Den Islam besser verstehen – Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2010

Zu:

–          Der Hadith. Urkunde der islamischen Tradition, Band 4, Traumgesichte und Gleichnisse. Vorzüge besonderer Personen. Vorzüge der Propheten. Jesus Christus. Hrsg. Von Adel Theodor Khoury, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2010, ISBN 978-3-579-08069-7, 49,95 Euro

–          Tilman Nagel. Zwanzig Kapitel über den Propheten der Muslime. R. Oldenbourg Verlag München 2010, ISBN978-3-486-59705-9, 29,80 Euro

Diese beiden Bücher verstehen sich aus dem gleichen Anliegen heraus, nämlich durch sachliche, historische Informationen mehr Verständnis für die muslimische Religion in der Öffentlichkeit herzustellen und gleichzeitig zu zeigen, dass es sehr wohl möglich ist, die Quellen der Religion mit den Mitteln historischer Forschung zu würdigen. Dazu gibt es in der Religions- und Kirchengeschichte schon immer beide Gattungen: die Quellenauswahl und die historisch-kritische Lektüre.

Die Quellenauswahl des Hadith in der Ausgabe von Adel Theodor Khoury erscheint im Gütersloher Verlagshaus. Dieser Band widmet sich den historischen Personen im Umfeld des Propheten Mohammed. Dies ist insofern wichtig, als dass in den übrigen Bänden diese Personen zum Teil als Urheber der mündlichen Überlieferung genannt werden, auf die das eine oder andere Hadith zurückgeht. Unter einem Hadith versteht man einen Ausspruch oder eine kurze Erzählung über den Propheten Mohammed oder einen Teil seiner Reden oder Überlieferungen, die immer einer Zeugin oder einem Zeugen seines Umfeldes zugeschrieben werden. Daher haben diese Hadithe in der islamischen Tradition eine hohe Bedeutung. Sie werden zur Sunna gerechnet, jener Überlieferung, mit der Glaubens- und Lebensfragen entschieden werden können. Auf den Inhalt der in diesem Bande gesammelten Hadithe, die auf bestimmte Personen zurückgehen, die Mohammed persönlich gekannt haben, möchte ich nicht weiter eingehen, da sich ihre Bedeutung als Zeugen des Lebens Mohammeds und seiner Lehre von selbst versteht. Die Frauen Mohammeds und seine weiblichen Verwandten haben hier übrigens einen ebenso großen Rang wie die Männer. Interessant ist an diesem Band nämlich die weitere Auswahl von Hadithen, die Adel Theodor Khoury in einem ausführlichen Anhang dokumentiert, Aussagen über Jesus Christus und Beispiele der muslimischen Tradition seiner Lehre und seines Lebens. Es steht außer Frage, dass wir in unserer Zeit die Einstellung zu Jesus hauptsächlich den Berichten des Neuen Testaments und seinen Auslegungen entnehmen. Doch dass dies in der christlichen Kirche nicht immer so gewesen ist, zeigt schon die Begründung und Notwendigkeit der Reformation Martin Luthers. Die Traditionen über Jesus, die der Islam überliefert, sind also keineswegs ausschließlich muslimisch, sondern höchstwahrscheinlich die aus der christlich-byzantinischen Welt in den Islam eingedrungenen Überlieferungen, die z. T. gut an die Überlieferungen des Neuen Testamentes anknüpfen, sich zum Teil aber auch erheblich davon unterscheiden. Daher sollen in dieser Rezension einige Eindrücke über die in diesem Band dokumentierten Traditionen über Jesus wiedergegeben werden.

Es ist sehr hilfreich, dass die Überlieferung über Jesus im Koran dokumentiert wird. Kurz gefasst lautet diese hier: Obwohl die jungfräuliche Geburt Jesu durch Maria breit dargestellt wird (Suren 3 und 19) soll Jesus allein als Diener und Prophet angesehen werden. Die Bezeichnung „Sohn Gottes“ wird in die Nähe des Polytheismus gebracht und verworfen (Sure 19). Die Kreuzigung Jesu wird ebenfalls verworfen. Daher wird auch die Theologie des Paulus nicht erwähnt. Allerdings heißt es, Jesus sei gestorben und auferstanden. Jesus ist Gesandter Gottes und als Messias Gesalbter, er ist sogar das Wort Gottes und hat den Geist Gottes empfangen. Die Meinung über Jesus stimmt mit dem Wort Jesu in den Evangelien überein, widerspricht aber der Vergöttlichung als Sohn Gottes. Die Bundestheologie fehlt völlig. Weder Gottes Bund mit Israel noch der neue Bund werden akzeptiert. Trotz dieser Differenzen ist die Gottesvorstellung des Korans sehr stark an die biblische Theologie angelehnt (vgl. Dekalog). Ähnlich wie die Christen, liest auch der Koran die Bibel selektiv. Der Monotheismus wird stärker ausgeführt. Dabei ist Gott universal. Dem Geschehen der Welt steht Gottes Wort gegenüber. Daher ist Jesus ein Vorbild des Glaubens, weil er sich im Tun und seinen Predigten allein auf Gott bezieht.

Der Anhang dokumentiert nun zahlreiche Überlieferungstexte des Hadith über Jesus, die inhaltlich nicht vom Koran abweichen. Interessant ist aber auch, wie viele nicht-biblische Traditionen über Jesus im Hadith verarbeitet sind. Jesus wird asketischer gezeigt als z. B. Mohammed selbst. Es heißt sogar, er habe die „Frauen“ verworfen, um möglichst asketisch sein zu können. Die goldene Regel und Jesu Sendung zu den Bedürftigen sind der Überlieferung selbstverständlich wichtig. Die Feindesliebe dagegen wird umgedeutet. Wichtig ist es Jesus nach dieser Überlieferung, vor dem Diesseits zu warnen und im Leben schon ganz zum Jenseits zu gehören: „Das Diesseits ist eine Brücke; überquert sie, aber baut nicht darauf.“(Hadith).

Der erste Teil dieses Buches (Hadith, Band 4) kann, wie schon gesagt, als Ergänzung zu biografischen Überlieferungen Mohammeds gelesen werden. In diesem Zusammenhang ist auch das Buch von Tilman Nagel bemerkenswert. Der Ansatz Nagels erinnert an die historisch-kritische Forschung zum Neuen Testament. Er ist bestrebt, Legenden und nachträgliche Überlieferungen auszuscheiden, um ein möglichst authentisches Bild des muslimischen Propheten Mohammed zu gewinnen. Die Frage ist, ob dies letztlich wirklich möglich ist, oder ob der Mohammed der Religion nicht bei einer religionsgeschichtlichen Betrachtung den Ausschlag gibt. Der Vorteil der arabischen Überlieferung ist jedoch, dass die Gestalt Mohammeds tatsächlich sehr präzise eingebunden ist in die namentlich bekannten Verwandtschaftssysteme, sodass hier die historische Forschung ihren Ausgang nehmen kann. Da die religiöse Tradition des Islam die verwandtschaftlichen und politischen Beziehungen Mohammeds detailliert überliefert, ist die Darstellung Tilman Nagels auf der sicheren Seite und kann auch nicht, von einigen Bewertungen abgesehen, aus muslimischer Sicht verworfen werden. Ein Blick auf einige inhaltliche Aspekte des interessanten Buches:

Besonders in den ersten Kapiteln wird die Unterscheidung zwischen dogmatisch-religiöser und historisch-kritischer Betrachtungsweise deutlich. Der ersten genügt es, Mohammeds Aussagen mit der Einzigartigkeit seines religiösen Auftrags in Verbindung zu bringen. Die zweite dagegen bemängelt, dass die dogmatische Sicht viele Aussagen des Korans im Dunkeln lässt, anstatt wie ein Historiker nach Parallelen, Ursprüngen oder dem Hintergrund in der arabischen Umwelt des Propheten zu suchen. Hier bietet sich besonders der Kult um die Kaaba an, den Mohammed aus seiner Heimatstadt Mekka kannte und den er z. T. nur verallgemeinern musste. Dieser geschichtliche Zugang zur Person Mohammeds ist an einigen Beispielen auch aus dem Koran religionswissenschaftlich zu belegen. Auch hierbei tritt immer wieder Mohammeds Kritik an seinen Mitbürgern in die Mitte des Denkens, im Sinn eines konsequenten Monotheismus. Gott wird in allem als Ursprung des Lebens, als Schöpfer gesehen. Charakteristisch an den Worten des Korans ist, dass Gott selbst als „Alter Ego“ Mohammeds erscheint (wie eine innere Stimme), wodurch der Koran die „erspürbare Gegenwärtigkeit des Numinosen“ (Tilman Nagel) vermittelt. Dass auch Mohammed in der Abfassung des Korans einen historischen Lernprozess durchlaufen sollte, ist im Gegensatz zur Meinung muslimischer Gelehrter offensichtlich. Historisch ist selbstverständlich danach zu fragen, welche sympathisierenden Zeitgenossen, ja welche Vorläufer Mohammed in der Verkündigung Allahs als des Einen bereits gehabt hat. In diesem Zusammenhang ist im Buch immer von der streng religiösen Richtung der Hanifen die Rede, die schon vor Mohammed auf Weingenuss verzichteten. Die Auseinandersetzungen Mohammeds mit seinen Mitbürgern in Mekka stellen den Historiker allerdings immer wieder vor die Aufgabe, zwischen Religionsgeschichte und politischer Geschichte entscheiden zu müssen. Es ist schon ein wenig schwierig, bei der Lektüre dieses Buches die Namen der arabischen Familien und Stämme und deren Angehörigen auseinanderzuhalten bzw. zu erinnern. Einige Grafiken im Anhang können da helfen. Sehr hilfreich ist auch, dass diese zwanzig Kapitel über Mohammed immer wieder mit Texten aus dem Koran beginnen und dass im Text weitere Bezüge zum Koran hergestellt werden. Dadurch werden Eigennamen im Text des Korans genauso verständlich, wie z. B. eine Antwort darauf gegeben wird, was unter der Bezeichnung „satanische Verse“ zu verstehen ist (Verse, die im Inhalt dem Sinn des Korans widersprachen und daher wieder verschwanden). So wird an Sure 7 deutlich, dass Mohammed sich erst 1 ½ Jahre vor seiner Auswanderung nach Medina nicht nur als Gesandter Allahs verstand, der dessen Worte verkündete, sondern auch als Prophet mit dem Auftrag, die Ordnung Gottes auch anderen Völkern zu verkündigen. Erst als die Glaubensgemeinschaft die Stämmegemeinschaft ersetzte, kam es zur islamischen Neuorientierung Mohammeds.

Immer wieder spürt man bei der Lektüre den Versuch, die muslimische Überlieferung zu „entmythologisieren“ und auch politisch-historische Umstände wie Stammesfehden in die Betrachtung einzubeziehen. Dies wird z. B. bei der Auswanderung nach Medina deutlich. Die Grundregeln der von Mohammed verbreiteten islamischen Religion treten dabei immer klarer hervor. Zum fünfmaligen, täglichen Gebet und zum Fasten im Monat Ramadan kommt nun das regelmäßige Freitagsgebet hinzu. Auch die Rezitation einiger Suren des Koran, bis dahin unvollendet, ist schon in Medina bekannt gewesen. Vergleichbar dem babylonischen Exil für das Volk Israel, wird die Auswanderung nach Medina zum Start einer festgefügten Regelpraxis der muslimischen Religion. Insofern ist der Titel des Buches konsequent, da er trotz aller historischen Einordnung die Religion „der Muslime“ und ihres „Propheten“ im Blick hat. Tilman Nagel gibt der frühen Religionspraxis durch dessen historische Praxis einen „Sitz im Leben“. Allerdings werden so auch die Beutezüge und Kampfhandlungen der Muslime unter Mohammed mit Aussagen des Korans in Verbindung gebracht. Auch wenn der Begriff so nicht fällt, so hat man doch den Eindruck, die religiöse Begründung der Kampfhandlungen deuteten auf einen „Heiligen Krieg“ hin. Doch genau diese Kriegshandlungen machten es notwendig, die Bindung an die religiösen Gesetze und Einstellungen zu klären, um zu wissen, auf wen man sich verlassen kann. Der Autor stellt sich damit durchaus in den Gegensatz zur muslimischen Geschichtsschreibung, indem er Gewalthandlungen Mohammeds und seiner Anhänger schildert und deutlich benennt. Schon am Beginn des Wirkens Mohammeds stand die Vertreibung und Vernichtung jüdischer Volksgruppen, im Koran auch als Handeln Allahs bezeichnet. Dies ist um so tragischer, als dass die Beziehung zwischen Muslimen und Israeliten durch die gemeinsame Ahnengestalt Abrahams gestiftet wird. Ein gewisser Personenkult um den Propheten scheint erst mit der Zeit z. B. nach der Auswanderung nach Median aufgekommen zu sein. Es legte sich auch nach dem Zeugnis des Korans um den Propheten die Aura des Besonderen. Dreh- und Angelpunkt ist die Rückeroberung Mekkas, mit der Mohammed gleichzeitig die muslimische Religion komplettiert und seine eigenen Machtansprüche festigt. Die Erfolgsgeschichte Mohammeds aus dieser Sicht ist allerdings nicht rein militärisch, sondern beruht auf dem Zusammenwirken von Religion und Macht. Die Expansion des Islams wird als eine Kombination aus Androhung von Gewalt, der Einführung der Regeln des Islams und der Verhandlungstaktik beschrieben. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darlegung über den Dschihad, im Sinne Mohammeds alle geeigneten Mittel aufzuwenden, um den Islam zu verbreiten, konkret dargestellt an seinem Bemühen von Medina aus die volle Kontrolle über die Pilgerstätten in Mekka zu erhalten. Interessant ist, dass nicht alle, die zur Gemeinschaft Mohammeds gehören, zum Dschihad verpflichtet sind. Es gibt auch die Gläubigen, die sich ausschließlich an die religiösen Regeln halten, aber nicht zum Kampf verpflichtet worden sind. Der Autor unterscheidet interessanterweise zwischen „Muslimen“ und Gläubigen. Es wird schon daraus deutlich, dass hier auch manche ungewöhnlichen historischen Resultate präsentiert werden, die nicht alle dem Mainstream der muslimischen Welt entsprechen werden. Man sollte sich aber vor Augen führen, dass vor allem westlich und im Sinn der Aufklärung geprägte Menschen sehr offen sind für eine historische Betrachtungsweise. Wenn man bedenkt, dass so manche Entwicklung im Islam verständlich und nachvollziehbar wird und außerdem auch deutlich wird, welche Faszination diese Religion Mohammeds auf seine Zeitgenossen ausgeübt hat, so kann man nachvollziehen, dass der Koran eine Weltreligion begründen konnte. Allerdings kommen auch diejenigen auf ihre Kosten, die der Religion kritisch gegenüberstehen. Dennoch lädt dieses Buch dazu ein, sich ernsthaft mit dem Islam anhand seiner Hauptquelle, dem Koran zu beschäftigen, was dem Dialog nur dienen kann. Wer den Islam besser verstehen möchte, liest den Koran, die Hadithe und befasst sich mit der Biografie Mohammeds. Die Bücher, die dazu nötig und brauchbar sind, werden hiermit der Lektüre empfohlen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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