Zu: Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Vollständige Ausgabe versehen mit Einleitung, Anmerkungen und Kommentaren. Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2011, ISBN 978-3-579-07141-1, Preis: 34,95 Euro
Das Buch „Widerstand und Ergebung“ habe ich in unterschiedlichen Zeiten meines Lebens unterschiedlich gelesen, aber immer ist es mir ein wichtiger Begleiter gewesen. Schon im Bücherschrank meiner Eltern stand es, gebunden im schwarzen Einband als Ausgabe des damaligen Bücherbundes. Neben dem Tagebuch der Anne Frank war es das Buch der Aufzeichnungen, das die Zeit des Nationalsozialismus einerseits dokumentierte und andererseits verdeutlichte, in welcher Art und Weise, sowohl im Amsterdamer Versteck, als auch im Tegeler Gefängnis die Hoffnung auf eine neue Zukunft danach präsent war. Im Studium entdeckte ich Dietrich Bonhoeffer als Theologen, damals allerdings noch in starker Anlehnung an die dialektische Theologie Karl Barths. Ich sah Bonhoeffer als Zeugen der Barmer Theologischen Erklärung an, da er ja das Predigerseminar der Bekennenden Kirche leitete. Die Beschäftigung mit Bonhoeffer war durch die detaillierte Biografie von Eberhard Bethge geprägt. Insofern waren die hier versammelten Aufzeichnungen aus der Haft vor allem Dokumente des Widerstandes, wenn auch hier manches nur zwischen den Zeilen steht. Sowohl der Eingangstext „Nach zehn Jahren“ als auch der „Haftbericht nach einem Jahr in Tegel“ zeigen, dass Bonhoeffers Standort klar auf den politischen Widerstand gerichtet blieb. Dem entsprach umgekehrt die Enttäuschung nach dem gescheiterten Attentat 1944, die er im Gedicht „Stationen auf dem Weg zur Freiheit“ zum Ausdruck brachte. Dass er danach mit der sicheren Todesstrafe rechnen musste und sich dennoch in der Lage sah, sich und die Seinen „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ zu wissen, zeigte mir, dass bei aller politischen Verantwortungsbereitschaft die gläubige und religiöse Verankerung wichtig geblieben ist. Das Buch „Widerstand und Ergebung“ liest sich aus dieser Perspektive jedoch in erster Linie als Fundgrube für die persönlich biografische Zeitgeschichte. Ein anderer Aspekt ist jedoch noch davon zu unterscheiden, und zwar die deutliche Kritik am „Offenbarungspositivismus“ der bekennenden Kirche und seine Bereitschaft, sich auf die religionslose Interpretation und Verkündigung einzulassen. Hier scheint das Thema „Säkularisierung“ durch, das in der Biografie Bonhoeffers nun allerdings recht unvermittelt hereinschneite.
Ein wenig später war es Bonhoeffers Pazifismus der frühen dreißiger Jahre, der sich zu Wort meldete. Die Schrift „Widerstand und Ergebung“ schien als Kriegszeugnis diesen Pazifismus durch die reale Schilderung der seelischen und materiellen Gewalt des Krieges zu unterstützen, wenn auch die Tätigkeit Bonhoeffers in der Abwehr zunächst als Abkehr vom Pazifismus erklärt werden musste, da er sich dort der Wehrmacht eingliedern musste. Er war ja dementsprechend auch zunächst die längste Zeit im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Tegel untergebracht, bis er als Häftling von der Gestapo übernommen wurde. Seine Mitgefangenen waren also insgesamt Soldaten. Inzwischen war das Buch „Widerstand und Ergebung“ in erneuter Auflage herausgekommen und enthielt nun auch die Briefe der Eltern und andrer Angehöriger an ihn ungekürzt. Erst vor einiger Zeit erhielt ich aus Gründen des Erwerbs der fünfbändigen Bonhoeffer Auswahl Einblick in die Briefe an und von Maria von Wedemeyer, Bonhoeffers Verlobter, die auch als „Brautbriefe“ veröffentlicht sind. Da Maria die einzige Person war, die als ständige Besucherin die Mittelsperson zwischen dem Gefangenen und dem Elternhaus sowie dem Freundeskreis war, wurde mir erst dadurch bewusst, wie stark ihre Person im Umkreis des Gefangenen Dietrich Bonhoeffer wirkte. In fast jedem Brief an die Eltern wird ein Gruß oder eine Botschaft für sie mitgegeben. Eberhard Bethge als Freund und Maria Wedemeyer als Verlobte waren neben den Eltern die Hauptpersonen in Bonhoeffers Gefängniszeit. In der Ausgabe des Bandes 8, der „Dietrich Bonhoeffer Werke“, die 1998 noch unter Mitarbeit von Eberhard Bethge erschien, wurde die Briefe Bethges hinzugefügt sowie einige inzwischen aufgefundene Dokumente ergänzt. Sehr wichtig an diesem Band sind die Fußnoten, die auf den Kontext verweisen und daher die Briefe und Aufzeichnungen erschließen. Dies habe ich als hilfreich empfunden, da gerade in Briefen viele Aussagen kontextbezogen sind und ohne Erklärung unverstanden bleiben mussten. Die jetzt erschienene Taschenbuchausgabe ist ein neuer Anlass, die Briefe an und von Dietrich Bonhoeffer kommentiert zu lesen. Es zeigt sich gerade darin die ungeheure Bedeutung gerade dieser Briefe und Aufzeichnungen, ohne die es eine breite publizistische Bekanntheit Bonhoeffers als Theologe in der bekannten Form nie gegeben hätte. Erst in der Gegenwart wird immer stärker deutlich, dass er keinesfalls allein im Kielwasser der dialektischen Theologie schwamm, sondern auch kirchenpolitisch sehr enttäuscht von der Bekennenden Kirche war. Der Glaube an die Kirche war durch die Fronten des Kirchenkampfes ohnehin sehr gekränkt. Bonhoeffer, der im Studium geprägt war von der lutherischen Theologie einerseits und der liberalen Theologie andererseits, begegnete zunächst der dialektischen Theologe mit ihrer Konzentration auf das Wort, sympathisierte jedoch mit der aktuellen hermeneutischen Theologie Rudolf Bultmanns, und griff jedoch genauso auf die Theologen Amerikas zurück, die er in seinen Studienjahren dort kennen gelernt hatte. Seine Theologie war so immer auch ökumenisch und politisch geprägt vom Dialog, der sich auch auf die vielen vom Säkularismus geprägten Menschen einlassen wollte. Gerade die Gefängnisbriefe sind ein Zeugnis einer erneuten Wandlung der Theologie Dietrich Bonhoeffers, die nur in einer kurzen Periode schon einmal in der Kirche der ehemaligen DDR als Hinwendung zum weltlichen Christsein rezipiert worden ist. In dieser Hinsicht ist die Beschäftigung mit Dietrich Bonhoeffers Werk „Widerstand und Ergebung“ keineswegs am Ende, sondern erst am Anfang. Das Buch ist auch in diesem Umfang lesenswert. Es ist allerdings schade, dass die Briefe von und an Maria von Wedemeyer in diesem Buch nicht enthalten sind.