Einsamkeit und Freundschaft. Christoph Fleischer, Werl 2010

Ernst Bloch schildert in seinem Buch „Das Prinzip Hoffnung“ die Zusammengehörigkeit von Einsamkeit und Freundschaft. Es geht ihm insgesamt um Hoffnung und damit um Ideale und Wunschvorstellungen, um Träume. Deshalb kann Einsamkeit hier kein Zustand sein, unter dem Menschen leiden, sondern einer, den sie sich sogar hin und wieder wünschen. Dies ist zugestanden nicht für das gleiche Alter immer gleich erstrebenswert. Der zu befürchtende Zustand, den Menschen unter Einsamkeit verstehen, sollte besser als Verlassenheit bezeichnet werden. Im Idealzustand ist sie vielmehr eine Art Störungslosigkeit, von einem eher introvertierten Ich erwünscht. So schreibt Sören Kierkegaard in seinem Hauptwerk „Entweder – Oder“: „Mein Kummer ist meine Ritterburg… Von diesem Wohnsitz fliege ich hinunter in die Wirklichkeit und ergreife meine Beute. Aber ich halte mich unten nicht auf; ich trage sie heim auf mein Schloss. Was ich erbeute sind Bilder…“. Doch ist diese Einsamkeit wirklich, wie Ernst Bloch schreibt, das „christlich-narzisstische Wunschbild“ und somit das Ideal zum Übergang in den Kapitalismus, der zwar auf Individualismus aufbaut, dennoch die Einsamkeit selbst nicht erfunden hat? Richtig verstanden geht es darum, in der Einsamkeit einen Rückzugsraum zu entdecken, einen Bereich, der zur Kraftquelle werden kann und muss, ohne den Gemeinschaft zwangsläufig leer wird, wie „Einsamkeit ohne Gemeinschaft blind wird“ (Ernst Bloch).

Dass eine Art Gesellschaft schon von vornherein zum menschlichen Leben gehört, zeigt das Urbild der Familie, in die ein Mensch hinein geboren wird. Doch die Gesellschaft wiederum ist zu groß und unübersichtlich, um wirklich den Raum für die anfänglich erfahrene Geborgenheit zu bieten. Schon von Aristoteles her wird Freundschaft allerdings zu einer Grundsäule gesellschaftlichen Verhaltens. Sie setzt privates Eigentum voraus, um die Erfahrung des Geschenkes zu ermöglichen. Sie ist in ihren Idealen letztlich immer auf das Ganze bezogen: „Was die Gerechtigkeit nur fordert, das leistet ohne Zwang die Freundschaft; sie bewirkt jene Eintracht, worin eine Verletzung der gegenseitigen Rechte nicht mehr vorkommt, also selbst zum Gedanken an Gerechtigkeit kein Anlass mehr ist.“ (Bloch). Mit diesem Idealzustand nicht nur beschrieben, sondern auch belastet, als Wohlwollen, Eintracht und Wohltun bezeichnet, muss Freundschaft letztlich auch einer Entwicklung unterworfen sein und kann zerbrechen oder sich verändern. Dennoch, auch die Nachbarschaft etwa als Ideal der amerikanischen Siedler spiegelt die Vorstellung der Freundschaft wieder. Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten. Bloch steht der Vorstellung Adam Smiths kritisch gegenüber, der meint, die Sympathie wäre ein Antrieb der Marktwirtschaft. Wo Begriffe wie Kauf und Verkauf in die Freundschaft eintreten, ja wo eventuell sogar von Ausnutzung die Rede ist, wird sich eine Freundschaft nicht lange halten. Der Marxismus dehnt das Ideal der Freundschaft auf die ganze Gesellschaft aus, indem er sie möglichst von solchen schädigenden Wirtschaftsbeziehungen zu befreien sucht. Doch dass sich dies realisieren könnte, hat sich in der Geschichte noch nicht erwiesen. Von daher bleibt von diesem Abschnitt letztlich gerade nicht der Schluss mit seinem idealistisch utopistischen Ausblick, sondern die Tatsache, dass sich Einsamkeit und Freundschaft in einem Wechselverhältnis befinden. Dass die Freundschaft auch ein religiöses Ideal ist, dürfte unbestreitbar sein. Wichtig ist aber auch ihre Idealisierung zu vermeiden, wie andersherum Einsamkeit nicht nur negativ genannt werden darf. Beide sind sicherlich in den Prozess der Biografie eingebunden, in dem es ohnehin auch das Loslassen und Neugewinnen von Bindungen und Beziehungen geben muss.

Anmerkung: Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Dritter Band, Suhrkamp Frankfurt/M. 1978, S. 1125-1134, „Doppellicht Einsamkeit und Freundschaft“.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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