über den Aufsatz von Rudolf Bultmann „Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?“ (1925) [1].
Der Aufsatz von Rudolf Bultmann „Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?“ ist in fünf, mit römischen Zahlen gekennzeichnete Abschnitte eingeteilt. Ich referiere diese Abschnitte und fasse den Inhalt insofern zusammen, dass ich ihnen Überschriften gebe. Vielleicht ist es schon eine absolute Kurzfassung, wenn ich diese am Anfang einmal alle nenne:
- Einleitung. Gottes Wirklichkeit und Gottes Anspruch.
- Die Subjektivität jedes Redens und „der ganz Andere“.
- Das Wirklichkeitsverständnis des modernen Menschen als einer Weltanschauung und die Rede von Gott.
- Die Folge der Aporie der christlichen Religion: Gehorsam.
- Schluss: Glauben – die Beziehung zu Gott und zu unserer eigenen Existenz.
- Einleitung. Gottes Wirklichkeit und Gottes Anspruch. Bultmann handelt hintereinander zwei Ebenen ab. 1. Ebene: Logik. Das logische Problem des wissenschaftlichen Redens über die Wirklichkeit Gottes eröffnet die Behandlung des Themas und macht den Text spannend. Unter der Voraussetzung, dass „Gott der Allmächtige, d.h. die Alles bestimmende Wirklichkeit ist“ (S.1), ist dessen begriffliche Objektivierung unmöglich. „Einen Standpunkt außerhalb Gottes kann es“ dann logischerweise nämlich „nicht geben“ (S.1). Daher kann Rede „von Gott“ nicht Rede „über Gott“ sein (S.1), denn dann würde das betreffende redende Ich sich der „alles bestimmenden Wirklichkeit“ (s.o.) bemächtigen, was auf was auf wissenschaftlicher Ebene faktisch in jeder Richtung als „Atheismus“ zu bezeichnen wäre (S.2). 2. Ebene: Theologische Sprache. Was auf der ersten Ebene beschrieben wurde ist theologisch gesehen Sünde, denn solches „disputare de deo“ stellt den „Anspruch Gottes“ in die Beliebigkeit des „Disputierens“ (S.2). Indirekt zeigt dies, dass „die Alles bestimmende Wirklichkeit“ der „Anspruch Gottes“ auf unsere Existenz ist (S. 3). Reden über Gott wird so zur Sünde. Streng genommen kann also Reden „von Gott“ nur als Reden „aus Gott“ und demnach als Reden „von Gott selbst“ gedacht werden. Die Argumentation Bultmanns setzt hier 1. voraus, dass Reden von Gott widerspruchslos und logisch ist, und 2. setzt Bultmann einen steng definierten Gottesbegriff voraus, der in der Allmacht Gottes begründet ist, den der „Alles bestimmenden Wirklichkeit“. Streng genommen ist der Gottesbegriff Bultmanns damit anders ausgedrückt: die gegenwärtige Existenz des Seins unter dem Modus der Bestimmung.
- Die Subjektivität jedes Redens und „der ganz Andere“. Die Menschlichkeit jedes Redens von Gott, durchaus auf dem Hintergrund der soeben beschriebenen Voraussetzungen, ist als existenzielles Reden zugleich Darstellung des existenziellen Ichs. Aber sofort sieht Bultmann dann: Von Gott reden kann nicht bedeuten, von seinen eigenen Erlebnissen zu reden, insofern „Gott der ganz Andere“ ist. Diese Beobachtung schränkt er dann aber sofort wieder ein und stellt zu recht fest, dass er dadurch den Gedanken der „Alles bestimmenden Wirklichkeit“ aufgeben muss. Wenn der Mensch sich mit der „Alles bestimmenden Wirklichkeit“ als des „ganz Anderen“ identifiziert, ist er damit faktisch auf der Flucht vor sich selbst, zugleich auf der Flucht vor Gott und damit Sünder. Durch die Verwicklung in den Widerspruch führt Bultmann den Leser und Hörer zur Erkenntnis der Sünde. Er stellt fest, das der Begriff Gottes als des Ganz Anderen theologisch denkbar ist und zur Erkenntnis der Sünde führt. Was logisch gedacht also einen Widerspruch darstellt ist theologisch gedacht „Sünde“ oder wie es auch heißt, die Beschreibung der „Existenz des natürlichen Menschen“ [2] bzw. der Beziehung von Gott und „Welt“ (S.5).
- Das Wirklichkeitsverständnis des modernen Menschen als einer Weltanschauung und die Rede von Gott. Die Weltanschauung der Welt als einer Wirklichkeit liegt jedem modernen Denken zugrunde, egal ob materialistisch oder idealistisch. Darin behandelt der Mensch sich selbst als Objekt, selbst dann, wenn er sich selbst als Subjekt bezeichnet. Wer hierin objektivierend von Gott redet, hat faktisch schlicht eine „theistische oder christliche ‚Weltanschauung'“(S.7). Die Argumentation Bultmanns greift nun auf Abschnitt I. zurück, indem er die Existenzialität gegen das Weltverständnis der Wirklichkeit setzt. Der Schluss dieses Abschnitts kann nur wörtlich wiedergegeben werden: „Es ist also von unserer Existenz nur ein Doppeltes klar: 1. dass wir die Sorge und Verantwortung für sie haben; denn sie bedeutet ja: tua res agitur; 2. dass sie absolut unsicher ist und wir sie nicht sichern können; denn dazu müssen wir außerhalb ihrer stehen und Gott selbst sein. Wir können nicht über unsere Existenz reden, da wir nicht über Gott reden können; und wir können nicht über Gott reden, da wir nicht über unsere Existenz reden können. Wir könnten nur eins mit dem anderen. Könnte wir aus Gott von Gott reden, so können wir auch von unserer Existenz reden, und umgekehrt. Jedenfalls müsste ein Reden von Gott, wenn es möglich wäre, zugleich ein Reden von uns sein. So bleibt das richtig: wenn gefragt wird, wie ein Reden von Gott möglich sein kann, so muss geantwortet werden: nur als ein Reden von uns.“ (S.8).
- Die Folge der Aporie der christlichen Religion: Gehorsam. „Gehorsam bedeutet, sich einem Müssen in freier Tat fügen.“ (S.9). Diese Definition macht die Gedanken Bultmanns zwar verständlicher, sie bleiben aber dennoch schwierig, da der Begriff Gehorsam für uns mehrheitlich negativ besetzt ist. Bultmann greift hier den Gedanken von Teil II. auf, dass das Verständnis Gottes als des „Ganz Anderen“ bedeutet, dass der Mensch „von seiner Existenz reden müsste, als der durch Gott bestimmten“ und es trotzdem nur tun kann, indem er „Gott nicht sehen kann“ (Siehe Teil II. S.6). Bultmann stellt sich hier wieder ganz logisch der Alternative: „von Gott nicht reden zu sollen“ und von Gott reden zu müssen. Da er die erste Alternative als „Quietismus“ ablehnt, kommt er über das „Müssen“ zum Begriff „Gehorsam“. Mit „Gehorsam“ ist also hier keine Folge eines Befehls gemeint, sondern ein Verhalten zu einer Instanz, der sich ein Mensch nicht entziehen kann, wobei er im konkreten Handeln dennoch frei bleibt, gehorsam zu sein oder nicht. Die im Teil I. genannten Beispiele der Liebe oder der Eltern Kind Beziehung dürften hier ebenfalls passen. (S.S.1f). Falls Bultmann hier auf den Aufsatz von Karl Barth aus dem Jahr 1922 „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ eingeht, so muss man feststellen, dass er die Aporie, die Barth auch nennt, nicht wie dieser in einen Imperativ des Sollens auflöst, sondern in einen Indikativ: Wir müssen von Gott reden, weil Gott unsere Alles bestimmende Wirklichkeit ist, und weil dieses Reden zugleich Reden von unserer eigenen Existenz ist. [3] Aber: „Ob dies Müssen Wirklichkeit ist, können wir nur glauben.“ (S.10).
- Glauben – die Beziehung zu Gott und zu unserer eigenen Existenz. Nach dem Vorgesagten ist klar, dass die Pointe des Artikels darin liegt, zu zeigen, dass „Glauben“(S.10) und Objektivieren Gegensätze sind. Er redet hier nun eben nicht theistisch vom Glauben, sondern zuerst davon, dass unsere eigene Existenz geglaubt ist. Dieses „Glauben“ kann verschieden beschrieben werden, theologisch aber bedeutet es: „Glauben kann ja nur die Bejahung des Tuns Gottes an uns, die Antwort auf sein an uns gerichtetes Wort sein“ (S.11). Hier führt das Nachdenken über den Glauben zum Gedanken der Rechtfertigung. Dies ist schon von daher einsichtig, da die Beziehung zu unserer Existenz als Widerspruch gesehen und als Sünde bezeichnet wurde. Rede von Gott ist nur als etwas möglich, das den Widerspruch der Sünde aus Gnade überwunden hat. Der Glaube ist immer ein existenzielles Ereignis, nie festes Wissen, nie Garantie. „Ja, für uns selbst kann der Glaube nie ein Standpunkt sein, woraufhin wir uns einrichten, sondern stets nur neue Tat, neuer Gehorsam.“(S.12) .Jedes menschliche Reden und Tun hat nur „Sinn unter der Gnade“, auch das „Reden von Gott“(S.12, Unterstreichung verweist auf den Titel des Aufsatzes).
[1] Rudolf Bultmann. Neues Testamen und christliche Existenz. Theologische Aufsätze hrsg. Von Andreas Lindemann. Tübingen 2002. S. 1 – 12.
[2] S. 5 Bultmann nennt diesen Begriff etwas weiter oben, als er Luther zitierend feststellt, dass „der natürliche Mensch vor Gott flieht und Gott hasst“.
[3] „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen beides wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“ Karl Barth aus: Die Anfänge der dialektischen Theologie hrsg. Von Jürgen Moltmann. Bd. 1 1962. S. 199