Der Besuch der Ausstellung Expression in Selm-Cappenberg und die Einführung von Dr. Jürgen Doppelstein führte mich dahin, einmal ein paar Worte Barlachs über seine besondere, individuelle und viellicht sogar individualistische Einstellung zur Religion zu suchen.
Jürgen Doppelstein sprach sehr berührend darüber, dass sowohl die Zeichnungen und Plastiken, aber auch das dichterische Werk Barlachs, zum ich wenig Zugang habe, zeigen, dass der Mensch notwendigerweise über sich hinauszugehen habe, ob er dieses nun Religion nenne oder nicht.
Dazu sei nun der Abschnitt „Dichterglaube“ aus dem Buch „Ernst Barlach. Spiegel des Unendlichen. Auswahl aus dem dichterischen Gesamtwerk. Piper München 1960, S. 315 zitiert (Leider fehlt hier die bibliografische Angabe, aber aus dem Zitat auf Seite 5 ist das Jahr 1931 zu entnehmen):
Dichterglaube.
Die Gläubigkeit meines Wesens möchte um alles Heiligen willen von Befragung verschont bleiben. Sie ist sich ihrer selbst kaum bewusst und viel zu stolz, wenn sie schon gestellt wird, es darauf ankommen zu lassen, dass man sich zu etwas Worthaftem nötigt, mit dem sie ihre nackte Unfassbarkeit in scheinbare Verständlichkeit kleiden müsste, um es an notdürftiger Vernünftigkeit nicht fehlen zu lassen…
Meine liebste Erwartung ist auf die Möglichkeit freien Atmens gerichtet, – wollte ich disputieren, und sei es nur mit meinem andern Ich, so käme das einer Grabschaufelei gleich, und so viel vermag ich disputierend nicht zu fördern, dass ich darum das Bessere darangeben dürfte. Ich fürchte dabei, dass ich zeither überleidig disputiert habe, und fühle, dass ich dem reinen Gestalten allzu viel schuldig geblieben bin.
Die Wahrheiten vergehen, die Wahrheit selbst bleibt, die wortlose, die, zwischen den Formulierungen der Dogmen als Sturm den erhabensten Irrtum aufrührend, den vergänglichen Leibern, nämlich den Dogmen, ihr Blühen und prunkendes Dauern (und) bis zum Überdruss ihres Alterns Kraft und Odem gibt. Die Wahrheiten sind sinnliche, menschliche Erfindungen, die Wahrheit ist die Unsichtbarkeit selbst, das Sein des Seins, das Unnennbare, für das der zweisilbige Klang nichts als Beweis ist, dass die menschliche Unzulänglichkeit eines zulänglichen Übermenschlichen bewusst ist, das sie benamst, um es nur als etwas Existentes zu bezeichnen: die Ausströmung des ewig unbekannten Gottes, dessen, was eben nicht menschenmäßig ist und darum nicht von Menschen erfassbar, also ihnen unbekannt ist und bleibt. Aber das künstlerische Vertrauen ohne arge Vernünftigkeit glaubt sich selbst sein Schöpfertum und beweist es sich zufriedenstellend im großen schöpferischen Geschehen….
Ich bin froh, wenn mir einige handgreifliche Dinge gelingen, aus denen eine Ahnung von der Möglichkeit des Hinübergelangens in Bereiche klingt, die einmal „Über“ uns sind, aber darum nicht hoffnungslos verschlossen, – eine Ahnung, die mit Ernst und Strenge nicht unvereinbar, schon an sich selbst beglückend ein Übersichselbsthinaus erfahrbar macht. Es ist wohl so, dass der Künstler mehr weiß, als er sagen kann, weshalb er sich überzeugt ans Bilden macht.
Ich muss mich dem Geheiß eines Sollens fügen, das mich in jedem einzelnen Fall bestimmt; und wäre es nicht so, dass ich, wie es sich auch aus dem Unbewussten gestaltet, immer doch Zusammenhang, Einheit, Folgerichtigkeit des Gewordenen zu erkennen genötigt bin, so wäre mir das Wesen, aus dem ich gekommen und in dem ich mich bewege, kaum eine Gewalt, zu der man Vertrauen haben dürfte. So aber geschieht, was geschieht, in immer mehr sicher werdender Gutgläubigkeit. Freilich von einer Art, die sich immer weniger formulieren lässt, der es unabweisbares Bedürfnis ist, sich in solcher Freiheit zu bewegen, dass sie Andersgewohnten, nach beglückender Begrenzung und Sicherheit als schlechter Glaube, ja als Ungläubigkeit erscheinen möchte. Doch gehöre ich zu den gläubigen Menschen, deren Letztes allerdings sich nicht in Worte bringen ließe, indem ich der Überzeugung bin, dass die mir gegebene Sprache und Darstellung – wenn auch stammelnderweise – von Etwas zeugt, das vom Wort, von Wille, Verstand und Vernunft überhaupt nicht berührt wird. Es sei denn wiederum in der Art der Kunstsprache, indem ihr innewohnt und übertragen wird aus ihr, vermöge übervernünftiger Eigenschaft als Schönheit, Größe, Majestät oder erschütternde Eindringlichkeit, was vom Jenseits der Wortmathematik kommt, nicht gewollt, gelernt, gewonnen oder ursächlich erkannt werden kann, sondern zweckfreie Gnade ist.