlicher Vater? Um es vorwegzusagen: Ich weiß es nicht, dennoch will ich von meiner Erfahrung berichten, die mein Vertrauen in Gott gestärkt hat. Ob das ein Widerspruch ist oder ob beides nebeneinanderstehen kann, mein Nicht-Wissen über Gott und meine Erfahrung Gottes, überlasse ich Ihnen. Es wäre schon sehr viel, wenn Sie einfach zuhören und das Gehörter in sich aufnehmen. Zuhören ist nämlich gar nicht einfach. Ich sage nicht, dass mein Weg auch ihr Weg, meine Wahrheit auch ihre Wahrheit, meine Gotteserfahrung auch Ihre werden muss. Aber ich will meine Erfahrung mit Ihnen teilen.

Warum oder die Frage nach Schuld

Ich war reich gesegnet. Mir fehlte es an nichts. Doch von einem zum anderen Tag ist mir alles genommen worden. Wie ist nicht entscheidend. Entscheidend war für mich, dass ich mich unendlich verlassen fühlte, sosehr, dass ich den Tag meiner Geburt verfluchte. Ich war gezeichnet am ganzen Leib und habe das als große Schmach erlebt. Drei Freunde besuchten mich. Sie hatten von meinem Unglück gehört. Die ersten sieben Tage saßen sie mit mir auf der nackten Erde und schwiegen, teilten mein großes Leid, halfen mir durch die endlos langen Tage und Nächte. Dann aber fing die Frage nach dem Warum meines bösen Schicksals an. Ich kann mich heute noch aufregen über vieles, was sie gesagt haben.

„Warum ist mir das passiert?“ Diese Frage hämmerte auch in meinem Kopf. Und ich fand keine Antwort. Was meine Freunde aber sagten, entfremdete sie mir, machten den Schmerz nur noch größer. Ich war völlig allein. Sie sagten, dass es mich böse erwischt habe, läge an mir selbst. Ich hätte Schuld auf mich geladen. Dass mir alles genommen wurde und ich so elend darniederläge, hätte ich selbst zu verantworten. Anders sei es nicht zu erklären. Gott ist gerecht, nur der Frevler wird bestraft. Der Gerechte aber wird fröhlich leben. Einer dichtete mir gar schlimme Verbrechen an. Ich erforschte mein Gewissen, aber da war nichts, was mich belastete, jedenfalls nichts, was mein Schicksal gerechtfertigt hätte. Derselbe meinte sogar, ich müsste mich nur vor Gottes Gericht demütig beugen, dann würde alles wieder gut werden. Er unterstellte mir praktisch, dass ich nicht mehr an Gott glauben würde. Um Gottes willen, damit er Recht bekommt, müsste ich klein beigeben.

Gott handelt nicht

Rückblickend sehe ich, meine Freunde wollten das damals allgemein gültige Gottesbild retten. Es waren viele gute, richtige Sätze über Gott, aber es waren Menschensätze. Diese Sätze halfen mir in meinem Leiden nicht weiter. Sie quälten mich. Sie waren absurd. Was meine Freunde nicht sahen. Ich suchte in meinem Leiden verzweifelt nach Gott, aber da war kein Gott, der mir antwortete. Gott sprach nicht zu mir. Gott hörte mich nicht. Gott sah mich nicht. Gott rettete mich nicht.

Mit Gott streiten

Auch ich glaubte an Gerechtigkeit. Ich hatte Lust mit Gott zu rechten. Ja, in meiner Fantasie habe ich Gott alle Beweise meiner Unschuld vor die Füße geworfen und sah genüsslich, wie Gott gezwungen war, meine Unschuld anzuerkennen und seine Schuld mir gegenüber einzugestehen.

Erst viel später habe ich erkannt, dass mein Streiten mit Gott auf derselben Ebene lag, wie die Reden meiner Freunde. Ich war verunsichert, ich habe geklagt, Gott angeklagt, ja. Und wisst Ihr was? Das tat gut! Ich würde es immer wieder tun.

Solange Menschen auf dieser Erde Unrecht erleiden, ist bittere Klage Ausdruck empathischen Glaubens: Aufruf Gottes rettende Energien zu aktivieren und Aufruf zur Menschlichkeit: Mahnung Recht einzuhalten.

Gott spricht

Lange, lange, lange hat Gott nicht zu mir geredet. Er hat geschwiegen. In der Regel schweigt Gott. Auch ich stand fragend, klagend und anklagend vor dem „schweigenden Geheimnis“ (Karl Rahner). Gott hat sich mir entzogen. Gott war fern. Gott war dunkel und das hat mir schrecklich Angst gemacht. Meine alte Gottesgewissheit ist zerbrochen. Ganz langsam ist etwas Neues in mir gewachsen. Eine zarte Pflanze. Ich weiß gar nicht, wie sie dahingekommen ist. Wie konnte auf dem Boden, der mir entzogen wurde, etwas Neues wachsen und reifen. Ich erwarte nicht mehr, dass Gott von außen eingreift in mein kleines Leben oder in die Welt. Aber Gott hat zu mir gesprochen und ich habe ihn geschaut (Kontemplation). Gott ist in mir gewachsen, nachdem ich meine Vorstellungen über ihn ad acta gelegt habe. Ich weiß nicht, ob Gott Leiden verhindern kann, ich glaube auch nicht, dass Gott uns durch das Leiden auf die Probe stellt oder erziehen will, ich weiß auch nicht, ob Gott im Leiden dabei ist und mitleidet, ich weiß nur, dass Gott, „Macht über die Macht hat“ (Hiob 23,16b) und) ein „schweigendes Geheimnis“ (Karl Rahner) ist. Vor diesem „schweigenden Geheimnis“ beuge ich mich.

Wo ist mein göttlicher Vater? Ich kann ihn nicht lokalisieren. Gott ist unverfügbar. Ich weiß nur: Mein Erlöser lebt. „Vom Hörensagen hatte ich von dir [Gott] gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut“ (Hiob 42,5) Nicht, dass ich Gott gesehen hätte, er ist mir widerfahren. Mein inneres Auge hat ihn geschaut (Mystik). Durch das Leiden hindurch hat sich Gott mir gezeigt. Ich konnte mein Leben wieder auf Gott ausrichten.

Im biblischen Buch Hiob ist meine Geschichte aufgeschrieben: Mein „Weg durch das Leid“ hin zu Gott.

Lest nach.

Literatur:

Bibel in Gerechter Sprache, Gütersloh 2006

Hiob. Die Bibel erzählt: Hg Klara Butting/Gerand Minnard, Erev-Rav, Wittingen 2003

Die neuen alttestamentlichen Perikopentexte,(Hg) Alexander Deeg/Andreas Schüle, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2018, S.380-386

Ein Weg durch das Leid. Das Buch Hiob: Ludger Schwienhorst-Schönberger, Verlag Herder, Freiburg i.Br., Neuausgabe 2022

73 Overtüren. Die Buchanfänge der Bibel und ihre Botschaft, (Hg) Egbert Ballhorn, u.a., Gütersloher Verlag 2020, 2. Auflage, S. 240-249

           

Predigt Happy End?  Sommerkirche über Das Buch Jona, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

Predigttext: Jona, Kapitel 4 …

Liebe Gemeinde,

jetzt blüht er wieder gelb-grün oder rot-grün der Rizinusstrauch, von August – Oktober. Genannt wird er auch Christuspalme wegen seiner handförmigen Blätter, die an Christi heilende Hände erinnern sollen. Bekannt ist der Rizinus auch unter dem Namen Wunderbaum, da er schnell in die Höhe schießt.

Schon sind wir mitten im letzten Kapitel der Jona-Erzählung. Jona hat sich einen Schauplatz außerhalb der Stadt Ninive gesucht, um zu sehen, ob Gott nicht doch sein Gericht an Ninive vollstreckt.

Der Rizinusstrauch.

Dem aus Wut und Zorn bis zur Selbstaufgabe niedergeschlagenen Jona spendet Gott auf dem Höhepunkt seines hitzigen Gemüts Schatten, Kühle und Ruhe durch einen schnellwachsenden Rizinus. Zufälle gibt´s! Das erfüllt Jona mit Freude, ja fast mit überborderden Jubel. Überhaupt könnte man denken, der Prophet Jona ist ein echter Borderliner, getrieben von seinen Ängsten und Emotionen mit einer guten Portion Narzissmus und Größenwahn. Aber damit ist er ja nicht allein auf der Welt.

Als Jona früh am Morgen mitbekommt, dass überall der Wurm drin ist, der schattenspendende Rizinus ist über Nacht verdorrt, der heiße Ostwind im Laufe des Tages lässt sein Blut brodeln, die Mittagssonne sticht ihm ins Gehirn, wünscht er sich erneut den Tod.

Da hat ihn Gott am Wickel. Er hält Jona einen Spiegel vor, aber Jona erkennt sich nicht darin. Jedenfalls hören wir nichts mehr davon. Jona gibt keine Antwort auf die Fragen Gottes. Das Jona-Buch endet mit einer Frage, die nicht beantwortet wird.

Die Jona-Erzählung hat kein Happy End!

Doch höre ich schon den Widerspruch: Der Fisch hat ihn doch ausgespuckt! Jona ist am Leben. Jona hat seine Mission ausgeführt. Jona ist gereift, er ist gewachsen, er hat sich seinen Konflikten gestellt, ist in die Tiefe seines Lebens hinabgestiegen, hat seine große und doch so kleine Angst um sich selbst überwunden, er ist über sich hinausgewachsen, hat die Grenzen seines alten Denkens überwunden, er war sich nicht zu schade Menschen zu begegnen, denen er im Traum nicht die Hände gereicht hätte, seine starke Angst ein unreines Gebiet zu betreten, hat er hinter sich gelassen, er hat die Menschen gewarnt und ihnen gesagt, dass sie ernten werden, was sie gesät haben. Sie sollen davor die Augen nicht verschließen. Ja, Jona hat ihnen mit seinen Worten die Augen geöffnet. Das, was er nicht geglaubt hat, ist passiert. Das war doch ein Höhepunkt in seiner Propheten-Karriere. Jona hat ihnen nicht nur die Augen geöffnet, er hat ihnen sogar im Namen seines Gottes gedroht: Apokalypse Now!

Das mit dem Angst machen klappt noch heute. Wir brauchen dafür in unseren Breitengraden längst nicht mehr den Namen Gottes, aber Angstschüren ist das Krebsgeschwür unserer Zeit.

Angst triggert vor allem unser Sicherheitsbedürfnis. „Kriegstüchtig“ müssen wir werden. Gefahr droht aus dem Osten. Putin will sich bis zum Ende des Jahrzehnts große Teile Europas einverleiben. „What ever it takes“ ist unsere Antwort. Aber- und Abermilliarden sollen investiert werden in Waffensysteme aller Art. Die Kriegstüchtigkeit soll mindestens so schnell wachsen wie ein Rizinusstrauch. Was für eine hirnverbrannte Ideologie, eine Investition in Todesenergien statt in Frieden, Bildung und Bewahrung der Schöpfung. Entrüstet euch!

Haben wir denn gar nichts aus den beiden Weltkriegen im letzten Jahrhundert gelernt?

Statement für universale Menschlichkeit.

Konkret geht es im Jonabuch um eine Umkehrgeschichte. Um eine Umkehr Gottes. Gott will das assyrische, heidnische Ninive vernichten, weil die Menschen in der Stadt Böses treiben. Dem Unrecht soll ein Ende gesetzt werden durch Auslöschung. Damit geht Jona d´accord. Ein neuer Anfang soll her durch Vernichtung. Die politische Pointe der hebräischen Erzählung ist aber eine Mahnung gegen Rache und Gewalt und ein starkes Statement für universale Menschlichkeit.

Wir wissen, Israel ist seit der Staatsgründung in seiner Existenz bedroht. Der terroristische Einfall der Hamas am 7. Oktober 2023 mit über 1000 Ermordeten und hunderten Verschleppten war ein Akt gegen Menschlichkeit und Völkerrecht. Diese Erfahrung hat die israelische Bevölkerung und Juden weltweit re-traumatisiert. Die Antwort Rache und Vergeltung. Das Ziel: die vollständige Vernichtung der Hamas. Der Zweck heiligt die Mittel aus Sicht der israelischen Regierung. Die Folge unendlich menschliches Leid der palästinensischen Bevölkerung durch die israelische Armee. Ein himmelschreiendes Unrecht, das wir mit Waffenlieferungen an Israel unterstützen.

Wann endlich kehren wir um? Wann endlich überwinden wir Rache- und Vergeltungsschläge? Das ist der einzige Weg zum Frieden.

Die jüdische Jona-Erzählung mahnt Mächtige zur Umkehr, zu einem Sinneswandel, zu einem echten Neuanfang.

Aber zurück zu unserer Geschichte. Ja, kein Happy End! Aber warum?

Am Ende der Jona-Erzählung steht eine Frage, die beantwortet werden will durch die Jahrhunderte hindurch bis heute. Sie will beantwortet werden durch dich und mich. Das ist großes literarisches Kino!

Die Frage ist nur, ob wir die Frage an uns heranlassen. Das sie uns im Kern trifft. Das wir gar nicht mehr anders können als sie mit unserer ganzen Existenz zu beantworten.

Wie hältst du´s mit der Empathie?

Gott geht hier voran. Wie schon in der Geschichte von der großen Flut, wo es am Ende heißt, dass Gott die Erde und alles was auf ihr lebt nie mehr vernichten will, erinnert sich Gott seines Mitgefühls für Mensch und Tier. Gott erinnert sich daran, dass in Ninive Menschen und Tiere leben, „die nicht wissen, was rechts oder links ist“ (Jona 4,11b).  Wie sollte es ihm da nicht gereuen und er selbst von der Vernichtung Ninives absehen, Güte und Barmherzigkeit in ihm siegen?

Davon will Jona nichts hören. Davon wollen wir alle nichts hören. Wir alle aber leben vom Mitgefühl anderer mehr als wir ahnen.

Jona hatte gute Gründe. Wir auch. Der Zweck heiligt die Mittel. Das war schon immer so. Allerdings führt uns das nicht weiter.

Weiter führen uns Empathie und Menschlichkeit. Dazu unbedingt notwendig: die Bereitschaft zu vergeben, einen Neuanfang zu wagen, wie es Gott hier macht. Die wichtige Frage nach Recht und Gerechtigkeit braucht Empathie, ein Verstehen, die Fähigkeit sich in die anderen hineinzuversetzen und die Suche nach Ausgleich.

Ich will Jona nicht abschreiben. Auch sein Weg bleibt offen. Und er hat vieles gelernt in dieser Geschichte. Sie hat kein Happy End für den Helden Jona. Sie ist aber auch keine Tragödie.

Jona trägt etwas in sich, das größer ist al er. Seine göttliche Berufung. Sein Name heißt übersetzt Taube. Eine Taube kehrt immer wieder zurück zu ihrem Ursprung. Eine Taube mit dem Ölzweig im Schnabel steht für Frieden und für Neuanfang.

Gottes Wirklichkeit zeigt sich uns, wenn wir Menschlichkeit leben, wenn wir mit Respekt allem Leben begegnen und Leben fördern.

Wir leben in einer Welt, wo viele Menschen nicht wissen, „was rechts oder links“ ist – und wir gehören selbst dazu!

Wir dürfen aber im Glauben ein Gottesbild in uns tragen und auch nähren, dass seine Güte, Liebe, Schöpfungs- und Menschenfreundlichkeit unter uns groß macht. Das wärmt uns. Das stärkt uns. Das tröstet uns. Das mahnt und lehrt uns.

Das widerfährt uns, wie es Jona widerfahren ist.