Zwischen Aufbruch und Kontinuität. Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2010

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Zu: Martin Greschat: Philipp Melanchton. Theologe, Pädagoge und Humanist, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2010, ISBN 978-3-579-08091-8, Preis: 19,95 Euro

Worin besteht das Eigenständige, das Unverwechselbare dieser Person, dieses Projekts? Diese Frage lässt sich also sowohl an Philipp Melanchton, als auch an das Buch über ihn richten. Dass sein Denkmal neben dem Martin Luthers erst fünfzig Jahre später aufgestellt wurde, gleichwohl ebenfalls im 19. Jahrhundert, zeigt, dass die Kirchengeschichte es immer ein wenig schwer hatte mit diesem zweiten Wittenberger Reformator. Symbolisch zeigen die Denkmäler Wittenbergs, die hier von Martin Greschat ins Gespräch gebracht werden: Luther und Melanchton gehören zusammen, sind aber getrennt zu betrachten.
Die Schilderung seiner Herkunft und die seines Endes sind die einzigen Kapitel, die in der Erzählperspektive, sofern man in der Geschichtswissenschaft von Erzählung sprechen kann, ausschließlich der Person Philipp Melanchtons gewidmet sind. Für das erste Kapitel mag dies aber auch eine Weichenstellung sein, die in der Lektüre der Erzählung in der Frage präsent bleibt: Wie gestaltet sich auch im Fortgang der Geschichte das innere Verhältnis Melanchtons zu seinem humanistischen Vorbild Erasmus von Rotterdam? Sind es vielleicht sogar die Grundpositionen des Erasmus, die in den Jahren nach dem Tod Luthers sich für die Reformation als wegweisender und stärkender zeigen, eben in der reformatorischen Rezeptionsgestalt Philipp Melanchtons. Ein klarer Unterschied zu Luther ist der berufliche Werdegang, der Melanchton schon als Wunderkind mit 12 Jahren zur Universität führte, ein Bildungsort der für ihn lebenslang bestimmend blieb. Er repräsentiert die wissenschaftlich-theologische Seite der Reformation, was Martin Greschat in der abschließenden Würdigung noch einmal sehr stark hervorhebt. Selbst bezogen auf die Pfarrerschaft bis hin zum allgemeinen Schulwesen sowie der Universität, war die Strukturierung von Bildung Melanchtons vornehmste Aufgabe. Seine Würdigung hebt diesen Schwerpunkt derart deutlich hervor, dass man angesichts der politischen und kirchenpolitischen Verwicklungen, die Greschat schildert, zum Schluss nur resümieren kann: Die reformatorische Erkenntnis von der Rechtfertigung führte in Unschärfen, Missverständnisse und Streitereien hinein. Die evangelische Seite machte schon in der Frühzeit das Bild einer zerstrittenen und uneinigen Gestalt von Kirche, die es der Gegenreformation leicht machte – wenn nicht das landesherrliche Kirchenregiment und die Auffassung der allgemeinen Bildung gewesen wäre, die zu einer ganz neuen und der katholischen Seite zumindest ebenbürtigen Form von Kirche geführt hat, was nicht zuletzt, nach der Schilderung Greschats, mehr Melanchtons als Luthers Verdienst war.
Umso trauriger ist, dass selbst in dieser Kurzbiographie die Person Melanchtons blass bleibt und hinter die Schilderung der historischen Erzähllinie der reformatorischen Entwicklung zurücktreten muss. Zwar wird immer wieder gezeigt, wie er sich einfügt und einbringt. Die persönlichen Verhältnisse treten derart hinter die allgemein historischen zurück, dass man dem Buch fast einen anderen Titel geben müsste: Eine kurze Geschichte der Reformation unter Berücksichtigung der Rolle Philipp Melanchtons. Sicherlich ist es wohl genau dieser Aspekt, der im Schatten der kommenden Luther-Ehrung 2017 notwendig ist, um zu zeigen, dass die Reformation keine Einzelaktion des Wittenberger „Mönchs“ war. In der heutigen ökumenischen Debatte wird die Person Philipp Melanchtons vielleicht noch einmal wichtiger werden als die Martin Luthers. So wird in der Erzählung Martin Greschats deutlich, dass Melanchton versuchte, unter Beibehaltung der reformatorischen Essentials, sämtliche Kompromisslinien zur katholischen Seite auszuloten bis hin zu einer möglichen Anerkennung des Papstes. Andererseits wird hier eine deutliche Warnung ausgesprochen: Wenn die evangelische Kirche sich von der bildungsorientierten und kritischen Funktion des wissenschaftlichen Theologie zu sehr entfernt und den Dienst der Pfarrerinnen und Pfarrer von programmatischen kirchlich religiösen Bedürfnissen abhängig macht, wird ihr dies bei alles Zukunftsorientierung langfristig nicht gut bekommen. Philipp Melanchton wird als theologischer Bildungswissenschaftler noch deutlicher und stärker in die aktuelle Diskussion einbezogen werden müssen. Sein Denkmal gehört aufpoliert. Dazu trägt Martin Greschats kurzer Einstieg in die Biographie Philipp Melanchtons wesentlich bei.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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